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Das verengende Konzept der „Interkulturalität“

Autoethnografie einer ungarischen Sprachlehrerin über ihre Lehrtätigkeit in Izmir

2. Das verengende Konzept der „Interkulturalität“

Die akkurate Definition der dem Thema nahe stehenden Begriffe wie Interkulturalität, interkulturelle Kompetenz, interkulturelles Lernen, in-terkulturelle Kommunikation, interkulturelle Pädagogik, interkultureller Fremdsprachenunterricht usw. gehört nicht zu den Zielsetzungen dieses Artikels.

Vielmehr wird versucht, praktische Aspekte der eigenen Lebenserfahrung vorzustellen, die dafür sprechen, dass sich Lehrkräfte während eines Auslandseinsatzes solche Kompetenzen und Wissensbestände aneignen kön-nen, die ihnen helfen, ihren Beruf als „globale Akteure“ auszuüben.

Doch muss hier auf die Definitionsschwierigkeiten der Begriffe Kultur und Interkulturalität, bzw. auf die von diesen Wörtern abgeleiteten Ausdrücke kurz hingewiesen werden. Namhafte Forscher geben über die verschiedenen Ansätze zur Definition dieser Begriffe einen Überblick, konzentrieren sich dabei aber zumeist auf die Ergebnisse in einem bestimmten Forschungsraum bzw. in be-stimmten Wissenschaftszweigen (vgl. u.a. Földes 2007, 2009a und 2009b, Roche 2001, Lüsebrink 2005, Bredella/Delanoy 2007, Bolten 2007, Thomas 1996).

Es gibt zahlreiche praktische Konzepte, die sich trotz der Vagheit dieser Begriffe mehr oder weniger bewusst für einen Ansatz entscheiden und diese z.B. in die Praxis

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der Lehreraus– und –weiterbildung umsetzen (vgl. u.a. DeJaeghere/Zhang 2008, Sercu 2006, Lianga/Zhang 2009, Waltersa u.a. 2009, Müller-Jacquier 2000).

Obwohl zahlreiche etablierte Wissenschaftler auf die Notwendigkeit der Herausbildung interkultureller (kommunikativer) Kompetenz der Lehrkräfte und im Besonderen der Sprachlehrer hinweisen (vgl. dazu u.a. Auernheimer 2010, Lanfranchi 2010), wird in diesem Artikel auf den Gebrauch dieser Begriffe und anderer wenig differenzierter Aussagen verzichtet. Hierfür gibt es zwei Gründe:

Einerseits, weil der Überblick über die möglichen Definitionen und die Wahl einer Definition dieser Begriffe der Zielsetzung dieses Artikels m.E. nicht dienlich ist, und andererseits, weil diese Begriffe oft politisch und ideologisch behaftet sind, und die Reflexion darüber die Grenzen des Artikels sprengen würde.

Mir erscheint jedoch viel nützlicher, die Annäherungsweise an den Begriff interkulturell anhand eigener praktischer Erfahrungen deutlich zu machen.

Meiner Ansicht nach erweckt das Wort interkulturell den Eindruck, dass indi-viduelle Deutungsrahmen und Deutungsvorgänge vor allem durch die Kultur des Einzelnen behaftet sind. Tatsächlich werden sie aber nicht nur durch die kulturelle Zugehörigkeit, sondern zum gleichen Teil durch die individuelle Lebenserfahrung geprägt. Wenn zwei Interaktionspartner über ein bestimmtes Wirklichkeitselement zu interagieren beginnen, haben die beiden verschiedene Deutungen dieses Wirklichkeitselements. Je ähnlicher die Erfahrungen der Interagierenden über dieses Element sind, desto ähnlicher sind seine Deutungen und desto einfacher ist es, einen Deutungskompromiss zu finden. Hier wird die Auffassung vertreten, dass die unterschiedlichen Facetten der Kultur die Erfahrungen des Individuums über die Wirklichkeit zwar teilweise beeinflussen können, den Facetten der indi-viduellen Lebensgeschichte und der indiindi-viduellen Erfahrungen jedoch der gleiche Wert beizumessen ist. Davon ausgehend kann die Interaktion mit einer Person mit ähnlichem kulturellen und sprachlichen Hintergrund, aber sehr verschiedenen Episoden und Ausprägungen in der Lebensgeschichte (Sozialisation, Ausbildung, Karriere, Familienleben usw.) manchmal eine größere Herausforderung bedeuten, als die Interaktion mit einer Person mit unterschiedlichem sprachlichen und kul-turellen Hintergrund, aber sehr ähnlichen persönlichen Erfahrungen. Das Wort interkulturell rückt die Bestimmtheit und die Determiniertheit des Individuums durch seine kulturelle und sprachliche Zugehörigkeit in den Vordergrund. Es spiegelt dadurch die Annahme von homogenen Nationalkulturen und homoge-nen kulturellen und Sprachidentitäten wider. Es wird hier somit für eine „inter-individuelle“ Interpretation plädiert.

Die Interaktion zwischen mir und den izmirschen Schülern, sowie den Lehrerkollegen und den Eltern verlief im Allgemeinen nach folgendem

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1. Die Interaktionsteilnehmer erkannten die Diskrepanz zwischen dem Deutungsrahmen und den Deutungsvorgängen.

2. Die Interaktionsteilnehmer stellten den eigenen Deutungsrahmen in Frage, reflektierten über diesen, versuchten diese kennen zu lernen und zu objektivieren.

3. Die Interaktionsteilnehmer drückten ihre Bereitschaft aus, den Deu-tungsrahmen und die Deutungsvorgänge ihres Gegenübers kennen zu lernen.

4. Die Interaktionsteilnehmer akzeptierten, dass der Deutungsrahmen und die Deutungsvorgänge des Anderen nie vollständig verstanden oder übernommen werden können.

5. Die Interaktionsteilnehmer versuchten mit der Unsicherheit, die durch die Relativierung der einzelnen Gedankenrahmen hervorgerufen wurde, emotional umzugehen.

6. Die Interaktionsteilnehmer bemühten sich gemeinsam um die Er ar bei -tung eines Kompromisses, welcher zum Erfolg des gemeinsamen Han-delns beitragen kann und das Erreichen eines gemeinsamen Zieles ermöglicht.

Aufgrund meiner Berufserfahrung in Izmir scheint es ein Kernelement in der Interaktion mit Personen mit unterschiedlichem kulturellen, sprachlichen und Erfahrungshintergrund zu sein, dass man erkennt, dass jeder Mensch die Welt mit seinen eigenen Augen betrachtet und daher seinen eigenen Interpretationsrahmen entwirft. Diesen Gedanken formuliert Mecheril als

„Unzugänglichkeit des Anderen“ wie folgt:

Sobald die hermeneutische Unzugänglichkeit des Anderen zum Ausgangspunkt interkultureller Prozesse wird, verringert sich die Gefahr die Vereinnahmung durch das Verstehen; diese Reduktion setzt das professionelle Vermögen voraus, sich auf das eigene Nicht-Wissen zu beziehen. (Mecheril 2010: 29)

Dieser Aufsatz plädiert für eine inter-individuelle (anstelle einer interkultu-rellen) Interpretation. Aus diesem Grund wird in der folgenden Beschreibung auch vermieden, über „türkische Schüler“, „türkisches Gymnasium“, „tür-kische Lehrerkollegen“, „tür„tür-kische Stadt“ usw. zu sprechen. Stattdessen werden Erfahrungen analysiert, die in einem bestimmten Raum (Izmir), Zeitabschnitt (März–August 2008), unter bestimmten Menschen (Schülern und Lehrerkollegen) von einer bestimmten Person (der Autorin) in einer bestimmten Rolle (Sprachassistentin) gesammelt wurden. Obwohl Kategorisierungen die Wahrnehmung der Wirklichkeit erleichtern, erscheint mir wichtig, die indivi-duelle Einzigartigkeit und die Einzigartigkeit der Interaktionen zu betonen.

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3. Forschungsansatz und Hintergrundinformationen zur