kombinatorischen Variation nichts im Wege
3.1.4.2 Die r-Laute im Deutschen
Im vorausgehenden Kapitel war von verschiedenen r
-Varianten
die Rede, vgl.(46). Nun können diese r-Konsonanten als
freie Varianten
eines r-Phonems angesehen werden, da siein derselben Position
des Wortes erscheinen kön-nen und ihrAustausch
gegeneinandernicht zur Bedeutungsänderung
führt.Die Verwendung des einen oder anderen r hängt größtenteils von der
Her-kunft
des Sprechers ab,Z≤\wird dabei in nordwestdeutschem,ZQ\eher in nord-deutschem, und Zq\.Z3\ eher in süddeutschem Bereich verwendet, wobei die Unterscheidung zwischen Zq\und Z3\tempo- und stilabhängig ist.Bei der Beant-wortung der Frage, welche konsonantische r-Variante alsPhonem
angesetztwerden soll, könnten wir von der Größe der Verbreitung der einzelnen r-Laute ausgehen. Da auf dem deutschen Sprachgebiet ˇ sprachgeographischen Un-tersuchungen zufolge ˇ die Verwendung eines hinteren Reibe-r überwiegt, dem der Häufigkeit nach das Zäpfchen-r folgt, während das Zungen-r als eher marginal betrachtet wird, sollte man für das Deutsche .Q.
als Phonem
anset-zen. Damit würde man jedoch annehmen, dieser Konsonant sei einObstruent
ˇ das deutsche rist jedoch ein Sonorant. Um diesen Sachverhalt zu erfassen, werden wir im Folgenden für das standarddeutsche
Phonem
das Symbol .≤.verwenden und darunter einen
uvularen Sonoranten
verstehen, der auf der phonetischen Ebene nicht unbedingt mit der Artikulationsart eines Vibranten korreliert. Dies ist insofern erlaubt, als die Phonologie einen abstrakten Gegenstand hat und von konkreten Bildungsmomenten absehen kann.Der pho-nologische ‘Inhalt’ des .≤.ist insofern abstrakt, dass er sowohl die frikativische als auch die Vibrantartikulation erlaubt.(46) Z≤\Rand,ZQ\Rand,Zq\Rand,Z3\ Rand
Das r weist jedoch auch eine andere Besonderheit im Deutschen auf. So fin-det man zwar reichlich viele
Minimalpaare
, in denen derKonsonant
r mitanderen Phonemen
des Deutschen kontrastiert,und es gibt auch einige pho-nologische Oppositionen zwischen dem a-Schwa
undanderen Phonemen
im Deutschen, aber es lassen sich keine zwei Morpheme oder Wörter finden, die sich voneinander in dem r-Konsonanten vs.a-Schwa unterscheiden würden.
Das mag auf den ersten Blick nicht verwundern,da ein Konsonant und ein Vokal
miteinander nur selten kontrastieren, weil sie unterschiedliche Silbenpositionen einnehmen ˇ trotzdem wird zwischen ihnen kein Allophonieverhältnis ange-nommen.In diesem Fall handelt es sich jedoch möglicherweise doch um eine Va-riation, was klar wird, wenn man die Beispiele unter (47) betrachtet.
(47) BierZah95\ vs.BiereZah9-≤?\,TürZsx95\vs.TürenZsx9-≤?m\,HeerZgd95\vs.
HeereZgd9-≤?\,TorZsn95\vs.Toren Zsn9-≤?m\usw.
Während die jeweils erste Form der Wortpaare (d. h. die Singularform der Sub-stantive) ein a
-Schwa
imAuslaut
hat, erscheint an Stelle dieses Phons in dem jeweils zweiten Wort (also der Pluralform) ein r-Konsonant
. Berücksichtigt man nun die in der IPA-Umschrift mit Punkten markierten Silbengrenzen, so kann man feststellen, dass Z5\ stets insilbenfinaler
Stellung (im Auslaut) erscheint, während Z≤\ immer insilbeninitialer
Position (im Anlaut) steht. Da Silbenauslaut und Silbenanlaut zweidisjunkte Kategorien
darstellen, er-scheint die Annahme einerkomplementären Verteilung
zwischen Z5\undZ≤\als durchaus berechtigt. Zwischen den beiden Lautsegmenten kann eine ge-wisse phonetische Ähnlichkeit festgestellt werden. Nimmt man für das Deut-sche ein hinteres r-Phonem an, das zumeist frikativisch, oft aber als Vibrant arti-kuliert wird, so kann man einen interessanten
Reduktionsvorgang
beobach-ten. Die ‘energiereichste’ r-Variante ist sicherlich der uvulare Vibrant, der mit dem hinteren Teil des Zungenrückens am Zäpfchen artikuliert wird.Wird der Zungenkörper infolge eines Energieabfalls minimal gesenkt, womit eine gewisse Vorverlagerung der Zunge einhergeht, entsteht zwischen Zungenmasse und Zäpfchen eine geräuschverursachende Enge, das Ergebnis ist ein uvular-velarer Frikativ.Wird der Zungenrücken weiter nach unten bzw. gewissermaßen nach vorne bewegt,gelangt man in den Streubereich eines a-Schwa.Da also zwischen diesen Phonen eine komplementäre Verteilung besteht und auch eine
phoneti-sche Ähnlichkeit
beobachtet werden kann, können sie durchaus als Allo-phone desselben Phonems betrachtet werden. Bei der Suche nach demüber-geordnetem Segment
kann man davon ausgehen, dass die Reduktion eines energieintensiveren Konsonanten am Silbenende motivierter erscheint, als der umgekehrte Vorgang, nämlich die Verstärkung eines weniger energieintensiven Vokals am Silbenanfang zu einem Konsonanten. Daher wollen wir in diesemAllophonieverhältnis .≤. als Phonem annehmen. Dies erklärt auch die gängige Bezeichnung für Z5\als vokalischesoder vokalisiertes r.
Doch sind den Ausführungen der r-Problematik im Deutschen damit noch kein Ende gesetzt. Betrachtet man nämlich die Beispiele unter (48), so sieht man, dass ein a
-Schwa
nicht nur im Silbenauslaut erscheinen kann, sondern auch alsSilbenträger
. Die Daten zeigen auch hier einen regelmäßigen Wech-sel:Z≤\erscheint dabei ˇ wie oben ˇ stets im Silbenanlaut,Z5\dagegen ˇ durch den Ausfall des Schwa ˇim Silbenkern. Um dieses r-Allophon von dem oben behandelten auch terminologisch zu unterscheiden, nennt man das im Silbenauslaut vorkommende a-Schwaunsilbisches
oder nicht-nukleares a -Schwa/vokalisches r, das im Silbenkern erscheinende dagegensilbisches
odernukleares r. Auch in der Transkription kann man dieser phonologischen Unterscheidung Rechnung tragen, indem ein unsilbisches a-Schwa mit dem
Diakritikum
Z]\versehen wird,nicht aber das silbische Segment,vgl.BierZah95]\vs.Vater Ze`9s5\. Schließlich kann man die Beziehung der einzelnen r-Varianten des Deutschen graphisch wie in (49) erfassen.Tab. 19 enthält die phonologische und phonetische Transkription von Wörtern mit r-Lauten.
(48) schöner ZR19-m5\ vs. schönere ZR1-m?-≤?\, locker ZkN-j5\ vs. lockeres
ZkN-j?-≤?r\,Lehrer Zkd9-≤5\vs.Lehrerin Zkd9-≤?-≤Hm\,einäschern Z`hm-D-R5m\, lockerst ZkN-j5rs\
(49) Darstellung der Relation unter den einzelnen r-Varianten im Deutschen