Vergleichen Sie das Deutsche mit dem Ungarischen!
2. Phonetische Grundlagen
2.2. Phonetische Beschreibung der deutschen Laut- Laut-segmente
Die Funktion des Ansatzrohrs für die Lautproduktion besteht ˇ wie oben besprochen ˇ in der Modifikation des subglottalen Luftstroms, die durch die Veränderung des Ansatzrohrs erfolgt. Man kann zwischen
zwei Arten der
Ansatzrohrveränderung
unterscheiden. Im ersten Fall wird im Ansatzrohr durch ein (bewegliches) Artikulationsorgan an einer (zumeist unbeweglichen)Artikulationsstelle ein Hindernis gebildet, das vom Luftstrom überwunden wer-den soll, damit er das Ansatzrohr verlassen kann. Das auditive Ergebnis dieser Überwindung ist ein Geräusch. Im zweiten Fall erfährt das Ansatzrohr lediglich eine globale Formveränderung, wodurch der lautbildende Luftstrom ungehin-dert entweichen kann. Aufgrund dieser Ansatzrohrveränderungsmöglichkeiten kann man artikulatorisch zwischen zwei Arten von Lautsegmenten unterschei-den:Laute,die mit einem
Hindernis
im Ansatzrohr gebildet werden,nennt manKonsonanten
, solche, bei deren Bildung der Luftstrom das Ansatzrohrunge-hindert
verlassen kann,Vokale
.2.2.1 Phonetische Beschreibung der deutschen Konsonanten
Die einzelnen Konsonanten können nach der Artikulationsstelle, der Stimmlip-penaktivität, der Artikulationsart sowie ihrer Dauer beschrieben und klassifi-ziert werden.
2.2.1.1 Klassifizierung nach der Artikulationsstelle
Die vorab ermittelten Artikulationsorgane des Ansatzrohrs lassen sich nach der Art der Beteiligung an der Konsonantenartikulation in zwei Klassen einteilen.
Nicht bewegliche (passive) Sprechwerkzeuge des Ansatzrohrs, an denen das für den betreffenden Konsonanten charakteristische Hindernis gebildet wird, nennt man
Artikulationsstelle
,die beweglichen (aktiven) Artikulationsorgane,die die Hindernisbildung ausführen,Artikulatoren
. Als Artikulationsstellen kommen die Oberlippe,die oberen Schneidezähne,der Zahndamm,der Hartgaumen,der Weichgaumen, das Zäpfchen, die hintere Rachenwand sowie der Kehlkopf in Betracht. Zu den Artikulatoren zählen die Unterlippe, der Zungenkranz,9 der Zungenrücken,der Kehldeckel sowie die Stimmlippen.Da ein Artikulator nur an einer Artikulationsstelle ein Hindernis bilden kann,die ihm gegenüber liegt,wird zur Bestimmung eines Konsonanten i. d. R. nur einer der beiden Parameter ver-wendet (gewöhnlich die Artikulationsstelle), aus dem dann der andere leicht erschließbar ist.9 Der Zungenkranz als Artikulator kann in einer breiteren phonetischen Beschreibung (wie die hier vorgenommene) auch die Zungenspitze umfassen, die allerdings in einer engeren pho-netischen Beschreibung (etwa bei der Beschreibung eines Dialekts) als eigener Artikulator gilt.
Im Deutschen sind folgende Artikulationsstelle-Artikulator-Kombinationen möglich.Wenn die Unterlippe gegen die Oberlippe artikuliert, entstehen
bila-biale
(z. B.Za\ in Bahn), wenn sie gegen die oberen Schneidezähne artikuliert,labiodentale
Konsonanten (z. B. Zu\ in Vase). Der Zungenkranz bildet am Zahndamm alveolare Konsonanten, vgl. dt. Zs\ und Zk\, vgl. Tanne, Lamm. Artikuliert der Zungenkranz gegen den hinteren Teil des Zahndamms, resultie-renpostalveolare
Konsonanten,z.B.ZR\in schön.Der Zungenrücken bildet am Hartgaumenpalatale
(wie den sog.IchlautZB\in Stich),am Weichgaumenvela-re
Laute (z. B.Zf\in gut), und am Zäpfchenuvulare
Konsonanten (vgl. das hin-ten gerollte r,Z≤\, in dt.Rand).Glottale
Konsonanten werden im Kehlkopf arti-kuliert, zu ihnen zählt im Deutschen der sog. Hauchlaut Zg\in Haus. Das über die Artikulationsstellen Gesagte lässt sich wie in Tab. 1 zusammenfassen.Selbstverständlich sind in den Sprachen der Welt auch weitere Artikulationsstelle-Artikulator-Kombinationen möglich.So kommen im Englischen sog.(inter)dentale Konsonanten vor,die zwi-schen den oberen und unteren Scheidezähnen mit der Zungenspitze artikuliert werden:ZS\wie in thief‘Dieb’ und ZC\in the ‘der/die/das’.Viele Sprachen, so z. B. das Polnische kennen retrofle-xe Konsonanten, die mit zurückgebogener Zungenspitze am Hartgaumen gebildet werden. Im Hebräischen spricht man pharyngale Konsonanten, die mit dem Zungenrücken an der Rachen-wand gebildet werden.Bei den epiglottalen Lauten der Kaukasischen Sprache Avarisch atikuliert der Kehldeckel gegen die Rachenwand.
Lautklasse Artikulator Artikulationsstelle Beispiel
bilabial Unterlippe Oberlippe Za\ in Bahn
labiodental Unterlippe obere Schneidezähne Zu\ in Vase
alveolar Zungenkranz Zahndamm Zs\in Tanne
postalveolar Zungenkranz hinterer Teil des
Zahndamms ZR\in schön palatal vorderer Teil des
Zungenrückens Hartgaumen ZB\in Stich velar mittlerer Teil des
Zungenrückens Weichgaumen Zf\in gut uvular hinterer Teil des
Zungenrückens Zäpfchen Z≤\in Rand
glottal Stimmbänder Kehlkopf Zg\in Haus
Tab. 1 Im Deutschen belegte Artikulationsstelle-Artikulator-Kombinationen
2.2.1.2 Konsonanten nach der Stimmlippenaktivität
Wie bereits im vorausgehenden Abschnitt angedeutet, können Konsonanten nach der Stimmlippenaktivität in zwei Ausprägungen vorkommen:
Stimmhafte
Konsonanten werden mit
Stimmton
, d. h. mit Schwingung der Stimmlippen gebildet, während beistimmlosen
Konsonanten keine solche Schwingung vor-liegt.Zu den stimmhaften Konsonanten gehören u.a.Za\in Bart,Zy\in ReiseoderZl\in Mann; zu den stimmlosen z. B.Zo\in Sport,Zr\in Hausoder Ze\in Faust. Die Stimmlippenaktivität erlaubt jedoch auch eine andere Klassifizierung der Konsonanten.Während nämlich bei bestimmten Konsonanten von einer
spon-tanen Stimmhaftigkeit
die Rede ist,trifft dies auf die restlichen Konsonanten nicht zu. Konsonanten, die spontan stimmhaft sind, nennt manSonoranten
, zu ihnen gehören u. a.Zl\in Mannoder Zk\ in Lamm. Konsonanten ohne spontane Stimmhaftigkeit werden alsObstruenten
bezeichnet, in diese Klasse gehören Laute wie Zo\in Sport,Zr\in Haus.Im Grunde genommen lässt sich die Spontaneität der Stimmhaftigkeit auf den Grad der Ver-engung im Ansatzrohr zurückführen: Liegt im Ansatzrohr eine relativ starke VerVer-engung vor, so ist spontane Stimmhaftigkeit nicht möglich; eine relativ geringe Verengung im Ansatzrohr hat dagegen die automatische Schwingung der Stimmbänder zur Folge. Beim Zusammenhang zwi-schen dem Grad der Verengung im Ansatzrohr und der spontanen Stimmhaftigkeit kann man nämlich davon ausgehen, dass ein Verschluss in der Glottis keine notwendige Voraussetzung für die Schwingung der Stimmlippen ist. Selbst bei einer relativ offenen Stimmritze (die allerdings nicht identisch sein kann mit der Atmungsstellung) kann ein genügend starker Luftstrom,in dem sich also die Luftpartikeln mit großer Geschwindigkeit fortbewegen, die Stimmlippen in Schwin-gung versetzen. Die Stärke des Phonationsstroms (und also die Geschwindigkeit der teilchen) hängt einzig und allein vom Unterschied zwischen dem sub- und supraglottalen Luft-druck ab. Bei der Bildung der Sonoranten gibt es im Ansatzrohr keine kritische Verengung, was zur Folge hat, dass der supraglottale Luftdruck in etwa mit dem atmosphärischen Luftdruck der Umgebung identisch ist, der also seinerseits wesentlich geringer ist als der subglottale Luftdruck. Dies ermöglicht bei den Sonoranten einen relativ starken Phonationsstrom (und da-durch eine Luftteilchenfortbewegung mit relativ hoher Geschwindigkeit),die die Stimmlippen in Schwingung versetzen kann. Im Falle der Obstruenten wird dagegen im Ansatzrohr eine kriti-sche Enge gebildet, die im Vergleich zum atmosphärikriti-schen Luftdruck der Umgebung zu einem erhöhten supraglottalen Luftdruck führt, der sich seinerseits von dem subglottalen nicht we-sentlich unterscheidet ˇdie Folge ist ein relativ schwacher Phonationsstrom, der also nicht in der Lage ist, die Stimmbänder in Schwingung zu versetzen.