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2. Grundlagen

2.2. Grundzüge der Remigrationsforschung

Die Begriffe „Remigration“ und „Rückkehr“ bezeichnen „Teilbereiche von Migrationsprozessen“, die im migrationstheoretischen wissenschaftlichen Diskurs dann verwendet werden, „wenn Personen in ihr Herkunftsland zurückkehren, nachdem sie eine signifikante Zeit nicht im Land verbracht haben“.47 Eine Remigration setzt diesen Annahmen entsprechend zunächst eine vorhergegangene Emigration bzw. das freiwillige

46 Nach einer Einordnung von Ina-Maria Greverus erfolgt die Identifikation des Einzelnen mit einem Ort auf vier Ebenen. Zunächst nennt sie dabei die instrumentale Raumorientierung, die sich auf die Beziehung des Menschen zu den Orten, an denen alltägliche Bedürfnisse erfüllt werden (Schule, Arbeitsplatz, Geschäfte usw.) bezieht. Die Möglichkeit der Partizipation, Gestaltung und Teilhabe bezeichnet Greverus als kontrollierende Raumorientierung. Weiterhin existiert nach Greverus eine sogenannte soziokulturelle Raumorientierung. Gemeint ist sind die Beziehungskonstellationen und das Wechselspiel sozialer Kontakte innerhalb eines Raums. Als symbolische Raumorientierung bezeichnet sie Formen der individuellen Orientierung, die sich auf ästhetische und symbolgeladene Bindungen eines lokalen Raumes bezieht. Hiermit sind Feste, Brauchtum und Tradition gemeint. Vgl. Greverus, Ina-Maria; Schilling, Heinz: Heimat Bergen-Enkheim. Lokale Identität am Rande der Großstadt, Frankfurt 1982, 12. Nach Back, Nikolaus; Veit, Yvonne: Eine neue Sicht auf Stuttgart-Giebel?, in:

Köhle-Hezinger, Christel (Hg.): Neue Siedlungen – Neue Fragen, Eine Folgestudie über Heimatvertriebene in Baden-Württemberg – 40 Jahre danach, Tübingen 1995, 191–216, hier 206.

47 Currle: Theorieansätze zur Erklärung von Rückkehr und Remigration 2006, 7.

oder erzwungene Verlassen eines als Heimat begriffenen Ortes voraus. Auch die Historikern Marita Krauss bringt in „Heimkehr in ein fremdes Land. Geschichte der Remigration nach 1945“ diesen zentralen theoretischen Aspekt der Remigration zur Sprache: „Die Geschichte der Remigration steckt voller Brüche und Widersprüche. Es bleibt aber vor allem die Geschichte von Einzelschicksalen. Untrennbar ist mit ihr die Vorgeschichte verbunden: die Emigration“.48 Die Remigration ist somit ein spezifischer Fall von Migration, der nicht als isolierter Prozess verstanden werden kann, sondern stets als Folgeprozess von Auswanderung, Abwanderung, Emigration oder Vertreibung zu begreifen ist.49

Eine Remigration kann verschiedene Formen annehmen. Eine Rückkehr kann legal oder illegal erfolgen, regulär oder irregulär, freiwillig oder unter Zwang, im Alleingang oder in der Gruppe. In der Wissenschaftssprache existieren deshalb verschiedenste terminologische Annäherungen für dieses spezifische Migrationsverhalten. So wird in der Forschung von „return migration“, „homeward migration“, „return flow“, „Heimkehr“,

„Rückkehr“ und „Repatriierung“ gesprochen, um Rückwanderungsprozesse zu beschreiben. Als Gemeinsamkeit teilen all diese Begriffe die Annahme, dass es sich bei einer Rückwanderung um eine herkunftsorientierte Migration handelt. Ziel einer Remigration ist die Rücksiedlung in das ursprüngliche Herkunftsland, die ursprüngliche Herkunftsregion oder den Herkunftsort.50

Die Erforschung von Rückwanderungsbewegungen liefert vielerlei Möglichkeiten der Annäherung an zentrale kulturanthropologische Fragestellungen, denn im Verlauf einer mehrfachen Migration werden von den Betroffenen individuelle Konzeptionen von nationaler, kultureller, sozialer und ethnischer Zugehörigkeit in Frage gestellt und neu ausgehandelt. Vor allem aber hat eine Migration auf den Migranten selbst und seine persönlich-soziale Umgebung entscheidenden Einfluss. Die Migration bedeutet einen Einschnitt in dessen persönliche und soziale Umwelt, dessen „ökonomische, kulturelle

48 Siehe Krauss, Marita: Heimkehr in ein fremdes Land: Geschichte der Remigration nach 1945, München 2001, 7.

49 Vgl. Cassarino, Jean-Pierre: Theorising return migration. The conceptual approach to return migrants revisited, in: International Journal on Multicultural Societies 6/2004, 253–279.

50 Siehe Laaser, Mirjam: Rückkehr und Entwicklung. Folgen von Rückkehr im Herkunftsland, Bielefeld 2008, 5.

und soziale Lebensbedingungen, dessen Orientierungen, Wertesysteme, Verhaltensweisen und Identitätsentwicklung.“51 Im Prozess von Rückwanderungsbewegungen unterliegt das Selbstbild der Akteure und deren personale Identität zwangsläufig einer mehrfachen Anpassung, Neubewertung und Veränderung.

Die Emigration, der Eingliederungsprozess in den entsprechenden Aufnahmeregimen, die eigentliche Rückkehr und der Verlauf der Reintegration in den Herkunftsregimen haben entscheidenden Einfluss auf das Selbst- und Fremdbild der Betroffenen und deren persönlichen Selbstzuordnungen. Darüber hinaus hat eine (Re-)Migration in jeder seiner möglichen Formen und Ausprägungen auch Einfluss auf die sozialen und gesellschaftlichen Strukturen des Herkunfts- und Aufnahmelands. Auch die aufnehmende Gesellschaft ist von einer Migration betroffen. Die Untersuchung von Remigrationsbewegungen liefert vor diesem Hintergrund in vielerlei Hinsicht Aufschluss über „Konzepte wie Heimat und Identität oder über Zugehörigkeiten und Wahrnehmung von Fremdem und Eigenem“, wie Sarah Scholl-Schneider herausstellt.52

Die Ursachen, Abläufe und Folgen von Heimkehr, Rückkehr und Remigration rücken immer mehr in den Blickpunkt kultur- und geschichtswissenschaftlicher Forschungen.53 Dabei dominieren bislang Untersuchungen über den gesellschaftlichen und kulturellen Einfluss von remigrierten Eliten auf die Abwanderungs- bzw.

Zuwanderungsgesellschaften. Aber auch theoretische Aspekte der Remigration, der durch

51 von Lersner, Ulrike: Flüchtlinge in Deutschland: Eine psychologische Analyse der Freiwilligen Rückkehr, Konstanz 2008, 12.

52 Scholl-Schneider, Sarah: „Aber mein Mann wollte nicht mehr, der wollte nach Hause zurück.“ Die Option der Remigration für die deutsche Auswanderung aus dem östlichen Europa in Übersee, in: Fendl, Elisabeth; Kasten, Tilman; Mezger, Werner; Prosser-Schell, Michael; Retterath, Hans-Werner; Volk, Teresa (Hrsg.): Auf nach Übersee! Deutsche Auswanderung aus dem östlichen Europa, Jahrbuch für deutsche und osteuropäische Volkskunde 54, Münster/New York/München/Berlin 2013, 132–149, hier 132.

53 Die Untersuchung von Rückwanderungsbewegungen gestaltete sich bisweilen kompliziert, denn Remigration wurde in amtlichen Statistiken bis dato kaum erfasst. Erst in jüngerer Zeit – auch weil Rückkehrprogramme politisch zunehmend forciert werden – wird von offizieller Seite aktiv eine Erfassung von Rückwanderungen betrieben. Auch für die, in dieser Arbeit beschriebenen Rückwanderungsbewegungen nach Ungarn für die Zeit von 1946 bis 1956 liegen keine konkreten statistischen Erhebungen vor. Zur Problematik des Umgangs mit Rückwanderungsstatistiken siehe Currle: Theorieansätze zur Erklärung von Rückkehr und Remigration 2006, 8. Außerdem Glettler, Monika: Zur Problematik der Rückwanderung aus den USA nach Südosteuropa vor dem Ersten Weltkrieg, in: Heumos, Peter (Hg.): Heimat und Exil. Emigration und Rückwanderung, Vertreibung und Integration in der Geschichte der Tschechoslowakei. Vorträge der Tagungen des Collegium Carolinum in Bad Wiessee vom 20. bis 22. November 1992 und bis 21. November 1993, München 2001, 85–98, hier 90–95.

eine Remigration einhergehende Wissens- und Erfahrungstransfer und der Einfluss von Rückwanderungsbewegungen auf die Identitätsentwicklung der beteiligten Akteure rücken zunehmend in den Blickpunkt der Forschungen.54

Eine zentrale Fragestellung der Remigrationsforschung ist die Frage nach den Ursachen und Motiven für eine Rückkehr. Die klassischen Erklärungsansätze, die die Entscheidung für eine Remigration (wie auch für Migrationen) als ökonomisch motivierte Reaktion begriffen und versuchten Remigrationsentscheidungen nach einem einfachen Push-Pull-Modell zu bestimmen, sind bisweilen überholt. In jüngeren soziologischen und kulturwissenschaftlichen Ansätzen wird davon ausgegangen, dass Remigrationen individuell verschiedenste Motive und Ursachen haben, die sich gegenseitig bedingen und überlagern. Insbesondere durch die Entwicklungen in der Transnationalismusforschung bekam die Remigrationsforschung eine neue Stoßrichtung.55 Migration wird in der Transnationalismusforschung nicht weiter als ein eindirektionaler, sondern als multidirektionaler Prozess verstanden. Mit Blick auf die modernen Formen von Kommunikation und Mobilität könne der soziale Raum einer Migrationsgeschichte nicht weiter auf ein Ausgangs- und ein Aufnahmegebiet beschränkt

54 Im Folgenden sind beispielhaft einige bibliographische Hinweise zu Arbeiten der jüngeren kulturwissenschaflichen Remigrationsforschung zusammengefasst. Vgl. Frackowiak, Johannes:

Polnische Remigration aus der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands in die „Wiedergewonnen Gebiete“ Polens nach 1945, in: Inter finitimos 6/2008, 135–146. Vgl. den Sammelband Kaiser, Markus;

Schönhuth, Michael (Hrsg.): Zuhause? Fremd? Migrations- und Beheimatungsstrategien zwischen Deutschland und Eurasien, Bibliotheca Eurasica 8, Bielefeld 2015. Vgl. Krauss: Heimkehr in ein fremdes Land 2001. Vgl. Krauss, Marita: Exil, Neuordnung und Erneuerung Deutschlands: Jüdische Remigranten im politischen Leben Nachkriegs-Deutschlands, in: Erler, Hans; Paucker, Arnold; Ehrlich, Ernst Ludwig (Hrsg.): „Gegen alle Vergeblichkeit“: Jüdischer Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2003, 388–406. Vgl. Menzel, Birgit (Hg.): Rückkehr in die Fremde? Ethnische Remigration russlanddeutscher Spätaussiedler, Ost-West-Express 21, Berlin 2014.

Papp, Kornélia: Remigranten in der SBZ/DDR und in Ungarn nach 1945. Ein Vergleich, Göttingen 2009. Pasdzierny, Matthias: Wiederaufnahme? Rückkehr aus dem Exil und das westdeutsche Musikleben nach 1945, München 2014. Scholl-Schneider, Sarah: Mittler zwischen Kulturen.

Biographische Erfahrungen tschechischer Remigranten nach 1989, Schriftenreihe der Kommission für deutsche und osteuropäische Volkskunde 91, Münster/München/Berlin 2011. Scholl-Schneider, Sarah:

„Doch das Größte, das ist die Freiheit des Menschen“. Der remigrierte tschechische Liedermacher Jaroslav Hutka und seine Erfahrung(en) der Freiheit, in: Hoffmann, Frank (Hg.): „Die Erfahrung der Freiheit“. Beiträge zu einer Kulturgeschichte der Europäischen Revolution 1989/1990, Deutschland in Europa 2, Berlin 2012, 123–140. Tsuda, Takeyuki: Why Does the Diaspora Return Home? The Causes of Ethnic Return Migration, in: Tsuda, Takeyuki (Hg.): Diasporic Homecomings: Ethnic Return Migration in Comparative Perspective, Stanford 2009, 21–44.

55 Kalter, Frank: Stand und Perspektiven der Migrationssoziologie, in: Orth, Barbara; Schwietring, Thomas; Weiß, Johannes (Hrsg.): Soziologische Forschung. Stand und Perspektiven, Opladen 2003, 323–338, hier 327.

werden, sondern es bestehe stets ein reziprok wirkendes Verhältnis zwischen Herkunfts- und Zielregion.56

In der neueren soziologischen Remigrationsforschung wurden verschiedene theoretische Modelle entwickelt, um die Komplexität von Rückkehrentscheidungen zu erfassen. Laut Black/Koser u.a. ist die persönliche Entscheidung für eine Remigration zunächst an strukturelle Vorbedingungen, wie die politische und rechtliche Situation im Herkunfts- und im Aufnahmeregime, geknüpft. Zudem spielen politische Anreize, die von offizieller oder medialer Seite gegeben werden, eine Rolle bei der Entscheidung für eine Remigration. Auf individueller Ebene hängt die Entscheidung für eine Rückkehr von sozialen Kontakten und Beziehungen im hier und dort ab. Zudem sind persönliche Voraussetzungen wie Alter, Geschlecht, Gesundheit, der Grad der beruflichen Integration und die persönliche Situation im Lebensverlauf entscheidend.57 Aber auch Verwurzelung und Heimatbindung, d.h. die individuelle Identifikation mit einem Raum, einem Ort oder einer Gemeinde spielen eine Rolle bei der Remigrationsentscheidung. Der Grad der Ausprägung ethnischer, kultureller, sprachlicher oder nationaler Identität trägt wesentlich dazu bei, ob individuell die Entscheidung für eine Rückkehr erfolgt oder nicht. Nicht zuletzt die Frage, welche individuellen Ressourcen in den Eingliederungsprozess im Aufnahmeregime eingebracht und wie diese Ressourcen auch für eine eventuelle Rückkehr in das Herkunftsland mobilisiert werden, spielt eine Rolle bei der Entscheidungsfindung. Nicht nur materiell greifbare Ressourcen, wie finanzielle Mittel und Vermögensaussichten, sondern insbesondere kulturelles und soziales Kapital sowie das Vorhandensein sozialer Netzwerke, Kontakte und Beziehungen im Herkunftsregime können eine Rückkehr bedingen.58

56 Vgl. Pries, Ludger: Transnationalisierung. Theorie und Empirie grenzüberschreitender Vergesellschaftung, Wiesbaden 2010. Ders.: Internationale Migration, Bielefeld 2010. Außerdem Faist, Thomas; Fauser, Margit; Reisenauer, Eveline: Das Transnationale in der Migration. Eine Einführung, Basel 2014. Portes, Alejandro; Guarnizo, Luis E.; Landolt, Patricia: The Study of Transnationalism:

Pitfalls and Promises of an Emergent Research Field, in: Ethnic and Racial Studies 22/2/1999, 217–

237.

57 Black, Richard; Koser, Khalid; Munk, Karen: Understanding Voluntary Return, in: Home Office Online Report 50/04/2004, 13, online abrufbar unter http://webarchive.nationalarchives.gov.uk/

20110220105210/rds.homeoffice.gov.uk/rds/pdfs04/rdsolr5004.pdf, zuletzt am 10. Dezember 2015.

Hier zit. nach Currle: Theorieansätze zur Erklärung von Rückkehr und Remigration 2006, 19.

58 Zur theoretischen Einordnung dieser Migrationsmotive siehe die Kapitel „Migrationsnetzwerke und ihr Einfluss auf Migration“ und „Das Konzept des sozialen Kapitals in der Migrationsforschung“ in Haug, Sonja; Sauer, Leonore: Bestimmungsfaktoren internationaler Migration. Ein Überblick über Theorien

Ob eine Rückkehr letztlich erfolgreich ist oder nicht, hängt davon ab, wie erfolgreich die Reintegration in die Ausgangs- bzw. Herkunftsregion im Einzelfall verläuft. Nur wer nach der Rückkehr in die Heimat dauerhaft Wiederaufnahme findet und sich in die sozialen und gesellschaftlichen Strukturen des Herkunftsregimes erneut einfinden kann, erwägt keine weitere Auswanderung. Geknüpft ist auch dies an strukturelle Bedingungen, etwa daran, dass die Heimgekehrten keiner politischen und rechtlichen Unterdrückung oder Diskriminierung ausgesetzt sind, die sie zu einer erneuten Emigration zwingen.

Auch eine sozioökonomische Reintegration, im Sinne einer materiellen Lebenssicherheit, ist Grundvoraussetzung für den erfolgreichen Verlauf einer Remigration. Letztlich ist eine „'nachhaltige' Rückkehr, d.h. eine erfolgreiche Integration im Herkunftsland (–) dann erreicht, wenn die 'physische' Integration der Personen gelungen ist, d.h. wenn keine erneute Emigration stattfindet.“59