• Nem Talált Eredményt

Ungarischsprachige Profile

D. Selbstbeschreibungen der Twitter-Anhänger

2. Ungarischsprachige Profile

Um an konkreten Beispielen detaillierter die Identitätsvorstellungen von Jobbiks Twitter-Followern herauszuarbeiten, werden einige ausgewählte Zitate aus den Selbstbeschreibungen in der Folge näher analysiert. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Nutzer, werden diese, falls notwendig, verfremdet, gekürzt und übersetzt dargestellt, so dass eine Rückverfolgung zum konkreten Twitter-Profil nicht ohne Weiteres möglich ist.174 Die Beschreibung bzw. der Ausschnitt aus dieser wird jeweils separat den folgenden Analysen vorangestellt.

„Was junge Christdemokraten twittern: eine nationale und christliche Weltsicht […]“

Dieser Nutzer definiert sich selbst als Christdemokraten und bezeichnet eine christliche und nationale Weltsicht als konstitutiv dafür. Dies stellt eine Vermischung von christlicher Religion und Nationalismus dar, die widersprüchlich erscheint, da die christliche Religion einen universellen Geltungsanspruch hat.

174 Auf Anfage beim Autor können die Daten zur Verfügung gestellt werden.

144

Nichtsdestotrotz gibt es in Ostmitteleuropa Länder, in denen eine Verquickung von nationaler Ideologie und dem Christentum – oftmals mit dem Topos des „letzten Bollwerks des Christentums“ – ein integraler Bestandteil des nationalen Selbstbildnisses ist (Johnson 2011).

Bei Jobbik ist der christliche Glaube – paradoxerweise neben dem Paganismus – ein wichtiger Bestandteil der Ideologie. Schließlich ist ein Doppelkreuz bereits im Parteilogo vorhanden.

„Die Vergangenheit für die Hoffnungslosen, die Gegenwart den Egoisten, die Zukunft für die Gläubigen.“

Dieser Ausspruch wird in der Selbstbeschreibung dem Führer der Pfeilkreuzler Ferenc Szalási zugeordnet. Damit wird Sympathie des Nutzers für die Pfeilkreuzler deutlich. Der Glaube ist in diesem Zusammenhang nicht auf die Religion bezogen, sondern auf den Glauben an die nationale Wiedergeburt. Interessanterweise nutzt Jobbik diesen Slogan in abgewandelter Form:

„Ihnen (MSZP) gehört die Vergangenheit, ihnen (Fidesz) gehört die Gegenwart, uns gehört die Zukunft“. In diesem Slogan stellt Jobbik Analogien her zwischen MSZP und Hoffnungslosigkeit, Fidesz und Egoismus und Jobbik als der Zukunft für die auserwählten Gläubigen. Nebenbei bedient sich die Partei althergebrachter Slogans, die mit der faschistischen Zeit in Ungarn verbunden sind und die Hungaristen ansprechen, wie offenbar den Nutzer.

„Ich werde Rassist genannt, nur weil ich nicht zu Zigeunermusik tanze.“

Ein typischer Fall eines Paradoxons, in dem der Inhalt des Gesagten konträr zur eigentlichen Bedeutung ist. Die eigentliche Aussage erscheint harmlos, nämlich, dass der Nutzer nicht zu Zigeunermusik tanzt, und deshalb Rassist genannt wird. Implizit schwingen hier jedoch mehrere Botschaften mit. Festzustellen ist eine Art Täter-Opfer-Umkehr (Holz 2011), da der Nutzer sich nicht von der Roma-Minderheit oder deren Musik fremdbestimmen lassen möchte (bzw. nach deren Pfeife tanzen möchte). Außerdem ist die Verbindung des Terminus Rassist im Zusammenhang mit dem Terminus Zigeunermusik merkwürdig, da wohl die wenigsten grundsätzlich behaupten würden, dass die Entscheidung zu einer bestimmten Musikrichtung zu tanzen oder nicht, rassistisch sei. Der Nutzer impliziert jedoch durch die Wortwahl und Gegenüberstellung exakt diese Lesart nach ethnischen Kategorien. Schlussendlich kann der Begriff Zigeunermusik insofern auch als rassistisch bezeichnet werden, da er das Vorurteil des romantisch-wilden musikalischen Romas beinhaltet. Es ist zwar zumeist positiv konnotiert, jedoch wird dadurch einer Ethnie kollektiv Attribut zugeschrieben und dies ist rassistisch, selbst wenn es positiv gemeint ist (vgl. Bogdal 2011, Geulen 2011). Dies ist eine ungarischsprachige Selbstbeschreibungen, die Merkmal gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit beinhaltet.

145

„Ich war fünf Jahre Straßenkämpfer, habe aber aufgehört, da meine Freundin nicht wollte, dass ich blutüberströmt nach Hause komme.“

Diese Selbstbeschreibung ist hochgradig interessante hinsichtlich des Weltbildes der radikalen Rechten. Es erscheint möglich, dass der Nutzer bei den Straßenkämpfen 2006 dabei war und vielleicht daneben ein Hooligan oder zumindest ein militanter, gewaltbereiter Rechtsradikaler ist bzw. dieses Bild vermitteln möchte. Der Straßenkampf ist ein absolut konstitutives Merkmal für die Selbstwahrnehmung dieses Nutzers. Wichtig scheint aber genauso die Liebe bzw. die Freundin des Nutzers zu sein. In dieser Beschreibung spiegelt sich der Bandname Romantikus Erőszak wieder: Romantische Gewalt. Die Band glorifiziert Straßenkämpfer in ihren Liedern und auf ihrer Website.

„Rechts, Rock, Motorrad“

Dieser Nutzer erachtet die drei Aspekte Rechts sein, Rockmusik und Motorradfahren als essentiell für seine digitale Identität. „Rechts“ kann natürlich vieles bedeuten (siehe Kapitel II.

Unterkapitel C.1. ). Im ungarischen Kontext ist es jedoch naheliegend, dass der Nutzer die Nation als entscheidendes Merkmal seines Weltbildes sieht. Daneben ist für ihn Rockmusik ein wichtiger Teil seiner Identität, welche durch das Motoradfahren vervollständigt wird. Es könnte also sein, dass der Nutzer ein nationalistischer Rocker ist und einer Gruppierung wie den Nemzeti Érzelmű Motorosok angehört. Diese Gruppierung, deren Namen „National gesinnte Motoradfahrer“ bedeutet, wurde 2007 gegründet. Sie ist auf Jobbik-Events aktiv und teils mit eigenen Ständen präsent. Besonders bekannt wurde sie 2013 durch eine geplante Aktion 2013, deren Ziel es war, einen Umzug an der großen Budapester Synagoge vorbei durchzuführen unter dem Motto „Ádj gázt“ („Gib Gas (hinzu)“) und das am Tag, an dem der jährliche Marsch des Lebens zum Gedenken an Opfer des Holocausts durchgeführt werden sollte. Die Veranstaltung der Motorradfahrer wurde verboten und der Marsch des Lebens fand wie geplant statt. Unabhängig davon, ob er nun zu dieser Gruppierung gehört, steht er für die überproportionale große Zahl an Nutzern, die sich zu Rock oder Metal bekennen. Rock und Metal sind die einzige Musikrichtung, die signifikant häufig in den Selbstbeschreibungen vorgekommen ist: insgesamt zehnmal.

146

„Ich bin Rentner, konservativ, und folge nationalen Werten und bin gegen Neoliberalismus“

Dieser Nutzer repräsentiert eine andere Schicht der Jobbik-Anhänger: Rentner und ältere Leute.

Videoanalysen eines Protestmarsches zeigen, dass einige Jobbik-Veranstaltungen in Budapest insbesondere von älteren Leuten besucht worden sind (Karl 2014a), obwohl die Partei überproportional viele Jung- und Erstwähler anspricht. Neben der Angabe Rentner zu sein, ist er einer der wenigen (insgesamt zwei), die eine Haltung für oder gegen ein bestimmtes Wirtschaftsmodell als wichtig für ihre Selbstbeschreibung erachten. In seinem Fall ist dies der Neoliberalismus. Für jemanden, der mit der ungarischen Geschichte nach dem Systemwechsel nicht vertraut ist, aber dafür mit den ehemals gängigen Theoriemodellen zur radikalen Rechten (Kitschelt/McGann 1997), dürfte dieser Gesichtspunkt erstaunlich wirken. Schließlich heißt es bei Kitschelt und McGann, dass der Idealtypus der radikalen Rechten marktliberal eingestellt sein müsse, um Wähler zu gewinnen. Allerdings machten sie ihre Feststellung an westeuropäischen Parteien fest. Für Ost- und Mitteleuropa gelten jedoch andere Gesetze (Minkenberg 2008, 2015). Der Nutzer sieht vermutlich MSZP (und vielleicht sogar Fidesz) als Vorreiter des Neoliberalismus in Ungarn. Jobbik hingegen vertritt eine stark staatsinterventionistische Politik in ihren Programmen 2010 und 2014. Außerdem ist fraglich, ob es sich in diesem Fall beim Stichwort Neoliberalismus um ein judeophobes Chiffre handelt, da in Ungarn der Liberalismus nicht selten mit Juden in Verbindung gebracht wird.

Die oben analysierte Auswahl zeigt auf, wie divers die Selbstbeschreibungen der rechtsradikalen ungarischsprachigen Jobbiks sind. Auch hier erscheint Nationalismus als verbindendes Element, dass den Roten Faden der Profile bildet. Dieser Faden verbindet Fußballfans mit Rockern, Skinheads mit Rentnern und Philosophen mit Straßenkämpfern.

Folglich sind Sprachniveau und Ausführlichkeit der Beschreibung divergierend. Paganismus, Autoritarismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit erscheinen nicht als konstitutiv für die meisten. Aufgrund des Vorherrschens des Nationalismus und der geringen Ausprägung anderer Merkmale würden sich die meisten untersuchten Twitter-Follower wohl inhaltlich Ismerős Arcok am nächsten fühlen. Für die Straßenkämpfer und Hooligans wäre dagegen Romantikus Erőszak die logischere inhaltliche Wahl.

147