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Die Funktionsweise von Euphemismen im Spiegel des Interaktionswissens

In document 34 . Budapest 1999 (Pldal 195-200)

0. Einleitung

Vorliegender Aufsatz setzt sich zum Ziel, zur Kl'""rung der Funktionswei­

se von Euphemismen einen Beitrag zu leisten. Es wird versucht zu zeigen, wie die Funktionsweise von Euphemismen in Texten nachvollzogen und er­

mittelt werden kann. Dazu werden Forschungsergebnisse der kognitiv orien­

tierten Textlinguistik über Wissenssysteme, die die Textproduktion und die Textrezeption ermöglichen, herangezogen. Es wird anhand eines ausge­

wählten Wissenssystems, des sog. Interaktionswissens untersucht, wie, aus welchem Grunde und mit welcher Absicht Euphemismen in der Kommu­

nikation eingesetzt werden. Die Widerspielung des Interaktionswissens beim Gebrauch von Euphemismen in Texten möchten wir in einer Form präsen­

tieren, in der wir zu analysieren versuchen, wie sich bestimmte Koopera­

tionsprinzipien beim Euphemismusgebrauch zu Tage treten. Dabei geht es um die Konversationsmaximen von Grice und um die pragmatischen Prin­

zipien von Leech (Kapitel 3). Dazu wird im ersten Schritt der notwendige Begriffsapparat (Euphemismus, Interaktionswissen usw.) erläutert (Kapitel

1 und 2). Zur Analyse wurden kurze Texte bzw. Textteile herangezogen, die meinem eigenen Textkorpus entstammen. (Die Euphemismen werden im Aufsatztext durchgehend kursiv markiert.)

1. Der Euphemismus

1.1. Der Euphemismus als umschreibendes Wort

Unter Euphemismus verstehe ich in Anlehnung an Luchtenberg „alle um­

schreibenden Wörter und Ausdrücke, „...die zwar die Bedeutung eines Aus­

druckes A vermitteln, aber durch eine von A abweichende Bezeichnung“

(Luchtenberg 1985: 21), wobei diese W örter und Ausdrücke über eine spe­

zifische kommunikative Funktion verfügen. Diese kommunikative Funktion könnte grob formuliert etwa „Verschönerung“ genannt werden, was auch mit der Bedeutung des zugrundeliegenden griechischen Wortes „euphe- misos“ , d.h. ‘W orte von guter Vorbedeutung sprechen’ zusammenklingt (Lewandowski 1990: 287).

Die euphemistische Umschreibung erfolgt größtenteils durch bereits vor­

handene i n d i g e n e E l e m e n t e der Sprache (z.B. Preisanpassung statt „Preis­

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erhöhung“, Beschäftigungsschwund statt „Entlassungen“, entschlafen statt „ster­

ben“ usw.), aber auch durch F r e m d w ö r t e r [Tumor für „Krebs“, Senioren für „alte Leute“, Hostess für „Nutte“, export reject statt „minderer Qualität (sein)“

usw.).

Zur euphemistischen Umschreibung werden neben S i m p l i z i a (z.B.

Flinte statt „männliches Geschlechtsteil“, 00 statt „Toilette“ usw.) und W o r t ­ b i l d u n g s k o n s t r u k t i o n e n der unterschiedlichsten Art (z.B. Entsor­

gungspark statt „ Atommmülldeponie“, 7 75er statt „Homosexueller“, Mitter­

nachtsdame statt „Nutte“ usw.) auch S y n t a g m e n - meistens Phraseologis- men — herangezogen (z.B. Liberalisierung der Preise statt „Preiserhöhung“, horizontales Gewerbe statt „Prostitution“, die schnelle Katherine haben statt „Durch­

fall haben“).

Euphemismen sind aber nicht nur auf Lexeme und Syntagmen beschränkt, sondern denkbar und realisierbar auch als Sä t z e . Ein Satz wird euphe­

mistisch, wenn in ihm euphemistische Lexeme oder Syntagmen Vorkom­

men. Es ist auch der Fall vorstellbar, daß der Satz ohne die Verwendung solcher Elemente euphemistisch wirkt. Dies kann erreicht werden, wenn er in entsprechenden pragmatischen Bezügen steht, z.B.

Hier wohnte der Jude Weil.

Dieses Beispiel stammt aus der LTI, in der Behörden einander ähnliche verschleiernde, euphemistische Mitteilungen gaben. Tauchte ein Zettel an einer Korridortür mit diesem Satz auf, dann wußte der Briefträger, daß er sich nicht mehr bemühen soll. Der Absender erhielt seinen Brief mit dem Vermerk: Adressat abgewandert zurück (Klemperer 1987: 131).

Dabei ist weniger die formale Gestaltung der umschreibenden W örter und Ausdrücke (ob z.B. Simplex oder Syntagma) hinsichtlich ihrer Wirkung von Belang. Vielmehr ist die Semantik dieser Wörter ausschlaggebend. Dank bestimmten semantischen Eigenschaften wird der Euphemismus „schöner, harmloser, angenehmer, höflicher“ usw. Dabei ist es wichtig zu betonen, daß die Euphemismen nur relativ zu den umschriebenen Wörtern und Aus­

drücken schöner, harmloser usw. wirken. Der Euphemismus ist daher als relationaler Begriff aufzufassen (Hannappel/Melenk 1990). Seine semanti­

schen Eigenschaften lassen sich auch nur im Vergleich zur Bedeutung der umschriebenen Wörter ermitteln

Unter semantischem Aspekt eignen sich besonders A u s d r ü c k e mit v a g e r und a l l g e m e i n e r B e d e u t u n g als Euphemismen, die mei­

stens einen semarmen Oberbegriff darstellen, wobei durch die Vagheit der Bedeutung gerade die Seme nicht genannt werden, die den Referenten unzwei­

deutig identifizieren würden (Danninger 1982: 244), z.b. Aktion statt „Krieg“, Flugkörper statt „Bombe“ usw.

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Es gibt auch sehr viele euphemistische Metaphern und Metonyme. In einer euphemistischen M e t a p h e r können solche semantischen Eigen­

schaften fokussiert werden, solche gemeinsamen denotativen Seme eine Rol­

le spielen, die die Aufmerksamkeit von der Anstößigkeit der gemeinten Hand­

lung oder des gemeinten Gegenstandes ablenken, so wird z.B. in Banane (statt „männliches Geschlechtsteil“) die Form als gemeinsames semantisches Merkmal fokussiert.

Die M e t o n y m i e benennt einen Teilaspekt einer räumlichen, zeitli­

chen, kausalen, logischen Gesamtheit und bringt dadurch konnotative Seme ins Spiel, die die Distanzierung von der als unangenehm empfundenen Reali­

tät erlauben, indem sie anstößige Teile des mizuteilenden Inhalts verschwei­

gen. Es wird nicht die peinliche Handlung, der peinliche Gegenstand selbst benannt, sondern eine Handlung, ein Gegenstand, die/der damit Zusam­

menhängen, z.B. Sonderschule statt „Schule für dumme Kinder“, wo es nicht klar ist, worin das Besondere dieser Schule liegt.

Auch F r e m d w ö r t e r eignen sich besonders gut als Euphemismen, was teils durch ihre vom Deutschen abweichende, meist positive Konno- tation (z.B. Hairdresser statt „Friseur“, Seniorenzentren statt „Altersheime“), teil durch ihre Unverständlichkeit (z.B. die Gegner neutralisieren statt „töten“, second visit statt „mißglückter Angriff4 usw.) ermöglicht wird.

Es gibt noch eine Reihe von solchen formal-semantischen Mustern (vgl.

Leinfellner 1971, Balle 1990, Luchtenberg 1985) beim Euphemismus, aber wir möchten diesen Aspekt aus Platzgründen nicht ausführen. Andererseits ist es auch der Definition klar zu entnehmen, daß die formal-semantische Gestaltung von Euphemismen nicht als definitorisches Kriterium gilt. Da­

mit Euphemismen funktionieren können, müssen sie über entsprechende formale und (vor allem) semantische Eigenschaften verfügen. Im folgenden versuchen wir uns also auf die spezifische kommunikative Funktion des Euphe­

mismus zu konzentrieren.

1.2. Die kommunikative Funktion von Euphemismen

Wie aus 1.1. ersichtlich, meinen die Euphemismen einerseits eine bestimm­

te Verwendungsweise von Wörtern und Ausdrücken (von indigemen Sprach- elementen und Fremdwörtern), andererseits die verwendeten Ausdrücke und Wörter selbst. W enn es um die Verwendungsweise geht, dann müssen wir davon ausgehen, daß Euphemismen vom Sprecher mit einer bestimm­

ten Absicht und zur Erreichung bestimmter Wirkungen beim Hörer ver­

wendet werden. Daher kann die kommunikative Funktion von Euphemis­

men pragmatisch erfaßt werden.

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1.2.1. Die Sprecherseite: euphemistische Funktionen und Sprecherabsichten

Die spezifische Funktion von Euphemismen wird im Ersatz „eines unerlaubten, groben oder anstößigen Ausdrucks durch einen zulässigen, abschwächenden oder höflichen“(Gläser 1955: 175) oder in der Aufgabe, „etwas Unangeneh­

mes angenhmer darzustellen, etwas Unhöfliches höflicher, etwas Schreck­

liches harmloser zu sagen“ (Riesel 1963: 199) gesehen. Diese Funktion des Euphemismus kann auf unterschiedliche Absichten des Sprechers zurück­

geführt werden. Ich halte aufgrund der Sprecherabsichten drei grundlegen­

de euphemistische Funktionen auseinander. Diese sind:

a. Sprachliche Tabus umschreiben (z.B. Call-Girl statt „Nutte“, friedvoll ein­

schlaf en statt. „sterben“ , dem Ozean tribut zahlen, statt „sich erbrechen“ oder Winston Churchill besuchen statt „auf die Toilette gehen“). Ich spreche in diesem Fall von Tabueuphemismen. Der Euphemismis ist nämlich ge­

netisch mit dem Tabu der primitiven Völker verwandt. Das Tabu der Primitiven war eine Art abergläubisch-religiös begründete Meidung von bestimmten konkreten Handlungen und auch bestimmter W örter und Ausdrücke (= Sprachtabu) (vgl. W undt 1906, Frazer 1965, Havers 1946).

Der Kommunikationsdrang erfordert aber, anstelle der verbotenen W ör­

ter irgendeine Umschreibung anzuwenden oder das Wort so zu verklei­

den, daß es „unschuldiger“ aussieht. Es gibt auch heute eine Reihe von Sprachtabus, die sich von früheren durch ihre Motivation unterscheiden.

Durch Takt und Rücksichtnahme sind z.B. die Euphemismen für Tod und Krankheit, durch Peinlichkeit und Scham sind z.B. die Euphemis­

men für Sexualität und körperliche Ausscheidungen motiviert. Die mo­

dernen Sprachtabus funktionieren in unserer Geselschaft wie soziale Nor­

men (vgl. Betz. 1978, Kuhn 1987).

b. Bedeutungsverbesserung, die dem Bedürfnis des Sprechers entspringt, eine banalen Sachverhalt durch eine besserklingenden, eleganten Na­

men zu erhöhen (z.B. Second-Hand-Boutique statt „Trödelladen“, freier Haar­

gestalter statt „Friseur“ , Chemise statt „Hemd“). Die meisten Euphemis­

men dieser Art finden wir im kommerziellen Bereich, in erster Linie in der Werbesprache (vgl. Oksaar 1976, Römer 1968). Waren, Institutio­

nen, Läden und bestimmte Berufsbezeichnungen werden am häufigsten umschrieben. In Anlehnung an Zimmer (Zimmer 1988) spreche ich hier von Renommiereuphemismen.

c. Verschleierung, die mit der Absicht des Sprechers zusammenhängt, Feh­

ler und Mängel, darunter auch gewisse gefährliche oder peinliche Sach­

verhalte, sprachlich zu verharmlosen (z.B. Problemabfall statt „Atommüll“, Anpassungen „Preiserhöhung“, materielle Notsituation statt „Armut“, Mode­

schmuckstatt „Bijout“ usw.). Solche verschleiernden Euphemismen sind 196

besonders in der Sprache der Politik präsent, und sind mit politischen Interessen eng verbunden. Es sind die regierenden Parteien, die sich der Euphemismen bedienen, um vorhandene wirtschaftliche (Entlassungen, wirtschaftliche Krisen), politische (Kriege, politische Skandale) und so­

ziale (Armut) Probleme bzw. Umweltprobleme (Müllproblem, Luftver­

pestung, Explosionen in Atomkraftwerken) zu vertuschen, um dadurch ihre eigenen M achtpositionen zu behalten und verstärken zu können (Strauß/Haß/Harras 1989, Haß 1990, Heringer 1990, Klein 1989, 1996, Jung 1994).

Es muß lediglich betont werden, daß die Grenze zwischen den oben skiz­

zierten Funktionen fließend ist.

1.2.2. Die Hörerseite: Sprecher-Hörer-Beziehungen und die euphemistischen Funktionen

Wenn wir also beim Euphemismus von Sprecherabsichten sprechen, müs­

sen auch die mit diesen Absichten erzielten Wirkungen auf den Hörer be­

sprochen werden.

Bei Tabueuphemismen können wir davon ausgehen, daß sowohl Spre­

cher als auch Hörer das Tabu kennen, anerkennen und demgemäß einen entsprechenden Euphemismus wählen. Aus dem Normcharakter des Tabus folgt, daß die Erwartungen des Sprechers mit denen des Hörers überein­

stimmen, es herrscht also ein prinzipielles Einverständnis der Gesprächs­

partner über die gesellschaftliche Verbindlichkeit des Euphemismusgebrauchs.

Strauß/Haß/Harras sprechen von „gemeinsamen Bewertungsgrundlagen“

des Sprechers und Hörers (Strauß/Haß/Harras 1989: 466). Hannappel/Me- lenk verwenden den Terminus „offener Euphemismus“, da der Begriff, der mit dem Euphemismus umbenannt wird, der sog. wahre Begriff, allen Kom- muniziereneden bekannt ist (Hannappel/M elenk 1990: 264). Dabei geht es nicht nur um die Wirkungen auf den Hörer, viel mehr könnte man hier von einer bestimmten Sprecher-Hörer-Beziehung sprechen. Bei Tabueuphemis­

men spreche ich vom kollektiven Gebrauch von Euphemismen und mei­

ne damit die oben besprochene Sprecher-Hörer-Beziehung.

Anders ist es bei den verschleiernden Euphemismen und den Renomier- euphemismen. Sie werden verwendet, um für den Hörer bestimmte Sach­

verhalte/Gegenstände in einer für den Sprecher günstigen Weise darzustel­

len, wodurch eine für den Sprecher günstige Optik entsteht. Diese Euphe­

mismen umgehen die Tatsachen in einer Weise, daß dem Hörer bestimmte Aspekte verschwiegen werden bzw. seine Aufmerksamkeit auf bestimmte Aspekte gerichtet wird. Es geht hier um Meinungslenkung, um Manipula­

tion. Dies wird auch dadurch erleichtert, daß diese Euphemismen vorwie­

gend in den M edien eingesetzt werden, wo der Hörer weitgehend passiv 197

und anonym bleibt. Hannappel/M elenk sprechen in diesem Fall von „ver­

steckten Euphemismen“(Hannappel/Melenk 1990: 264), wo der Sprecher den wahren Begriff von dem Hörer verstecken will. Ich verwende hier den analogen Terminus individueller Gebrauch von Euphemismen, wo ein Individuum (z.B. ein Politiker, ein Werbefachmann resp. eine Gruppe von solchen) einen Einfluß auf die Sprachgemeinschaft ausübt.

1.3. Usuelle und okkasionelle Euphemismen

Euphemismen - da sie vom Sprecher unter bestimmten Bedingungen ver­

wendet werden — können nur in einem entsprechenden Kontext funktionie- ren. Isolierte Wörter und Ausdrücke ohne Berücksichtigung ko- und kon- textueller Elemente Euphemismen zu nennen, ist nur in dem Fall angebracht, wenn es sich um usuelle Bildungen handelt. Ich spreche also von usuellen Euphemismen, wenn sie in der deutschen Sprachgemeinschaft weit ver­

breitet und geläufig und auch in W örterbüchern fixiert sind (z.B. entschla­

fen, beiwohnen, Freudenmädchen, Entsorgungspark usw.). Im Gegensatz dazu nenne ich Euphemismen okkasionell, wenn ihre Verwendung nur einma­

lig, gelegentlich erfolgt und noch keine Aufnahme in Wörterbücher gefun­

den hat [z.B. jemandes Hände versilbern statt „jemanden korrumpieren“, Winston Churchill besuchen statt „auf die Toilette gehen“( Anspielung auf das M ono­

gramm von Churchill W.C.), ojfene Preisgestaltung statt ,,Preiserhöhung“usw.).

2. Das Interaktionswissen als texterzeugendes Wissenssystem Wir haben oben daraufhingewiesen, daß der Euphemismus als solcher nur in einem entspechenden Kontext erkannt werden kann und funktioniert.

Die euphemistischen Funktionen (sprachliche Tabus umschreiben, banalen Sachverhalten einen besserklingenden Namen geben, gefährliche, peinli­

che Sachverhalte verschleiern) haben wir durch die pragmatischen Bedin­

gungen des Euphemismusgebrauchs (Sprecherintentionen, Sprecher-Hö- rer-Beziehungen) ermittelt, die erst in einem größeren Kontext, etwa im Text, wirksam werden können.

Wenn man von der plausiblen Fertsellung ausgeht, daß die sprachlich­

kommunikative Tätigkeit des Menschen größtenteils in Form von Texten vollzogen wird — wir fixieren Mitteilungen, Erfahrungen, Befehle, Wünsche als Texte -, so ist auch der Gebrauch von Euphemismen an Texte gebunden.

2.1. Die Rolle des Interaktionswissens in der Textproduktion Die Texiproduktion ist eine spachliche Tätigkeit, die sozialen Zwecken dient und in komplexere Tätigkeitszusammenhänge einbezogen ist. Sie ist eine bewußte, d.h. intentionale schöpferische Tätigkeit in dem Sinne, daß der

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