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Die Faszination der Krise: Die Apokalypse des Johannes

Die letzten Tage der Menschheit (Epilog: Die letzte Nacht)

1. Die Faszination der Krise: Die Apokalypse des Johannes

Im allgemeinen Sprachgebrauch wie auch in den Künsten operieren wir mit ei-nem Begriff, der aus der Bibel stammt: Apokalypse. Bei ihr handelt es sich um das letzte Buch der Bibel, welches seinen Namen aus dem ersten Wort im grie-chischen Original erhielt: ἀποϰάλυψις, was mit Enthüllung oder Offenbarung übersetzt wird. Als Gattungsbezeichnung Apokalyptik wird der Begriff auf die religiösen Schriften angewandt, die geheimes Wissen über die Geschichte und Zukunft der Welt und deren Ende offenbaren.1 Obwohl sich apokalyptische Schriften schon im Alten Testament finden, ist die Johannesoffenbarung aus dem Neuen Testament Namensgeber dieser literarischen Gattung:2 Diese hat

1 Siehe Conzelmann, Hans – Lindemann, Andreas: Arbeitsbuch zum Neuen Testament.

Stuttgart: UTB, 2004, S. 44f.

2 Zum Verhältnis und den Unterschieden von Apokalyptik und Prophetie siehe den Ein-trag von Eduard Reuss Johanneische Apokalypse in der Allgemeinen Encyclopädie der

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zugleich eine ganze Denkrichtung generiert3 und die europäische Geisteshaltung maßgeblich beeinflusst.

Die Genese apokalyptischer Texte, so lässt sich konstatieren, vollzieht sich meist in Zeiten der Bedrohung und Krise. Die Entstehung der Johannesoffenba-rung wird auf das Ende der RegieJohannesoffenba-rungszeit des röm. Kaisers Domitian datiert.4 Die Jahre 95/96 werden gemeinhin als eine Krisenzeit beschrieben, in der es zu spannungsvollen Auseinandersetzungen mit dem röm. Staat sowie dem Kaiser-kult kam und der Druck der Christenverfolgung zunahm.5

Die Johannesoffenbarung ist geprägt durch ein dichtes Handlungs- und Bildgeflecht. Mit einer Fülle an Bildfolgen werden die Schrecken der kommen-den Endzeit, das Weltgericht und die Errichtung eines neuen Jerusalems – das kommende Heil – dargestellt. Die Apokalypse selbst enthält Motive, die zum kulturellen Gemeingut avancierten und sich auch in Karl Kraus’ Die letzten Ta-ge der Menschheit niederschlaTa-gen. So verbinden wir mit apokalyptischen Szena-rien bspw. folgende Beschreibung aus der Offenbarung6: „da geschah ein großes Erdbeben, und die Sonne wurde finster wie ein schwarzer Sack, und der Mond wurde wie Blut, und die Sterne des Himmels fielen auf die Erde“ (Offb 6,12–

13).

Ferner sind die apokalyptischen Reiter, die Plagen sowie Tiermetaphorik und Finsternis Motive, die wir mit Zerstörung und Weltuntergang assoziieren.

Besonders auch die Darstellung des Satans prägt die Offenbarung. Zudem findet sich in ihr ein steter Dualismus zwischen der alten und neuen Welt, den wir auf qualitativer, moralischer sowie personaler und bildlicher Ebene auch in Kraus’

Werk finden.

Die gesamte Offenbarung durchzieht dabei eine Kombinatorik aus Sprache qua Rede und Schriftlichkeit; ihr ist ein weiterer intermedialer Übersetzungs-vorgang eigen – von der Optik oder Akustik in die Sprache und Schrift: „und [ich] hörte hinter mir eine große Stimme wie von einer Posaune, die da sprach:

Wissenschaften und Künste, II. Section, 22. Theil, hg. von Johann Samuel Ersch und Johann Gottfried Gruber (1843); abgedruckt in Koch, Klaus – Schmidt, Johann M.

(Hg.): Apokalyptik. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1982, S. 31–40, hier: S. 32–37.

3 Siehe Conzelmann – Lindemann [Anm. 1], S. 44.

4 Siehe Strobel, August: Apokalypse des Johannes. In: Krause, Gerhard – Müller, Gerhard (Hg.): Theologische Realenenzyklopädie. Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1978 (Bd. 3), S. 174–189, hier S. 178–179.

5 Siehe ebd., S. 187.

6 Die folgenden Textbeispiele aus der Johannesoffenbarung sind entnommen aus: Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers. Hg. von der Deutschen Bibelgesellschaft, Stuttgart: DBG, 1999, S. 280–297.

Der Erste Weltkrieg als apokalyptisches Krisenszenario 71

Was du siehst, das schreibe in ein Buch“ (Offb 1, 10–11) oder: „Selig ist, der da liest und die da hören die Worte der Weissagung“ (Offb 1,3).

Diese Übersetzung vollzieht sich durch eine Fülle an Vergleichen respektive Bildern: Ungewöhnliches, die Empirie Übersteigendes soll benannt, das Trans-zendente vermittelt werden. Somit greift der Verfasser in seinen persönlichen Visionen auf allgemein bekannte Bilder zurück, um das Unbekannte zu vermit-teln. Durch den Versuch der Darstellung des scheinbar Nicht-Darstellbaren wird die Sprache an ihre Grenzen getrieben, sie entdeckt dadurch neue Möglichkeiten und erfährt so eine Erweiterung, besonders das Niederschreiben eines apokalyp-tischen Geschehens kann eine solche Erweiterung darstellen.

Neben dem visionären Sprechen liegt eine weitere Besonderheit der Offen-barung in der Klangqualität: Zum einen findet sich eine Rhythmisierung durch formelhaftes Sprechen und Wiederholungen, bspw. der Akklamationsformel Amen oder des Halleluja. Zum anderen wird eine bestimmte Klangqualität über die Evokation zahlreicher Naturgeräusche wie Blitz und Donner oder Tiergeräu-sche vermittelt. Des Weiteren lässt sich eine große Stimmenvielfalt erkennen: In der Offenbarung herrscht eine enorme Polyphonie, die Jacques Derrida als apo-kalyptischen Ton bezeichnet: Man verliert den Überblick über Erzählstimmen und Erzählerstimme. Wer sagt wem was? Wer richtet was an wen? „Von dem Augenblick an, wo man nicht mehr weiß, wer spricht oder wer schreibt, wird der Text apokalyptisch.“7

Religiöse Modelle vom Ende und Anfang, vom Weltuntergang und Gottes-gericht gibt es in unterschiedlichen Ausprägungen. Das Besondere an der Apo-kalypse ist, dass dieser religiöse Text es vermag, die künstlerische Produktion zu animieren. Meist findet er in Krisenzeiten Eingang in die Künste; dies – viel-leicht abgesehen von der Genesis – vermögen andere religiöse Texte kaum. Die Apokalypse fungiert als Impulsgeber auch für die literarische Produktion wegen ihres visionären Charakters. Im Kern handelt es sich um die Erlösung der Gläu-bigen, das kommende Reich Gottes als Neuanfang für die auserwählte Mensch-heit. Doch finden die Schreckens- und Untergangsvisionen eine stärkere künstle-rische Bearbeitung. Dies liegt nicht zuletzt an der Besonderheit dieser Visionen:

Obwohl es sich bei den Visionen des Johannes um angeblich individuell ge-schaute handelt, wirken sie kollektiv und global.

Von großer Bedeutung ist zudem, dass die neutestamentliche Apokalypse als Endzeitmodell auch mit Zunahme der Säkularisierung der Gesellschaft über eine enorme Anziehungskraft und Wirkungsmächtigkeit verfügt. In der Moderne

7 Derrida, Jacques: Von einem neuerdings erhobenen apokalyptischen Ton in der Philo-sophie. In: Ders.: Apokalypse. Hg. von Peter Engelmann, übersetzt von Michael Wetzel.

Graz–Wien: Passagen-Verlag, 1985, S. 11–75, hier: S. 60.

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wird dies in der Kunst durch die Auseinandersetzung mit Krisenszenarien, In-dustrie, Großstadt, Militarisierung und letztlich Massenvernichtung deutlich.

Verstärkt seit 1900 provozieren die Menschen und mit ihnen die zivilisatori-schen Neuerungen und Umbrüche apokalyptisches Schreiben.

Auf besonders prägnante Weise generiert der Erste Weltkrieg neue Dimen-sionen endzeitlicher Denkfiguren, da mit Beginn der militärischen Massenver-nichtung apokalyptische Szenarien global wurden und der Mensch, nicht die Na-tur, sich selbst vernichtet. So ist die Moderne eine Epoche, die maßgeblich apo-kalyptische Ängste evoziert, wobei anzumerken ist, dass der Ursprung nicht mehr in religiösen Untergangs- und Erneuerungsfantasmen liegt, sondern im Prozess der Zivilisation selbst.8

2. Kraus’ apokalyptisches Krisenszenario: Die letzten Tage der