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4. Kontexte

4.7. Konzepte der Aufnahme und die Frage der Heimkehr

Die grundsätzlichen ideologischen Konzepte der Aufnahme und Eingliederung der heimatvertriebenen Deutschen wichen in den Besatzungsregimen zunächst kaum voneinander ab. Sowohl die amerikanische und britische als auch die sowjetische Besatzungsmacht gingen von Beginn an davon aus, dass die Vertriebenen und Umsiedler dem staatlichen und wirtschaftlichen Wiederaufbau nicht im Wege stehen und dementsprechend auch keinen politischen oder sozialen Sonderstatus im Umfeld der Aufnahmeregime einnehmen dürften.325 Der politische Umgang mit den Vertriebenen zielte dieser Annahme folgend auf das „organische Aufgehen“, auf die Verschmelzung und Assimilierung der Vertriebenen mit der bestehenden Mehrheitsgesellschaft, ab.326 Die Eingliederung war dieser Annahme folgend auf einen dauerhaften Verbleib der Ankömmlinge in der „neuen Heimat“ ausgelegt. Gleichzeitig wurde die Möglichkeit

324 Rundschreiben der Hauptabteilung Umsiedler der Landesregierung Sachsen an die Kreis- und Ortsämter, Oktober 1947, in StA Pirna, Statistische Angaben über die Unterbringung von Umsiedlern und deren Unterstützung, 1946–1949, B IV–IV, 51, 80.

325 In der französischen Besatzungszone wurden zunächst kaum Flüchtlinge aufgenommen. Siehe dazu Kühne, Andreas: Entstehung, Aufbau und Funktion der Flüchtlingsverwaltung in Württemberg-Hohenzollern 1945–1952. Flüchtlingspolitik im Spannungsfeld deutscher und französischer Interessen, Sigmaringen 1999, 29 ff.

326 „Die Eingliederung der Flüchtlinge soll ihr organisches Aufgehen in der einheimischen Bevölkerung gewährleisten“, heißt es etwa im Bayerischen Flüchtlingsgesetz (BayFlüchtlG), Gesetz Nr. 59 über die Aufnahme und Eingliederung deutscher Flüchtlinge (Flüchtlingsgesetz) vom 19. Februar 1947.

einer Rückkehr in die „alte Heimat“ ausgeschlossen.327 Diese politische Strategie hatte mehrere Gründe. Offensichtlich war, dass die Billigung der Heimkehr eigentumsrechtliche Fragen in den Herkunftsländern aufgeworfen hätte. Immobiler Besitzstand war vielerorts längst konfisziert, verstaatlicht, umgeschrieben oder neu verteilt worden. Die Billigung von vermögensbezogenen Rückgabeforderungen hätte vielerlei eigentumsrechtliche Differenzen und in der Konsequenz auch zwischenstaatliche politische Zerwürfnisse provoziert. Hinzu kam, dass die alliierten Mächte die durch das Potsdamer Abkommen geschaffene Grenzsituation in Ost- und Mitteleuropa – insbesondere die Einigung auf die Oder-Neiße-Grenze – nicht in Frage stellen wollten. Durch Beibehaltung des im Rahmen der Verhandlungen geschaffenen status quo sollte eine stabile Nachkriegsentwicklung sichergestellt werden. Die Billigung der Vertriebenen-Heimkehr hätte die verhandelten Grenzfragen erneut zur Diskussion gestellt, da der Diskurs um ein „Recht auf Heimat“ oder um ein „Recht auf Rückkehr in die Heimat“ seitens der Vertriebenen in der Regel nicht nur mit dem individuellen-eigentumsrechtlichen Anspruch auf Rückgabe des vormaligen Besitzes und der Möglichkeit der Rücksiedlung in die Herkunftsregionen verbunden wurde, sondern auch mit der politisch-territorialen Frage der Grenzziehungen. Die Forderung der Wiederherstellung der Grenzsituation von 1937 wurde von vielen aus ihrer Heimat vertriebenen Deutschen als unumgänglich betrachtet, um ein „Recht auf Heimat“ bzw.

die Heimkehr zu erwirken.328 Nicht zuletzt die Tatsache, dass die vollzogenen Bevölkerungstransfers von den Alliierten als Mittel zum Zweck der ethnischen Entmischung und der Vorbeugung künftiger ethnischer Konflikte in den Ausgangsregionen betrachtet wurden und diese durch die Übereinkunft der Alliierten im Potsdamer Abkommen völkerrechtlich bereits legitimiert worden waren, verhinderte eine politische Diskussion um die Rückkehr. Sowohl die amerikanische als auch die

327 Schraut, Sylvia: Zwischen Assimilationsdiktat und Fürsorgeverpflichtung. Die amerikanische Besatzungsmacht und die Flüchtlinge, in: Beer, Mathias (Hg.): Zur Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen im deutschen Südwesten nach 1945. Ergebnisse der Tagung vom 11. und 12. November 1993 in Tübingen, Sigmaringen 1994, 77–93, hier 81. Benz, Wolfgang: Fremde in der Heimat. Flucht – Vertreibung – Integration, in: Bade, Klaus (Hg.): Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland.

Migration in Geschichte und Gegenwart, München 1993, 374–386, hier 382.

328 Böke, Karin: Flüchtlinge und Vertriebene zwischen dem Recht auf die alte Heimat und der Eingliederung in die neue Heimat. Leitvokabeln der Flüchtlingspolitik, in: Liedtke, Frank; Böke, Karin;

Wengeler, Martin (Hrsg.): Politische Leitvokabeln in der Adenauer-Ära, Berlin/New York 1996, 131–

210, hier 184 ff.

sowjetische und britische Führung hatte in der Potsdamer Konferenz im August 1945 für die „ordnungsgemäße“ Durchführung von Umsiedlungsaktionen gestimmt. Die Vertreibungen waren aus Sicht der Besatzer auch vor diesem Hintergrund als endgültige ethnopolitische Maßnahme zu begreifen.329 Der künftige Umgang mit den Heimatvertriebenen und Umsiedlern musste sich folglich zwangsläufig an dem Konzept der Assimilation orientieren.330

Diese politische Programmatik zeichnete sich in verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens ab, so etwa in der Sprachpolitik. In allen Besatzungszonen wurde der Begriff „Flüchtling“ schon bald nach Beginn der Besatzung vermieden, um jedwede Erinnerung an die Herkunftsgebiete der Vertriebenen zu unterdrücken und die Unumkehrbarkeit der Vertreibungen zu unterstreichen. In der britischen bzw. in der amerikanischen Zone wurden nach Möglichkeit Bezeichnungen wie

„immigrants“ (Einwanderer) oder „new citizens“ (Neubürger) verwendet.331In der SBZ wurden Ausgesiedelte und Vertriebene auf Anordnung der SMAD bereits seit 1945 als

„Umsiedler“, seltener als „Neubürger“, bezeichnet. Durch diese Umschreibung sollte nicht nur die Ordnungsmäßigkeit der Vertreibungen angedeutet werden, sondern sogleich auch eine öffentliche Diskussion um Schuld und Täterschaft der SU und der Roten Armee an den Vertreibungen von Grund auf verhindert werden.332

Die politische Zielsetzung der unbedingten Assimilation entwickelte sich in den Besatzungsregimen aber schon bald in unterschiedliche Richtungen. Während die westlichen Besatzungsmächte in der Frage des politischen Umgangs mit den aus ihrer Heimat vertriebenen Deutschen zunehmend Zugeständnisse machten, indem ein offener Diskurs über „Flucht und Vertreibung“ zugelassen und die Politik einer unbedingten

329 Beer, Mathias: Deutsche aus Ungarn in West- und Ostdeutschland. Eingliederung der Flüchtlinge und Vertriebenen unter den Bedingungen unterschiedlicher Gesellschaftssysteme, in: Seewann, Gerhard (Hg.): Migrationen und ihre Auswirkungen. Das Beispiel Ungarn 1918–1995, München 1997, 127–146, hier 131. Und Beer: „die helfte hir und tie helfte zuhause“ 2004, 37–69.

330 Beer: Flucht und Vertreibung der Deutschen 2011, 103. Ders.: Deutsche aus Ungarn in West- und Ostdeutschland 1997, 134. Siehe auch Thüsing; Tischner; Schrammek: „Umsiedler in Sachsen“ 2005, 24.

331 Schwartz: Vertriebene und „Umsiedlerpolitik“ 2004, 102.

332 Siehe dazu Rutsch: Die Vertreibung von Ungarndeutschen und ihre Integration in der sowjetisch besetzten Zone 2008, 126. Ther, Philipp: Deutsche und polnische Vertriebene. Gesellschaft und Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen 1945–1956, Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 127, Göttingen 1998, 91.

Assimilation fallengelassen wurde, verfolgten die Besatzer der sowjetischen Zone diese Politik weiter. Dies wird insbesondere am politischen Umgang mit Vertriebenenorganisationen deutlich. Zwar war das sogenannte „Koalitionsverbot“, das Heimatvertriebenen und Umsiedlern jede Form des politisch motivierten Zusammenschlusses untersagte, 1945 in allen Besatzungsregimen durchgesetzt worden.333 In den westlichen Besatzungszonen aber begann sich das

„Koalitionsverbot“ schon bald zu lockern. Ab 1948 konnten in der amerikanischen und britischen Zone Landsmannschaften und Heimatbewegungen gegründet werden. 1949 wurde in der neu formierten BRD gar ein Bundesministerium für Vertriebene ins Leben gerufen.334 In der SBZ und der späteren DDR hingegen wurde das Koalitionsverbot beibehalten und zusehends weiter verschärft.335Jede Form der Vertriebenenorganisation wurde als staatsfeindlich, profaschistisch und revanchistisch eingestuft.336 1950 wurde von der Deutschen Volkspolizei (DVP) ausdrücklich festgelegt, dass das Bestehen von Vertriebenenorganisationen, Landsmannschaften sowie Heimatvereinen innerhalb der DDR verboten sei und dass „alle Angriffe gegen die Oder-Neiße-Grenze“ Verbrechen

333 Kossert, Andreas: Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945, München 2008, 88.

334 In Westdeutschland organisierten sich verschiedene politische Interessenvertretungen von aus der SBZ und der DDR geflohenen Vertriebenen. Siehe dazu Amos, Heike: Vertriebenenverbände im Fadenkreuz. Aktivitäten der DDR-Staatssicherheit 1949 bis 1989, Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (Sondernummer), Berlin 2011, 227.

335 Beer: Deutsche aus Ungarn in West- und Ostdeutschland 1997, 131. Ther: Deutsche und polnische Vertriebene 1998, 140. Vgl. außerdem Schraut, Sylvia: Die westlichen Besatzungsmächte und die deutschen Flüchtlinge, in: Hoffmann, Dierk; Schwartz, Michael (Hrsg.): Geglückte Integration?

Spezifika und Vergleichbarkeiten der Vertriebenen-Eingliederung in der SBZ/DDR, Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (Sondernummer), München 1999, 33–46.

336 Rutsch: Die Vertreibung von Ungarndeutschen und ihre Integration in der sowjetisch besetzten Zone 2008, 123. Grund für diesen Kurs war auch, dass die sowjetischen Besatzer ihre „Bedeutung bei der Befreiung vom „Hitler-Faschismus“ nicht schmälern wollten. Durch eventuelle Anschuldigungen der Vertriebenen über die Umstände der Aussiedlung und die Gräueltaten der Roten Armee in ihren Heimatländern wäre die sowjetische Führung in Erklärungsnotstand geraten. Siehe dazu von Plato, Alexander; Meinicke, Wolfgang: Alte Heimat, neue Zeit. Flüchtlinge, Umgesiedelte, Vertriebene in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR, Berlin 1991, 254–255. Vgl. auch Wille, Manfred: SED und „Umsiedler“ – Vertriebenenpolitik der Einheitspartei im ersten Nachkriegsjahrzehnt, in: Hoffmann, Dierk; Schwartz, Michael (Hrsg.): Geglückte Integration? Spezifika und Vergleichbarkeiten der Vertriebenen-Eingliederung in der SBZ/DDR, Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (Sondernummer), München 1999, 91–104.

seien, die „gegen § 6 der Verfassung der DDR“, also gegen die Gleichberechtigung der Bürger, „verstoßen“ würden.337

Auch in der Sprachpolitik zeichneten sich diese konzeptionell unterschiedlichen Entwicklungen ab. In amtlichen Stellungnahmen britischer und amerikanischer Besatzungsbehörden wurde wie bereits angedeutet zusehends die Unterscheidung zwischen „refugees“ und „expelles“ getroffen, zwischen „Flüchtlingen“ und

„Vertriebenen“ also. Diese Bezeichnungen, die auf die Opfersituation der Betroffenen hinweisen, waren durch die Vertriebenen selbst im westdeutschen Diskurs durchgesetzt worden. In der SBZ hingegen war seit spätestens 1948 die Verwendung der Bezeichnung

„Umsiedler“ nicht weiter erlaubt; stattdessen musste von „ehemaligen Umsiedlern“ gesprochen werden. Dies entsprach der politischen Auffassung der zu diesem Zeitpunkt bereits weitgehend etablierten SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands), wonach die Vertriebenenfrage gelöst sei und es aufgrund gelungener Integrationsbemühungen in der SBZ/DDR keine Umsiedlerproblematik mehr gebe.338 Diese ideologischen Annahmen wurden von den Verwaltungsbehörden der SBZ auch propagandistisch eingesetzt, so etwa in der Informationsbroschüre „'Das Tor zur neuen Heimat.' Zwei Jahre Arbeit des Umsiedleramtes Leipzig“, die im Dezember 1947 veröffentlicht wurde. In der Broschüre, in der das Umsiedleramt der Stadt Leipzig Rechenschaft über seine Tätigkeiten ablieferte und Statistiken über Verbrauch, Konsum, Versorgung der Umsiedler veröffentlichte, ist vermerkt, dass man glaube „den Prozess der Umsiedlung seinem Ende entgegenführen zu können“. Außerdem heißt es: „Dass es uns gelungen ist, nach zweijähriger Arbeit eine der schwersten Aufgaben zu lösen, erfüllt alle Beteiligten mit großer Freude und Genugtuung“.339 Die Eingliederung der

„Umsiedler“ galt in der SBZ seit 1947/1948 somit als weitgehend abgeschlossen; die

„Umsiedlerfrage“ sollte dem Wiederaufbau unter sozialistischen Vorzeichen nicht im

337 Siehe Kawakita, Atsuko: Die Vertriebenenfrage und das Geschichtsbewusstsein der Deutschen. Die Kulturförderungspolitik für die Vertriebenen in der Bundesrepublik der fünfziger Jahre, in: European Studies 2/2002, 12–29, hier 14.

338 Siehe auch Kawakita: Vertriebenenfrage 2002, 14.

339 Broschüre: „Das Tor zur neuen Heimat“, in SächsHStA, 11377, Landesregierung Sachsen, Ministerium des Innern, Nr. 2227, Dok. 136, 16.

Wege stehen.340 Diese ideologische Konzeption wurde auch in der 1949 gegründeten DDR übernommen.341