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Die böhmischen Länder / Tschechoslowakei / Tschechi- Tschechi-sche Republik

In document Deutsch 3.0 Konferenzband (Pldal 32-37)

Die höchst unterschiedlichen Geschichten der und des Deutschen in Mittel-, Ost- und Südosteuropa

2. Die böhmischen Länder / Tschechoslowakei / Tschechi- Tschechi-sche Republik

Diese so früh einsetzende bairische Ost- und Südostsiedlung ist Sache vornehm-lich Passaus und Salzburgs, ein bisschen auch Freisings, Regensburg wirkt im bai-rischen Norden in Richtung Osten, will heißen: Böhmen. Böhmen ist bis 973 Teil des alten Bistums Regensburg, erst dann wird eine eigene Diözese Prag begrün-det. Die historische Intensität der Verbindung mit dem deutschen Sprachraum macht die böhmischen Länder einzigartig. Siedler vor allem aus Bayern, Öster-reich, den fränkischen Territorien und Sachsen strömen im und ab dem Mittel-alter in die Länder der Böhmischen Krone, schaff en deutsche Stadtbevölkerun-gen wie in Prag oder in Kuttenberg (tschech. Kutná Hora) und große bäuerliche Sprachinseln wie den ostmährischen Schönhengst (tschech. Hřebečsko), beson-ders aber den ganzen, Böhmen und Mähren umspannenden Rand von zuweilen bis zu 60 km Tiefe. Kein heutiger Staat im nun Ostmitteleuropa genannten Raum und keine Sprache wie das Tschechische, der bzw. die eine engere

Durchdrin-gung mit dem Deutschen aufwiesen, im deutschen politischen Zusammenhang bis zum Ende des alten Reiches und dann noch als Teil Österreichs bis 1918. Die historische Symptomatik dessen ist allumfassend, zeigt sich in vor allem deut-schem Lehnwortschatz im Tschechischen, in Orts- und Personennamen, auch und besonders im beiderseitigen Exonymenbestand.

Die umfassende Geltung der deutschen Sprache auf dem Gebiet der heu-tigen Tschechischen Republik seit dem Mittelalter bis 1945 ist freilich, die zwei Jahrzehnte der Tschechoslowakischen Ersten Republik ausgenommen, Herr-schaftsgeschichte der und des Deutschen par excellence. Deutsch war Staats- und Bildungssprache und Tschechisch schien im 18. Jahrhundert schon dem Un-tergang geweiht. Sowieso bis 1918 unter dem Dach Österreichs, aber auch noch bis 1939 in der Tschechoslowakei war Deutsch in den böhmischen Ländern in sei-ner soziolinguistischen Position nicht anders als in Deutschland oder Österreich, hatte infrastrukturell alles, was es braucht: Schulbildung von Volksschule bis Uni-versität, Presse, Literatur – bekannterweise herausragend im deutschen Raum –, politische Parteien der deutschen Sprachgruppe usw. usf. Insofern schien sich nach der politischen Wende 1989 auch für die deutsche Variationslinguistik qua-si naturgemäß die Frage aufzudrängen, wie nach Vertreibung bzw. Abschiebung – dies die Übersetzung des im Tschechischen verwendeten Terminus odsun – die doch einigen Zehntausend nicht Vertriebenen, sondern im sprachlichen Paral-lelismus so genannten Verbliebenen ihre deutsche Sprache wohl weiter hand-haben, auch und vor allem angesichts einer doch besonderen Situation und historischen Tiefe wie eben beschrieben. Nach vorbereitenden Arbeiten schon ab Beginn der neunziger Jahre läuft bzw. lief seit gut einem Jahrzehnt an den Universitäten Regensburg, Wien und Brünn das Forschungsprojekt ADT, der Atlas der historischen deutschen Mundarten auf dem Gebiet der Tschechischen Republik3. Seine Forschungsergebnisse nun sind überwältigend und ernüchternd zugleich.

Sie sind überwältigend für die traditionelle Dialektgeographie mit ihrem stark historischen Interesse, indem sie den Blick auf eine deutsche Sprachgrenzland-schaft ermöglichen, die durch die politischen Umstände der Jahrzehnte danach auf dem Stand von 1945 konserviert blieb. Dies bedeutet nicht nur die abermali-ge Bestätigung kleinräumiabermali-ger Konservativität und alter dialektaler Formen, son-dern auch Einblicke in schon in der ersten Hälfte des 20. Jhs. bestehende bzw.

sich entwickelnde Varietätenvielfalt.

3 Das Forschungsprojekt ADT ist aktuell (2014) abgeschlossen, seit 2014 erscheinen die eigentlichen Atlasbände. Von vorgesehenen sieben Bänden sind bis dato erschienen Band II (Lautlehre 1; Rosen-hammer / Dicklberger / Nützel 2014) und Band VI (Lexik 1; Halo / Rothenhagen 2014).

Ernüchternd hingegen erscheint der Blick auf das Deutsche in Tschechien im Hinblick auf Sprachkontakt und auf Interlingualität und Interkulturalität. So sehr immer wieder einmal die Jahrhunderte währende gegenseitige und einigerma-ßen gleichgewichtige kulturelle Durchdringung von Tschechen und (zumindest angrenzenden) Deutschen heraufbeschworen wird, sei es in Bräuchen, Musik oder Bierkultur, so wenig scheint sie mir sprachlich gegeben – zumindest fürs Deutsche, das sich in diesem Fall eindeutig als typische Mehrheits- oder domi-nante Sprache zeigt. Fallweise erwähnte syntaktische Strukturen des Haupt- und Nebensatzes vom Typ Er hat müssen arbeiten / dass er hat müssen arbeiten, im Üb-rigen auch das typisch ostösterreichische Bildungsmuster, erscheinen im ganzen ostmittel- und südosteuropäischen Raum auf diese Weise. Sie sind in ihrer Häu-fi gkeit wohl als Folge slawischer Stützung zu sehen, treten aber im Deutschen auch weitab vom Slawischen auf. Auch der sonst off enere Bereich des Wortschat-zes verhält sich eher restriktiv und kleinräumig, gesamtstaatlich scheint Deutsch in Böhmen und Mähren kaum etwas zu einen, allenfalls das allgegenwärtige no aus tschechisch ano „ja“ im Gespräch. Das weitreichende Fehlen ganz Böhmen und Mähren übergreifender sprachlicher Elemente war schon ein – naturgemäß erst in der Zeit in der Ersten Tschechoslowakischen Republik erkanntes – Symp-tom einer Minderheitssprache, die historisch eben Mehrheitssprache gewesen war, von Nachkriegs-sudeten deutschen Forschern wie Beranek4 hochstiliserte Schibboleths wie Schmetten für Rahm (tschech. smetana) in dieser Einfachheit der Sprachwirklichkeit nicht entsprechend. Interessanterweise scheinen auch die wenigen hoch- und schriftsprachlichen Spezifi ka des Deutschen in Böhmen und Mähren in diesen Jahren zu verlöschen. Den Übergang von einer einheimischen, gewachsenen und vor allem muttersprachlichen deutschen Sprachlichkeit zu Deutsch als Fremdsprache, allenfalls Sprache des wichtigsten Nachbarn, mag als letztes Beispiel hier das Ende der Prager Volkszeitung vor sieben Jahren im Vergleich mit der aktuell dominierenden tschechischen Wochenzeitung in deut-scher Sprache – eine deutsche Tageszeitung gibt es seit dem Krieg nicht mehr –, der Prager Zeitung, zu exemplifi zieren. Letztere ist ein vor allem für Deutsche, Österreicher und Schweizer in der Tschechischen Republik gemachtes Blatt, sein Deutsch das Deutsch seiner deutschen, österreichischen und Schweizer Redak-teure. Die Prager Volkszeitung aber, seit den fünfziger Jahren erschienen und die alte deutsche Sprachtradition Böhmens und Mährens in sich tragend, war all

4 Beranek ist der herausragende Vertreter des Konzepts der „sudetendeutschen Umgangssprache“, einem letztlich gescheiterten Versuch der Konstruktion einer alle Deutschen der neuen Tschecho-slowakei verbindenden Staatsvarietät des Deutschen. Dazu vgl. Beranek (1970).

die Jahre von so genannten tschechoslowakischen und zuletzt tschechischen Staatsbürgern deutscher Nationalität gemacht worden. Sie schrieb im einheimi-schen Deutsch, einem Deutsch, das noch genauer zu untersuchen eine lohnen-de Aufgabe wäre, das, so scheint es, regionale Spezifi ka in sich trug wie auch ty-pisch österreichische, und oft scheint es regionales Spezifi kum gewesen zu sein, dass Österreichisches in Böhmen und Mähren und auch noch in der Tschecho-slowakei dort österreichischer als in Österreich selbst gehandhabt wurde.5 Ein-drückliches Beispiel: Auch keine einzige österreichische Tageszeitung hat zuletzt noch beide älteren, sprachlich gleichsam deutscheren6 Monatsbezeichnungen Jänner und Feber verwendet, sehr wohl aber die Prager Volkszeitung. Mit diesem Gebrauch „übrig“ ist heute einzig noch die Neue Zeitung aus Budapest!

Deutsch wird in der Tschechischen Republik mehr und mehr allein Fremd-sprache, und doch wird Deutsch, auch als zweite Fremdsprache nach Englisch, in der Tschechischen Republik immer eine besondere Rolle spielen. Es ist nicht nur Sprache des größten Nachbarn, sondern weiter auch einheimische Sprache auch heute noch auf Tausenden Baudenkmälern, als dominante Sprache der Ar-chive und Bibliotheken, der eigenen Geschichtsschreibung und Wissenschafts-geschichte, in Abertausenden Familiennamen, aber auch Ortsnamen vom Na-men Prags bis zu jeder Straße und Gasse in Olmütz (tschech. Olomouc), Bud-weis (tschech. České Budĕjovice) usw., Namen, die heute in der Tschechischen Republik, wenn man in deutscher Sprache schreibt, auch wieder normal und vorurteilslos verwendet werden. Vor allem der tschechischen Seite ist es heute zuzuschreiben, dass die deutschen Exonyme nicht sang- und klanglos unterge-hen. Als lebendige und einheimische Sprache ist Deutsch heute nicht mehr Teil der Tschechischen Republik, wenn man der Realität ins Auge sieht, auch nicht einer sogenannten Minderheit. Was soll das für eine Minderheit sein, ohne er-kennbares Siedelgebiet, vorwiegend aus über 80-Jährigen bestehend, ohne Schulen, ohne Fernsehen, vor allem ohne Kinder? Hier wird einzig der verblie-bene Rest nachbetreut. Das Verhängnis begann schon damit, dass man die Deut-schen der Ersten Republik, ein Viertel der tschechoslowakiDeut-schen Bevölkerung,

5 Dazu vgl. Scheuringer (2006).

6 Gemeint hier: Alle Formen, Januar, Jänner, Februar und Feber, sind synchron natürlich deutsche Wörter. Historisch sind sie Entlehnungen, wobei Jänner und Feber ältere Entlehnungen sind als Ja-nuar und Februar, denn sie zeigen mehr an rein deutschen Lautentwicklungen (Umlaut im Falle von Jänner, Nebensilbenabschwächung in beiden Fällen) und sind in diesem Sinne „deutscher“ als die später bzw. noch einmal entlehnten und darum dem Lateinischen sehr nahen Formen Januar und Februar.

gar ein Drittel im Land Böhmen, als Minderheit betrachtete. Kein Land auch in ganz Ostmittel- und Südosteuropa außer der Tschechischen Republik, in dem sich Geschichte und Gegenwart der Deutschen so diametral entgegenstünden.

Die Verbindung besteht ungebrochen nur über Sprachgeschichte und Sprach-kontakt. „Nutzbarmachungsvorschlag“ aus Ersterem: In Ansätzen erst hat die deutsche Sprachgeschichte der Zwischenkriegstschechoslowakei, der Ersten Republik, Beachtung gefunden. Sie ist Exempel schlechthin für Sprachkonfl ikte und Lösungsmöglichkeiten dafür in einer demokratischen Gesellschaft, aus ihrer Geschichte könnte auch viel für heutige Konfl ikte gelernt werden. Auch Letzte-res, der Sprachkontakt eines Jahrtausends, könnte weitaus besser genutzt wer-den als er bis dato genutzt worwer-den ist. Auch hier verstellen noch immer starre Bretter vor den nachkriegsnationalstaatlich geprägten Köpfen die Sicht.

So wie Österreichs Sprachnationalisten ihr Gegenbild, wenn nicht ihren Geg-ner, den sie einfach Deutschland nennen, de facto nur in Norddeutschland fi nden und zum Beispiel Bayern, weil zu ähnlich und zu nah, gefl issentlich übergehen, stehen sich oft auch Europas Hochsprachen distanzierter gegenüber als seine Alltagssprachen. So lernen deutsche und tschechische Deutsch- und Tschechi-schlerner die Entsprechung Stuhl – židle, wissen aber im Normalfall nicht von der Gleichung Sessel, mit der zumindest Österreicher weitaus besser leben könnten, viele Altbayern und Österreicher auch mit der Gleichung Polster – polštář. Auch Paare wie Ribisel – rybíz oder wie Kren – křen sind hier zu nennen. Kurzum: Gera-de über das Deutsche und hier wieGera-der besonGera-ders das Bairische und hier wieGera-der besonders Österreich lassen sich mitteleuropäische und Donauraumsprachare-ale ausmachen, die, würden wir sie uns wieder mehr ins Bewusstsein rufen und sie dann besser nutzen, uns in unserem sprachlichen und weiteren Lernen und Zusammenleben bedeutend weiterhelfen würden. Nicht nur der sattsam be-kannte Balkansprachbund, auch der Donausprachbund und das mitteleuropäi-sche Sprachareal quellen über vor Beispielen, am plakativsten darin sicherlich die Wortbeispiele, und auch das Ungarische, typologisch so anders als die anderen Sprachen Europas, ist selbstverständlich dabei.

Ein paar Beispielgruppen: So haben wir – die historisch nächstliegende und durchsichtigste Gruppe, die bekannten Monarchiewörter, Lexeme österreichi-scher Amtssprachlichkeit, wie dt. Trafi k – tsch. trafi ka – ung. trafi k, dt. / ung. Ma-tura/matura – tschech. / slowak. maturita, dt. / ung. / tschech. / slowak. Deka für

„zehn Gramm“ u.v.a.m. Manche dieser Wörter sind im Deutschen, wenn sie nicht mehr dem Amtsbereich angehören, oft nicht mehr gesamtösterreichisch, Ribisel zum Beispiel, ung. ribiszke und ribizli, tsch. rybíz, slowak. ríbezle, manche reichen

weit nach Bayern hinein, zum Teil hochsprachlich, zum Teil nur dialektal, wie dt.

Semmel, ung. / tschech. zsemle / žemle, lautungsgleich, nur unterschiedlich ge-schrieben, wie das deutsch-ungarisch-tschechisch-slowakische Wort Karfi ol, das früher auch das (alt)bayerische Wort war und heute gesamtbundesdeutschem und der den Deutsch als Fremdsprache-Unterricht bestimmenden Form Blumen-kohl weicht, und wie das Bayern, Österreich und Ungarn emotional verbinden-de Servus / Szervusz, auch dem Tschechischen und Slowakischen nicht fremd.

Der Großteil der Wörter gleichwohl ist gesamtdeutsch-ungarisch-tschechisch usw., auch in mehreren Richtungen entlehnt und gleichsam verliehen, wie dt.

Petschaft, ung. pecsét, tsch. pečeť, wie das deutsch-ungarisch-tschechisch-slo-wakisch-kroatische usw. Wort Paprika. An einer Wortfamilie wie jener rund um dt. Schrein, ung. szekrény, tschech. skříň und ähnlich auch in den weiteren sla-wischen Sprachen lässt sich mitteleuropäische und Donauraumkulturgeschich-te darsDonauraumkulturgeschich-tellen. Das geht im nicht mehr hochsprachlichen Wortschatz noch viel weiter, man vergleiche dt.-ung-tschech.-slowak. Rucksack oder Gesindel / ksindl / kszindli, und setzt sich in Phraseologismen, semantischen Gleichungen, auch in der Schriftgeschichte fort. Ein riesiger, heute weitgehend brachliegender Schatz, den zu nutzen wir weitgehend verlernt haben. Ich zitierte den Wiener Slawisten Stefan Newerkla (2002: 9):

Die Ursachen dafür sind […] in den geschichtlichen Ereignissen des 20.

Jahrhunderts samt seinen trennenden Grenzlinien, Migrations- und Emi-grationsbewegungen sowie umwälzenden Entwicklungen in Gesellschaft, Industrie und Technik besonders nach dem Zweiten Weltkrieg zu suchen, – und nicht zuletzt auch im Wechsel der Generationen.

Fast möchte man hoff en, dass die neuen, aktuellen Migrationsbewegungen zwi-schen unseren Völkern und Sprachen uns diese große alte Vielfalt wieder ins Be-wusstsein bringen mögen. Das Deutsche ist hier historisch das verbindende Ele-ment, in der Siedelgeschichte der kleinen Leute wie in der Herrschaftsgeschichte der Großen. Es sollte eine neue Rolle fi nden als International- oder Interregional-sprache im östlichen Europa, zuweilen, wie im Falle der Tschechischen Republik, auch nach seinem Ende als einheimische Muttersprache.

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