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5. Die Erzählungen

5.3. Evakuierung und Aussiedlung als Erinnerungsmoment

Die kitelepités, die Aussiedlung der Deutschen aus Ungarn, erfolgte wie bereits dargestellt lokal und regional zu unterschiedlichen Zeitpunkten, mit unterschiedlicher Intensität und mit unterschiedlichem Verlauf. Dennoch treten in den Erinnerungen der hazatértek an die Vertreibungen verbindende Muster und Motive auf und es zeigte sich, dass die Erfahrung der Aussiedlung ein zentrales Moment in den Lebensgeschichten ist.

Die kitelepités wird von den Betroffenen als biographischer Wendepunkt verstanden. Die Evakuierung, das erzwungene Verlassen des Ortes der Heimat, wurde von den Heimgekehrten als ein punktueller Bruch erlebt, der die – für sie bis dato anerkannten – sozialen Gültigkeiten von einem Augenblick auf den nächsten gänzlich in Frage stellte.434

433 Interview J.G., 86/4–86/24.

434 Für die heimatvertriebenen Deutschen bedeuten die Vertreibungen einen „kollektiven historisch-biographischen Bruch“, dessen Verarbeitung individuell sehr unterschiedlich verlaufen konnte. Siehe von Engelhardt, Michael: Die Bewältigung von Flucht und Vertreibung. Zum Verhältnis von Lebensgeschichte, Gesellschaftsgeschichte und biographisch-historischer Identität, in: Endres, Rudolf (Hg.): Bayerns vierter Stamm, Köln 1998, 215-251, hier 218.

Dementsprechend konkret sind auch die Erinnerungen an dieses Erfahrungsmoment.435 Fast alle Gesprächspartner konnten sich an das genaue Datum der Aussiedlung erinnern.

Darüber hinaus werden die spezifischen Handlungsabläufe und Vorgänge der Aussiedlungsaktionen – das Eintreffen der Aussiedlungskommissionen, die Inventarisierung und Beschlagnahmung, der Abtransport usw. – von ihnen bis ins Detail erinnert. Das zeigte sich etwa im Gespräch mit Frau A.F., die zusammen mit ihrer Familie im Sommer 1948 aus der Gemeinde Nagynyárád in einem der letzten Aussiedlungstransporte in die SBZ ausgesiedelt worden war. Bereits im Folgejahr kehrte sie zusammen mit ihren Eltern wieder in ihre Heimatgemeinde zurück. Das Eintreffen der Aussiedlungskommission in ihrem Heimatort, die Beschlagnahmung und die Ausweisung der Familie sind ihr in ihrer Erinnerung nach wie vor gegenwärtig. Die Durchführung der Evakuierungsaktion schilderte sie szenisch: „Das ist schon traurig gewesen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir da als Kinder draußen gesessen sind hier vorm Haus, und dann ist die Polizei gekommen mit dem Mann und dann hat der Mann gesagt: 'Hier ist das Haus.' Dann ist er reingekommen und hat uns alle nach einer Liste der Reihe nach mit Namen aufgerufen. Jetzt sollten wir packen, in einer halben Stunde sei der Autobus da. Dann mussten wir fort. Ja, das war schon schwer.“436 Zwar waren die Aussiedlungskomissionen bereits zuvor wiederholt im Ort aktiv gewesen und die Betroffenen wussten, dass in anderen Gemeinden bereits viele Deutsche evakuiert und abgeschoben worden waren. Dennoch sahen viele Ungarndeutsche zum Zeitpunkt der Aussiedlung die Gefahr einer Enteignung oder Vertreibung schon gebannt, da sie davon ausgingen, der Krieg sei beendet und in Friedenszeiten derartige Maßnahmen nicht anberaumt würden.437 Auch Herr J.S. aus Váskut erinnerte sich detailliert an die spezifischen Abläufe der Evakuierungsaktionen. Wie er angab, war ihm die Möglichkeit einer Ausweisung zwar bewusst, er ging allerdings nicht davon aus, dass die Vertreibungen auch ihn und seine Familie treffen könnte. Auch der mögliche Zeitpunkt der Aktionen war für ihn nicht absehbar: „Dann ist sie wieder zurückgekommen, also

435 Einen psychoanalytischen Überblick über die Wirkungsweisen der Verarbeitung von traumatischen Erfahrungen ist zu finden in Bohleber, Werner: Trauma, Trauer und Geschichte, in: Liebsch, Burkhard;

Rüsen, Jörn (Hrsg.): Trauer und Geschichte, Köln/Weimar/Wien, 131–145, hier insbesondere 135–137.

436 Interview A.F., 51/12–51/15.

437 Füzes: Etwas blieb daheim in Ungarn 1999, 88.

diese, wie soll ich sagen, die was auf uns aufgepasst haben, die Vertreibungspolizei. Das war eine ganz andere Polizei wie die richtige Polizei. Die sind wieder zurückgekommen.

Wir haben uns schon gedacht, das wird was geben. Aber wann, das wussten wir nicht.

Also am 18. August früh am Morgen sind sie gekommen. Keine Seele von uns – also das war in Vaskút von hier acht Kilometer –da hat niemand hat mehr hinaus dürfen aus der Gemeinde. Dann sind sie schon gekommen mit einem Zettel. Also, da standen schon Namen drauf von der Familie. In einer Stunde sollten wir fertig sein, weil es kommt ein Kraftfahrzeug und nimmt uns – dort in Vaskút war ein Bahnhof – hinaus zum Bahnhof.

Das hätten wir nie gedacht! (–) Und dann sind sie gekommen und haben uns hinausgeschoben auf den Bahnhof. Dort waren wir, bis die Anderen auch sind gekommen. Am nächsten Tag sind die Wagons gekommen und dann haben (sie) uns einwagoniert. Dann sind wir dort am 19. August von Baja nach Pirna.“438 Auch Herr J.G.

aus Szigetbecse erinnerte sich detailliert an den Tag der Ausweisung seiner Familie. Wie im Vorangegangenen bereits ausgeführt, waren nur er und seine Mutter für die Abschiebung vorgesehen. Sein Vater, der wenige Wochen zuvor vom Arbeitseinsatz in Russland heimgekehrt war, war auf den Namenslisten der Siedlungskolonnen nicht vermerkt. Seine Versuche bei der Gemeindeverwaltung den Verbleib der Familie zu erwirken und deren Ausweisung zu verhindern, scheiterten: „Da kam der Polizist in der Früh, ich bin noch im Bett gewesen. Dann hat er gesagt, wir sollen jetzt zusammenpacken.

Alles, was wir so zusammenpacken können. In einer Stunde kommt dann ein Auto, hat er gesagt, das schafft uns dann fort. Zu Papa hat er gesagt, er muss nicht, nur die Mutter und ich. Der Papa stand nicht auf der Liste. Vielleicht wussten die gar nicht, dass er zu Hause ist. Die haben gedacht, dass der noch in Russland ist. Bestimmt haben die nicht gewusst, dass mein Papa wieder zu Hause ist. Deshalb war der nicht drauf auf der Liste.

Dann ist der Papa aufs Gemeindehaus. Da hat er gefragt, ob man denn nicht hierbleiben könnte. Die haben dann gesagt: 'Nein, aber sie nehmen wir auch gerne mit', haben sie zu meinem Papa gesagt. Die Familie kann nicht dableiben, aber sie nehmen wir gerne mit.

Dann hat er gesagt, dann muss er halt auch mit, er kann doch nicht die Familie alleine lassen. Dann ist er auch mit.“439

438 Interview A.Sch., 3/9–3/21.

439 Interview J.G., 86/14–86/24.

Die Aussiedlung wird von den Betroffenen nicht nur als Verlust des Besitzes, sondern vor allem auch als Verlust der anerkannten sozialen Rolle verstanden. Traditionell wurde von den „Schwaben“ der gesellschaftliche Status des Einzelnen über die persönliche Verfügung von Besitz (also im rechtlichen Sinn von „Eigentum“) und Land (im Sinn von bäuerlicher Landwirtschaft) definiert. Ansehen genoss derjenige, der einen Hof besaß und eigene Felder und Ackerflächen. Land war für die Dorfbewohner also nicht nur ein

„ökonomischer Faktor”, um Erträge einzufahren und den Lebensunterhalt sicherzustellen.

Vielmehr bestimmte der Besitz von Land und Ackerfläche den sozialen Status des Einzelnen innerhalb der dörflichen Gesellschaft und war somit „ein Wert an sich“.440 Die Erfahrung des Verlustes kehrte diese Kategorie sozialer Ordnung um. Während der Besitz von Land und Feldern, Haus, Hof und Vieh stets ein wesentliches „soziales Ordnungsprinzip“ dargestellt hatte, war dieses Selbstverständnis mit dem Augenblick der Aussiedlung und der damit einhergehenden Enteignung obsolet geworden.441 Dementsprechend ist der Verlust von Besitzstand und Vermögen in den Erinnerungen an die Aussiedlungen ein zentrales Erzählmotiv. So schilderte etwa Herr F.A. aus dem nahe Villány gelegenen Ort Palkonya seine Erfahrung der Aussiedlung vor allem vor dem Hintergrund des hierdurch erfahrenen Besitzverlustes. Seine Familie betrieb am Ort eine kleine Landwirtschaft: „Wir hatten unser ganzes Vermögen, Feld, Viecher, Haus, alles, wir hatten das bis zu unserer letzten Minute und alles. Und eines Morgens kommt die Polizei rein und hat gesagt, packen und los.“442 Deutlich wurde die starke Gewichtung des materiellen Verlustes durch die Erfahrung der Aussiedlung auch in einer Aussage von Frau A.P. aus Nagynyárád. 1948 wurde sie zusammen mit ihrer Familie ausgesiedelt.

Auch ihre Familie besaß einen landwirtschaftlichen Betrieb. Das ihr, durch die Aussiedlung aufgezwungene Zurücklassen der alltäglichen Verpflichtungen, wie das Bestellen und Abernten der Felder oder die Pflege der ihrer Landwirtschaft angeschlossenen Tiere, bedeutete für sie gleichsam auch die Aufgabe einer lebensweltlichen Normalität: „Ich war keine zehn Jahr'. Dann ist die Polizei hierhergekommen, hat geklopft, dann sind wir raus. Wir haben nicht gewusst wohin. (–)

440 Siehe auch Schwedt: Zur Veränderungsgeschichte dörflicher Geselligkeit 1990, 20 f.

441 Ebd., 29.

442 Interview F.A., 42/2–42/4.

Dann stand da ein Auto. Dann haben sie gesagt, wir werden ausgeliefert. Was wir noch gehabt haben, das war ein Stall voll Viech. Da waren Pferd', da waren Schwein', da war der Weizen, da war der Kukuruz (Mais), der war noch draußen am Feld. Die Wohnung war noch eingeräumt, alles was war, ist dageblieben, das Mehl... und so haben wir fortgemusst.“443 Auch aus den Erzählungen über die Aussiedlung von Frau E.Z. aus Vémend geht hervor, dass das Zurücklassen nicht nur als Verlust materieller Werte, sondern auch als Verlust des Alltags gedeutet wird: „Der (Kommissar) hatte so (einen) Lattenzaun. Da hat er an die Tür hingeschlagen. Da hat er gesagt, wir sollen in einer halben Stunde gepackt haben, wir sollen weggehen. Das Auto kommt und nimmt uns mit.

Aber was sollen wir jetzt mitnehmen? Da waren Viech, da waren Schweine, da waren Hunde und Schlachtware, alles miteinander so wie es war. Das bisschen Bündel sollten wir raus mitnehmen an die Station.“444 Ebenso Frau E.M. betonte in ihren Ausführungen den materiellen Verlust, den sie durch die Aussiedlung erfahren hatte: „1947 sind wir vertrieben worden. Das war schon traurig. Stellen sie sich vor, wir hatten ein großes Haus, ein Bauernhaus, gehabt – Kühe und Schweine und Pferde und Allerhand. Und dann haben sie gesagt, fünfundzwanzig Kilo darf man mitnehmen, weil dann nehmen sie uns mit in einen anderen Ort, weil aus der Tschechoslowakei bringen sie die Ungarn daher und wir müssen nach Deutschland. Dann hat sich der LKW in den Hof hineingestellt. Dann ging es ganz schnell.“445

Der, durch die Vertreibungen erfahrene Besitz- und Statusverlust spiegelt sich in den Erinnerungen auch in dem Narrativ des Vertriebenengepäcks. Die Tragweite des Verlusts wird im geringen materiellen Wert des Vertriebenengepäcks – im Vergleich zu dem hohen persönlichen und materiellen Stellenwert des beschlagnahmten Besitzes – deutlich.

Neben den wichtigsten Gegenständen des täglichen Bedarfs wurden von den Betroffenen vor allem Nahrungsmittel mit auf die Reise genommen: „Ein bisschen Kleidung, ein bisschen Bettzeug, zwei Säcke Mehl, ein bisschen Speck und Fett. So sind wir rausgegangen“,446 sagte etwa Herr J.E. und wies so nicht nur auf den materiellen Schaden

443 Interview B.P., 102/19–102/21.

444 Interview E.Z., 36/20–36/25.

445 Interview E.M., 12/10–12/14.

446 Interview J.E., 65/30–65/31.

der Evakuierungen, sondern auch auf den als Folge der Enteignungen erfahrenen sozialen Statusverlust hin. Auch Herr A.Sch. betonte in seinen Ausführungen, die begrenzten Möglichkeiten Dinge mitzunehmen und, dass nur das Lebenswichtigste mitgeführt werden konnte: „Da weiß man nicht, was man mitnehmen soll. Das sah dann ungefähr so aus: ein Beutel mit hundert Kilo, davon achtzig Kilo alles Andere, Lebensmittel zwanzig Kilo – zwei Kilo Bohnen, zwei Schmalz, Fett, Fleisch.“447 Meist hatten die Betroffenen nur wenige Minuten Zeit, um das Gepäck zusammenzustellen, wie Herr J.R. aus Villány schilderte: „In 47er, am 24. August war die Aussiedlung. Und zehn Minuten hat das Postauto hier im Dorf (gewartet). Zehn Minuten haben wir gekriegt! Und dann packt ihr zusammen und dann ist fertig. Was sollst du packen in zehn Minuten? Nichts. Ganz wenig.“448 Im weiteren Verlauf des Gesprächs sagte er: „In Villány haben sie uns in die Wagons rein. Zehn Familien gingen in einen Wagon rein. Was sollten die so zusammenpacken? Was meinst du? Nichts!“ Auf die Frage, was sie denn doch mitnehmen konnten, erinnerte Herr J.R.: „Eine Decke, wo man sich hat hingelegt und dann zudecken tut. Das wars, was du hattest.“449

Die Evakuierung und die Zwangsbeschlagnahmung des mobilen und immobilen Besitzstandes und der Abtransport wurden in den meisten Gemeinden in Schnellaktionen innerhalb weniger Stunden durchgeführt. In einigen Gemeinden Südungarns wurden die für die Aussiedlung vorgesehenen Familien schon Wochen, in manchen Fällen sogar Monate im Voraus des eigentlichen Abtransportes aus ihren Häusern ausgewiesen und in provisorischen Sammelunterkünften oder auch direkt in Wagons untergebracht. In der Gemeinde Vémend wurde der für eine Ausweisung vorgesehene Personenkreis rund eineinhalb Wochen vor dem eigentlichen Abtransport in die SBZ im Sommer 1947 auf dem Bahnhofsgelände gesammelt und polizeilich abgeschirmt. Die Versorgung der betroffenen Familien war nur unzureichend gewährleistet, wie die Zeitzeugen schilderten.

Auf dem Bahnhofsgelände waren man sich selbst überlassen, wie Frau H.F. berichtete:

„Die sind einfach gekommen und wir haben müssen raus und haben (uns) auf die Bahn geführt. Da haben wir acht Tage gehalten. Es war im September in 47er. Eine große Hitz'

447 Interview A.Sch., 3/16–3/19.

448 Interview J.R., 163/3–163/8.

449 Interview J.R., 163/21.

war da. Das war September und das war so heiß. Und acht Tage konnten wir uns nicht waschen und kein Wasser, kein gar nichts. (–) Ich weiß nicht, wie viele Personen in einem Wagon waren mit alten Leuten und mit Kindern und mit alles.“450 Frau E.Z., die ebenfalls in Vémend auf den Abtransport wartete, schilderte, dass Verwandte und Bekannte, die von den Aussiedlungskommissionen nicht erfasst worden waren, die auf dem Bahnhofsgelände auf den Abtransport wartenden Vertriebenen versorgten: „An der Station haben wir acht Tage gelebt. Bis wir dort waren, die was Leut' noch hatten daheim, die haben zu Essen gebracht. Bei uns da war nichts.“451

Auch vertriebene Deutsche aus Nagynyárád verbrachten vor ihrem eigentlichen Abtransport in den Westen einige Wochen in einem überwachten Transportzug in Mohács. Die Betroffenen versorgten sich mit Hilfe provisorisch errichteter Kochstellen mit den von ihnen mitgebrachten Lebensmitteln, wie sich Frau A.F. erinnerte: „Am 3.

September 1947 sind wir weg. Und in Mohács haben wir zwei Wochen gelegen auf der Bahn. Dort haben wir gekocht in der Eisenbahn. Das war in so einer Schlucht und da haben wir Ziegel übereinandergestellt und zwei Wochen gekocht.“452 Frau B.P., die in derselben Aktion aus Nagynárád ausgesiedelt wurde, schilderte die Vorgänge folgendermaßen: „In 47er, am 3. September, da haben sie uns im Auto auf Mohács getan.

Im Auto waren wir. Eins, zwei auf ein Auto drauf. Und danach sind wir einquadroniert worden in so einen Wagon rein. Da haben sie ein bisschen Heu rein, durchgeschrubbt und dann haben sie uns fort bis daher nach Fünfkirchen (Pécs), so heißt das. Dann haben wir dort gestanden noch zehn Tage lang. Da haben wir müssen warten, wo sie uns hintun – in die DDR.“453

Die Aussiedlung hat in den Reihen der Vertriebenen eine Orientierungskrise verursacht.

Die Betroffenen wussten nicht, wohin sie kommen würden und ob sie jemals wieder in die Heimat zurückkehren könnten.454 Diese Unsicherheit wurde dadurch unterstützt, dass

450 Interview H.F., 134/1–134/5.

451 Interview E.Z., 36/25–36/26.

452 Interview A.F., 52/29–52/31.

453 Interview B.P., 103/1–103/5.

454 Albrecht Lehmann prägte im Zusammenhang mit der durch Vertreibung und Aussiedlung der Deutschen aus ihren Heimatgemeinden verursachten Orientierungskrise den Begriff der

„Zufallsheimat“. Siehe dazu Lehmann, Albrecht: Im Fremden ungewollt zuhause. Flüchtlinge und Vertriebene in Westdeutschland 1945–1990, München 1993, 21–30.

die Betroffenen bei ihrer Evakuierung von den Aussiedlungskommissionen in Ungewissheit gelassen wurden, wohin die Transporte nun genau weitergeleitet werden sollten. Häufig waren die Kommissionen selbst nicht genauer über das Ziel der jeweiligen Transporte informiert. Wie aus den Erinnerungen hervorgeht, kursierten in den Kreisen der Vertriebenen während der zweiten Welle der Aussiedlungen Gerüchte, dass sie in die

„Ostzone“ gebracht werden würden. Dies wurde von vielen Betroffenen dahingehend falsch gedeutet, als dass sie annahmen, die Züge würden nicht in die SBZ, sondern nach Russland geschickt. In den Reihen der Vertriebenen machte sich dabei die Angst breit, dass sie erneut zur Zwangsarbeit verpflichtet werden könnten, wie dies nach der Besatzung durch die Rote Armee im Rahmen des Málenkij Robot geschehen war.455 So berichtete etwa Frau E.Z., die Auszusiedelnden seien auch während der Transportfahrten über das eigentliche Ziel der Transporte in Ungewissheit gelassen worden. Der Aussiedlertransport aus Vémend habe zunächst in Budapest Halt gemacht. Noch während der Stationierung befürchteten die Betroffenen nach „Sibirien“ direktioniert zu werden, wie sie schilderte. Erst nach Aufbruch des Zuges konnten Mitfahrende, die die Strecke kannten, die Richtung der Weiterfahrt deuten. Dies schaffte die erleichternde Gewissheit, dass die Züge in das besetzte Deutschland weitergeleitet wurden und nicht in die SU: „Da waren solche Menschen dabei bei uns, (–) die waren in Russland. Wenn wir jetzt rechts fahren, dann kommen wir auf Russland. Wenn wir links fahren, dann fahren wir auf Deutschland.“456

In den Erzählungen wird auch berichtet, dass für eine Aussiedlung vorgesehene Personen versuchten, sich den Evakuierungen zu entziehen, indem sie sich bei nahen Bekannten und Verwandten oder in Weinkellern, Weinbergen und Wäldern vorübergehend versteckt hielten. Für die Flüchtenden und deren Helfer bedeutete dies ein großes Risiko, da Fluchtversuche und die Aufnahme von Flüchtigen mit hohen Strafen geahndet wurden.457 Frau G.J. berichtete in ihren Erzählungen darüber, wie sie sich nach Eintreffen der Aussiedlungskommissionen in Vémend zusammen mit ihren Eltern zunächst versteckt hielt. Nachdem sie aus der Ferne beobachtet hatten, wie weitere Familienmitglieder zum

455 Lászlo, Péter: Heimatlose Jahre. Zwangsmigration im Komitat Tolna 1944–1948, Szekszárd 2009, 91.

456 Interview E.Z., 37/4–37/7.

457 Lászlo: Heimatlose Jahre 2009, 93.

Abtransport auf dem Bahnhofsgelände in Vémend erfasst worden waren, stellten sie sich doch den Behörden: „Wir hatten uns versteckt. Wir wollten ja nicht mit. Mein Vater hat gesehen, wie seine Eltern und die ganze Verwandtschaft auf ein Auto ist und rausgeführt (wurde) nach der Station – wir hatten uns auf dem Fußballplatz (versteckt). Das war hinterm Haus und dort hatten wir einen Fußballplatz und dort hatten wir uns verschlupft.

Wir wollten ja nicht mit. Das kann ich auch noch ganz gut erinnern. Und dann, wie das mein Vater hat gesehen, da sind wir auch. Wie die sind aufgepackt worden, das hat der gesehen und dann sind wir, dann haben sie uns auch aufgeladen und dann sind wir auch raus auf die Station. Und dann haben sie uns auf die Station geführt.“458

Frau B.P. aus Nagynyárád, deren Transport zunächst in Mohács, dann in Pécs einige Wochen auf die Weiterleitung gewartet hatte, schilderte, dass die ausführenden Behörden drohten, die Auszusiedelnden in die SU abzuschieben, falls diese sich der Ausweisung in das besetzte Deutschland widersetzten: „Die 46er Leut', wie sie die ausgeliefert haben, die sind noch in der amerikanischen Zone gewesen und wir sind in die russische Zone gekommen und haben da uns aufgenommen. Wir waren noch Kinder, das haben wir noch nicht so ganz mitbekommen. Und dann haben die gesagt, wenn ihr nicht nach Deutschland geht, dann tu' mer euch auf Sibirien.“459

Auch die eigentlichen Transportfahrten werden in den Lebensgeschichten erinnert. Die Bedingungen der Transporte werden dabei durchwegs als schlecht beurteilt. In den Erinnerungen sind die mangelnden Hygienebedingungen, die schlechte Versorgung während der Fahrten und die Ungewissheit über das Ziel der Transporte zentrale Erzählmotive. Auch die Überlastung der Maschinen und Wagons aufgrund der großen Zahl der Mitfahrenden ist ein gängiges Motiv in den Erinnerungen an die Transportfahrten. Während der zweiten Welle der Vertreibungen wurden die Transporte aus Südungarn in der Regel via Budapest, Brünn und Prag in die SBZ geleitet. An den zentralen Umlenkbahnhöfen und an den Grenzen machten die Transporte Zwischenhalte, wo sie isoliert und abgeschirmt wurden. An den Grenzen wurden das Zugführpersonal und die Triebfahrzeuge gewechselt. Frau E.Z. erinnerte sich detailliert an den Abtransport aus Vémend und die Fahrt in die SBZ. Die Ankunft der Züge und den Ablauf der

Auch die eigentlichen Transportfahrten werden in den Lebensgeschichten erinnert. Die Bedingungen der Transporte werden dabei durchwegs als schlecht beurteilt. In den Erinnerungen sind die mangelnden Hygienebedingungen, die schlechte Versorgung während der Fahrten und die Ungewissheit über das Ziel der Transporte zentrale Erzählmotive. Auch die Überlastung der Maschinen und Wagons aufgrund der großen Zahl der Mitfahrenden ist ein gängiges Motiv in den Erinnerungen an die Transportfahrten. Während der zweiten Welle der Vertreibungen wurden die Transporte aus Südungarn in der Regel via Budapest, Brünn und Prag in die SBZ geleitet. An den zentralen Umlenkbahnhöfen und an den Grenzen machten die Transporte Zwischenhalte, wo sie isoliert und abgeschirmt wurden. An den Grenzen wurden das Zugführpersonal und die Triebfahrzeuge gewechselt. Frau E.Z. erinnerte sich detailliert an den Abtransport aus Vémend und die Fahrt in die SBZ. Die Ankunft der Züge und den Ablauf der