2.3. Exkurs:akustische Phonetik
2.3.2 Über den Sprachschall
Im Folgenden wollen wir die im vorausgehenden Abschnitt artikulatorisch be-schriebenen Lautsegmentklassen akustisch charakterisieren.
Die Grundlage für die Vokalbildung ist der
Stimmton
, der einenKlang im engeren Sinn
darstellt, sich also aus einem Grundton und zahlreichen weite-ren damit in harmonischem Verhältnis stehenden Obertönen besteht. Dieser komplexe Schall erreicht das Ansatzrohr,das sich wie ein Resonanzraum verhält, d. h. über gewisse Eigenfrequenzen verfügt, die auf bestimmte Obertöne eine verstärkende, auf die anderen dagegen eine unterdrückende Wirkung aus-üben.19 Die verstärkten Obertöne werdenFormanten
genannt. Den unter-schiedlichenVokalqualitäten
liegen unterschiedliche Formenatenwerte zugrunde. Dies ist darauf zurückzuführen, dass bei der Bildung der verschiede-nen Vokale eine jeweils unterschiedliche Form und Länge des Ansatzrohrs vor-liegt, das dadurch jeweils unterschiedliche Eigenfrequenzen hat. Ein Vokal ist auch auf dem Oszillogramm bzw.Spektrogramm mehr oder weniger deutlich zu erkennen ˇauf Ersterem an den großen Amplitudenwerten, auf Letzterem an den mehr oder weniger senkrechten schwarzen Balken als Intensitätmaxima für den Stimmton bzw. für die einzelnen Vokalformanten. So sieht man auf dem Oszillogramm in Abb.11 zwei große Energiemaxima (ein etwas kleineres als das erste steht für einen Nasal), auf dem in Abb. 12 dagegen fünf, die jeweils einen Vokal anzeigen. Die Spektogramme zeigen darüber hinaus deutlich die schiedlichen Formantwerte für die einzelnen Vokalqualitäten durch die an unter-schiedlichen Stellen vorkommenden senkrechten schwarzen (oder schwärzli-chen) Balken.Von diesen Abbildungen ist jedoch auch etwas anderes abzulesen:Die für die einzelnen Formanten stehenden Balken sind nicht immer senkrecht,
19 Etwas Ähnliches passiert, wenn in einem großen Hohlraum (z. B. einem unmöbliertne Wohn-zimmer) bestimmte Laute intensiver klingen.
sondern haben einen ansteigenden oder fallenden Anteil am Anfang oder am Ende.Diese ansteigenden oder fallenden Teile werden
Transitionen
(Übergän-ge) genannt und sind artikulatorisch bedingt: Die Sprechwerkzeuge bereiten sich schon während der Artikulation des jeweiligen Lautes auf die des
nachfol-Abb. 11 Oszillogramm (oben) und Spektrogramm (unten) des von einem männlichen deut-schen Muttersprachlers geäußerten deutdeut-schen Satzes Guten Tag!
Abb. 12 Oszillogramm (oben) und Spektrogramm (unten) des von einem männlichen deut-schen Muttersprachlers geäußerten deutdeut-schen Satzes Steigen Sie bitte aus!
genden vor, was sich auch auf die Form und Länge des Ansatzrohrs auswirkt.
Diese kontinuierliche Form- und Längenänderung des Resonanzraumes verur-sacht die Transitionen im akustischen Signal,die bei den Diphthongen besonders deutlich sichtbar sind (vgl.Z`h\und Z`t\in Abb. 12).
Dass die
Plosive
in zwei Phasen gebildet werden, wiederspiegelt sich auch in ihrer Akustik. In der ersten Phase erfolgt die Verschlussbildung und -aushal-tung,die im Falle der stimmlosen Plosive durch eine Signalpause,bei den stimm-haften Plosiven durch einen waagerechten schwarzen oder schwärzlichen Balken (die sog. voice bar) angezeigt wird, der übrigens bis zum Ende des Segmentes sichtbar ist.Die zweite Phase bildet die Verschlusslösung,die auf dem Sonagramm in Form eines kurzen schwarzen vertikalen Balkens (das sog.burst) erscheint. Die dritte Phase kommt schließlich nur bei aspirierten Plosiven vor:hier sieht man schwärzlich bis schwarze Schattierungen in den höheren Fre-quenzbereichen, die auf eine Frikativbildung (s. unten) hinweisen. Folgt der Plosiv einem Vokal bzw.geht er einem Vokal voraus,so findet man vor bzw.nach dem akustischen Bild des Plosivs schnelle Formantbewegungen, die implosive bzw. explosive Transitionen genannt werden. Das über die Akustik der Plosive Gesagte wird auf den beiden Abbildungen Abb. 11 und Abb. 12 veranschaulicht.
Besonders interessant erscheinen die Plosive Zs\und Zf\, die vor homorganen Nasalen vorkommen und deren Verschlussphase möglicherweise durch eine infolge des schnelleren Sprechtempos hervorgerufene vorzeitige Velumöffnung unterbleibt.
Für die Artikulation der
Frikative
ist charakteristisch, dass die geradlinige Bewegung der Luftteilchen bei einer kritischen Verengung im Ansatzrohr ‘gebro-chen’ wird, so dass Turbulenzen entstehen. Diese Turbulenzen erscheinen im akustischen Bild in ganz unregelmäßigen,stochastischen Wellenformen
, dieauf dem Sonagramm durch schwärzlich bis schwarze Schattierungen dargestellt werden. Dabei gilt Folgendes: Je tiefer die Grenzfrequenz des Rauschsignals ˇ desto weiter hinten wird der Frikativ artikuliert. Dies zeigt auch ein Vergleich des Rauschsignals von ZR\und Zr\auf dem Sonagramm in Abb. 12: Beim postal-veolaren Frikativ liegt es tiefer als bei dem alpostal-veolaren.Wird ein Frikativ stimm-haft artikuliert,so erscheint in seinem akustischen Bild die oben bereits genann-te voice bar.
Grundlage für die Bildung eines
Nasals
ist der Zugang zum Nasenraum.Das bedeutet die Einschaltung eines weiteren Resonanzraums in die Artikulation, der wiederum die Verstärkung bestimmter bzw. die Unterdrückung anderer Formanten nach sich zieht. Die typischen Nasalformanten befinden sich im unteren spektralen Bereich ˇwie es auch die oten stehenden beiden Spektro-gramme zeigen.Schließlich ist für die restlichen
Sonoranten
eine ausgeprägte Formant-struktur charakteristisch, was mit der artikulatorischen Gegebenheit zusam-menhängt,dass diese Lautsegmente spontan stimmhaft sind.Darüber hinaus zei-gen sielange und etwas langsamere Transitionen
als die Vokale. Das trifft besonders für dieLaterale
zu, was damit erklärt werden kann, dass diese Sonoranten mit der Zungenspitze artikuliert werden, so dass sich der Zungenrücken schon während ihrer Bildung auf die Artikulation des postlatera-len Vokals vorbereiten kann.Schließlich sind im akustischen Bild derVibranten
kurze Unterbrechungen zu sehen, die durch die einzelnen Zungenspitzen- oder Zäpfchenschläge hervorgerufen werden.