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5. Die Erzählungen

5.9. Soziale Integration im Aufnahmeregime

Die soziale Eingliederung der Vertriebenen wurde dadurch behindert, dass bedingt durch die strukturellen Missstände in Folge des Krieges und durch die anhaltende Ressourcenknappheit die Eingliederung der Vertriebenen und „Umsiedler“ von der aufnehmenden Bevölkerung als zusätzliche Last empfunden wurde und ihre Präsenz deshalb häufig unerwünscht war. Zudem konnten die heimatvertriebenen Deutschen – anders als die aufnehmende Bevölkerung – nicht auf bestehende Ressourcen, Netzwerke und Kontakte zurückgreifen. Der Integrationsprozess war so durch eine strukturelle

576 Interview M.B.T., 80/11–80/21.

Disparität bestimmt. Letztlich hatte diese Situation eine wechselseitig vollzogene Abgrenzung zur Konsequenz, die im Umfeld der Aufnahmeregionen zu einer sozialen Marginalisierung der Vertriebenen führte. Aus dem Bewusstwerden kultureller Differenzen und dem strukturellen Ungleichgewicht in den Aufnahmeregimen entwickelte sich eine soziale Distanz zwischen der Gruppe der Vertriebenen und der heimisch-ansässigen Bevölkerung. In den Erinnerungserzählungen spiegelt sich dieses Verhältnis deutlich in einer pauschalierend vollzogenen Abgrenzung beider Gruppen. So wird die Aufnahmegesellschaft in den Erinnerungen meist generalisierend als „die“ (im Gegensatz zu „wir“) bezeichnet und dabei häufig negativ stereotypiert: „Die waren nicht gut zu uns“577 oder „die waren sehr böse“578. Nur in wenigen Fällen wird in diesem Zusammenhang der Begriff „die Deutschen“ verwendet, wohl auch weil die svábok als Deutsche aus Ungarn die Kategorie „Deutsch“ für sich beanspruchten, dies ihnen aber von der Aufnahmegesellschaft verwehrt wurde. Noch in Ungarn war „Deutschsein“ für sie ein bestimmendes Identitätsmerkmal. Im Umfeld der Aufnahmegesellschaft wurde diese Selbstzuschreibung aber konkurriert.

In den Erinnerungen an die Situation in den Aufnahmeregimen spielt das Erfahrungsmoment der sozialen Ausgrenzung eine entscheidende Rolle und dient als wichtiges Kriterium bei der argumentativen Legitimation für die Entscheidung, wieder nach Ungarn zurückgekehrt zu sein. Für die Betroffenen äußerte sich ihre soziale Desintegration insbesondere in der Erfahrung offener Anfeindungen und Stigmatisierungen. Wie aus den Erzählungen hervorgeht, griff die ansässige Bevölkerung auf verschiedene Fremdbilder zurück, die die Vertriebenen in der deutschen Gesellschaft als „die Anderen“ auswiesen. Die ihnen gegenüber diskreditierend verwendeten Begriffe verweisen zum einen auf die soziale Situation der Ankömmling und ihre gesellschaftliche Rolle. In den Erinnerungen in diesem Zusammenhang wiederholt genannte Begriffe sind etwa „Ausländer“579 oder „Flüchtlingskinder“580. Insbesondere aber Bezeichnungen, die auf die kulturelle und ethnische Herkunft der Ankömmlinge verweisen wie etwa

577 Interview E.M., 13/25.

578 Ebd., 13/32.

579 Interview F.A., 44/23.

580 Interview M.B.T., 79/30.

„stinkende Schwaben“ (ung. „büzes svábok“) oder „ungarische Zigeuner“581, sind in den Erinnerungen präsent. Die intersektionale Kategorisierung „ungarische Zigeuner“ traf die Betroffenen besonders schwer, da diese Stigmatisierung ihre soziale Rolle in mehrfacher Hinsicht umzukehren schien. Durch die Betonung auf die nationale Herkunft

„Ungarn“ wurde zum einen die „Zugehörigkeit zur nationalen Gemeinschaft (der Deutschen) in Zweifel gezogen, obwohl diese Personengruppe gerade wegen ihres Deutschseins verschiedene Rechtsnachteile erlitten hatte und vertrieben worden war“, so Ágnes Tóth.582 Gleichzeitig aber hatten sich die svábok als Deutsche in Ungarn noch in der ungarischen Heimat von der Gruppe der „Zigeuner“ abgegrenzt. Dabei war der Begriff „Zigeuner“ für sie stets negativ konnotiert, da diese Lebensformen pflegten, die aus Sicht der Gesprächspartner nicht mit den Wert- und Moralvorstellungen der svábok – wie Fleiß, Tüchtigkeit, Ordnungsliebe und Arbeitsamkeit – vereinbar waren: „denen ist es nicht im Blut mit dem Arbeiten“, so eine gängige Zuschreibung.583 In der vermeintlich

‚neuen Heimat‘ standen die Neuankömmlinge somit vor der Situation, dass die sozial-lebensweltlichen Gültigkeiten der bis dato anerkannten Selbst- und Fremdbilder vertauscht wurden. Was in der ungarischen Heimat noch als selbstverständlich Eigenes und Anderes galt, unterstand im Umfeld der Aufnahmegesellschaft einer verkehrten Wertigkeit.584 Insbesondere das im vorangegangenen behandelte „Negativstereotyp“585 des „ungarischen Zigeuners“ erscheint in den Erinnerungserzählungen deshalb sehr häufig, wie die nachfolgenden Zitate belegen:

- „Die wollten uns nicht. Wir waren 'ungarische Zigeuner'. Das haben sie gesagt, wie wir sind nach Deutschland gekommen.“586

- „Und dann waren wir ja noch sehr schockiert, dass man doch hier immer gesagt hat, wir seien Deutsche. Und dort hat man gesagt, wir sind ja gar keine Deutschen.

Wir sind doch Zigeuner hat man zu uns gesagt.“587

581 Interview A.F., 54/10–54/13.

582 Toth: Rückkehr nach Ungarn 2012, 136.

583 Interview J.G., 91/15.

584 Vgl. Sparwasser: Ungarndeutsche und die Rückkehr 2014.

585 Toth: Rückkehr nach Ungarn 2012, 136.

586 Interview H.F., 134/15–134/16.

587 Interview M.B.T., 78/29–78/30.

- „Die Kinder sind uns hinterhergesprungen auf der Straße. (–) Die haben gesagt, wir sind 'ungarische Zigeuner'. Wir haben dann gesagt, wir sind die 'svabok'. Dann haben die uns halt 'stinkende Schwaben' genannt. Wir waren halt einfach die 'ungarischen Zigeuner'.“588

- „Das waren alles arme Leute dort. Die waren nicht gut zu uns. Die haben uns geschimpft und haben uns auch gefragt, warum wir denn dort hingekommen seien. Viele dachten, wir wollten in Ungarn nicht arbeiten und deswegen hat man uns aussortiert. Sie dachten, wir sind ungarische Zigeuner. Und ob wir auch die Wahrheit sagen können oder so etwas.“589

- „In Deutschland war es so. Die Leute haben gesagt, die ungarischen Zigeuner kommen. Das hat man da immer wieder gehört. Die Deutschen aus Ungarn das sind alles Zigeuner. Gott sei Dank gibt es hier, wo wir heute wohnen, wenig Zigeuner.“590

- „In Zwickau waren wir auch nicht willkommen geheißen. Jeder wollte keine Ungarn haben. Die haben gar nicht gewusst, wer wir sind. Das wussten die Leute gar nicht, dass wir eigentlich Deutsch sprechen, weil die haben immer gesagt – im Hintergrund haben die immer über uns Ungarn geredet, als wenn wir lauter Zigeuner wären. Aber von uns haben die gar keine Ahnung gehabt, von uns Ungarn. Dass wir Donauschwaben schon über zweihundert Jahre hier leben, das haben die gar nicht gewusst.“591

Wenngleich in den Erinnerungen das Urteil über die Qualität und den Verlauf der sozialen Eingliederung in der Aufnahmegesellschaft im Allgemeinen negativ ausfällt und deshalb insgesamt von einer sozialen Desintegration der Vertriebenen in den Aufnahmeregimen ausgegangen werden muss, so ist doch darauf hinzuweisen, dass gerade enge soziale Bezugsfelder in den Erinnerungen auch positiv bewertet werden. So wird in den Erinnerungen immer wieder angedeutet, dass man im unmittelbaren persönlichen Umfeld

588 Interview A.F., 54/10–54/17.

589 Interview E.M., 13/26–13/29.

590 Interview J.G., 91/12–91/13.

591 Interview A.E., 47/28–47/34.