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Forschungsansatz und Hintergrundinformationen zur Analyse

Autoethnografie einer ungarischen Sprachlehrerin über ihre Lehrtätigkeit in Izmir

3. Forschungsansatz und Hintergrundinformationen zur Analyse

Dieser Artikel präsentiert die Ergebnisse einer qualitativ-interpretati-ven Forschung. Ich habe die Autoethnografie als Forschungsansatz und Forschungsmethode verwendet. Eine Autoethnografie bemüht sich darum, persönliche Erfahrungen zu beschreiben und systematisch zu analysieren, um kulturelle und soziale Erfahrungen zu verstehen (Ellis 1999, Jones 2005).

Dieser Ansatz erlaubt dem Forscher, eigene Erfahrungen, Gedanken und Gefühle als Forschungsdaten zu analysieren und über diese von mehreren Standpunkten aus bewusst zu reflektieren. Der Vorteil dieser Methode besteht darin, dass man durch die Veröffentlichung persönlicher Daten zum Verstehen breiterer kultureller und sozialer Phänomene beitragen kann. In diesem Fall analysiere ich persönliche Erfahrungen und Gedanken in einer Situation, in der ich meine Lehrtätigkeit zum ersten Mal in einer global-bewussten Weise ausgeübt habe. Mit der systematischen Analyse des Persönlichen versuche ich auf diejenigen Komponenten des Lehrerberufsprofils einzugehen, die für dessen Profilierung in einem vernetzten Weltkontext relevant sind.

Beim Analyseprozess ist es vor allem unabdingbar, einen unvoreingenom-menen Diskussionspartner einzubeziehen (Nagy Hesse-Biber/Leavy 210ff.).

So habe ich während meiner Analyse mit einem Herrn türkischer Herkunft im Dialog gestanden, der seit Jahren in Budapest lebt. Seine Beiträge haben meinen Reflexionsprozess eindeutig gefördert und zur Qualität der Analyse erheblich beigetragen.

Ich habe während der zweiten Hälfte des Schuljahres 2007/2008 in Izmir als Comenius-Sprachassistentin gearbeitet. Assistenzzeiten von Studierenden der Lehramtsfächer an Schulen im Ausland sind eine Aktion des „Programms für lebenslanges Lernen“ der Europäischen Kommission. LehrerassistentInnen verbringen drei bis zehn Monate an einer Schule oder vorschulischen Einrichtung eines anderen europäischen Landes, unterstützen die Lehrtätigkeit im Klassenzimmer, beteiligen sich an Schulprojekten und unterrichten häufig ihre Muttersprache. Dabei erhalten sie Gelegenheit, ihre Kenntnisse über ande-re europäische Länder und Bildungssysteme zu vertiefen, ihande-re pädagogischen Fähigkeiten zu erweitern und ihre Unterrichtskompetenz zu verbessern. Das Programm unterstützt den Unterricht an den Gasteinrichtungen und ermög-licht – vom Lehrfach unabhängig – eine Verbesserung der Sprachkenntnisse der Schüler, mit denen die Comenius-Assistenzkraft arbeitet.4

4 Vgl. dazu http://ec.europa.eu/education/comenius/doc/assistant_de.pdf.

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Zu dem Zeitpunkt, als ich Sprachassistentin in Izmir wurde, befand ich mich im letzten Jahr meiner Lehrerausbildung in den Fächern Germanistik und Allgemeine Pädagogik. Es war mein ausdrücklicher Wunsch, in der Türkei arbeiten zu können. Ich wurde als Sprachassistentin in Englisch lernenden Gymnasialklassen eingesetzt (eine solide Sprachkompetenz im Englischen sowie stabiles methodisch-didaktisches Wissen über Fremdsprachenunterricht waren von der Gastschule vorausgesetzt). Obwohl das Programm es anders vorsieht, wurden mir als Assistenzkraft (übrigens nicht ganz gegen meinen Willen) 20 reguläre Wochenstunden sowie 10 private Unterrichtsstunden an den Nachmittagen anvertraut.

Ich habe Schüler in den Klassenstufen 9–12 (im Alter von 14–18 Jahren) in insgesamt 10 verschiedenen Kommunikationsklassen in Englisch unterrichtet.

Die insgesamt 305 Schüler, verteilt auf zehn Klassen, wiesen unterschiedliche Hintergründe auf, wobei etwa 55% Türken, 30% Kurden und 15% Roma waren.

Im Vordergrund stand die Entwicklung der kommunikativen Sprachkompetenz der Schüler. Außerdem war es meine Aufgabe, Wissen und Kultur mei-nes Heimatlandes zu vermitteln und im Rahmen von Schülerprojekten die Sprachenvielfalt Europas zu erarbeiten. Selbst zum Ziel gesetzt hatte ich mir da-bei, während meiner Assistenzzeit zur Persönlichkeitsentwicklung der Schüler und Schülerinnen beizutragen. Dabei war mir besonders wichtig, Offenheit gegenüber anderen Denkmustern, Verhaltensweisen und Anschauungen zu vermitteln und ebenso die Bereitschaft zu fördern, andere Sprachen und Kulturen kennen zu lernen.

Vor der Analyse soll hier kurz noch mein Ausbildungsprofil geschildert werden.

Ich habe ein fünfjähriges Studium in Germanistik und Allgemeiner Pädagogik vor der Einführung des Bologna-Systems absolviert. Beide Ausbildungscurricula waren eng an die Ausbildung von Philologen angelehnt, die im eigenen Fach eventuell einmal eine Lehrtätigkeit ausüben werden (Feld-Knapp 2011: 986).

Daraus resultierte, dass die Ausbildung nur in sehr geringem Umfang prak-tischen Bezug aufwies. Neben dem theoreprak-tischen benötigt eine erfolgreiche Lehrkraft selbstverständlich auch pädagogisches und fachpädagogisches Wissen.

Da ich am Ende meines Studiums den festen Wunsch hatte, Sprachlehrerin zu werden, suchte ich ganz bewusst nach den Möglichkeiten der Vertiefung mei-ner praktischen Erfahrungen. Obwohl ich im Laufe meines Studiums bereits ein Praktikum am Goethe-Institut in Budapest absolviert und während zwei (Auslands-)Semestern an der Ludwig-Maximilians-Universität in München Seminare zu den Themen „Fremdsprachenunterricht“, „freie Unterrichtsformen“

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und „Medien im Unterricht“ belegt hatte, bedeutete die Assistenzzeit in Izmir im Jahre 2008 die intensivste Reifezeit für mich als werdende Sprachlehrerin.

4. Analyse

Im Folgenden konzentriere ich mich auf diejenigen Aspekte, die meines Erachtens für die erfolgreiche pädagogische Arbeit einer global-bewussten Lehrkraft in einem anderen nationalen, kulturellen und sprachlichen Kontext unentbehrlich sind. Wie in Abb. 1 dargestellt, können die Aspekte schematisch vier Kategorien zugeordnet werden:

Abb. 1: Kategorien relevanter Aspekte des global-bewussten Lehrens im fremd-nationalen, –kulturellen und –sprachlichen Kontext 4.1. Weiterer gesellschaftlicher Kontext

Die Bildungstätigkeit einer Schulinstitution und die Lehrtätigkeit der einzel-nen Lehrkräfte sind stets in eieinzel-nen kulturellen, religiösen, historischen und diskursiven Kontext eingebettet.

Die islamische Religion bildete einen besonders relevanten Aspekt des gesellschaftlichen Kontextes für meine Lehrtätigkeit in Izmir. Es war für das Verständnis bestimmter Normen, Werte, Gebräuche und Sichtweisen ohne Zweifel sehr hilfreich, Grundaussagen, Entwicklungsgeschichte und gesell-schaftliche Praxis des Islams auch näher zu kennen. Man muss sich dabei auch dessen bewusst sein, dass bestimmte Handlungsmuster, Gebräuche, Überzeugungen und Glaubensvorstellungen in der jeweiligen Gesellschaft viel mehr auf die Geschichte des Volkes zurückzuführen sind. Die Lehrkraft,

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die in einem ihr fremden religiösen Kontext arbeitet, tendiert möglicherwei-se dazu, Alltagspraktiken auf die Religion zurückzuführen. Man sollte als Lehrkraft diese vereinfachende Erklärung bewusst vermeiden und danach streben, sich unverständlichen oder fremden Praktiken ganzheitlich und in deren jeweiligem Kontext anzunähern.

Im Falle der Türkei können außer der Religion und der Geschichte die Reformen von Mustafa Kemal Atatürk (1881–1938) als Deutungsrahmen erwähnt werden. Viele schulrelevante Aspekte, die eine Lehrkraft ausländi-scher Herkunft während ihrer Lehrtätigkeit in Betracht ziehen muss, sind unmittelbar aus der Kemal’schen Ideologie ableitbar.

Für eine bewusste Lehrtätigkeit ist es weiterhin wichtig, mit dem Individuum-Image der Gesellschaft vertraut zu sein. Der Fokus liegt da-bei auf den Erwartungen der Gesellschaft ihren Mitgliedern gegenüber, sowie auf den Normen, die die Beziehungen zwischen den einzelnen Gesellschaftsmitgliedern und den kleineren und größeren gesellschaftlichen Einheiten (Familie, Großfamilie, Nachbarschaft, Arbeitskollegen, Freunde, Bezirkseinwohner usw.) regulieren. Kennt man diese nicht, können sie im Unterricht natürlich auch nicht berücksichtigt werden.

Am Anfang meiner Lehrtätigkeit in Izmir war es für mich wichtig zu ver-stehen, dass die gesellschaftliche Verantwortungsbereitschaft des Einzelnen von der mir vertrauten deutlich abweicht. In den Familien, deren Kinder ich unterrichtet habe, steht – neben der individuellen Entfaltung – die Entwicklung von starken sozialen Kompetenzen und von Verantwortungsbewusstsein im Vordergrund der Erziehung. Bedeutsam für die Schüler und ihre Familien sind aus diesem Grund die nationalen und religiösen Feiern, die regelmäßigen Familien– und Nachbarnbesuche, sowie die täglichen Teetrinkangelegenheiten, wobei die Funktion und die Verantwortung des Individuums innerhalb der Mikro–, Meso– und Makrogesellschaft anerzogen, gestärkt und reprodu-ziert wird. Es gehörte zu meinen Aufgaben als Lehrkraft, im Rahmen des Kennenlernens der einzelnen Schüler auch deren Position bzw. Status in-nerhalb der einzelnen gesellschaftlichen Einheiten kennen zu lernen und die mögliche Vielfalt der eigenen Individuumsimages wahrzunehmen. Da ich die Endpole der Hofstede’schen Dimensionen (Hofstede 1980) für etwas starr und einseitig halte, werden an dieser Stelle die Begriffe kollektiv und individualisiert absichtlich nicht verwendet. Dennoch war es zu einem be-stimmten Maße wichtig für das Verstehen der institutionellen Dynamik der Schule und der Dynamik unter den Schülern, die Hofstede’schen Dimensionen in Betracht zu ziehen.