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Krisenhaftigkeit im postmodernen Pop-Roman

In document Großwardeiner Beiträge zur Germanistik (Pldal 195-198)

Alles ist Pop – ein Kampfbegriff in der Krise

3. Krisenhaftigkeit im postmodernen Pop-Roman

Da sich, nach Kristeva, jeder Text als Produktivität begreifen lässt, kann somit der Begriff der Krise nicht als Ort des negativen Zerfalls, sondern als diskursi-ves Element begriffen werden.7 Sowohl mit einem Text als auch mit einer Krise geht ein gewisses Maß an Produktivität einher. Der Aspekt hinsichtlich des Tex-tes ist durch Kristevas Annahme hinreichend erklärt. Die Produktivität der Krise ist so zu verstehen, als dass diese einen Raum für den Umschwung bietet, ähn-lich der Peripetie im Drama. Krise bedeutet Fortschritt, niemals Rückschritt.

Produktivität statt Stagnation. Somit kann die Krise in der popliterarischen Prosa als Wendepunkt mit vermeintlich positivem Ausgang begriffen werden. Das Loslösen aus dem krisenhaften Status hinaus ist, insbesondere im Hinblick auf die literarischen Figuren, als positiv, jedoch nicht im Sinne des komödialen Gat-tungswesens ‚Es wird gut enden’8, zu verstehen, sondern vielmehr als für die Krisenhaftigkeit der Identität. Darin zeigt sich auch genau die Notwendigkeit

einhergehenden Namens. Für die Vollständigkeit der Referenz sind beide jedoch gleich-ermaßen zu nennen.

7 Julia Kristeva, die Namensgeberin des Intertextualitätsbegriffs, radikalisiert Michail Bachtins Konzept der Dialogizität insofern, als dass Intertextualität zum Merkmal jedes literarischen Textes wird. Ihre Entgrenzung des Textbegriffs führt dazu, dass der Text selbst als Raum für die Intertextualität verstanden wird, in dem sich ein „Mosaik von Zitaten“ bildet. „Jeder Text ist Absorption und Transformation eines anderen Textes“, wodurch die Produktivität mit ihm einher geht und eine Konstruktion des Textes nie als abgeschlossen betrachtet werden kann. (Kristeva, Julia: Bakhtine, le mot, le dialogue et le roman. Critique 23(239) 1967.S. 438-465. Deutsche Ausgabe: Kristeva, Julia:

Bachtin, das Wort, der Dialog und der Roman. In: Ihwe, Jens (Hg.): Literaturwissen-schaft und Linguistik. Ergebnisse und Perspektiven. Bd. 3: Zur linguistischen Basis der Literaturwissenschaft II. Frankfurt a.M.: AthenŠum, 1972, S. 345–375.

8 S. zur Weiterführung: Aristoteles: Poetik. Griechisch/Deutsch. Aus dem Altgriechi-schen von Manfred Fuhrmann. Stuttgart: Reclam, 1982.

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einer Krise für den popmodernen Roman. Dieser wird durch die Heterogenität von Gesellschaft, Identität, Wahrnehmung und Kultur vorangetrieben.

Diese Annahme lässt sich exemplarisch an Goethes Werther, der pars pro to-to zu verstehen ist, veranschaulichen. Gekennzeichnet von der gesellschaftlichen und institutionellen Einbindung durchläuft die Figur Werther die Adoleszenz.

Die kritischen Situationen, die sich in der Abzeichnung des Gesellschaftssys-tems des 18. Jahrhunderts erkennen lassen, führen vielmehr zu einer Katastrophe als zu einer Krise, wobei die Katastrophe als möglicher Ausweg aus der Krise verstanden werden kann.

Die krisenhafte Adoleszenz und die unerfüllte Liebe dienen als Methode popliterarischer Prosa. So wie diese Motive das Leiden Werthers und somit den Roman vorantreiben, so ist dies auch etwa in Stuckrad-Barres Soloalbum wie-derzufinden. Auch hier erfährt der Protagonist Ben krisenhafte Situationen, die mit dem Durchlaufen der Adoleszenz einhergehen. Ebenso ist das Ende der Ro-mane, die sich beide als Krise begreifen lassen, in einem für die jeweilige ‚Sub-kultur’ entsprechenden Rahmen gehalten – handelt es sich bei Werther um den Freitod am Heiligen Abend, begleitet vom Lessings Emilia Galotti, so ist es bei dem Protagonisten Ben in Soloalbum ein Konzert seiner auserkorenen Lieb-lingsband Oasis, die beide als (Los)Lösung gedeutet werden können. Bedienen sich die Figuren in Werther an Klopstock:

Sie stand, auf ihren Ellenbogen gestützt, ihr Blick durchdrang die Gegend, sie sah gen Himmel und auf mich, ich sah ihr Auge tränenvoll, sie legte ihre Hand auf die meinige und sagte – Klopstock! – Ich erinnerte mich sogleich der herrlichen Ode, die ihr in Gedanken lag, und versank in dem Strome von Empfindungen, den sie in dieser Losung über mich ausgoß.9

– so handelt es bei Stuckrad-Barres Ben um die subkulturelle Autorität einer Band. Durch diese Selbstzuschreibung von Autorität kann reflexiv differenziert werden: „Scheiß Pearl Jam findet sie ‚superintensiv’, auf ihre CDs von Tori Amos und PJ Harvey hat sie mit Edding geschrieben ‚♀-Power rules’, selbst einem Comeback von Ina Deter stünde sie aufgeschlossen gegenüber.“10

Hinzu kommt ein ausgeprägter Sinn für das Plakative. Marken, Mode und Konsum bestimmen die Identität des adoleszenten Ichs. Die programmatische Aussage ‚Kleider machen Leute’ wird zum Leitthema der postmodernen

9 Goethe, Johann Wolfgang: Die Leiden des jungen Werther. Stuttgart: Reclam, 1986, S.

30.

10 Stuckrad-Barre, Benjamin von: Soloalbum. 5. Auflage. Köln: Kiepenheuer&Witsch, 2007, S. 32.

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ren. Im gleichnamigen Roman von Gottfried Keller11 kann der Schneider jedoch seine Fassade gegenüber den gesellschaftlichen Konventionen nicht bewahren und gerät so kurzzeitig in eine Krise, wobei diese hier ebenfalls nicht als negativ zu verstehen ist, sondern als Wendepunkt für einen positiven Ausgang.

Im Gegensatz hierzu stehen die popmodernen Identitäten, die sich durch das Bedienen am Popkulturregal eine Fassade konstruieren können, die in die Ich-Identität übergeht, wodurch das wahre Ich zugunsten der Konstruktion ver-schleiert wird. In Anlehnung an Erving Goffmans Theorie hinsichtlich der Selbstdarstellung im Alltag12, lässt sich dieses als Konzept des Pop-Romans festhalten. Die Intendantin des Schauspielhauses Graz, Anna Badora, merkt an, dass das „Theater [...] gerade in der Krise unverzichtbar [ist], denn es erlaubt die notwendige Reflexion gesellschaftlicher Realität [...].“13 Somit ist das Bedingen von Kultur und Literatur hinreichend begründet, worin sich auch die Motivation für die Konstruktion der Figuren begreifen lässt. Die Literatur als Spiegel die-nend wird so zur Projektionsfläche gesamtgesellschaftlicher Themen, die daraus folgend auch die Identitätskonstruktion der Figuren mit gestalten. Hierbei soll nicht eine exakte Abbildung erzielt werden, sondern im Sinne Badoras, eine Re-flexion erfolgen. Die Offenlegung der Referenzen, denen sich bedient wird, be-stärkt den Illusionscharakter postmodernen Texte. „Die Fragen nach der Reali-tät, nach der Wahrheit, nach der Folgerichtigkeit der Ableitung werden damit zurückgenommen.“14 Dennoch gewinnt sowohl der Text, als auch die Figuren, durch die Zitation an Glaubwürdigkeit, womit ebenso ein Autoritätsgewinn ein-hergeht. Auch wenn auf der Figurenebene ein Autoritätszuwachs vermerkt wer-den kann, so täuscht dies jedoch nicht über die Krise hinweg. Durch wer-den Zu-wachs an zitathafter Aufpfropfung oder Übernahme, soll das Risiko einer aus der Krise resultierende Katastrophe minimiert werden.

Dass es sich bei den eben skizzierten Beispielen um eine ähnliche Figuren-konstruktion handelt, ist trotz der epochalen Differenz, deutlich. Beide sind durch einen krisenhaften Status gekennzeichnet, da die Adoleszenz mehr als

11 Keller, Gottfried: Kleider machen Leute. In: Morgenthaler, Walter (Hg.): Gottfried Kel-ler. Sämtliche Werke. Bd. 5. Die Leute von Seldyla. Bd. 2. Basel [u.a.]: Stroemfeld, 2000, S. 11–62.

12 Vgl. Goffman, Erving: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. 10.

Auflage. München: Piper, 2003.

13 Mayer, Norbert: Badora Anna: Theater ist gerade in der Krise unverzichtbar. Die Pres-se, 08.09.2011. http://diepresse.com/unternehmen/austria11/691753/Badora-Anna_-Theater-ist-gerade-in-der-Krise unverzichtbar (Zugriff am: 28.08.2012).

14 Wulf, Hans J.: Die Ordnungen der Bilderflut. Konstellationen medialer Kommunikation als strukturbildendes Prinzip in Performance-Videos. Rundfunk und Fernsehen, 37, 4/1989, S. 435–446.

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Krise anstatt als Prozess verstanden werden kann, auch wenn es sich doch um einen solchen handelt. Erik Erikson schreibt diesem Prozess die Symbolträch-tigkeit einer „normativen Krise“15 zu, wobei sich eben dieses in der Häufigkeit von Konflikten abzeichnen lässt, wodurch die Unsicherheit und die Identitäts-findung, gekennzeichnet durch „Wachstums- und Festigungspotential“, nach außen projiziert wird.16 Es geht demnach um ein Konfliktpotential, welches durch die emotionale Motivation als Folge der Auseinandersetzung mit dem ei-genen Ich und der Gesellschaft gesteuert wird. Die Krisenhaftigkeit soll durch den Autoritätszuwachs, der durch das Zitieren entsteht, ausgeglichen werden.

Hieran schließt das Verständnis von Text und Krise als Stätten der Produktivität an.

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