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„Wo trennt sich Hjalmar Ekdal von Novalis?“

In document 34 . Budapest 1999 (Pldal 53-67)

Zum Novalis-Essay von Georg Lukäcs Die Forschung

In der letzten Zeit läßt sich ein immer regeres Interesse für das monumen­

tale Lebenswerk von Georg Lukäcs beobachten. Es handelt sich nicht nur um die Neuauslegung und Neuinterpretation seiner marxistisch verwurzel­

ten Ästhetik und Ontologie, sondern auch um die Neuentdeckung der Früh­

schriften aus der vormarxistischen Periode. Außerdem werden Ansatzpunkte aufgezeig, die beihilflich sein könnten, für den diskontinuierlich erscheinen­

den geistigen Werdegang eine Erklärung zu geben, zumal die Kontinuität von Lukäcs selbst bestätigt wurde: „Bei mir ist jede Sache die Fortsetzung von etwas. Ich glaube, in meiner Entwicklung gibt es keine anorganischen Elemente.“1

Die heutige Forschung nähert sich auch an Lukäcs’ Romantik-Rezeption viel differenzierter als früher an. Es gilt nicht mehr bei ihm als letzte Kon­

klusion der Zerstörung der Vernunft eine „Pauschalverurteilung“ der Roman­

tik2 festzustellen beziehungsweise Klassiker und Romantiker mit konträren Vorzeichen zu versehen. Immer mehr wird angenommen, daß die ange­

messene Beurteilung der Problematik von der Prämisse ausgehen sollte, das romatische Erbe sei bei Lukäcs ein grundlegendes, nie völlig überw unde­

nes, lebenslängliches Erlebnis gewesen. Der vorliegende Aufsatz hält sich jedoch nicht an den Trend der Rehabilitation des Spätwerks, und will auch nicht den alten mit dem jungen Lukäcs konfrontieren. Er hat sich zum Ziel gesetzt, den ersten Ansätzen seines Romantik-Verständnisses nachzugehen, also das Romantikbild des Frühwerks in seiner widerspruchsvollen Zusam­

mengesetztheit vorzustellen, wobei die Untersuchung auf die Deutung des Novalis-Essays hinausläuft.

Lukäcs schrieb ihn im Dezember 1907, im März des nächsten Jahres er­

schien dieser als sein Erstlingswerk im Nyugat. Später nahm ihn Lukäcs in seine berühmt gewordene, 1910 herausgegebene Essaysammlung A lelek es a formäk auf, die 1911 unter dem Titel Die Seele und die Formen um drei Es­

says erweitert auch in Berlin erschien. Die Forschung konzentriert sich ge­

wöhnlich bei der Behandlung des Frühwerks gleichermaßen auf diesen Band sowie auf seine 1906/1907 beendete Dramengeschichte. Dabei sind zwei, einander sich überlappende Tendenzen offensichtlich. Einheitlich trachtet man danach, anhand der genannten Frühschriften eine Jugendästhetik von

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Lukäcs zu rekonstruieren, die ihre wirkliche Vollendung erst in der von 1912 bis 1914 ausgearbeiteten Heidelberger Ästhetik erfahren soll.

Bei diesem Herangehen scheint evident, die literaturgeschichtlichen Es­

says mit philosophischer Begrifflichkeit zu erfassen beziehungsweise als Her­

auskristallisationen weitreichender philosophischer Vorstudien zu behan­

deln.3 Den Anhaltspunkt dazu bietet die bekannte philosophische Orientierung des jungen Lukäcs. Die andere Tendenz, die die obige eigentlich unterstützt, ist der Verzicht auf die differenzierte Analyse der einzelnen Essays. Sie wer­

den kaum in ihrer Eigenwertigkeit angesehen, sondern sie werden vielmehr als Kontrapunkte zueinander innerhalb eines zu eruierenden, philosophisch verankerten ästhetischen Konzepts ausgelegt. Für die Berechtigung dieser Methode argumentiert György Markus, wenn er der Konstanz der Grund­

problematik gegenüber den „kaleidoskopischen“ Wechsel der Lösungen in dem Essayband betont:

Jedes Stück ist je ein - meistens bis zum Äußersten zuge­

spitzter - Denkversuch mit irgendeinem Standpunkt, dessen schonungslose Kritik nicht selten schon der darauffolgende Auf­

satz enthält.4 [übersetzt von mir — Zs. B.]

Die Lücke der Lukäcs-Rezeption, die in der fehlenden Vertiefung in die Problematik der einzelnen Essays besteht, könnte die Monographie Verzehrte Romantik von Ute Kruse-Fischer abhelfen. Die Verfasserin geht davon aus, daß die Kunstauffassung des jungen Lukäcs grundsätzlich in der frühroman­

tischen Tradition verwurzelt ist. W ährend sie deren weittragende Folgen in der Konzeption des Essaybandes aufspürt, konfrontiert sie aber die früh­

romantische Kunstphilosophie mit den erwähnten philosophischen Vorstu­

dien Lukäcs’, mit der Unbedingtheit der Kantschen Ethik und den lebens­

praktischen Forderungen der Soziologen Georg Simmel und Max Weber. Indem sie „die theoretischen Differenzen und Übereinstimmungen in Lukäcs’ un­

eingestandener Wahlverwandtschaft zu den Frühromantikem“5 aufzeigt, liegt es ihr daran, den Essayband einerseits als eine scharfe Kritik des Philoso­

phen und Ethikers Lukäcs an der Frühromantik zu explizieren, anderer-seits kann sie aber seine „ästhetische Affirmation“6 sowie die „grenzenlose Lie­

be“7 des existentiell betroffenen jungen Menschen zu den frühromantischen Idealen nicht verleugnen. Carlos E. Machado vertritt demgegenüber die Ansicht, „die Essaysammlung zeigt paradigmatisch den untrennbaren Zu­

sammenhang von Ästhetik und Ethik und der existentiell-biographischen Fra­

ge beim jungen Lukäcs“.8 Wir schließen uns dieser Meinung an, wenn wei­

terhin eine textimmanente Untersuchung, im wesentlichen auf den früh­

romantischen Kontext bei ihm beschränkt, vorgenommen wird.

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Der Essay

Der Grund für die Ambivalenz, daß die Lukäcs-Essays zwar zu einem phi­

losophisch angelegten Zugriff auffordern, jedoch die begriffliche Festlegung verweigern, liegt in dem Charakter der Gattung. Es lohnt sich, an dieser Stelle wiederum Carlos E. Machado zu zitieren: „Die begrifflich-philosophi- sche Wertunterscheidung zwischen den ästhetischen, ethischen und theo­

retischen Sphären wäre Aufgabe eines Systems und keinesfalls eines Essays.“9 Wenn Lukäcs in dem einleitenden Aufsatz des Essaybandes sich um eine vorläufige Bestimmung bemüht und versucht, den Essay sowohl von der Kunst und der Wissenschaft als auch von der Philosophie abzugrenzen, greift er durchaus das frühromantische Prinzip der Systemoffenheit auf. Zwar ord­

nen die Frühromantiker die Kritik, indem sie sie für ein Kunstwerk halten, in den Bereich der Kunst ein, zugleich sind sie aber nach der berühmten Aussage Friedrich Schlegels - „Die romantische Poesie ist eine progressi­

ve Universalpoesie“10 -, auf die sich in einem Brief auch Lukäcs beruft, für die Entgrenzung der Kunst.

Auch wenn Lukäcs vor der „eisig-endgültigen Vollkommenheit der Philo­

sophie“11 zurückscheuend den Versuchscharakter seiner Aufsätze betont, knüpft er wiederum an die frühromantische Essaytradition an, von der Den­

ken und Schreiben als eine Art Experimentieren verstanden wurde.12 Endlich stellen eine Gemeinsamkeit das Streben nach der W ahrheit und zufolge der provisorischen Beschaffenheit eines jeden Experiments die Ein­

sicht dar, daß man sich ihr zwar nähern, aber sie nie vollständig erreichen kann. Deshalb scheint für die Frühromantiker das Fragment die adäquate Ausdrucksform zu sein, und Lukäcs will ihnen vorläufig zustimmen, wäh­

rend er ausspricht: „Ruhig und stolz darf der Essayist sein Fragmentarisches den kleinen Vollendungen wissenschaftlicher Exaktheit und impressionisti­

scher Frische entgegen stellen“.13

In der deutschen Ausgabe schwebt ihm aber am Ende der Einleitung als platonisches Fernziel die Errichtung einer großen Ästhetik vor, aus deren Perspektive der Essay die Funktion habe, „nur Vorläufer zu sein“.14 Das ist eine wesentliche Distanzierung von der Position der ungarischen Ausgabe, deren letzter Satz heißt:

.und man darf sich keinen Augenblick darum kümmern, wie weit man auf diesem Wege vorwärtskam, man soll nur nach vorne gehen und gehen, gehen ,..“15 [übers, von mir — Zs. B.]

W ährend hier der Essayist in konsequenter Weise mit dem frühromanti­

schen Diskurs schließt, soll in der deutschen Fassung die Postulierung ei­

ner kommenden Ästhetik letzten Endes die Rücknahme des Essays vorweg­

nehmen. „Die Sehnsucht nach Wert und Form, nach Maß, Ordnung und 53

Ziel“,16 zusammenfassend das Systemhafte besiegt ja zweifellos die Aporie des Experiments. Und das bedeutet, daß sich während der anderthalb bis zwei Jahre zwischen den beiden Ausgaben schon wesentliche Akzentver­

schiebungen im Denken des jungen Lukäcs vollzogen haben. Die Abwen­

dung von der Systemoffenheit des frühromantischen Denkens kann nicht außer Acht gelassen werden, auch wenn der vorletzte Absatz der deutschen Fassung mit einer plötzlichen Umkehrung des Anfangs den Essay endlich ein Kunstwerk nennt, die frühromantische Tradition heraufbeschwörend.

Etappen des Romantik-Verständnisses beim jungen Lukäcs

Das Interesse für die Romantik läßt sich bei Lukäcs ab 1906, angefangen beim Aufsatz Gedanken über Henrik Ibsen, verfolgen. In dieser ersten Ausein­

andersetzung charakterisiert er die Romantik vor allem durch die Domi­

nanz des Gefühls, das seine Vollendung durch das künstlerische Gefühl erfahre und das als die Wirklichkeit mißachtende, höchste, welterschaffende Substanz gesetzt werde:

Romantik ist in erster Linie eine Revolution der Gefühle ge­

gen alle bindenden Fesseln; es gibt darin keine praktische Rich­

tung; sie protestiert gegen jegliche rationalistische Begrenzung, sie breitet sich auf sämtlichen Gebieten aus, will mit einer gro­

ßen Gefühlssynthese in ihre ganze Weltanschauung einschlie­

ßen, was Wissenschaft, Kunst, Dichtung und Mathematik in sich vereint; das künstlerische Gefühl ist die Grundlage vor allem in ihr, und ihr Mystizismus [...] ist nichts anderes als eine übereil­

te, auf künstlerischem fußende monistische Weltauffassung. Ihr Merkmal ist ein möglichst hoher Grad von Individualismus, für den das Objekt, die Realität überhaupt nicht in Betracht kommt (siehe die Philosophie Fichtes), ein Individualismus, für den je­

de Schranke fällt, — die souveräne Individualität, die die Welt nach ihrem eigenen Bilde schafft.17

Schon hier kommen einige Feststellungen vor, die in seinen späteren Ro- mantik-Vorstellungen stärker akzentuiert werden: als formales Axiom die Aufhebung jeder Beschränktheit, als deren inhaltliche Folge der Universa­

lismus, der eine enzyklopädische Bestandsaufnahme aller geistigen Berei­

che beabsichtigt, und der gesteigerte Individualismus. Die romantische Welt­

auffassung basiert aber hier noch auf einer antirationalistischen, überspannt emotionellen Grundlage. Diese Vorstellung von der Ratiofeindlichkeit der Romantiker schwindet dann in den späteren Auslegungen. Wenn also 1906 Lukäcs die Romantik kritisiert, übernimmt er Leitgedanken eines überlie­

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ferten Romantikbildes, etwa von Ricarda Huch, die von dem angeblichen Gefühlskult der Romantiker tief beeindruckt war.

Unbedingt muß man sich noch über diejenigen Teile dieser Kritik aus- lassen, in denen Dichtemamen genannt werden. Es ist auffallend, daß zum Beispiel im Haupttext Novalis, Hölderlin und Shelley, in der Fußnote dann Brentano, die Schlegels und Kleist ohne irgendwelche Distinktion als zu­

sammengehörend aneinandergereiht werden, und sogar Ibsen wird in ge­

wissen Phasen seines Schaffens zu ihnen gezählt. Die geistige Verbunden­

heit unter diesen verschiedenen Richtungen wird von dem jungen Lukäcs allein in dem Kriterium der Ausschließlichkeit des Gefühls gesehen. Er hat noch kein differenziertes Romantikbild; aufgrund dieser einzigen vermeint­

lichen Gemeinsamkeit versucht er die viel zusammen-gesetztere Problema­

tik zu umfassen. In den späteren Schriften, auch wenn er von der Romantik überhaupt spricht, beschränkt er sich auf die Frühromantiker, die tatsäch­

lich als einheitliche Gruppierung mit gemeinsamen Vorstellungen und Ziel­

setzungen auftraten und mit diesen alle anderen romantischen Phänomene für längere Zeit aus seinem Interessenfeld zu verdrängen vermochten.

Das nächste Zeugnis seiner Romantik-Rezeption ist der Novalis-Essay vom Dezember 1907, dessen vollständiger Titel heißt: Zur romantischen Le­

bensphilosophie: Novalis. Seine tiefgehende Analyse erfolgt erst am Ende die­

ses Beitrags; vorläufig wird nur das Thema angedeutet. Er handelt allein von der Geschichte der Jenaer Romantik, in der eindeutig Friedrich Schle­

gel und Novalis sein besonderes Interesse erregen. Drittens ragt als unum­

gängliche Herausforderung die monumentale Gestalt Goethes aus dem Zeit­

bild hervor.

In den folgenden Jahren beschäftigt Lukäcs intensiv der Plan eines Bu­

ches über die Frühromantik, den er in seinem Briefwechsel gelegentlich auch als das Buch über Friedrich Schlegel erwähnt. Seine Aufmerksamkeit gilt also immer mehr dem Theoretiker der Schule, mit dem er offensicht­

lich geistige Verwandtschaft spürte.

Im Januar 1910 bittet er seinen Freund Leo Popper um Zussendung von Büchern, deren Liste ein Dokument dieser Frühromantik-Studien darstellt.18 Auffallend ist dabei die große Anzahl der Briefwechsel unter den erbete­

nen Büchern, durch die man die sich verzweigenden brieflichen Kontakte der Frühromantiker beinahe vollständig rekonstruieren kann. Das starke In­

teresse für die Gattung des Briefwechsels bestätigt sein eminent theoreti­

sches Herangehen an das Thema, wofür er auch die ProsaischenJugendschrif­

ten Friedrich Schlegels und die Literaturgeschichten von Ricarda Huch, Rudolf Haym und Hermann Hettner heranzog.

Novalis scheint aus der Perspektive dieses groß angelegten Planes schon zum Teil ein überholtes Intermezzo gewesen zu sein, und er setzt statt des­

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sen eher den Gedankengang des Ibsen-Aufsatzes fort, wie ein Brief aus dem Jahre 1909 beweist:

Doch geht es hier [im Sterne-Essay] um die Romantik, als deren Kritik ich in meinem ersten Aufsatz über Ibsen schrieb:

‘Die Romantik ist Flug, aber man kann nicht immer fliegen, und es gibt kein Ziel, weil sie nach dem Unendlichen strebt.’ Und ähnliche Gedanken liegen auch Novalis zugrunde, die Frage wird im Mittelpunkt meines (in Arbeit befindlichen) Buches über Friedrich Schlegel stehen. Die Romantik ist Poesie, mit den W or­

ten Friedrich Schlegels ‘progressive Universalpoesie’, über die er schreibt: ‘... das ist ihr eigentliches Wesen, daß sie ewig nur werden, nie vollendet seyn kann ... Sie ist allein unendlich, weil sie allein frey ist, und das als ihr erstes Gesetz anerkennt, daß die Willkür des Dichters über sich kein Gesetz leide’. Und aus dem Novalis wirst Du Dich vielleicht daran erinnern, daß das Wesen des romantischen Lebens die in die Praxis übertragene Poesie, die Erhebung ihrer innersten und tiefsten Gesetzen zu Lebensgesetzen ist. Nun, mein Leben ist zum Großteil eine Kri­

tik der Romantik ...19

Der erste Vorwurf des Ibsen-Aufsatzes gegen die Romantik, der übertrie­

bene Gefühlskult, erweist sich 1909 als nicht mehr haltbar.

Das intensive Studium der Frühromantiker und besonders Friedrich Schle­

gels führte Lukäcs offensichtlich zu der Erkenntnis, daß ihre Maßlosigkeit nicht im Emotionellen, sondern im Geistigen-Experimentellen besteht. So betont er jetzt vielmehr die Kritik am Unendlichkeitsstreben — und zusätz­

lich im Novalis die Kritik an der zweifelhaften Grenzüberschreitung zwi­

schen Leben und Poesie. Wenn er aber schreibt: „Und ähnliche Gedanken hegen auch Novalis zugrunde ...“, daß bedeutet, daß Novalis nicht in seiner Gesamtheit dieser Kritik dienen wollte, wobei zum präzisen Erfassen der Bemerkung die deutsche Übersetzung noch richtiggestellt werden muß. Im ungarischen Original heißt es nämlich: „... es hasonlö gondolatok vannak a Novalis aljän is“,20 also „unten im Novalis“, was dem Zitierten gegenüber eine wichtige Einschränkung enthält.

In der Fortsetzung des Briefes taucht dann der Begriff auf, der den Kern jeder späteren Romantik-Kritik von Lukäcs beinhaltet:

Doch ist die Romantik nicht nur ‘Sehnsucht’ nach dem U n­

endlichen, sondern auch romantische Ironie. Friedrich Schle­

gel schreibt: „Und doch kann auch sie am meisten zwischen dem Dargestellten und dem Darstellenden, frey von allem realen und idealen Interesse auf den Flügeln der poetischen Reflexi­

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on schweben, diese Reflexion immer wieder potenzieren und wie in einer endlosen Reihe von Spiegeln vervielfachen.“ Und erinnere Dich an unser Gespräch in Luzern: als wir über das Über-den-Dingen-Stehen sprachen. Ich meine: Humor ist ro­

mantisch, die Form der Romantik ist der Roman, die Frage lau­

tet: in welcher Beziehung steht er zu den Formen? (Ethisch — denke an den letzten Exkurs vonJoachim - zum kategorischen Imperativ?) Ich also gebe eine Kritik dieser unendlichen Form und diese Kritik ist mir wichtig.21

Dem Brief ist eindeutig zu entnehmen, daß diese Kritik an der romantischen Ironie zur Konzeption des Sterne-Essays gehört. Nach der Behauptung ei­

ner der Figuren des fiktiven Dialogs dieses Essays sei die von dem Gesprächs­

partner getadelte beliebige Fortsetzbarkeit des Sterne-Romans auf die ro­

mantische Erfassung der Ironie zurückzuführen. „Alle romantische Ironie ist Weltanschauung. Und ihr Inhalt ist immer die Steigerung des Ich-Ge- fühls ins mystische All-gefühl.“22 Und diese „grenzenlose Subjektivität“23 treibt ein Spiel „als Gottesdienst“24 mit der Welt, weshalb jedes Festhalten und Werten, die zur Formgebung unerläßlich sind, unterbleiben. Das U n­

terlassen des begrenzenden Handelns wird hier als Verletzung einer ethi­

schen Pflicht verurteilt. Die Gleichsetzung der Romantik mit der romanti­

schen Ironie beziehungsweise ihre negative Bewertung mit ethischer Akzen- tuiertheit dauernt dann in der Jugendperiode fort. In den Dostojewski-No­

tizen (1912-1914) steht: „Zweite Ethik als Wirklichkeit: [...] In der deutschen Romantik als Gedanke: Ironie. Frivolität darin. Hegels Scharfsinn, daß sie der Gipfelpunkt des Subjektivismus ist .,.“25 Hervorzuheben wäre aus der Notiz noch die Abstammung der romantischen Ironie. Sie beweist auch, daß Lukäcs nach der Loslösung vom vermeintlichen Gefühlskult des Ibsen- Aufsatzes die Eigenart des frühromantischen Wesens im Denkerischen wur­

zeln läßt.

Exkurs über die romantische Ironie

Bei den Frühromantikern ist die Ironie vorzüglich nicht die Figur der Ver­

stellung im Sinne der antiken Rhetorik, sondern eine Denk- und Gesprächs­

haltung, die als solche ihr ganzes Werk durchzieht.26

Das Muster für das kontradiktorische Argumentieren findet Friedrich Schlegel bei Sokrates, und bezeichnenderweise beruft sich auch Lukäcs auf den griechischen Philosophen, wenn er das Vorbild für sein Kritiker-Ideal sucht: Sokrates vertrete nämlich am reinsten „die Priorität des Standpunk­

tes, des Begriffes vor dem Gefühl“,27 etwa „daß das Tragische und das Ko­

mische ganz vom gewählten Standpunkt abhingen“28. Das Prinzip der Iro­

nie treibt zum letzten Durchdringen der Denkmöglichkeiten, indem es durch 57

ständiges Widersetzen zur Aufgabe der früheren und zum Erlangen einer neueren Position zwingt. Wenn Lukäcs nach einer Form für seinen Essay sucht, ruft er Sokrates zur Hilfe: „Eine Frage wird aufgeworfen und so ver­

tieft, daß die Frage aller Fragen aus ihr wird, dann bleibt aber alles offen .. .“29 Im Sinne Schlegels ist die Ironie also auf dem Platze, wo „nur nicht ganz systematisch philosophiert wird“.30

Die Ironie ist der kosequent durchgeführte Zweifel an der Erfaßbarkeit der Wahrheit und somit ihr endloses Relativieren, deshalb ist sie vollkom­

men geeignet, der Offenheit des Essays einen Dienst zu erweisen. „Insofern leistet die Ironie im Kleinen, was der Essay und das Fragment im Großen festhalten: die gegenwärtige Unmöglichkeit einer traditionellen Konstitu­

tion von Sinn als einen geschlossenen Zusammenhangs.“31

Bei den Frühromantikern folgt jedoch aus der ironischen Redeweise nicht der resignierte Verzicht, sondern das utopische Beharren auf dem Paradoxon von der „Unmöglichkeit und Notwendigkeit vollständiger Mitteilung“.32 Was so höchstens erreichbar ist, ist das Wissen um die Existenz des Unverständ­

lichen oder aber die Markierung der Grenze zwischen den entgegengesetz­

ten Polen, die die Position des Essayisten darstellt, und somit bloß einen

„Vorschein der Auflösung“ 33 bewirken kann.

D er Novalis

Wenn es weiterhin um die Standortbestimmung des Novalis-Essays in dem Romantik-Diskurs beim jungen Lukäcs geht, werden wir uns mehrmals auf das Konzept der Intertextualität berufen. Eine jede Literaturkritik weist im Sinne der Metatextualität34 intertextuelle Bezüge hinauf, eine so doppel­

bödige Gattung wie der Essay bietet aber darüber hinaus weitere Möglich­

keiten zur Entdeckung solcher Relationen. Im Novalis haben wir gleich am Anfang ein Beispiel für Paratextualität; im ganzen Text wimmelt es von markierten und unmarkierten Zitaten und Anspielungen; den grundsätz­

lichen intertextuellen Bezug kann man jedoch mit dem Begriff der System­

referenz erfassen. 35 Lukäcs entlehnt den Frühromantikern das Prinzip des kontradiktorischen Denkens, das sich im Text mehrfach als ironische Struk­

tur widerspiegelt.

Der Essay beginnt mit einer die Epoche schildernden Einleitung, der fünf kleinere Kapitel folgen. Die ersten vier beschäftigen sich mit der früh­

romantischen Bewegung im allgemeinen, die letzten zwei sind Novalis ge­

widmet. Ein Komplex der sich wiederholenden Kontradiktionen durchzieht sie. Die ersten drei Kapitel beherrscht die Gegenüberstellung der Roman­

tiker mit Goethe, die zugleich auf der Grundlage des Gegensatzes zwischen

tiker mit Goethe, die zugleich auf der Grundlage des Gegensatzes zwischen

In document 34 . Budapest 1999 (Pldal 53-67)