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Die Schweiz als Exilort

Das Exil als Resultat ständiger Krisenerfahrungen im Leben von Arthur Holitscher

3. Die Schweiz als Exilort

Die Geschichte der deutschen Exilanten in der Schweiz beginnt eben nicht mit dem Zweiten Weltkrieg. Das Thema Exil spielte in der deutschen Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine zentrale Rolle: Schon die Gegner des Wilhelminischen Obrigkeitsstaates und die Kritiker der Kriegsführung im Ersten Weltkrieg sollten das Land verlassen. Ganz viele wanderten in die Schweiz aus, wo sie noch freundlich aufgenommen wurden. Nach 1933 war aber die Gast-freundschaft der Schweizer nicht mehr zu finden. Die schweizerischen Behörden haben die Einwanderer misstrauisch beobachtet und haben diese unwürdig be-handelt. Die schweizerische Asylpolitik wirkte sehr restriktiv auf die Exilanten, sie durften in der Schweiz keineswegs politisch tätig sein, es galt auch ein Ar-beitsverbot für die Flüchtlinge. So war das Exil noch schwieriger zu ertragen.

Auch Thomas Mann, der in der Schweiz als Schriftsteller sofort akzeptiert wur-de, hat nach dem ersten Exiljahr skeptisch an Rudolf Kayser über die Situation in diesem Land wie folgt geschrieben: „Zu diesem Land wage ich Ihnen nicht, Mut zu machen. Es ist vielleicht das […] den Ausländern abholdeste von allen.“

In seinem Schweizer Exil fühlte sich Robert Musil auch nach drei dort ver-brachten Exiljahren vereinsamt, und bis zur endgültigen Verzweiflung getrieben.

Holitscher lebte nach einer Zeit, noch am Anfang seiner Schweizer Jahre, im Kreis seiner Bekannten und Freunden, u. a. Robert Musil, Else Lasker-Schüler.

Nach einem Aufschwung innerhalb der angegebenen Situation folgte aber eine starke Isolation von Holitscher: Er geriet in einer ähnlichen Vereinsamung und Isolation wie damals in Ungarn und später in Deutschland, weil er zwischen den verschiedenen Gruppierungen innerhalb der Exilanten nicht lavieren konnte und wollte.

Das Jahr 1932 war sehr chaotisch für Holitscher. Wir finden auf der ersten Seite des Kalenders noch den Stempel mit seinem Namen und seiner Berliner Adresse. Weil er Deutschland nur am 21. März verlassen hatte (s. den Eintrag dieses Tages: Abschied), war diese Adresse noch gültig. Auf der ersten Seite

„Außerdem lebte man ja, ob man wollte oder nicht, im »Galuth«, dem Exil.“ 91

finden wir noch zwei weitere Adressen: Paris, Victoria Palace Hotel, Rue Blai-se Desgoffe, bzw. Zürich, Schwesternhaus v. Roten Kreuz. DieBlai-se zwei AdresBlai-sen bedeuten die anderen Wohnsitze von Holitscher im Jahr 1932, genauer: in Paris wohnte er zwischen dem 22. März und dem 16. August, in Zürich ab dem 17.

August. In der Zeit der Pariser Aufenthalt besuchte er auch die ungarischen Emigranten, wie Mihály Károlyi, György Bölöni, Lajos Hatvany, Gyomay.

Dann fuhr er nach Zürich, wo er bis am Ende des Jahres blieb. Wegen seiner Augenkrankheit hatte er in der Schweiz mehrere Operationen gehabt.

Wir wissen aus seinen Lebenserinnerungen, dass er schon vor der Macht-übernahme der Nationalsozialisten (und nicht nach der MachtMacht-übernahme, wie in vielen Lexiken steht!) Deutschland verlassen hatte, und sein Leben – wie ganz viele von seinen Zeitgenossen, wie etwa Thomas Mann, Kurt Tucholsky, Ernst Toller u. a. – im Exil weiterführen musste.

Diese veränderte Situation hat auch ganz viele existentielle Probleme verur-sacht. Holitscher war unter den ersten Schriftsteller, dessen Bücher in Deutsch-land verbrannt wurden. Im Exil war die Gelegenheit des Publizierens nicht im-mer gesichert. Hier sollen wir unbedingt erwähnen, dass Holitscher sich schon vor dem Zweiten Weltkrieg von bestimmten Gesellschaftsgruppen Deutschlands isoliert hat, und solche politische Themen in seinen Werken behandelt hat, die für viele unangenehm waren. Schon viel früher, im Jahre 1928 erscheint der zweite Band seiner Lebensgeschichte, welcher einen großen Skandal ausgelöst hat. Wegen der politischen Brisanz und der persönlichen Geständnisse, die sich in diesem zweiten Band seiner Memoiren befinden, hat sich Samuel Fischer ge-weigert, das Werk zu publizieren. Aus diesen Gründen hat der Verleger Samuel Fischer sein zweites autobiographisches Werk Mein Leben in dieser Zeit. Der

„Lebensgeschichte eines Rebellen“ zweiter Band (1907–1925) nicht veröffent-licht, und so ist es bei dem Verleger Gustav Kiepenheuer in Leipzig erschienen.

Kurz nach der Veröffentlichung wurde aber der Vertrieb verboten.

Auf der ersten Seite des Kalenders aus dem Jahre 1933 finden wir wieder mehrere Adressen: Zürich, Schwesternhaus von Roten Kreuz; Ascona, Casa Bel-laria; Zürich, Hotel Habis Royal; Locarno, Hotel Metropole. Dieses Jahr ist das Jahr der Machtübernahme von Hitler in Deutschland und eine ganz schwierige Periode für Holitscher auch, der immer wieder über die politische Situation in Deutschland und in der Welt reflektiert.

Obwohl Holitscher im Jahr 1934 mehrere Reisen in Frankreich (Paris), Wien, Ascona und Lugano unternommen hatte, finden wir auf der ersten Seite des Kalenders aus diesem Jahr nur die Unterschrift von Holitscher und nur eine Orts- und Zeitangabe: Zürich, 6. 1. 34.

Im Jahr 1933 und in den paar darauf folgenden Jahren bedeuteten für Holit-scher die Veröffentlichung seiner Werke und das Erscheinen seiner Aufsätze in

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den verschiedenen Zeitungen der Emigration noch keine Schwierigkeiten. Schon 1933 erschien in einer Aufsatzsammlung verschiedener Verfasser sein Beitrag, der sich Die Juden in der heutigen Zeit nannte; in der ersten Nummer der Neuen deutschen Blätter brachte er als Vorabdruck ein Kapitel heraus, das als Titel ei-nes größeren Werkes gedacht war und die Zustände im Dritten Reich karikieren sollte: Gullivers Reise zu den Bläharien.

Mit der Zeit sind die Möglichkeiten des Autors immer geringer geworden, die Pläne für eine längere Reise, vielleicht nach den USA (Kalifornien) sind nur Träume geblieben. Die Kalender-Einträge berichten sehr präzis, manchmal so-gar zu präzis über die finanziell-existentielle Lage von Arthur Holitscher. Die finanzielle Lage des Autors ist so schlecht geworden, dass er sich keine längere Reise und keinen längeren Aufenthalt in Frankreich, England, Belgien oder Un-garn mehr leisten konnte. So finden wir im Jahr 1935 nur eine Adresse in sei-nem Kalender: Ascona, Tessin, Schweiz. Das bedeutet aber keine Sicherheit oder die gefundene Heimat im Exil, sondern genau den Gegenteil: in Ascona fühlte sich Holitscher wie in einem Gefängnis. Die zahlreichen Einträge berichten über diese elende Situation eines Menschen, der krank, verlassen, sogar vergessen in einem fremden Land leben, weiterleben soll. Er macht ständig Pläne für das Überleben, obwohl diese nur als Selbstermutigungen funktionieren, sie sollen die Neigungen zum Suizid vertreiben.

Die letzten drei Jahre vermitteln ein sehr trauriges Bild über den totalen kör-perlichen und psychischen Abbau eines Menschen. Hier haben wir aber mit ei-nem solchen Schriftsteller zu tun, der auch in diesen Jahren die Möglichkeiten des Selbstausdrucks sucht. Immer wieder umsonst, denn die „Wohltäter“ sind nicht mehr zu finden, die Freunde sind immer weniger geworden, oder wie Ho-litscher selbst in einem Eintrag formuliert: „Das Ende fängt an.“

Zusammenfassend kann man feststellen, dass das Leben von Arthur Holit-scher durch ein ständiges Exil gekennzeichnet ist, und zwar können wir in sei-nem Fall sogar mehrere Arten des Exils voneinander unterscheiden. Als Kind und später als junger Mann sah er seine Heimat als Exilort, und suchte andere Orientierungspunkte, als Erwachsene leidet er unter der Unsicherheit eine Hei-mat (und damit seine eigenes Selbst/seine eigene Identität) zu finden. So wurde das Exil sein Schicksal.

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