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Ungarns radikale Rechte 1945 - 2006

Der Definition des Politikwissenschaftlers Michael Minkenberg wird in dieser Arbeit gefolgt.

In dieser Definition wird als Kern des Rechtsradikalismus der Ultranationalismus postuliert (Minkenberg 1998: 33). Daneben definiert Minkenberg, dass des Weiteren eine Abwehrhaltung gegenüber den Werten Freiheit, Gleichheit, Individualismus und Universalismus konstitutiv für rechtsradikales Denken sei (ebd.). Schließlich sind die Idealvorstellung von Homogenität und die Verbindung mit autoritären Politikmodellen essenziell (ebd.) Aus dieser Definition lassen sich bereits drei Merkmale des Rechtsradikalismus ableiten, die der vorliegenden Untersuchung zugrunde gelegt wurden: Nationalismus, Autoritarismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. In Ungarn ist daneben das Merkmal Paganismus ein weiterer Bestandteil des Rechtsradikalismus.

Die zeitgenössische radikale Rechte in Ungarn existiert nicht in einem Vakuum. Es gab bereits vor Jobbik rechtsradikale Parteien in Ungarn. Noch vor der kommunistischen Ära wurde Ungarn nach der nationalsozialistischen Intervention im Jahr 1944 vorübergehend durch eine faschistische Partei, die Pfeilkreuzlerpartei (Nyilaskeresztes Párt), regiert. Die Pfeilkreuzler halfen den Nationalsozialisten, den Holocaust an den ungarischen Juden zu organisieren. Die Partei war stark antisemitisch und äußerst brutal (Friedländer/Kenan 2010). In der kurzen Zeit von Oktober 1944 bis Februar 1945 war sie direkt für den Tod von Tausenden von Juden verantwortlich und half den Nationalsozialisten, weitere Hunderttausende von Juden (Friedländer/Kenan 2010) zu vernichten.

Die wichtigste rechtsradikale Partei nach 1989 und die Einzige, die einen nennenswerten Wahlerfolg verbuchen konnte, war die Ungarische Gerechtigkeits- und Lebenspartei MIÉP (Magyar Igazság és Élet Pártja), die durch István Csurka erschaffen und geführt wurde. MIÉP - eine der extremeren rechtsradikalen Parteien in Europa (Mudde 2007) - war im ungarischen Parlament von 1998 bis 2002 vertreten. Beide Parteien hatten direkten oder indirekten Einfluss auf Jobbik. Die Gründer von Jobbik gaben an, durch MIÉP (Kovács/Koltay 2003) inspiriert zu sein. Die Pfeilkreuzler werden offiziell nicht als Einfluss zitiert, aber die Verwendung von ihren Symbolen wie der Árpád-Flagge seitens Jobbik ist eine Reminiszenz an den ungarischen Faschismus (Pandula 2011; Ungváry 2011).

Der Geschichte des Rechtsradikalismus in Ungarn von 1867 bis 2010 widmet sich Rudolf Paksa ausführlich (Paksa 2012). Da im Rahmen dieser Studie kein vollständiger historischer Überblick über den Rechtsradikalismus in Ungarn geleistet werden kann, sei auf sein

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lesenswertes und weitgehend singuläres Werk verwiesen. Anhand des Buches werden im Folgenden wichtige und für diese Arbeit relevante Wegmarken in der Geschichte der radikalen Rechten in Ungarn nachgezeichnet mit einem Fokus auf der Zeit nach 1945. Einige emigrierte Faschisten und Hungaristen hatten maßgeblichen Einfluß auf die Bildung der zeitgenössischen rechtsradikalen Identität in Ungarn (Paksa 2012: 172-181). Erwähnenswert ist insbesondere eine Handvoll von Autoren, deren Werke auf Jobbiks Maifeiern verkauft werden. So haben die Emigranten Jós Ferenc Badiny, Viktor Padányi, Ida Bobula und Tibor Baráth pseudo-historische bzw. linguistische Bücher zur vermeintlichen ungarisch-sumerischen bzw.

etruskisch-ungarischen Sprachverwandtschaft, zum Turanismus und zum vermeintlichen Ungarntum von Jesus geschrieben, um damit die Überlegenheit des Ungarntums und der ungarischen Sprache nachzuweisen und festzustellen, dass die „ungarische Sprache der Schlüssel zum Verständnis der Weltkultur ist” (Paksa 2012: 178).

MIÉP ist als Abspaltung der Partei Ungarisches Demokratisches Forum MDF (Magyar Demokrata Fórum) entstanden und war weitgehend isoliert in der ungarischen Parteienlandschaft, da die Partei Irredentismus, Antikommunismus und Antisemitismus als zentrale Programmpunkte hatte (Paksa 2012: 186, siehe auch Dieringer 2009). 2003 kam es zu einem internen Bruch, als einige prominente Parteivertreter aufgrund ihres Reform- und Modernisierungswillens 2003 aus der Partei ausgeschlossen wurden (Paksa 2012: 194). Diese Reformatoren werden bis heute auf MIÉP Webseite als Verräter bezeichnet.18 Im selben Jahr wurde Jobbik gegründet und zugleich zu einer neuen Heimstätte prominenter ehemaliger MIÉP-Mitglieder, wie Előd Novák, der damals Chef der MIÉP-Jugendorganisation war und heute stellvertretender Vorsitzender Jobbiks ist. Somit hat die Entscheidung, die Partei nicht zu modernisieren und zu reformieren, langfristige Konsequenzen gehabt, denn es hat auf der einen Seite zur Schwächung MIÉPs beigetragen und auf der anderen Seite hat diese Entwicklung Jobbiks Perspektive verstärkt, da es einen Wissenstransfer geben konnte.

Jobbiks eigentliche Entstehung ist auf das Jahr 1999 zu datieren. Im November 1999 wurde die

„Rechtsgerichtete Jugendgemeinschaft“ (Jobboldali Ifjúsagi Közösséget) von Studenten der Geschichtsfakultät der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest gegründet. Wie Fidesz begann Jobbik also als Studentenbewegung (Paksa 2012: 229, siehe auch Karl 2011: 38-39). Vor den Wahlen 2002 wurde eine ungarnweite Organisation aufgebaut, damit die Bewegung nicht auf die Hauptstadt beschränkt blieb.

18 http://www.eredetimiep.hu/index.php?option=com_content&view=article&id=44:parttoertenet&catid=37:fels-menue. Zuletzt abgerufen am 9. August 2015.

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Schließlich gründete sich aus der Jugendgemeinschaft 2003 die Partei. Gerade in der Phase vor der Gründung war die Verbindung zu Fidesz recht prägnant, da Fidesz sogenannte Bürgerkreise ins Leben gerufen hatte, bei welchen es starke Überschneidungen mit Jobbik geben sollte (Paksa 2012: 230). Paksa betont weiterhin, dass die Partei von den Wahlen 2001 drei wichtige Lehren mitnahm: (1) offener bzw. allzu aggressiver Antisemitismus à la Csurka ist nicht sinnvoll; (2) man müsse sich von dem bürgerlichen Fideszlager stärker abgrenzen und (3) eine Sammelbewegung aller rechten Parteien (wie Orbán es unter dem Motto „ein Lager eine Fahne“

gefordert hatte) ist nicht sinnvoll, sofern man eine eigenständige Partei bleiben möchte (Paksa 2012: 231).

2006 wurde dann zum entscheidenden Jahr des Umbruchs für die Partei. Zwar war sie bei den Wahlen im April 2006 noch in einem Wahlbündnis mit MIÉP verknüpft, aber es sollten in diesem Jahr wichtige parteiinterne Weichen gestellt werden und der Moment kommen, an dem die Partei ihr heutiges Profil zu formen begann. Nach mageren 2,2 Prozent bei den Parlamentswahlen übernahm Gábor Vona den Vorsitz von David Kovács (der zwei Jahre später austrat). Vona veröffentlichte am 2. Juni 2006 einen Artikel in der Zeitung Magyar Nemzet (Ungarische Nation) unter dem Motto „A tábor egy, de zászlóból több kell“ (Ein Lager, aber man benötigt mehrere Fahnen),19 in dem er drei Gründe für das schlechte Abschneiden des Wahlbündnisses identifizierte: eine schlechte Strategie, Gegenwind durch die Medien und das elitäre Image der rechten Elite. In dem Artikel sprach er sich dafür aus, dass es mehrere Parteien im rechten Lager in Ungarn geben müsse.

19 http://mno.hu/migr_1834/a-tabor-egy-de-zaszlobol-tobb-kell-510102. Zuletzt abgerufen am achten August 2015.

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