movierte Formen im Deutschen und im Ungarischen
4. Äquivalente im Ungarischen
Im Vordergrund steht in diesem Beitrag nicht die Selektion, sondern die Frage der Äquivalentfindung im Ungarischen. Genauer: Wie verhält es sich mit lexikalisierten Äquivalenten movierter Formen und auf welche lexiko- graphischen (metasprachlichen) „Techniken“ kann man ausweichen, wenn keine objektsprachlichen Äquivalente vorliegen.
Im Hinblick auf mögliche ungarische (lexikalisierte) Äquivalente läßt sich in der gebotenen Kürze foldendes zusammenfassen:
• Bei movierten Formen erscheint mit größter Frequenz das Kompositions
glied -rao'pFrau’/ ’weibliches Wesen’]. Bezogen auf den hier behandelten deutschen Wörterbuch-Ausschnitt geht es z.B. um balett-täncosno, könyv- tärosno, könyvelono, kebelbarätnd.
• Lexikalisiert ist ferner die Komposition -asszony [‘erwachsene/verheira- tete (geschiedene/verwitwete) Frau’] als Basis, die allerdings eine weit geringere Frequenz aufweist bzw. teilweise für ein älteres/archaisches Segment des Wortschatzes kennzeichnend ist: paras&asszßny, koldusasszony, nemesasszony.
• Auch bestimmte Nominalphrasen kann man als lexikalisierte Einheiten betrachten, wenn als Ergebnis einer Movierung anderen Typs ein attri
butives Adjektiv (bereits) selbständig als Substantiv vorliegt und die ge
nerische, „sexuslose“ Personen- oder Berufsbezeichung darstellt: barbär [Barbar] vs. barbär no, szemüveges [Brillenträger] vs. szemüveges no, angol/
brit [Brite] vs. angol/brit no.
Hier sei noch bemerkt, daß sich beim Vorhandensein zweier movierter For
men andererseits eine bestimmte semantische Funktionsteilung beobachten läßt (munkäsasszony als ‘Frau aus der Gesellschaftsklasse der Arbeiter/des Proletariats’ und munkäsno als ‘Frau, die selbst als Arbeiterin tätig ist’) - oder es handelt sich um zwei mehr oder minder konkurrierende Formen, besten
falls mit einer eher vagen pragmatischen Funktionsteilung, etwa im Falle von y0onw720'[‘Chef-/Oberärztin’] bzw. foorvosasszony als höfliche Anrede (ähnlich auch bei szerkesztonö- szerkesztoasszony [‘Journalistin’], kepviselono- ke'pviseloasszony [‘Abgeordnete’].
Hinsichtlich der im Deutschen seit längerem ausgeprägten Tendenz, bei Personen- bzw. Berufsbezeichnungen Sexus mit auszudrücken, muß man
81
für das Ungarische grundsätzlich davon ausgehen, daß auf die Differenzie
rung nach dem Geschlecht in der Sprachverwendung bislang weniger Wert gelegt wurde. Movierte Formen sind vom System her gesehen zwar durch
aus möglich, das relativ zum Deutschen weniger ausgeprägte Bezeichnungs
bedürfnis (bei dem wohl auch das Fehlen des Genus im Ungarischen eine nicht unerhebliche Rolle spielt) hat jedoch bisher quantitativ gesehen zur Integration weit weniger solcher Formen in das Lexikon geführt. Daraus resultiert eine erheblich breitere Zone der Unsicherheit als im Deutschen.
Neuprägungen aus den vergangenen Jahren legen allerdings die Verm u
tung nahe, daß vor allem in sog. Prestige-Berufen die movierten Formen mit -nöbzw. -asszony zunehmend integriert werden.
Dieser Unterschied zum Deutschen zeigt sich deutlich in der recht un
einheitlichen Praxis der deutsch-ungarischen W örterbücher bei der Wie
dergabe movierter Formen.
Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt vorliegende deutsch-unga- rische Wörterbücher, so erhält man - bezogen auf den oben dargestellten Wörterbuchausschnitt und die Einzelbeispiele - folgendes Bild (die Belege stammen aus Haläsz/Földes/Uzonyi 1998, Haläsz 1996 und Hera 1996; mit
* versehen sind Belege, die in verschiedener Form, also uneinheitlich kodi
fiziert sind, das Fehlen von Äquivalenten für bestimmte deutsche Lexeme bedeutet, daß entsprechende Einträge aus allen untersuchten zweisprachi
gen W örterbüchern fehlen):
Typ 1 : balett-täncosnö, bäröno, hivatalnoknö, tisztviselönö, koldusnö, könyvtärosno,
*polgdrno, kebelbarätnö, *nagykövetnö, *levelezötärsnö, level(ki)hordönö,
*postäsnö, tanäcsadönö
Typ 2: parasztasszony, koldusasszony, *polgärasszony, * nagykövetasszony Typ 3 : barbär nö, *szemüveges nö, *brit/angol nö
Typ 4: *kiserö(nö), könyvkereskedö(nö), levelezöpartner(nö)
Typ 5 : lakö (nö), lakos (nö), *küldönc (nö), *követ (nö), *levelezötärs(nö), *brit/
angol (nö), *polgär (nö), *szemüveges (nö) Typ 6: (nöi) hirnök, *(nöij követ
Typ 7: * nöi küldönc, *nöi postäs, *nöi kiserö Typ 8: *polgärmester(asszony)
Eine Auswertung dieses Belegmaterials ergibt folgendes Ergebnis:
• Von den insgesamt 36 deutschen Movierungen werden insgesamt 12 ein
heitlich behandelt und mit einem objektsprachlichen ungarischen Äqui
valent versehen: balett-täncosnö\ bäröno, hivatalnoknö, tisztviselönö\ koldus
nö, könyvtärosnö, kebelbarätnö, level(ki)hordönö, tanäcsadönö, parasztasszony, koldusasszony, barbär nö. Bei einigen weiteren variieren die W örterbü
cher: für dasselbe deutsche Lemmazeichen steht mal ein lexikalisiertes 82
Äquivalent [polgärnöbzw. polgärasszony), mal das generische „Äquiva
lent“ mit einem fakultativen (metasprachlichen?) Zusatz [polgär (nö)).
In diesen Fällen stehen dem Lexikographen im Lexikon integrierte, objekt
sprachliche Äquivalente zur Verfügung, auf die, wie zu sehen war, nicht in jedem W örterbuch zurückgegriffen wird und abgesehen von eventuellen Unterschieden in der Vorkommenshäufigkeit und/oder der stilistischen Mar
kierung der Lexeme (etwa bei hivatalno/cnövs. tisztviselöno bzw. koldusnövs.
koldusasszony). In einigen weiteren Fällen liegt ein objektsprachliches Mehr- Wort-Äquivalent vor: barbär no, szemüveges no, angol/brit no'bzw. in bestimm
ten weiteren Fällen wird, durch die Darstellungsweise im Wörterbuch das Vorhandensein eines objektsprachlich ebenfalls existenten Mehr-Wort-Äqui
valents suggeriert: nöi küldönc, nöi kisero, nöi postäs.
• In allen anderen Fällen greifen die zweisprachigen W örterbücher auf ir
gendwelche Darstellung zurück, die insgesamt ein heterogenes Gesamt
bild entstehen lassen:
a) Die Äquivalente mit dem objektsprachlichen Zusatz - (no) bzw. -(asszony) zeigen - analog zum Deutschen - die prinzipielle Möglichkeit der Bil
dung einer movierten Form, die Einklammerung vermittelt jedoch die Information, daß man davon in der Sprachverwendung nur Gebrauch macht, wenn das ausdrückliche Bedürfnis besteht, Sexus im gegebenen Kontext eindeutig anzugeben: kiserö(nö), könyvkereskedö(nö), levelezöpart- ner(nö), polgärmester (asszony).
b) Die Äquivalente mit einem deutlich markierten metasprachlichen Zusatz vor oder hinter dem neutralen Äquivalent (nö'i) [‘weiblich’] bzw. (nö) [‘Frau’/
‘weibliches Wesen’] vermitteln hingegen die Information, daß das aus
gangssprachliche Lemmazeichen das Merkmal [‘feminin’] enthält, in der Zielsprache hingegen nur ein „sexusneutrales“ objektsprachliches Äqui
valent vorliegt: lakö (no), lakos (no) bzw. (noi) hirnök, (nöi) postäs, (nöi) küldönc, (nöi) kisero.
c) In bestimmten Fällen ist zu beobachten, daß die unter b) skizzierten Lö
sungen mit einer bestimmten Inkonsequenz verwendet werden, etwa kö- vet(nö), aber (nöi) hirnök. Eine solche Beschreibungspraxis führt zwangs
läufig zu einer Verunsicherung des Benutzers. Die Darstellungsweise követ(nö) ist zudem noch inkorrekt, da die aus zwei Lexemkonstituenten bestehende Lösung für den Typ barbär nö, szemüveges no (bzw. für Fälle mit besonderer orthographischer Regelung) Vorbehalten ist.
Berücksichtigt man noch im Hinblick auf a) und b), daß diese Lösungen völlig uneinheitlich bzw. innerhalb eines und desselben Wörterbuchs in
konsequent erscheinen, so liegt die Schlußfolgerung nahe, daß nicht nur im Sprachgebrauch Unsicherheit herrscht, sondern daß man sich auch für die
83
lexikographische Beschreibungspraxis kein einheitliches, konsequentes Vor
gehen zurechtgelegt hat.
Der prägnanteste Beweis für die Unklarheit der Positionen und Unein
heitlichkeit der Beschreibungstechniken sei noch aus einer weiteren Dimen
sion des Belegmaterials gezeigt: Für ein und dasselbe Lemmazeichen der Ausgangssprache [Botschafterin] findet man in den herangezogenen W ör
terbüchern - als Extremfall - folgende Äquivalente: nagykövetnö, nagykövet- asszony, követ (no), (noi) követ.