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Disambiguierung: Diskurs, Diskursanalyse, Diskurslinguistik Wenn man eine diskurslinguistisch ausgerichtete Untersuchung

Anglizismen-Debatte in der deutschsprachigen Presse

1 Theoretische Fundierung

1.1 Disambiguierung: Diskurs, Diskursanalyse, Diskurslinguistik Wenn man eine diskurslinguistisch ausgerichtete Untersuchung

durch-führen will, ist es angebracht, zunächst einmal den Begriff „Diskurs“ zu präzisieren. Wie bereits erwähnt, verfügt der Begriff über verschiedene Bedeutungen: Nach dem Vorschlag von Duden Online bedeutet es bil-dungssprachlich „methodisch aufgebaute Abhandlung über ein bestimm-tes [wissenschaftliches] Thema“ oder „lebhafte Erörterung; Diskussion“

(zur ausführlichen Geschichte des Begriffs siehe Niehr 2014: 10–18 und Gardt 2017: 2f.), in der Philosophie spricht man über die Diskursethik von Habermas, in der Geschichtswissenschaft ist der begriffsgeschichtliche Ansatz von Koselleck bekannt, in der Soziologie ist von einer durch so-ziale Interaktion konstruierten Wirklichkeit die Rede (Peter L. Berger und Thomas Luckmann) und letztlich sind innerhalb der Sprachwissenschaft drei wichtige Ansatzpunkte zu erwähnen: (1) die strukturalistische An-näherung nach Zellig Harris, die unter „Diskurs“ die Untersuchung von transphrastischen (die Satzgrenze überschreitenden) Einheiten versteht;

(2) die sog. discourse analysis in der anglistischen Sprachwissenschaft, die in der Germanistik als Gesprächsanalyse, d.h. Untersuchung gespro-chener, meist dialogischer Texte bekannt ist, (2) die historische Diskurs-semantik mit der Hauptanregung durch einen Aufsatz von Dietrich Busse und Wolfgang Teubert (1994), der als Ausgangspunkt für die neulich etablierte Disziplin Linguistische Diskursanalyse oder Diskurslinguistik dient.

1.1.1 Der Diskursbegriff nach Foucault2

Das Konzept von gesellschaftlichen Diskursen geht auf Michel Foucault (und Michel Pêcheux) zurück, wobei Foucault selbst den Begriff „nie als solchen bezeichnet“ hat (Busse 2008: 58). Der Kern von Foucaults Theorie

2 „Nach“ ist sowohl temporal, als auch modal zu verstehen (s. Warnke 2008: 29).

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war, dass der Mensch (als Konzept) nicht gegeben ist, sondern durch die kognitiven und normativen Kulturen erst hervorgebracht wird (vgl. Hon-neth 1985), demzufolge das Menschenbild in einem bestimmten histo-rischen Zeitausschnitt ganz anders geprägt ist, als z.B. im 21. Jahrhundert (diese Theorie zur gesellschaftlich-kulturellen Konstruktion von Mensch wurde in der Folge auch auf andere Konzepte übertragen). Außerdem behauptet Foucault, dass unser Sprechen, Denken und Handeln sowie unser Wissen über die Welt wesentlich von der jeweiligen geschichtlichen Epoche und von den zu dieser Epoche gehörenden gesellschaftlichen Kontexten, impliziten Regeln und Normen geprägt sind. Demzufolge ha-ben wir keinen direkten Zugang zur Wirklichkeit, unsere Herangehens-weise an die Dinge und Sachverhalte ist von diesen Kontexten und Vor-stellungen bestimmt. Dieser Gedanke hat seine Wurzeln in der Kantschen Philosophie, die besagt, dass wir die Frage „Warum ist die Welt so, wie sie ist?“ folgenderweise umformulieren sollten: „Warum sehen wir die Dinge gerade so, und nicht anders?“ (vgl. dazu Buckingham 2011: 302f.).

Mit diesem epistemologischen Modell wollte Foucault die Frage be-antworten, wie Wissenssysteme und Denkstrukturen in einer bestimmten Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt entstehen und nach welchen Prinzipien sie funktionieren (vgl. Warnke/Spitzmüller 2011). Er selbst de-finiert Diskurse als „eine Menge von Aussagen, die einem gleichen Fmationssystem zugehören“ (Busse 1987: 224). Nach dieser Definition or-ganisieren sich Aussagen (bei Foucault enoncés3) zu Netzwerken und eta-blieren Relationen untereinander, wobei das Ziel einer Diskursanalyse in erster Linie die Beschreibung des diskursiven Formationssystems und die Explizitmachung seiner Strukturen und Mechanismen ist (Warnke/

Spitzmüller 2011). Dabei geht es „nicht nur um das konkret Gesagte, son-dern um das überhaupt Sagbare“: Neben den expliziten Äußerungen im Diskurs muss man sich auch die (sprachlich nicht direkt ausgedrückten) Implikaturen, Wissensbestände und Voraussetzungen vor Augen halten, die diesen Äußerungen zugrunde liegen und deren Entstehung erst mög-lich machen (Busse 2008: 59). Dieses Phänomen wird bei Pêcheux als das

„Vor-Konstruierte“ oder das „aus einem sozio-historischen Anderswo stammende“ bezeichnet (Busse/Teubert 1994).

3 Aussagen oder Aussagenelemente.

Anglizismen-Debatte in der deutschsprachigen Presse ∙ 59 Die foucaultsche Diskursdefinition ist nach Warnke (2008: 38) vage, beinhaltet „offene Konzepte, zerfaserte Kategorien und Vieldeutigkeiten“, trotzdem versucht man, sie mit den kulturell gültigen Wissenssystemen in Zusammenhang zu bringen; nach dieser Theorie bilden Diskurse die sozialen Integrationsmedien einer Gesellschaft. Die Aufgabe der Diskurs-analyse liegt darin, ihre kognitiven Ordnungen durch die Betrachtung der Kompositionsregeln ihrer Sprachelemente zu erklären (Honneth 1985).

Die oben angeführten Ansätze standen „nicht in der Nähe zur Lin-guistik, sondern eher zur Epistemologie (diese verstanden als Wissen-schaftsgeschichte) und Ideengeschichte“ (Busse 2008: 58), aus diesem Grund bedarf es einer Abgrenzung zwischen linguistischer und nicht-lin-guistischer Diskursanalyse im Sinne einer soziologisch/kulturwissen-schaftlich ausgerichteten Analyse.

1.1.2 Linguistische Operationalisierung von Diskurs

Wie oben bereits erwähnt wurde, ist die Übertragung der Foucaultschen Konzepte auf die linguistische Ebene in erster Linie Dietrich Busse und Wolfgang Teubert (1994) zu verdanken, deren Arbeit heute als „kano-nischer Text“ (Warnke 2008: 52) innerhalb der Diskurslinguistik4 gilt.

Dieser Ansatz wurde in der germanistischen Linguistik mit einer gewis-sen Skepsis rezipiert, weil (siehe Busse/Teubert 1994: 12)

der Begriff „Diskurs“ bereits im Sinne der Habermasschen Philoso-phie und der Gesprächsanalyse bekannt war

die Perspektive primär interpretierend–hermeneutisch ist, also kon-krete Texte und deren Inhalte in Betracht gezogen werden

die Grenzen der „traditionellen Linguistik“ oder „Mainstream-Lin-guistik“ im Sinne der sich an Saussure orientierenden, strukturalis-tisch geprägten Sprachwissenschaft überschritten werden, indem man auch der transtextuellen Ebene Aufmerksamkeit schenkt

4 Der Begriff „Diskurslinguistik“ ist in der Forschung seit der zweiten Hälfte der 2000er Jahre gängig. Busse und Teubert sprachen noch von einer „Histo-rischen Diskurssemantik“, die in den 90er Jahren zu einer „linguistischen Dis-kursanalyse“ weiterentwickelt wurde (s. Spitzmüller 2008).

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die Methoden gegen den „Vorwurf der Beliebigkeit“ gerechtfertigt werden müssen

der Gegenstand nicht „genuin linguistisch“ ist, sondern auch kultu-relle und soziologische Aspekte mit einbezogen werden

der Diskursbegriff und Diskurs als Untersuchungsobjekt jenseits der Textgrenze als „vage“ und „unfassbar“ bezeichnet war (s. auch Ab-schnitt 2.1.1).

Als Programm haben Busse/Teubert (1994: 14) eine „Diskurssemantik als […] diachrone Semantik, als eine Erweiterung der Möglichkeiten einer linguistisch reflektierten […] Wort- und Begriffsgeschichte“ vorgeschla-gen, also die Untersuchung der Ausprägung gesellschaftlichen Wissens in einer bestimmten Epoche, zu einem gegebenen Thema. Dies sollte mit linguistischen Methoden geschehen – der Unterschied zur „vor-diskur-siven“ Sprachwissenschaft liegt also nicht in der Vorgehensweise, son-dern im Forschungsinteresse, in den Blickwinkeln der Untersuchung, so-wie in der Korpusauswahl.

Eine andere Gegenüberstellung führt Spitzmüller (2008: 44) vor, näm-lich die kritische (Vertreter: Ruth Wodak, Siegfried Jäger) und die de-skriptive Diskurslinguistik. Erstere wird durch eine „kritische, linguis-tisch fundierte Auseinandersetzung mit […] aktuellen gesellschaftstischen Diskursen“ gekennzeichnet, wobei Letztere versucht, keinen poli-tischen Standpunkt einzunehmen. Hier soll angemerkt werden, dass man nach der poststrukturalistischen Auffassung nicht vom herkömmlichen Verständnis von Deskriptivität (möglichst objektive Formulierung, Ver-meidung von Bewertungen usw.) ausgeht, weil nach Spitzmüller (2008:

46) jede Forschungsentscheidung schon Wertung, Urteile und eigene Interpretationen beinhaltet, demzufolge nie vollständig objektiv sein kann.5 Hier geht es vielmehr um eine strenge Korpus- und Textbezogen-heit und eine stark epistemologische Ausrichtung. Den Gegenstand der deskriptiven Diskurslinguistik bilden in erster Linie massenmediale Tex-te, Korpora werden aus größeren Mengen von Texten zusammengestellt, in denen nach rekurrentem Auftreten spezifisch sprachlicher und argu-mentativer Phänomene gesucht wird, die als diskursive Muster aufgefasst

5 Zur Ersetzung von „Objektivität“ durch „Multiperspektivität“ s. Felder 2009.

Anglizismen-Debatte in der deutschsprachigen Presse ∙ 61 werden (vgl. Bubenhofer 2008). Häufig werden auch die Analyse gespro-chener Texte und eine multimodale Perspektive herangezogen.

Heute spricht man von einer „interdisziplinären Diskursforschung“, bei der die Sprachwissenschaft mit kultur-, geistes- und sozialwissen-schaftlichen Disziplinen zusammenarbeitet, um Diskurse aus möglichst vielfältigen Perspektiven zu erfassen.6