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Das Verbsystem in der Hoffmann-Grammatik

Pragmatische Inspirationen für den künftigen Grammatikunterricht

2 Pragmatische Erkenntnisse zum deutschen Verbsystem als didaktische Vorgaben

2.6 Das Verbsystem in der Hoffmann-Grammatik

Glücklicherweise gibt es seit einigen Jahren eine neue Grammatik speziell für die Lehrerausbildung und die Schule. Sie stammt von Ludger Hoffmann (2013; 1. Aufl. 2012). Sie kann Anregung und Anleitung geben für notwendi-ge Neuorientierunnotwendi-gen in die oben darnotwendi-gestellte Richtung. Es steht damit eine Grammatik zur Verfügung, die auf der Analyse von realen Diskursen und Texten beruht und auch solche Beispiele bringt. Formale Eigenschaften des Deutschen werden ernst genommen und ihre Funktionen werden mit einem überschaubaren Apparat pragmatischer Kategorien verständlich dargestellt.

Die Zweiteiligkeit der Prädikation wird ebenfalls früh eingeführt.10

Die Darstellung des Verbs beginnt Hoffmann sinnvollerweise mit dessen allgemeiner Funktionalität als grammatisches Zentrum der Prädikation im Satz und als dessen inhaltliches Zentrum („Vollverb“), das den Gedanken kommunikativ zugänglich macht (Hoffmann 2013: 228). Auch Hoffmann sieht eine Reduktion des Formenparadigmas der Verben als nötig an: Nur finite Formen haben daran teil. In der Umsetzung bei Hoffmann wird diese Erkenntnis knapp und bündig vorgestellt (a.a.O., S. 234):

Das Deutsche hat nur zwei Grundtempora: Präsens und Präteritum; alle anderen sind zusammengesetzt und ihre Bedeutung ist aus den Bestandteilen und ihrer Zusammenfügung heraus zu erklären.

10 Hoffmann stellt sich zu diesem Thema in seiner Grammatik etwas inkonsequent, wenn er sagt, im Deutschen bestehe häufig „das Verb aus einem Verbalkomplex“ (a.a.O., S. 231); sinnvoller wäre hier zu sagen, dass das Prädikat aus einem Verbalkomplex besteht.

Dem entspricht die kurze tabellarische Darstellung mit nur drei Zeilen (a.a.O., S. 235). Diese m.E. maximal ökonomische Darstellung der Verbformen und -komplexe ergänzt er durch beispielreiche Funktionsbeschreibungen, auch durch Hinweise auf dialektalen Formengebrauch und freie Partizipial-konstruktionen (wie von Redder [2003] gefordert), an einem literarischen Beispiel. Hoffmann behält verbformbezogen die Rede von „Personen“ bei, bietet aber eine gut verständliche Erläuterung der deiktischen Formen, die er

„sprecherfundiert“ bzw. „hörerfundiert“ nennt (Hoffmann 2013: 230):

Die Fundierung auf dem Sprecher (Autor) nutzt deiktische Mittel (Subjekt-ausdruck: ich, Personalendung –e), die Hörer oder Leserfundierung ebenfalls (Subjektausdruck du, Personalendung –st). Bei besprochenen Dingen oder Per-sonen finden wir andere Mittel (Subjektausdruck symbolisch: Paula, Fisch oder anaphorisch; sie, phorische Personalendung –t).

Redders analytische Bestimmung der „deskriptiven Prädikate“ ersetzt Hoffmann durch den themenbezogenen Begriff „Besprochenes“ (a.a.O.

S. 24). Daraus resultiert „ein klarer Formaufbau des deutschen Finitums“, wie von Redder gefordert (vgl. Redder 1992: 131), und eine bessere Erklärung der Funktionen. Den Begriff „Hilfsverb“ benutzt Hoffmann (2013: 242) neben der Bezeichnung „Basisverb“, ohne das theoretisch zu vertiefen. Aber er demons-triert die „Grundfunktionen“ der Basisverben in einer Tabelle (a.a.O., S. 245).

In der Vorstellung des Passivs verdeutlicht Hoffmann dessen begrenz-te Reichweibegrenz-te in engem Zusammenhang mit dem „sein-Passiv“, erweibegrenz-tert durch das „bekommen-Passiv“. Die Funktionalität wird über den Begriff der „Perspektivierung“ erläutert (a.a.O., S. 285), die handlungstheoretische Einordnung des sein-Passivs wird graphisch gut verdeutlicht (a.a.O., S. 290).

3 Fazit

Mit der Einsicht, dass das Deutsche, formal gesehen, kein Futur und kein Passiv hat, steht Redder nicht allein. Aus didaktischen Überlegungen hatte sich schon Werner Bartsch (1980) dafür ausgesprochen, nur zwei Tempora vorzusehen und zu den Basisverben verschiedene Perspektiven zu ver-mitteln, die „sein-“, die „haben-“ und die „werden-Perspektive“ vor allem.

Leider ging er nicht so weit, die Einteilung in Voll- und Hilfsverben abzu-lehnen. Der zentrale Fortschritt, den Redder begründet, liegt darin, nicht ein Gesamtparadigma mit vielen ein- und mehrteiligen Formen eines Verbs anzu-nehmen, sondern „von einem analytisch vorgehenden Prädikationsverfahren“

auszugehen (Redder 1999: 328). Sprecher und Hörer müssen diese Verfahren

natürlich nicht immer neu erfinden oder ausdeuten, die Kombinierbarkeit in einer analytischen Prädikatsform gehört zu ihrem operativen Sprachwissen.11

Das Ausgehen von der Eigenbedeutung des Basisverbs bringt didaktisch auch noch den Vorteil, dass man beim Zustandspassiv die Nähe zu Prädikaten mit Adjektivkomplementen nutzen kann – also von Er ist mitgenommen. zu Er ist krank. – und in der Progression nicht an den Erwerb des ‚Passiv‘ an-schließen muss. Dabei erlaubt es die Zerlegung des Prädikats in Basisverb und Komplement, den resultativen oder perfektiven Aspekt, der durch das Parti- zip II hinzukommt, deutlicher zu thematisieren. Die Einbeziehung des Aspekts würde besonders Lernern, die selbst von einer slawischen oder anderen Aspektsprache herkommen, ein besseres Verständnis deutscher Verbformen ermöglichen (Redder 1992: 146f.).

Natürlich muss die linguistische Beschreibungsweise dem expliziten Sprachwissen der jeweiligen Lerner angepasst werden, Vorschläge und Erfahrungen liegen hier und da vor12 und sind auch in die Hoffmann-Grammatik eingegangen. In diesem Beitrag ging es erst einmal um didakti-sche Grundprinzipien, nämlich die Frage, was gelernt werden soll und wie das begründet ist. Es ist hoffentlich deutlich geworden, dass nicht nur die ange-sprochene Vereinfachung des Verbparadigmas als Vorteil zu sehen ist, sondern dass auch die einzelsprachliche Adäquatheit einer grammatischen Beschreibung wichtig ist. Je besser das gelingt, desto eher kann das aufgebaute Sprachwissen auch ein „handlungspraktisches Bewusstsein“ werden (Redder 1998).

Von einer pragmatischen Umorientierung im oben erläuterten Sinne her sind Erweiterungen in verschiedene Richtungen einfach möglich, z.B. können die ebenfalls bildungssprachlich relevanten sog. Funktionsverbgefüge (nach Angelika Storrer werden sie besser als Verb-Nomen-Gefüge bezeichnet) struk-turell gut erfasst werden.

Sprachlehrer, die den Nutzen einer Umstellung auf die funktionale Gram-matik bezweifeln, sollten sich fragen, ob es außer der Tradition und der Gewohnheit gute Argumente für das lateinorientierte Grammatiksystem gibt. Manche verteidigen die etablierten grammatischen Kategorien mit dem Verweis auf die vielen europäischen und auch außereuropäischen Sprachen, die eine lateinbasierte Grammatiklehre praktizieren, was die Übersetzung und das Erlernen erleichtere. Zwar kann man ein französisches Futur oder ein englisches Passiv mit werden ins Deutsche übersetzen, aber das Ergebnis ist

11 Der auf Basis der Bühlerschen Feldeinteilung gewonnene Begriff ‚Operationsfeld‘ umfasst alle sprachlichen Mittel für die mentale Bearbeitung der Teile der Propositionen und ihrer Zusammenhänge.

12 Vgl. Berkemeier (2011) für den Grund- und Hauptschulunterricht, Graefen (2004) für DaF-Kurse, Graefen/Moll (2011) für die Wissenschaftssprachvermittlung.

oft eine kommunikativ unpassende Äußerung, die konstruiert wirkt. Sowohl grammatische wie auch semantische Differenzen der beiden Sätze werden dabei leicht übersehen. Das spricht gegen die Beibehaltung unpassender Kategorien.

Wie erfolgreich die Rezeption der Hoffmann-Grammatik bei angehenden Lehrern verläuft, sollte noch geprüft werden. Nach Berkemeier (2011: 61) erfordert eine Umstellung „für Lehrkräfte ein komplexes Umdenken“. Für DaF-Lerner in jüngerem Alter gelingt das Verständnis evtl. leichter, da ihr

„Sprachwissen zweiter Stufe“ (Redder 2000: 3) noch weniger festgelegt ist und sie der allgemeinen Kanonisierung der Kategorien (vgl. Menzel 1975 und Ehlich 2002) noch weniger ausgesetzt waren.13 Schüler können in einem auf-geklärten Unterricht, wie Redder (2000: 2) sagt, zu „einfachen praktischen Sprachexperten“ mit sprachtypologischen Grundkenntnissen werden.14 Vorausgesetzt, ihre Lehrer lassen sich auf neue Erkenntnisse ein.

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13 Hier scheint mir Engel zu übertreiben: Primär fixiert das Tempus Präsens ein Geschehen zeitlich in der Gegenwart des Sprechers. Die szenische Inszenierung von Vergangenem beim Erzählen und auch die Darstellung allgemeiner Wissensinhalte im Präsens widersprechen keineswegs seiner Grundfunktion.

14 Das müsste allerdings Konsequenzen für die Lehrerausbildung haben, die immer noch zu sehr philologisch und zu sehr literaturbezogen ist.

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Integration statt Separation: