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Von der Slowakei über die Ukraine nach Ungarn

In document Deutsch 3.0 Konferenzband (Pldal 37-41)

Die höchst unterschiedlichen Geschichten der und des Deutschen in Mittel-, Ost- und Südosteuropa

3. Von der Slowakei über die Ukraine nach Ungarn

Die geographische Nahtstelle zwischen dem Raum Tschechien – Tschechoslowa-kei als regionalem Schwerpunkt der ersten Hälfte dieses Beitrags und Rumänien als hier anzukündigendem zweiten Schwerpunkt bildet die Slowakische

Repub-lik. Knappe sieben Jahrzehnte als Teil der Tschechoslowakei, unterbrochen durch ein paar Jahre als auch nicht wirklich selbständiger Staat unter dem Diktat Hitler-deutschlands, verblassen vor mehr als einem Jahrtausend als Teil Oberungarns – das ist das spezifi sch slowakische Trauma. Für die Slowakei, die Slowaken und das Slowakische ist zuerst einmal das Verhältnis zu Ungarn und zu den Ungarn problematisch und erst in zweiter Linie jenes zu den Deutschen und zum Deut-schen. So scheint denn auch die Aussiedlung der Deutschen als Folge der Beneš-Dekre te in der Slowakei gemildert abgelaufen zu sein, die Zipser Ortschaft Hop-garten (slowak. Chmeľnica) ist überhaupt der Vertreibung entkommen. Doch ist die Lage in den drei Hauptsiedlungsgebieten ganz im Westen in und um Pressburg (slowak. Bratislava), im mittelslowakischen Hauerland7 und im Osten des Landes mit Schwerpunkt Zips im Grunde nicht viel anders als in Tschechien, vielleicht im Gesamten noch schlechter, denn die historische Schriftlichkeit, wie sie in Tschechien ganz überwiegend Domäne des Deutschen ist, teilt sich dieses in der Slowakei mit dem Ungarischen. Deutsch in der Slowakei ist historisch-inf-rastrukturell nicht vergleichbar mit böhmischem Deutsch, es ist in der Mitte und im Osten des Landes in Sprachinseln isoliert, im Westen in und um Pressburg dialektal schlicht und einfach der östlichste Ausläufer des Bairischen in seiner ostniederösterreichischen Ausprägung, Pressburger deutsche Hochsprache ist, besser: war Standarddeutsch ostösterreichisch-wieneri schen Zuschnitts.

Innerhalb der heutigen Ukraine können wir jenen westlich-süd westlichen Landesteil, der bis vor dem Ersten Weltkrieg Teil Österreich-Ungarns und erst nach dem Zweiten Weltkrieg Teil der Sowjetunion war, wohl mit guten Argu-menten Ostmitteleuropa zurechnen. Historisch handelt es sich hauptsächlich um das östliche Galizien, dort auch die alte galizische Hauptstadt Lemberg (ukr.

Львів, poln. Lwów), eines von mehreren „Klein-Wien“, zwischen den Kriegen Teil Polens, und um die nördliche Bukowina mit ihrer Hauptstadt Czernowitz, einem weiteren „Klein-Wien“, in der Zwischenkriegszeit mit der ganzen Bukowina Teil Rumäniens. Dabei gerne übersehen wird die allersüdwestlichste Ukraine südlich von Galizien und westlich der Bukowina, schon diesseits der Karpaten, für Kiew aber jenseits und darum Transkarpatien genannt, eine ukrainische Oblast mit der Hauptstadt Uschgorod, im Deutschen bekannter und im Ungarischen sowieso unter ihrem alten ungarischen Namen Ungwar / Ungvár. Dieses alte oberunga-rische Gebiet am Oberlauf der Theiß war in der Zwischenkriegszeit die östlichs-te Tschechoslowakei, deren fünföstlichs-ter Landesöstlichs-teil, genannt Podkarpatská Rus oder

7 Für den Terminus Hauerland exisitiert kein slowakisches Wort. Er wird normalerweise auch im Slowa-kischen so verwendet.

auf Deutsch Karpatenrussland, auf Ungarisch Kárpátalja. Auch dort gab und gibt es noch eine nennenswerte deutschsprachige Bevölkerung. Sie ist am ehesten der neuzeitlichen Schwabensiedlung zuzuordnen, die Leute nennen ihre Spra-che „Schwobisch“, spreSpra-chen de facto aber bairisSpra-che und ostfränkisSpra-che Dialekte.

Die Zugehörigkeit zur Zwischenkriegstschechoslowakei hat den Deutschen dort ein deutsches Schulwesen bis um 1940 beschert,8 ein nicht zu vernachlässigen-der Faktor dafür, dass es ums Deutsche sogar heute noch so schlecht nicht be-stellt ist, vor allem in den zahlreichen fränkischen Dörfern um Munkatsch (ukr.

Мукачеве, ung. Munkács). Deutscher Sprachgebrauch in Munkatsch mag als typisches Beispiel für ostmitteleuropäisches Deutsch gelten, eine die vielfältigen, vor allem aber mitteldeutschen („sächsischen“) Dialekte überdachendes städti-sches Deutsch mit deutlichen bairischen, spezifi sch österreichisch-wienerischen Zügen. Herausragendes Beispiel dafür ist die Lautung mit hellem, palatalen a für altes ei in Wörtern wie heiß oder breit als haaß und braat, eine Lautung, die heute typisch ist für Wiener Stadtdialekt und Umgangssprache, die in Wien selbst aber fränkisches Erbe ist, die Stadt und ihre Sprache mit dem schon im Mittelalter das Deutsche sprachlich wie politisch dominierenden fränkischen Raum am Rhein verbindet und damit durchaus organisch auch den mitteldeutsch geprägten Teil der deutschen Siedelgeschichte Ostmitteleuropas mit der neuzeitlich prägen-den Habsburgerherrschaft. Wir konstatieren weitere Kennzeichen wie mitteldeut-sche (und mittelbar auch hochsprachliche) Mono phthon gierung, also gut und lieb statt guat und liab, bairisches Zweite-Plural-s, also essts, tuts usw., durchgehend fehlende Behauchung, also Ku und tuts, – schon erwähnte – osteuropäische Satzgliedstellungsregeln, also er hat müssen gehen, Aufgabe der synthetischen Konjunktivbildung und durchgehenden Ersatz mit mögen: Wenn er heute noch möchte kommen, möchte ich ihm etwas kochen „Wenn er heute noch käme, wür-de ich ihm etwas kochen“ u.v.a.m., und wir fi nwür-den in wür-der Interpretation solcher Gestalt eine Fülle an Querverbindungen zum Deutschen des Binnenraums, z.B.

die auch im Bairischen so vitale und prestigeträchtige s-Form der zweiten Per-son Plural, und eben auch für den Binnenraum taugliche Ansätze zur Erklärung des Wie und Warum sprachlicher Variation. Ganz anders aber das zweite Charak-teristikum auch sprachlich deutschen Lebens in Transkarpatien und drumherum:

die allgegenwärtige Mehrsprachigkeit. Sie ist natürlich im rein kontakt- und in-terferenzlinguistischen Interesse (Entlehnung, Code-switching usw.) mittlerwei-le vielfach beschrieben, doch noch nicht in ihrem eigentlichen Funktionieren,

8 Vgl. dazu Scheuringer (2014).

denn kaum eine Landschaft in Mitteleuropa, wo nach unseren Begriff en ein-fachste Menschen am Rande des wirtschaftlichen Existenzminimums mit dem – ihnen nie und nimmer bewussten – Reichtum von fallweise fünf oder sechs gut bis muttersprachlich beherrschten Sprachen leben. Diese ostmittel- und südost-europäische natürliche Mehrsprachigkeit ist bis dato nur ungenügend beachtet worden, sie ist über die Deutsch sprechende Bevölkerung dieses Raumes für uns zugänglich, und sie in einer modernen Mehrsprachigkeitsforschung, z.B. über Sprachbiographien, zu beschreiben scheint mir ein dringendes Desiderat für die Variationslinguistik des Deutschen zu sein.

Mit der Slowakei und mit Transkarpatien, aber auch mit dem noch zu er-wähnenden Raum deutscher Sprache und Sprachgeschichte in Rumänien sind wir natürlich schon längst im alten Ungarn, damit einhergehend auch manche ganz aktuellen Probleme und auch unter Wissenschaftlern, z.B. die gegenseiti-ge ungarisch-slowakische terminologische Missachtung in der Beschreibung der Geschichte Oberungarns bzw. der Slowakei oder auch die rumänische Verwen-dung des Terminus Habsburgermonarchie zur VermeiVerwen-dung Österreich-Ungarns, letztlich wohl besonders der Nennung Ungarns. Dies muss uns im vorliegenden Rahmen der Beschreibung des Deutschen nicht über Gebühr berühren, doch beeinträchtigen aktuelle nationale Sichtweisen und Nationalstaatsgrenzen die Wissenschaft hier durchaus. Dies gilt auch für die Beschreibung des Deutschen im heutigen Ungarn, in Rumpfungarn, wie es so plastisch im Deutschen heißt,9 denn nur das mittlere der drei großen deutschen Siedelgebiete im heutigen Un-garn kann da unbeschnitten existieren. Das westliche Siedelgebiet in Westun-garn ist eigentlich nur der nicht zu Österreich gekommene Rest des alten großen Deutsch-Westungarn – und den meisten ist es nicht bekannt, wie ungarisch das österreichische Burgenland auch heute noch geprägt ist. Das große deutsche Siedelgebiet im Süden Ungarns geht historisch weit in die heutigen Staaten Kroatien, Serbien und Rumänien hinein. Die aktuelle Situation des Deutschen in Ungarn nach anderthalb Jahrhunderten Magyarisierung ist wie woanders auch eine rasch fortschreitenden Übergangs zum Ungarischen; mir scheint, dass das ungarische Spezifi kum im ostmitteleuropäischen Raum, nämlich seit Langem schon auch bei den staatlichen Minderheiten eine Auch-Staatsidentifi kation und entsprechende persönliche Identität bewirkt zu haben, über die Jahrzehnte nicht zu unterschätzender Faktor im Entwicklungsgang zu ungarischer

Monolin-9 Nach Bleyer (1928).

gualität hin ist. Man ist zugleich Deutscher und Ungar, eine Identitätskonstruk-tion, die als Deutscher und Rumäne im benachbarten Rumänien undenkbar ist.

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