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Mehrsprachigkeit als Leitprinzip auch für den Deutschunterricht

Eine notwendige Vorbemerkung

2. Innovationsfelder im Fremdsprachenunterricht, auf die die Ausbildung der LehrerInnen noch nicht ausreichend

2.4. Mehrsprachigkeit als Leitprinzip auch für den Deutschunterricht

Unser Bildungswesen geht immer noch von der Fiktion aus, dass in unseren Schulen monolinguale Schülerinnen und Schüler sitzen, dass wir also, wenn wir überhaupt sprachkontrastiv vorgehen, nur auf eine Sprache Rücksicht nehmen müssen, nämlich die allen gemeinsame Muttersprache.

In Wahrheit aber sind in Europa, in Österreich und in Deutschland, und ich vermute, zunehmend auch in Korea, unsere Schüler vielfach mehrsprachig.

Ingrid Gogolin (1994) hat in einer Vielzahl von Studien an deutschen Schulen diesen „monolingualen Habitus“ einer in Wahrheit längst multilingualen Schule nachgewiesen.

Wenn ich Deutschlehrer frage, ob sie wissen, wie viele und welche Sprachen ihre Schüler oder Studenten sprechen, so werde ich meist ratlos angeschaut.

Ich habe in den letzten Jahren immer wieder Lehrkräfte gebeten, ihre Schüler Sprachenporträts und Sprachbiographien malen und schreiben zu lassen (Krumm 2001):

Marianne (keineswegs eine Ausnahme mit ihren vielen Sprachen) schreibt zu ihren Sprachen:

Ich habe beim Philipinische Sprache mehr gemalt weil mein Muttersprache ist.

Ich habe auch beim Englisch Sprache ein bißchen mehr gemalt weil auch manch-mal meine Muttersprache und ich habe schon früher Englisch gelernt als ich noch Kind war.

63 Veränderungen im Bereich des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen Ich habe beim Deutsch Sprache auch nicht mehr gemalt weil ich noch nicht so gut Deutsch sprechen kann.

Beim Spanisch habe ich wenig gemalt weil ich kann auch nicht gut Spanisch und weil auch in unsere Sprache gemischt ist.

Meine Lieblings Sprache auf der Welt ist Philipinisch und Englisch.

Ein bißchen mag ich Deutsch.

Diese Mehrsprachigkeit gilt durchaus auch für einheimische Kinder. Dani z.B., die ein wenig neidisch auf die bunten Profile ihrer ausländischen Mitschüler wurde, fiel zum Glück ihr Dialekt aus dem Waldviertel ein. Deutschunterricht, das sollen diesen Porträts zeigen, kann und sollte auf anderen Sprachen und einem entwickelten Sprachbewusstsein aufbauen und die vorhandene Neugier auf Sprachen ausnutzen.

Das heißt: Diese Mehrsprachigkeit hat curriculare und methodische Konsequenzen. Ist Deutsch die erste Fremdsprache, so sollte der Deutschunterricht das Lernen weiterer Sprachen mit vorbereiten, zum Beispiel, indem Lernstrategien für das Lernen von Wörtern, das Verstehen von Texten entwickelt werden und generell die Wahrnehmung von Sprachen trainiert wird: Der Sprachunterricht in der ersten Sprache, so drücken wir das metaphorisch aus, öffnet Fenster auf weitere Sprachen, schafft Sprachaufmerksamkeit, language awareness. Deutsch als zweite oder dritte Fremdsprache zum Beispiel nach Englisch, kann nicht mehr so aussehen, als säßen blutige Anfänger in der Klasse. Die Schülerinnen und Schüler, die Deutsch als zweite oder weitere Fremdsprache lernen, wissen schon viel über das Sprachenlernen, z.B. wie man sich Vokabeln einprägt, wie man einen Text versteht, auch wenn einzelne Wörter unbekannt sind. Sie wissen bereits, dass sich Sprachen in Laut und Schrift, in Wortstellung u.ä. von der Muttersprache unterscheiden. Sie wissen meist, was ein Verb ist und was ein Adjektiv. Von all dem kann Deutschunterricht Gebrauch machen. Niemand muss mit jeder Fremdsprache neu lernen, zur Post zu gehen oder zu frühstücken.

Die sog. Tertiärsprachenforschung beschäftigt sich damit herauszufinden, wie man bei der zweiten oder dritten zu lernenden Sprache die vorhergehen-den Lernerfahrungen nutzen kann. Die Mehrsprachigkeitsdidaktik hat dazu konkrete methodische Ansätze erarbeitet (vgl. Hufeisen/Marx 2007).

Für Lehrende bedeutet das, dass sie es lernen müssen (a) Sprachbiographien zu erschließen

(b) Sprachen – auch solche, die sie selbst nicht beherrschen – im Unterricht zu Wort kommen zu lassen und z.B. für kontrastives Arbeiten zu verwenden

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(c) die Spracherfahrungen ihrer Schülerinnen und Schüler mit anderen Sprachen im Deutschunterricht zu nutzen.

Wo und wie, so ist wiederum zu fragen, lernen künftige Lehrerinnen und Lehrer diese Arbeit mit mehreren Sprachen?

2.5. Interkulturalität als Lernziel und Unterrichtsprinzip

Nicht der native speaker, sondern der interkulturelle Sprecher ist das Ziel des Deutschunterrichts in einer mehrsprachigen Welt. Wahrnehmen und Verstehen sind kulturgeprägten, in der sprachlich-kulturellen Sozialisation erworbenen Schemata unterworfene Vorgänge, weshalb sich das Erlernen einer neuen Sprache nicht trennen lässt von der Notwendigkeit, Distanz zur eigenen Sprache und Kultur zu gewinnen, die mit unserem sprachlichen Ausdruck verknüpften Wertesysteme zu reflektieren. So heißt es im Deutschlehrplan von New South Wales in Australien:

Ziel des Deutschunterrichts ist es, dass die Lernenden

in der Lage sind, auf Deutsch mit anderen zu kommunizieren

• den kulturellen Kontext, in dem Deutsch gesprochen wird, verstehen

• durch das Studium anderer Kulturen in die Lage versetzt werden, ihre

• eigenen Kulturen zu reflektieren und

fähig sind, Beziehungen zwischen Deutsch, Englisch und/oder anderen

• Sprachen herzustellen.2

Die englische Sprache wird inzwischen vielfach als Lingua franca, gelöst von einem konkreten kulturellen Kontext, gelehrt und gelernt. Für die anderen eu-ropäischen Sprachen gilt dagegen, dass sie nicht zu lösen sind von der jeweiligen politischen und kulturellen Geschichte und Gegenwart ihrer Sprecher. Für die deutsche Sprache ist bis heute prägend, dass sie – je nach Fokus und Interesse – auch die Sprache der nationalsozialistischen Unterdrückung, die Sprache des Kommunistischen Manifestes, die Sprache Freuds und Einsteins, die Sprache des Euro, die Österreichs und eines Teils der Schweiz usf. war und ist, so wie die französische, die ungarische und die russische Sprache kulturelle und politische Geschichte und Gegenwart transportieren. Man kann die Schülerinnen und Schüler auf Entdeckungsreise schicken: im Internet ebenso wie in literarischen Texten. Auf den verschiedenen Fernsehkanälen ebenso wie auf Hörkassetten und im Wörterbuch lässt sich etwas herausfinden über Deutsch als eine europäische Sprache. Zurzeit erfahren die Lernenden im Deutschunterricht zu wenig über Deutsch als eine Sprache mit europäischem Kontext.

2 Übersetzung des Verfassers aus der Lehrplanbroschüre von 2000.

65 Veränderungen im Bereich des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen Es geht also nicht nur um die Fähigkeit zu grammatisch korrektem Sprachgebrauch, sondern auch um die Fähigkeit, die mit Sprache verbun-denen Wertsysteme einzuschätzen, mit Missverständnissen umgehen zu können. Damit verschieben sich Akzente im Sprachunterricht: Je stärker Menschen in ihre eigene Sprache und die mit dieser Sprache und Kultur verbundenen Wertsysteme, Denk– und Handlungsmuster hineinwachsen, um so schwerer fällt es ihnen, eine andere Kultur neben der eigenen zu akzep-tieren, Verschiedenheit als normal zu betrachten. Sprachunterricht hat hier gerade für junge Menschen die wichtige Funktion, Denkoffenheit zu erhal-ten, sie vor starrem Ethnozentrismus zu bewahren. Der Deutschunterricht gewinnt mit einer solchen Zielsetzung eine wichtige pädagogische Funktion zurück, indem er seinen Beitrag dazu leistet, mit Vielsprachigkeit, mit Verschiedenheit umzugehen. Für das Zusammenleben in unseren multi-kulturellen und multilingualen Gesellschaften ist diese Funktion von zen-traler Bedeutung.

Wie aber lernen es angehende Lehrkräfte, kulturelle Mittler zu werden?

Erfahren sie in der Ausbildung genug über die kulturellen Implikationen von Sprache und den Umgang mit Stereotypen? Reichen ihre landeskundli-chen Kenntnisse aus, um die deutsche Sprache als Schlüssel zu den deutsch-sprachigen Ländern und zu Europa zu vermitteln?

2.6. Kompetenzorientierung und Professionalisierung

Die traditionelle Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern ist durch den Gegenstand gekennzeichnet, d.h. wer Deutschlehrer werden will, muss gut Deutsch können und sollte sich in der deutschen Grammatik und eventuell auch in der deutschsprachigen Literatur gut auskennen. Schaut man sich aber einmal an, was Lehrende denn konkret im Unterricht tun, so ergibt sich eine sehr viel differenzierte Sicht:

Da sind einmal die klassischen Fachkompetenzen in den Bereichen Landeskunde, interkulturelle Kommunikation, Sprachwissenschaft und Literaturwissenschaft; zu den Fachkompetenzen kann man auch noch die sprachliche Kompetenz hinzurechnen.

Hinzugekommen sind in den letzten Jahren die beiden Kompetenzbereiche der Lernpsychologie und der Methodik. Aber die Lehrerforschung hat längst herausgefunden, dass die persönlichen Kompetenzen, das berufliche Selbstbewusstsein und die sozialen Kompetenzen ebenso wichtig sind.

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Wie aber erwirbt man diese Kompetenzen? Die Forschung sagt dazu, dass die Fähigkeit, das eigene Handeln zu reflektieren, dafür eine wichtige Grundlage bildet.

Es würde demnach zu den zentralen Aufgaben der Lehrerausbildung gehö-ren, bei angehenden Lehrerinnen und Lehrern die Fähigkeit zu entwickeln, die eigene Unterrichtspraxis zu analysieren und reflexiv weiterzuentwi-ckeln und in diesem Zusammenhang auch die persönlichen und sozialen Kompetenzen zu stärken. Wo aber und wie wird diese „Lehrkompetenz“

ausgebildet?