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Textanalyse 2: Wie wir unsere Sprache zerstören 12

Anglizismen-Debatte in der deutschsprachigen Presse

3 Ergebnisse der Analyse

3.3 Textanalyse 2: Wie wir unsere Sprache zerstören 12

Dieser Text repräsentiert das andere Extrem des Diskurses: Hier bedient sich der Autor einer subjektiveren Ansicht, schildert seine eigenen Erleb-nisse und Erfahrungen, führt nur ausnahmsweise fremde Äußerungen an;

er formuliert im Allgemeinen mehr Kritik und macht von Präskriptivität und Wertungen in einem größeren Ausmaß Gebrauch. Die Sprache des Artikels ist bildhafter und benutzt häufig Metaphern und Okkasionalis-men. Die Intertextualität spielt dabei eine relativ geringe Rolle.

Auf der Ebene der Einzelwörter ist vor allem die Gegenüberstellung von fremdem und einheimischem Wortgut zu beobachten, wo Anglizis-men die Bewertungen „modern“, aber „unverständlich, ambig“ zukom-men, deutschen Wörtern hingegen die Bezeichnung „altmodisch“ zuge-ordnet wird. In Beleg 30 findet man zugleich einen Hinweis auf das kon-notative Potenzial und die Appellfunktion von Anglizismen (siehe Muhr 2002):

12 Iken, Matthias: Dummdeutsch und Denglisch: Wie wir unsere Sprache zer-stören. In: Hamburger Abendblatt, veröffentlicht am 12.09.2009. URL:

https://www. abendblatt.de/politik/deutschland/article108521077/Wie-wir-unsere-Sprache-zerstoeren.html (letzter Zugriff: 06.01.2019).

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(30) Wann und wie immer ein neues Produkt auf den Markt kommt, eines hat es schon von Werk aus: einen englischen Begriff. Nach dem Wort

»Fernbedienung« kam nichts mehr, was sich aus sich selbst heraus er-klärt. Elektrogroßmärkte geben eigene Wörterbücher von A(ccess) bis Z(ip) heraus, um selbst noch zu verstehen, was hinter ihren neuen Pro-dukten namens Backbone, D-Sub oder Blu-Ray steckt.

(31) Jedes Dorffest mit Bier- und Schießbude wird zum Event, jedes Stern-chen zum Topstar hochgegeigt. Wandern finden wir altmodisch, aber mit Stöcken in der Hand durch die Stadt zu wackeln ist up to date, weil es Nordic Walking heißt. Es gibt sogarMenschen, die an den Erfolg ei-ner Anti-Aging-Kur auf der Beauty-Farm glauben.

Nicht nur die echten, sondern auch die Pseudo-Anglizismen werden er-wähnt und wegen ihrer Lächerlichkeit kritisiert:

(32) Mitunter erfinden sie gar neue Begriffe, die nur englisch anmuten müs-sen. Handy, Beamer, Hometrainer oder Mailbox mögen importiert klin-gen, sind aber Unsinn, made in Germany. […] Wer in den USA oder England mit diesen Begriffen hantiert, macht sich schnell lächerlich.

Hinsichtlich der in Abschnitt 3.1.1 aufgezählten Sachbereiche fällt auf, dass Jugendsprache in diesem Text nicht als ein „vom Englischen be-sonders beeinflusstes“ Gebiet kategorisiert wird, ganz im Gegenteil:

(33) Gut, dass zumindest die Jugendsprache noch geistreich ist und uns mit Begriffen wie Datenzäpfchen (für USB-Stick) oder Stockenten (für Nor-dic Walking) den Spiegel vorhält.

Die metaphorische Ebene ist, wie gesagt, ausgeprägter als im vorigen Text. Die Leitmotive sind u.a. die Gleichsetzung der Fremdwortbenut-zung mit der Zerstörung der Muttersprache (vgl. den Titel des Artikels), sogar mit der „Vergewaltigung“ des Deutschen:

(34) Lernte man mit demselben Elan, mit dem man die eigene Sprache ver-hunzt, echtes Englisch – allen wäre geholfen.

Der übermäßige Gebrauch von Anglizismen wird auch als „Neusprech“13 dargestellt:

13 Nach dem Duden: aus engl. „new speak“, Bezeichnung für die offiziell zu ver-wendende Sprachregelung im Roman 1984 von George Orwell.

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(35) Auch die Kultur marschiert gern vorneweg, wenn es um modernes Neu-sprech geht.

Eine andere Metapher ist die willkürliche Mutation der Sprache:

(36) Nachdem die Geschäftsstadt Nord schon zur City Nord mutiert ist, kann es nicht mehr lange dauern, bis die HafenCity zur HarbourCity wird.

Um den Eifer der Sprachschützer zu schildern, greift der Verfasser zu Bil-dern aus dem Bereich der Religion:

(37) Längst gibt es so viele Anglizismen, dass diese Polemik der Zeitung auch als bibelschwerer Sonderdruck beiliegen könnte. Aber jeder Furor be-nötigt Einhalt – und wir wollen nicht päpstlicher werden als der Papst.

Englische Ausdrücke werden häufig mit Betrug und künstlicher Ver-schönerung der Realität assoziiert:

(38) Anglizismen stehen oft als Synonyme fürs Tarnen, Tricksen, Täuschen.

Würde das heiße Wasser aus dem Pappbecher mit künstlichem Vanille-aroma nur Vanillekaffee heißen, würde kein Mensch für dieses Gebräu zum Weglaufen drei Euro bezahlen. Aber als »Vanilla Latte to go« rennt sogar die studiengebührgeplagte Elite den Pappkaffeehäusern die Bude ein.

(39) Jeder Assistent bekommt nicht mehr unbedingt ein echtes Gehalt, aber zumindest einen Titel wie Content Manager auf die Visitenkarte ge-druckt.

Schließlich wird der Sprachgebrauch voller Anglizismen mit schlechter Handwerkskunst gleichgesetzt:

(40) Man stelle sich einfach zum Vergleich einen Handwerker vor, der so lieblos mit seinem wichtigsten Werkzeug umgeht.

Hinsichtlich der Argumentation ist der schon erwähnte Zahlen-Topos von Belang (Beleg 41). Ein interessantes Stilmittel soll auch nicht uner-wähnt bleiben, und zwar die parodistische Einmischung von Anglizismen in einen deutschen Satz, um die Unseriosität, Gekünsteltheit und Unver-ständlichkeit dieses Sprachgebrauchs übertreibend zu veranschaulichen (Beleg 42):

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(41) Einer Allensbach-Umfrage zufolge fürchten 65 Prozent der Bundes-bürger, die deutsche Sprache drohe zu verkommen. Bei den über 60-Jährigen sind sogar 73 Prozent pessimistisch.

(42) Wer heute beispielsweise durch das Internet surft, per Flatrate Software downloadet, seine E-Mails checkt, in Datingclubs mit Singles chattet, Hits in die Charts votet oder clever shoppt – er tut dies muttersprach-befreit.

In Bezug auf die Ebene der Akteure ist es auffällig, dass der Verfasser sich nicht auf die gegenüberstehenden Lager konzentriert, sondern auf die-jenigen, die seiner Meinung nach für die heutige Situation verantwortlich sind, nämlich die Vertreter der Werbeindustrie, die Medien und die Mar-ketingbranche:

(43) Spätestens seit den Achtzigerjahren hat sich eine unheilige Allianz aus Werbern, Marketingabteilungen und Medienleuten ohrenfällig aus dem Deutschen verabschiedet.

Die Ideologie des Autors ist von einer Art ‚gemäßigtem Purismus‘ ge-prägt: Er distanziert sich von den radikalen Eindeutschungsversuchen und betont, dass für die Schaffung eigener Ausdrücke statt Entlehnungen mehr Sprachbewusstsein und Initiative benötigt wird:

(44) Popcorn muss nicht zum Puffmais werden und auch der Sport nicht zu den Leibesübungen zurückkehren. Sprache lebt und verändert sich. Das geht in Ordnung. Aber alles, was lebt, hat Respekt verdient. Etwas mehr Respekt, etwas mehr Schöpferkraft, etwas mehr Spaß an der eigenen Sprache hat das Deutsche, haben die Deutschen bitter nötig.

Zu guter Letzt kann die Hauptaussage des Textes (nämlich die Sprech-handlung des Appellierens, die deontische Wegweisung, was gemacht werden sollte – vgl. Hermanns 1990) im folgenden Beispiel zusammen-gefasst:

(45) Möglicherweise sind schon bald denglische Verwirrungen nicht mehr topmodern, sondern nur noch altmodisch. Zu wünschen wäre es, frei nach Altbundespräsident Gustav Heinemann: »Deutsch ist eine schwie-rige Muttersprache. Aber es ist unsere Muttersprache.«

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