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Podiumsdiskussion – Was sollen wir tun?

In document Deutsch 3.0 Konferenzband (Pldal 197-200)

In einer Podiumsdiskussion hat man nicht die Aufgabe, ein wissenschaftliches Koreferat zu halten, deshalb erlaube ich mir hier einen subjektiven Ton.

Die im Titel gestellte Frage gehört zu den prominentesten gefl ügelten Wor-ten des europäischen Kulturkreises. Der erste Beleg stammt aus der Bibel (Johan-nes 6,28), als das Volk nach der wunderbaren Brotvermehrung verzweifelt nach Jesus suchte und als es ihn fand, gefragt hat: „Was sollen wir tun, dass wir Gottes Werke wirken?“. Sie wurde von namhaften Persönlichkeiten in verschiedenen Va-riationen übernommen. Zu erinnern ist an den utopisch-sozialistischen Roman des russischen Schriftstellers Tschernischewski Что делать? ‚Was tun?’, in dem die Heldin vor einer Zwangsehe fl iehend nach neuen, wertvolleren Formen des menschlichen Zusammenlebens sucht oder an Leo Tolstojs philosophische Ab-handlung Так что же нам делать? ‚Was sollen wir denn tun?’, wo der alternde Autor trotz seiner Erfolge in einer tiefen seelischen Krise sein bisheriges Schaff en unzureichend fi ndet und eine neue Moral prophezeit. Sogar in die Bestseller-fi lmbranche ist der Ausdruck eingedrungen. In der neuen amerikanischen Film-komödie The To Do List befürchtet eine Highscool-Schülerin, durch ihre vorbildli-chen Leistungen in der Schule gerade das „wahre Leben“ der Jugend verpasst zu haben und will mit panischem Eifer alles dringend nachholen.

Diese Frage ist meistens mit einer gewissen Krisensituation verbunden. Die bisher gut geordnete Welt bricht zusammen, der Mensch fühlt sich gezwungen, tastend und unsicher nach neuen Wegen zu suchen. Eine ähnliche Krise unseres Berufes, der Geisteswissenschaften und der philologischen universitären Lehre, erleben wir – wie es sich aus den Vorträgen der Tagung herausgestellt hat – Tag für Tag in der modernen globalisierten Welt. Wir sind uns zwar der wertvollen Traditionen der mitteleuropäischen Germanistik in Lehre und Forschung, der großen Anstrengungen und Errungenschaften unserer Vorfahren und der Werte unserer eigenen bisherigen Arbeit bewusst, doch fühlen wir die erreichten Er-gebnisse bedroht, haben den Eindruck, dass wir in einem Elfenbeinturm stecken geblieben sind, während die Außenwelt an uns vorbeieilt. Ich habe versucht, eine germanistische „To-Do-Liste“ als Anregung für das weitere gemeinsame Nachdenken zusammenzustellen.

1. Keine Angst vor der tastenden Wegsuche

Besonders in der Lehre und im Unterricht ist es einfach schwierig, alte, gut be-währte Methoden zu verlassen und Gebiete anzutreten, auf denen man sich sel-ber noch nicht so sicher fühlt. In Lehrerweiterbildungskursen wurde mir einige Male vorgeworfen, dass ich mit meinen Fragestellungen den Deutschlehrern den Boden unter den Füßen entziehe. Doch bin ich überzeugt, dass man die-ses Risiko eingehen muss. Wenn man sich den Mut zur Erneuerung nimmt, wird man zwar Fehler machen, sich selbst korrigieren müssen, unangenehme Situati-onen erleben, jedoch auch bemerken, dass der bisherige „feste Boden“ sowieso eine Illusion war.

2. Keine Angst vor der Kultur vermittelnden Funktion der Sprache

Gedrängt durch einen eingeengten Praktizismus, wonach jene Kenntnisse wert-voll seien, die sich unmittelbar in wirtschaftliche Vorteile umsetzen lassen, füh-len sich Fremdsprachenphilologen manchmal gezwungen, die frühere philologi-sche Ausbildung mit einem erweiterten Sprachunterricht zu ersetzen. Man hört nur allzuoft, dass unsere Studierenden meinen, die linguistischen, literarischen und kulturellen Kenntnisse, die in der universitären Ausbildung vermittelt wer-den, im berufl ichen Leben nicht benutzen zu können. Durch diese Anschauung werden Sprachen/Fremdsprachen zu technischen Hilfsmitteln zur Bewältigung bestimmter kommunikativer Aufgaben in der Wirtschaft, im Handel oder im Tourismus degradiert. Besonders problematisch scheint es in der gegenwärtigen Praxis des Englischunterrichts, wo sich die Sprache von ihrem kulturellen Hinter-grund schon längst getrennt hat und nur als weltweit verbreitetes kulturunab-hängiges Kommunikationsmittel, als allgemeine Lingua franca betrachtet wird.

Umso mehr müssen sich Lehrer der anderen Fremdsprachen bemühen, nicht einfach eine andere Sprache, sondern eine andere Art des Sprachunterrichts an-zubieten. Eine Fremdsprache bedeutet zugleich das Tor zu einer anderen Denk-weise, zu anderen Lebenseinstellungen, Lebensstilen, zur Erweiterung unserer Denkperspektiven, unseres Horizonts, zur Bereicherung unseres Lebens. Es ist zu befürchten, dass die erwähnte Auff assung einen allgemeinen Kulturverfall her-aufbeschwören, dessen Folgen auf die Dauer nicht vorauszusehen sind, haben mittlerweile erfreulicherweise auch kulturpolitische Gremien in der EU erkannt.

Im Rahmen des Erasmus+-Programms läuft z.B. ein Projekt für die Erarbeitung

der Grundlagen eines Masterstudiums für literarische Übersetzung (namens

„Petra-E“), an dem auch der Lehrstuhl für Nederlandistik an unserem Germanisti-schen Institut beteiligt ist. Auch die Übersetzung darf nicht auf Gebrauchs- und Fachtexte eingeschränkt werden, denn gerade durch die Übersetzung von Lite-ratur, Publizistik, Feuilleton u.Ä. können die Individuen einen Einblick ins Leben und in die Kultur des anderen Volkes bekommen. Dies fördert entscheidend ein gemeinsames europäisches Bewusstsein mit Beibehaltung der eigenen nationa-len Identität – eine der wichtigsten kulturpolitischen Zielsetzungen der EU.

3. Keine Angst vor Interdisziplinarität

Vor einigen Jahrzehnten bedeutete Interdisziplinarität in der Germanistik Schnittstellen der Sprach- und der Literaturwissenschaft bzw. der Sprachdidak-tik. Heute spricht man in diesem Fall höchstens von Intradisziplinarität, womit die Notwendigkeit dieser Fragestellungen natürlich nicht verleugnet wird. Inter-disziplinarität bedeutet vielmehr die Öff nung in Richtung der anderen philologi-schen Disziplinen, ja sogar in Richtung der Natur- und techniphilologi-schen Wissenschaf-ten. Für einen Philologen scheint zunächst zwar recht ungewöhnlich, Laborex-perimente durchzuführen, Häufi gkeitsstatistiken zu erarbeiten, Diagramme zu erstellen, akustische Werte zu messen und zu berechnen usw. Die traditionel-len Philologien haben jedoch mit ihren Methoden bis in die 80er Jahre des 20.

Jahrhundertes ihre Grenzen erreicht. Zu neuen Erkenntnissen kann man heute besonders durch integrative Forschungsmethoden kommen, die die frühere geisteswissenschaftliche und naturwissenschaftliche Denkweise zu vereinen ver-suchen. Die kontrastive Linguistik und die Sprachtypologie, die Psycholinguis-tik, die Spracherwerbsforschung, die Soziolinguistik sowie die Diskurslinguistik fokussieren auf reale, lebensnahe Probleme ind Fragen der modernen Gesell-schaften. Die für die gesamte moderne Philologie als Grundlagedisziplin gelten-de Korpuslinguistik sowie die experimentelle Phonetik (inklusive Sprechsynthe-se und SprechanalySprechsynthe-se) verwenden Methoden der technischen WisSprechsynthe-senschaften, insbesondere der Informatik. Und über Computerlinguistik, maschinelle Über-setzung und künstliche Intelligenz haben wir noch gar nicht gesprochen. Man sollte ernsthaft überlegen, was und wie von diesen neuen Ansätzen wirklich ef-fektiv in die Lehre umgesetzt werden soll und kann.

An unserem Institut wurden in letzter Zeit mehrere curriculare Neuerungen eingeführt, die zwar immer wieder revidiert und verbessert werden müssen, aber insgesamt ein gutes Echo gefunden haben. Ins Bachelorstudium wurden zwei

Wahlmodule von je 50 ECTS-Punkten implementiert. Im Translatologie-Modul bieten wir den Studierenden eingehende kontrastiv-linguistische und interkultu-relle Kenntnisse und machen Übersetzungsübungen in verschiedenen Themen (Gebrauchstexte, Fachtexte), bis hin zu einem bescheidenen Einblick in die Prob-lematik der literarischen Übersetzung. Im Modul „Deutsch im berufl ichen Leben“

werden zuerst komplexe schriftliche Texte mit ihren sprachlichen Merkmalen und Schwierigkeiten in den Mittelpunkt gestellt, wodurch auch die schriftliche Rezeptions- und Ausdrucksfähigkeit der Studierenden gefördert wird. Später werden auch solide fachsprachliche Kenntnisse (Wirtschaftsdeutsch, Rechtsspra-che, Sprache der EU usw.) vermittelt, sowie ein Einblick in die technischen Hilfs-mittel (Editierung, Präsentationstechnik usw.) in der Fremdsprache gewährt. Die besten Teilnehmer des Moduls können ein einmonatiges Praktikum in der Perso-nalabteilung der Audi-Werke in Győr absolvieren. Ein drittes und auch sehr be-liebtes Wahlmodul für 15 ECTS-Punkte heißt „Sprache – Mensch – Technik“. Hier werden die Studierenden in erster Linie in die Benutzung elektronischer Hilfs-mittel eingeführt sowie mit den entsprechenden Methoden vertraut gemacht (Korpusrecherche, Konkordanzprogramme, phonetische Analysen, Sprechsyn-these, maschinelle Übersetzung, Hypertextverwaltung usw.).

4. Keine Angst vor der Bewahrung der Philologenidentität

Während all dieser Bestrebungen dürfen wir nicht vergessen, dass wir doch Phi-lologen sind. Philosophie und Philologie bedeuteten jahrhundertelang die Wis-senschaftlichkeit schlechthin. Sie haben Europa und die europäische Kultur groß gemacht. Ohne philosophische und philologische Grundlagen gäbe es heute auch keine Natur- und technischen Wissenschaften. Wir dürfen uns keinen Min-derwertigkeitskomplexen hingeben. Wenn wir auf unserer Aufgabe beharren, können wir entscheidend zur Verhinderung eines drohenden Kulturverfalls bei-tragen.

In document Deutsch 3.0 Konferenzband (Pldal 197-200)