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Das Nibelungenlied

In document zeichen setzen ∙I∙∙∙∙∙∙∙ (Pldal 110-116)

Eine vergleichende Analyse von Márta Kukri

2 Das Nibelungenlied

Gunther und Siegfried können unterschiedlichen Herrschertypen zuge-ordnet werden. Als Siegfried in Worms ankommt, werden die beiden Fi-guren miteinander konfrontiert. Ihr Konflikt bestimmt den weiteren Ver-lauf der Geschichte: das Besiegen von Siegfried bringt Krimhilds Rache mit sich.

2.1 Gunther

Aufgrund der Strophen 4–11 trägt Gunther die Charakteristika eines Herr-schers des Weberischen traditionellen Modells. Er wird vor allem als „kü-neg edel unde rîch“2 (Str. 4) bezeichnet. Der Text beschreibt seine Ab-stammung und erwähnt, dass er und seine Geschwister die Macht vererbt bekommen haben. Alle drei Männer werden als Könige bezeichnet, sie verfügen über unermessliche Kraft und außergewöhnliche ritterliche Fä-higkeiten. Zu ihrem Gefolge gehören die besten Ritter aus Gunthers Reich.

Es mangelt auch nicht an Darstellung des königlichen Reichtums und des

2 Mhd. ‘ein edler und mächtiger König’.

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Pomps in seiner Hofhaltung: In Gunthers Hof dienen Truchsess, Kämme-rer, Mundschenk, Stallmeister, Küchenmeister und drei Gefolgsmänner, die zusammen für den Glanz des Hofes verantwortlich sind. Zu Gunthers Gefolge gehören auch seine Lehnsleute mit ihren vielfältigen Lehnspflich-ten; aus ihnen setzt sich auch der königliche Rat zusammen (vgl. Müller 2015: 105–111). All diese Männer werden im Verlauf der Handlung sogar namentlich erwähnt. Die Krone und das reiche Gewand symbolisieren ebenfalls die Macht des Königs. Als Herrschertugend von Gunther wird seine Freigiebigkeit erwähnt; das Land wird von Gott mit Frieden und Wohlstand gesegnet. Gunther verfügt also über eine offensichtlich feste Position in seinem Land.

Torben Fischer thematisiert in seinen Forschungen zu Gunthers Per-son dessen königliche Tugenden (vgl. Fischer 2009). Er leugnet nicht, dass sich der König in diesem Bereich nicht immer tadellos verhält – die Stan-deslüge gegenüber Brünhild zeugt jedenfalls davon –, im Bereich der Po-litik handelt er aber sinnvoll und geschickt. Letztlich besiegt er Siegfried, wobei er die ‚Drecksarbeit‘ durch seine Lehnsleute verrichten lässt. Die Konsequenzen seiner im Grunde gründlich erwogenen Tat lassen aber auf Gegenteiliges schließen: mit der Ermordung Siegfrieds wird die Gefahr nicht abgewehrt, sondern kehrt in der Person Krimhilds wieder.

Da dem König die besten Ritter seines Landes untertan sind, braucht er seine körperliche Kraft selbst nicht unter Beweis zu stellen. Im Sachsen-krieg führt anstelle von Gunther Siegfried das Heer, obwohl dies eigentlich zu Gunthers königlichen Aufgaben gehört. Die Gunther zugesprochene Macht wird in seinem Fall also nicht unbedingt durch seine körperlichen Fähigkeiten legitimiert.

Gunthers und Siegfrieds Attribute zeigen andererseits, dass Gunther ein anerkannter König seines Reiches ist, während Siegfried diesen Titel vom Dichter nur selten ‚zugeteilt‘ bekommt. Obwohl Siegfried außerge-wöhnlich stark ist, kann er Gunthers Position letztendlich nicht erobern.

2.2 Siegfried

Im Gegensatz zu Gunther soll Siegfried eher als der charismatische Herr-scher betrachtet werden, wenngleich seine Abstammung – ähnlich wie bei

Zur Legitimation der Macht im Nibelungenlied und in König Budas Tod ∙ 111 Gunther – ebenfalls geschildert wird und dadurch seine Macht auch im traditionellen System legitimiert wäre. Ein Beleg dafür findet sich in der ersten Aventiure, in der erwähnt wird, dass Krimhild einen standesgemä-ßen Mann heiratete, woraus ersichtlich wird, dass Siegfried ebenfalls eine königliche Position innehat. Die alliterierenden Namen von Sigemunt und Sigelint weisen auf seine heroische Herkunft hin, was seine Herrscher-kompetenzen ebenfalls erahnen lässt.3 Diese Vorahnung wird auch durch die Beschreibung seiner wunderbaren Taten bestätigt. Siegfried wird als mutiger und neugieriger Kämpfer dargestellt: „er versuochte vil der rîche durch ellenhaften muot“4 (Str. 21). Seine körperliche Kraft kann auch mit Bezug auf diese Stelle dadurch als Beweis für seinen charismatischen Cha-rakter betrachtet werden, dass er diese Kraft zum Schutze seines Landes benutzt: „doch wolder wesen herre für allen den gewalt, / des in den landen vorhte der degen küen’ unde balt“5 (Str. 43). Obwohl darauf explizit nicht hingewiesen wird, schwingt auch der Drachenmythos in der Be-schreibung mit. An dieser Stelle verflechten sich die höfische und die he-roische Ebene der Geschichte (vgl. Weddige 2003: 229–237). Siegfried erbt die Macht von seinen Eltern, zusätzlich ist die höfische Erziehung eine wichtige Komponente seines Lebens. Dank seiner körperlichen Schönheit erfreut er sich der Gunst und Sympathie der Damen am Königshof.

Die Fähigkeiten des charismatischen Herrschers werden im Nibelun-genlied immer vom Volk bestätigt. In Strophe 42 geht der Text auf diesen Umstand ein: „von den rîchen herren hôrte man wol sît, / daz si den jun-gen wolden ze eime herren hân“.6 In seinem eigenen Land wird Siegfrieds Position also nicht nur traditionell, sondern auch charismatisch legiti-miert. Beim Bezwingen des Zwergs Alberich kommt dieses Motiv eben-falls zum Ausdruck: „nu hân ich wol erfunden diu degelîchen werc, / daz

3 Anhand der Nibelungenlied-Vorlesungen von Prof. Dr. Ludger Lieb, gehalten an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg im Wintersemester 2018/19.

4 ‘Er war durch viele Länder in kämpferischer Neugier geritten, um seine Kraft zu erproben.’

5 ‘Doch war der kühne und mutige Ritter bereit, alle Gewalttaten abzuwehren, die er als Bedrohung des Landes befürchtete.’

6 ‘Von den Großen des Landes hat man später wohl gehört, dass sie den jungen Siegfried gern als ihren Herrn anerkennen wollten.’

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ir von wâren schulden muget landes herre wesen“7 (Str. 500). Obwohl Siegfrieds Machtansprüche für die traditionelle Auffassung nicht aner-kannt werden können, wäre er ohne Weiteres imstande, kraft seiner Kom-petenzen sogar diese Position einzunehmen.

2.3 Konfrontation

Obwohl Gunther – wie aus der vorangehenden Analyse hervorgeht – als traditioneller König anerkannt wurde, wird er von Siegfried in seiner Po-sition bedroht, wodurch sich erst seine Schwachpunkte herausstellen. Die charismatischen Herrscher gewinnen ihre Macht aufgrund ihrer Kompe-tenzen, wohingegen die Herrscher des traditionellen Modells selbst nichts zwingend zu leisten brauchen, um als legitimierter König aufzutreten. Im Falle der Konfrontation eines charismatischen und eines traditionellen Herrschers droht zumeist ein Systemwechsel: Ohne treue Kämpfer kann der König des traditionellen Modells sein Land nicht beschützen.

Siegfried stellt für Gunther aus mehrfacher Hinsicht eine Gefahr dar.

Der wohl wichtigste Grund hierfür liegt darin, dass Siegfried in Gunthers System nicht integrierbar ist: Er verkörpert ja die unkontrollierbare Kraft, in ihm vereinen sich die höfische und die heroische Ebene. Gunther hin-gegen wurde kein heroischer Charakter zuteil, weshalb er denn auch kein gleichrangiges Gegenüber von Siegfried sein kann. In der höfischen Welt kann Siegfrieds unkontrollierbare Kraft nicht ‚domestiziert‘ werden – vielmehr droht sie Gunthers Welt zu zerstören.

Die erste Station der Konfrontation stellt Siegfrieds Ankunft in Worms dar. Bei der Begrüßung hebt der Ritter hervor, dass er eine Krone tragen sollte. Diese Aussage könnte einerseits die Bestätigung seines Ranges sein (vgl. Ehrismann 2002: 73), andererseits aber auch die Absicht zur Erobe-rung des Landes ausdrücken. In Strophe 110 formuliert er diesen Vorsatz auch explizit: „lant unde bürge, daz sol mir werden undertân“.8 In dieser Szene sind die beiden Systeme klar voneinander zu unterscheiden.

7 ‘Jetzt habe ich selbst die Taten erfahren, die eines Helden würdig sind, so dass Ihr rechtmäßig der Herr dieses Landes sein könnt.’

8 ‘Euer Land und Eure Burgen sollen mir untertan sein.’

Zur Legitimation der Macht im Nibelungenlied und in König Budas Tod ∙ 113 rend Siegfried bereit ist zu kämpfen, neigen Gunther und seine Gefolg-schaft dazu, den Konflikt mit diplomatischen Mitteln zu lösen. Gunther argumentiert damit, dass er das Land geerbt hat, weshalb er die Macht ausübe. Für Siegfried zählt diese Tatsache jedoch nichts, wenn das Land nicht beschützt werden kann:

»Ine wil es niht erwinden«, sprach aber der küene man.

»ez enmüge von dînen ellen dîn lant den fride hân, ich vil es alles walten. und ouch diu erbe mîn,

erwirbest du’z mit sterke, diu sulen dir undertænec sîn.«9 (Str. 113) Diese Drohung wird durch die Aufnahme Siegfrieds als Gast am Hofe ab-gewehrt, so dass er um Krimhild werben kann. Diese erste Station der Konfrontation bleibt aber nicht die letzte, denn Siegfrieds nicht zu bän-digende Kraft bedroht weiterhin das Land resp. Gunthers Herrschaft.

Beim Sachsenkrieg beweist Siegfried erneut seine Tapferkeit. Wie Bu-da bei Arany, agiert Gunther bei Kampfhandlungen weniger kompetent;

auch erweist sich seine körperliche Kraft als ungenügend (ähnlich später auch gegenüber Brünhild). Durch diesen Umstand könnte sein Recht auf die königliche Position zu Recht angezweifelt werden, denn der König ist in seinem Land auch Feldherr und folglich dazu verpflichtet, sein Heer zu führen und sein Land zu beschützen (vgl. Clauss/Stieldorf/Weller 2015).

Während des Kampfes übt er mehrere Funktionen aus (vgl. ebd.): Einer-seits ist er militärischer Anführer und befehlshabender Stratege, zugleich aber auch aktiver Kämpfer. Durch seine Aktivität repräsentiert der König seine Tapferkeit (fortitudo).

Ein eventueller Sieg brachte bekanntlich mehrere Vorteile mit sich. Ei-nerseits wurde das Land wirtschaftlich durch die Beute verstärkt, anderer-seits konnte der König seine Macht auf die Besiegten ausweiten. Der Sieg bewies zugleich die Unterstützung des Herrschers durch Gott und trug dadurch in hohem Maße zur Legitimierung des Herrschers bei. Die Ab-wesenheit des Königs im Krieg konnte aber ein Grund für seine

9 ‘»Ich will davon nicht abgehen«, erwiderte der kühne Mann, »wenn mit deiner Macht dein Land den Frieden nicht bewahren kann, will ich über alles Herrschen.

Dasselbe gilt auch umgekehrt: siegst du mit deiner Stärke, dann sollen dir meine Erblande untertan sein.«’

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lage sein. Siegfried als charismatischer Herrscher und Ritter des Königs ist bereit, den Feind zu bekämpfen, während Gunther zu Hause bleibt. Sieg-fried verweist indirekt auf die körperliche ‚Untauglichkeit‘ Gunthers:

»Her künec, sît hie heime«, sprach dô Sîvrit,

»sît daz iuwer recken mir wellent volgen mit.

belîbet bî den frouwen und traget hôhen muot.

ich trouwe iu wol behüeten beidiu êre unde guot.«10 (Str. 174)

Obwohl Siegfried als Gast nicht verpflichtet wäre mitzukämpfen, demons-triert er seine unermesslichen Kräfte im Krieg. In diesem Fall scheint seine Kraft kontrollierbar und wird gezielt in Gunthers Interesse eingesetzt.

Die letzte Station der Konfrontation im Verlaufe der Handlung des Nibelungenliedes ist die Jagd. Unmittelbar vor dieser Szene ist es bereits zum Verrat gekommen, jedoch bestätigt sich bei der Jagd noch einmal, dass Siegfrieds Kraft gefährlich ist: Er bringt einen Bären in die Lagerstatt und lässt ihn dort frei. Der Bär erschrickt vor dem Bellen der Hunde und nur Siegfried ist imstande, eine Raserei zu verhindern und schließlich das Tier zu töten. Die unkontrollierbare Kraft des Bären kann auch als das Sinnbild von Siegfrieds Kräften verstanden werden. Niemand ist stärker als er, deshalb bleibt er nur so lange gehorsam, als er selbst es will. Bei sei-ner Ankunft stellt sich heraus, dass er bereit wäre, das Land zu erobern, weshalb Gunther ihm nicht vertrauen kann. Als einzige Möglichkeit, die-se Drohung für das Land abzuwenden sowie Gunthers Position als König zu verteidigen, bietet sich die Ermordung des Helden an. Gunthers Unfä-higkeit, Siegfried im offenen Kampf zu besiegen, zwingt ihn zur Anwen-dung eines wenig höfischen Mittels: der Intrige. Schließlich wird die Ge-fahr abgewehrt und die Legitimität der traditionellen Herrschaftsform nicht mehr hinterfragt. Politisch gesehen findet Gunther also eine sinn-volle Lösung, und auch dichterisch gesehen kann die Geschichte un-möglich ein anderes Ende nehmen – in einem Epos darf letztendlich nur ein Held handeln (vgl. Ehrismann 2002: 77).

10 ‘»Herr König, bleibt hier zu Hause«, sagte da Siegfried, »wenn Eure Krieger mir folgen wollen. Bleibt bei den Damen und seid voller Zuversicht. Ich traue mir zu, für Euch Ansehen und Besitz gut zu beschützen.«’

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