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2. Grundlagen

2.3. Vertreibung, Aussiedlung, Heimkehr: Einordnungen

Die Tradierung der Erinnerung an „Flucht und Vertreibung“ vollzog sich vor den Vorzeichen unterschiedlichster Gesellschaftssysteme. Im Sprachgebrauch haben sich deshalb eine Reihe von Begriffen etabliert, um das Schicksal der Heimatvertriebenen und Umsiedler zu beschreiben. Diese sind nicht wertungsfrei, sondern reflektieren die jeweiligen ideologisch und politisch propagierten Vorstellungen zu Recht- und Unrechtmäßigkeit der Vertreibungsaktionen. Eine terminologische Reflektion über die im Rahmen dieser Arbeit herangezogenen Begriffe zur Beschreibung der Zwangsmigrationen der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg und zur Beschreibung der Rückkehrmigrationen scheint deshalb unerlässlich.

In der westdeutschen Erinnerungskultur hat sich schon vor Gründung der BRD das Begriffspaar „Flucht und Vertreibung“ als universelle Beschreibung für die Zwangsmigrationen der Deutschen aus Ostmitteleuropa durchgesetzt. Die Begriffe benennen die Schicksalserfahrung der Nachkriegsmigrationen aus Sicht der Betroffenen und betonen deren Opfersituation. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Diskurs in der

zur Erklärung von Wanderungen, in: soFid Migration und ethnische Minderheiten 1/2006, 7–34, hier 22–25.

59 Currle: Theorieansätze zur Erklärung von Rückkehr und Remigration 2006, 19.

BRD offen ausgetragen werden konnte und durch die landsmannschaftlichen und politischen Interessensvertretungen der Heimatvertriebenen getragen wurde.60 Letztlich spiegelte sich dies auch in der offiziellen Terminologie für den von „Flucht und Vertreibung“ betroffenen Personenkreis. In der BRD etablierten sich die Begriffe

„Heimatvertriebene“ und „Flüchtlinge“. Im Bundesvertriebenengesetz (BVFG) vom 19.

Mai 1953 wurde gesetzlich der Status der Betroffenen definiert und zwischen

„Heimatvertriebenen“, „Vertriebenen“ und „Sowjetzonenflüchtlingen“ unterschieden.61 In der SBZ und in der späteren DDR hingegen wurde der Diskurs über die Zwangsmigrationen der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend unterbunden. Die Fluchtbewegungen und Vertreibungen, die im Zuge des Vorrückens der Roten Armee und später auch auf Grundlage des Potsdamer Abkommens systematisch vonstattengingen, wurden im Sozialismus als rechtmäßig und unumkehrbar begriffen.

Eine öffentliche Diskussion über die Vertreibungen galt als revanchistisch und staatsgefährdend, ein öffentlicher Diskurs darüber wurde unterdrückt. Die Vertreibungsaktionen selbst wurden in der SBZ/DDR deshalb vor allem mit dem Begriff

„Umsiedlung“ umschrieben. Die Betroffenen wurden als „Umsiedler“ (seit 1947 auch als

„ehemalige Umsiedler“) oder als „Neubürger“ bezeichnet.62

Auch andere Staaten, die aktiv in die Vertreibungen eingebunden waren, verwendeten für die Bevölkerungsverschiebungen der Nachkriegsjahre möglichst detachierende Begriffe.

So bezeichnete die tschechoslowakische Nachkriegsregierung die Ereignisse als „odsun“, als „Abschub“ oder „Abtransport“. Die Siegermächte, die im Potsdamer Abkommen der

„ordnungsgemäßen Überführung“ der deutschen Bevölkerung zugestimmt hatten, bezeichneten die Maßnahmen mit einem ebenso objektivierenden Terminus als „transfer

60 Schon in der Charta der Deutschen Heimatvertriebenen von 1950 hatten die Vertriebenenverbände die Forderung nach einem „Recht auf Heimat“ formuliert. Siehe Beer: Flucht und Vertreibung der Deutschen 2011, 115.

61 Siehe das Kapitel „Begriffe“ in Beer, Mathias: Einleitung, in: ders. (Hg.): Flüchtlinge und Vertriebene im deutschen Südwesten nach 1945. Eine Übersicht der Archivalien in den staatlichen und kommunalen Archiven des Landes Baden-Württemberg, Schriftenreihe des Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde II, Sigmaringen 1994, 13–44, hier 16f.

62 Bauerkämper, Arnd: Deutsche Flüchtlinge und Vertriebene aus Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa in Deutschland und Österreich seit dem Ende des zweiten Weltkriegs, in: Bade, Klaus; Emmer, Pieter;

Lucassen, Leo; Oltmer, Jochen (Hrsg.): Enzyklopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Paderborn 2007, 477–485, hier 477–478. Zur Sprachpolitik in der SBZ/DDR siehe außerdem Schwartz: Vom Umsiedler zum Staatsbürger 2000, 160.

of population“, als Bevölkerungsverschiebung.63 Und auch die sozialistischen ungarischen Regierungen verwendeten möglichst objektive Begriffe, um die Vorgänge rund um Flucht und Vertreibung der Deutschen aus Ungarn zu umschreiben. Aufbauend auf der Annahme, dass die Ausweisung der deutschen Bevölkerung Ungarns der ungarischen Regierung durch die Potsdamer Beschlüsse aufoktroyiert worden sei und der ungarische Staat keine andere Handlungsoption als die Ausweisungen gehabt habe („Potsdam-Diktat“), wurde in offiziellen Stellungnahmen die Begriffe kitelepítés (Aussiedlung) und áttelepítés (Umsiedlung bzw. Übersiedlung) verwendet. Der tschechoslowakisch-ungarische Bevölkerungsaustausch in den Jahren 1945 bis 1946, im Zuge dessen Ungarn aus der heutigen Slowakei ausgewiesen worden waren, wird im Erinnerungsdiskurs hingegen als Vertreibung (kiüzés) bezeichnet.64 Die Termini kitelepítés und áttelepítés fanden Eingang in die Erinnerungskultur in Ungarn, so dass sogar die von der kitelepítés betroffene Gruppe selbst, die deutsche Bevölkerung Ungarns also, diese Begriffe für die Beschreibung ihrer Schicksalserfahrungen internalisierte, auch wenn diese aus Sicht der Betroffenen viel eher als Vertreibung kategorisiert werden müsste.65

In zeitgenössischen Kundgebungen wurden in Ungarn im Kontext der eigentlichen Durchführung der kitelepítés weiterhin die Begriffe „Heimkehr“, „Umzug“ und

„Rücksiedlung“ verwendet, da propagandistisch davon ausgegangen wurde, die deutsche Bevölkerung könne nun „nach ihr Mutterland“ (ung. anyaországukba) zurückkehren. Die Aussiedlungsaktionen wurden dementsprechend nicht als Strafaktion begriffen, sondern viel eher als Mittel der ethnischen Entmischung, bei der die Rückkehr als Möglichkeit des Neuanfangs in der eigentlichen Heimat propagiert wurde. Dies geht etwa aus einer

63 Gajdos-Frank, Katalin: „Odsun“ und „Transfer of Population“. Wie organisiert und wie human wurde die Vertreibung der deutschen Bevölkerung in der Tschechoslowakei und in Ungarn durchgeführt? Über das Buch „Verfolgung 1945“ von Thomas Stanek, in: Sonntagsblatt. Informationen – Meinungen, Jakob Bleyer Gemeinschaft e.V., 3/2009, 19–23, hier 19.

64 Seewann, Gerhard: Zur ungarischen Geschichtsschreibung über die Vertreibung der Ungarndeutschen 1980–1996, in: Tóth, Ágnes (Hg.): Migrationen in Ungarn 1945–1948. Vertreibung der Ungarndeutschen, Binnenwanderungen und slowakisch-ungarischer Bevölkerungsaustausch, Schriften des Bundesinstituts für Ostdeutsche Kultur 12, München 2001, 7–16, hier 9.

65 Tóth: Rückkehr nach Ungarn 2012, 34. Eine weiterführende definitorische Abgrenzung der Begriffe Flucht, Vertreibung und Deportation ist zu finden in Hecker, Hans: Vertreibung und Verfolgung in der jüngeren deutschen Geschichte, in: Schulz, Günther (Hg.): Vertriebene Eliten. Vertreibung und Verfolgung von Führungsschichten im 20. Jahrhundert, Büdinger Forschungen zur Sozialgeschichte 1999, München 2001, 17–41.

Kundmachung aus Frühjahr 1946 hervor, die in den von den Aussiedlungen betroffenen Gemeinden angeschlagenen worden war, um die Bevölkerung über den Verlauf der eigentlichen Aussiedlungsaktionen zu informieren. Hierin heißt es in der völkischen Diktion der Kriegsjahre: „Diese Verfügung ist keine Strafmaßnahme den deutschen Einwohnern gegenüber, sie kehren ja nach ihr eigentliches Heimatland, zu ihren Rassenbrüdern, in einen Verwandtenkreis zurück, wo für ihren Lebensunterhalt bereits am weitgehendsten gesorgt wurde.“66

Die nach Ungarn zurückkehrenden Schwaben wurden in zeitgenössischen offiziellen Quellen – in Polizeiberichten und Gerichtsakten – als „Zurückgeflüchtete“ (ung.

„visszaszököttek“), „Zurückgesickerte“ (ung. „visszaszivárgok“) oder

„Zurückgetriebene“ (ung. „visszatérök“), „Schwaben“, „Deutsche“ oder

„Flüchtlinge“ bezeichnet. Bis in die 1950er Jahre hinein wurde ihre Rückkehr als Bedrohung der inneren Sicherheit Ungarns aufgefasst und die Rückkehr kriminalisiert.67 Der Begriff hazatértetek (dt. „die Heimgekehrten“) ist eine gegenwärtige Einordnung, die das Phänomen der Rückkehrmigration aus Sicht der eigentlichen Akteure beschreibt.68

66 Der Anschlag „Tudniválok a magyarországi németek anyaországukba való hazatéréséről, illetve áttelepüléséről“ (dt. „Kundmachung. Bezüglich der Rücksiedlung der Deutschen aus Ungarn nach ihr Mutterland“) wurde zweisprachig herausgegeben und im Februar/März 1946 in denjenigen ungarischen Gemeinden angeschlagen, in denen die ausführenden Kommissionen die Aussiedlungen vornahmen.

Als Ziel der Transporte wird in dem Aushang die amerikanische Besatzungszone Deutschlands angegeben. Zudem werden Einzelheiten zum Feststellungs- und Evakuierungsverfahren genannt. Die ungarische Version des oben zitierten Textauszuges lautet: „Ez az intézkedés nem büntető szanció a német lakóssággal szemben, mert a német lakósság hazajába, baráti körbe, lajtestvérel közé települ vissza, ahol elhelyezkedésről és megélhetéséről messzemenő gondoskodás történt.“ Siehe Eberl, Immo:

Ungarn. Anweisung für die Vertreibung, in: Eberl, Immo; Gündisch, Konrad; Richter, Ute; Röder, Annemarie; Zimmermann, Harald (Hrsg.): Die Donauschwaben. Deutsche Siedlung in Südosteuropa.

Ausstellungskatalog, Innenministerium Baden-Württemberg, Sigmaringen 1987, 266.

67 Tóth: Hazatértek 2008, 18.

68 Um eine genauere Abgrenzung der Termini in dieser Arbeit zu ermöglichen, werden im Nachfolgenden die Begriffe Remigration und Rückkehr deckungsgleich für die auf Dauer angelegten Rückwanderungsbewegungen von den in die SBZ oder die westlichen Besatzungszonen Deutschlands ausgesiedelten Ungarndeutschen in ihr Herkunftsland Ungarn verwendet. Da davon ausgegangen werden kann, dass die Orientierung in Richtung Heimat ein zentrales Motiv für die Rückkehrentscheidung war und die Rückkehr in ihrem Gesamtzusammenhang auch im gegenwärtigen Selbstverständnis der hazatértek von den Betroffenen als 'Heimkehr' bewertet wird, wird der Begriff 'Heimkehr' deckungsgleich verwendet. Im Folgenden findet der Begriff Heimkehr allerdings insbesondere im Kontext lebensgeschichtlich orientierter Darstellungen Anwendung. Mit den Begriffen Rücksiedlung und Rückwanderung werden die eigentlichen heimatorientierten Wanderungsprozesse beschrieben – der faktische, physische Prozess des Wechsels des Aufenthaltsortes zurück in die Herkunftsregionen. Die Begriffe Vertreibung und Aussiedlung werden auf die zwangsweise Emigration der Deutschen aus Ungarn bezogen und weitgehend kongruent verwendet.