Deutschunterricht und Germanistik in den Vereinigten Staaten gehen auf Traditionen von nahezu dreijahrhunderten zurück und haben auch heute eine grenzübergreifende Bedeutung für unser Fachgebiet. Bei den langjäh
rigen wissenschaftlichen und organisatorischen Bemühungen und Leistun
gen des sehr geehrten Jubilars auf dem Gebiet der Auslandsgermanistik er
scheint es angebracht, einen Bericht über Geschichte, Gegenwart und Zukunfts
perspektiven des Fachbereichs in den Vereinigten Staaten zu erstatten.
Deutsche Schulgründungen auf nordamerikanischem Gebiet standen zu
nächst im Zeichen des sprachlichen Kontinuitätsanspruchs der Neueinwan
derer. Im Gefolge der Krefelder Einwanderergruppe im jahre 1683 und der nach ihnen eintreffenden Deutschen wurde an der Ostküste der britischen Kolonie eine Reihe von deutschsprachigen Sekundarschulen und Erziehungs
anstalten eingerichtet, um die sprachliche und nicht zuletzt religiöse Identität der Siedlerfamilien zu bewahren bzw. zu stärken. Im Anschluß an die Grün
dung der ersten deutschen Schule in Germantown in Pennsylvanien im jah
re 1702 durch den Pietisten und Spener-Schüler Franz Daniel Pastorius wur
den zahlreiche weitere Einrichtungen auf der Elementar- und Sekundarstufe ins Leben gerufen, die jeweils verschiedene pietistische Richtungen aus Süd- und Mitteldeutschland repräsentierten. Die Mennonitische Generalschule im pennsylvanischen Bezirk Montgomery sorgte nicht nur für die Beibehal
tung religiöser Traditionen aus der alten Heimat, sondern auch für die H er
ausbildung einer eigenständigen ethnisch-sprachlichen Subkultur im Neu
en Land. Der kulturell-religiöse Einfluß des Deutschen zeigte sich auch daran, daß die erste vollständige Bibel auf amerikanischem Boden unter Anleitung Benjamin Franklins in deutscher Sprache gedruckt wurde.1 Deutsch setzte sich um die Mitte des 18. Jahrhunderts auch außerhalb von parochialen Rahmen durch und wurde in einzelnen Staaten Neu Englands (wie Massa
chusetts, Connecticut und New Hampshire) neben Griechisch, Latein und Französisch zu einer geschätzten Ziel- bzw. Bildungssprache.
In seiner amerikanischen Wirkungsgeschichte von beinahe dreijahrhun
derten mußte sich jedoch Deutsch wie keine andere Fremdsprache gegen die Willkür der aktuellen Politik und noch mehr gegen populistische Lä
sterungen behaupten. Die Präsenz und der Stellenwert des Deutschen zu
nächst in religiös-ethnischen Sprachinseln und anschließend in breiteren gebildeten und akademischen Kreisen erweckten immer wieder das Miß
trauen aufsteigender oder bereits etablierter Interessengruppen im jungen 65
englischsprechenden Land. Ein Konflikt zwischen amerikanischen National
interessen und der deutschen Volksgruppe wurde zum erstenmal während des Unabhängigkeitskrieges postuliert oder gar geschürt, als der britische Un
terdrücker zwangsrekrutierte Soldaten aus Hessen und Hannover gegen die aufständischen Truppen einsetzte. Dieser Störfall ließ sich jedoch nach der Gründung der selbständigen Vereinigten Staaten binnen wenigen Jahren überwinden, so daß die Deutschsprachigkeit in den traditionellen Einwan
derergebieten (wie im oben erwähnten Pennsylvanien) und der Deutsch
unterricht in kirchlichen und öffentlichen Lehranstalten einen neuen Auf
schwung erfahren konnten. Führende Staatsmänner der jungen Nation wie Thomas Jefferson, der unter anderem mit Alexander von Humboldt befreun
det war, zeigten im frühen neunzehnten Jahrhundert ein besonderes Inter
esse an deutschen Universitäten dieser Zeit (wie Göttingen und Heidelberg) und richteten sich bei der Aufstellung staatlicher Hochschulsysteme nach der Fakultätsstruktur der modernen deutschen Universität. Eine hohe Zahl amerikanischer Studierender an deutschen Universitäten sorgte für die Vertie
fung akademischer Kontakte über den Ozean.
Der kulturelle Einfluß und die öffentlich-politische Bedeutung des Deutschen erlebten in der breiten Zeitspanne zwischen 1848 und 1918 ihr goldenes Zeitalter. In der großen Einwandererwelle um 1850 fanden etwa 500,000 Deutschsprechende ihre neue Heimat in den USA, was eine tief
greifende Neugestaltung der sozialen und ethnischen Struktur der nordameri
kanischen Bevölkerung zur Folge hatte. Der schlagartige quantitative und qualitative Zuwachs der deutsch-amerikanischen M inderheit erfaßte dies
mal nicht nur die Bundesstaaten der Ostküste, sondern auch weite Territo
rien und neu gegründete Staaten des Mittleren Westens wie Ohio, Michi
gan, Wisconsin, Minnesota, Iowa, Illinois, Indiana, Kansas, Missourri und Texas. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zu den ersten Einwanderer
gruppen im achtzehnten Jahrhundert ergab sich aus der Vielfalt in der be
ruflichen Ausbildung, im allgemeinen Bildungsstand und im religiösen Hin
tergrund der Neuankömmlinge. Die Beweggründe für die Massenauswan
derung bestanden in diesen Jahren nicht mehr in der Suche nach religiöser Selbstbestimmung, sondern vielmehr im Streben nach politischer und zu
nehmend nach wirtschaftlicher Eigenständigkeit. Kennzeichnend für das Weltbild und die Denkart dieser vielschichtigen Einwanderergeneration und ihrer Nachfolger war ein traditioneller Glaube an individuelle und gemein
schaftliche Freiheitsrechte und eine hohe Wertschätzung der Bildung und Erziehung. Begünstigt wurde die Herausbildung einer weltoffenen, jedoch auch an die europäische Heimat und Idendität stark gebundenen deutsch
sprachigen Kultur durch die Einrichtung und großzügige Förderung von Schulsystemen in den neuen Bundesstaaten des Mittleren Westens um die Mitte des neunzehntenJahrhunderts. Die Entwicklung des Hochschulsystems 66
auf den neuen deutschen, französischen, niederländischen und nordeuro
päischen Siedlungsgebieten erfuhr durch das Morrill-Gesetz im Jahre 1862 (Land Grant Act) einen wichtigen Impuls, als die einzelnen Staaten von der US-Bundesregierung großzügig bemessene Landgeschenke für die Einrich
tung von öffentlichen Universitäten erhielten.
Wichtiger noch als die günstigen kulturpolitischen Rahmenbedingungen waren die Eigeninitiativen der deutschen Einwanderer zur Pflege der ethnisch
kulturellen Identität, die hie und da auch noch die Möglichkeit einer Rück
kehr in die mitteleuropäische Heimat aufrechterhielten. Nebst der hohen Anzahl von deutschsprachigen protestantischen und katholischen Dorf- und Stadtgemeinden, Interessengemeinschaften und Zivilvereinen verschiede
ner Art sowie Hunderten von Wochen- und Tageszeitungen nahmen in diesen Initiativen auch die deutschsprachigen und bilingualen Schulen mit Deutsch als Unterrichts- bzw. Zielsprache eine wichtige Stellung ein. Deutsch galt in der Zeiten Hälfte des neunzehntenjahrhunderts sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht als wichtigste und beliebteste Fremdsprache in Nordamerika. Kritische Auseinandersetzungen mit den grammatisch-syn
taktischen Merkmalen der deutschen Sprache wie Mark Twains berühmt
berüchtigter Essay TheAwful German Language2 wurden zu dieser Zeit höch
stens als humoristisch-satirische Einzelversuche ausgelegt und nicht als Vor- zeichen einer sprachlich-kulturellen Isolierung wahrgenommen. Die Un
terrichts- oder Zweitsprache Deutsch war in Einwandererhochburgen wie New York City, Cleveland, Cincinnati, Minneapolis, Chicago und St. Lou
is ebenso von prägendem Einfluß wie in einzelnen Gemeinden, Siedlungen und Dorfschulen von Agrarstaaten wie Iowa und Illinois. Zu den bekann
testen Beispielen der neugefundenen Ortsgebundenheit mit Beibehaltung sprachlicher und kultureller Traditionen zählt die Kleinstadt New Ulm im Bundesstaat Minnesota, wo sich die ethnische Subkultur bis heute aufrecht
erhalten konnte mit merkbaren Unterschieden und gelegentlichem Rivali
sieren zwischen den lutherisch und katholisch bekennenden Einwohnern.
Für einen Neuzuwachs der deutschsprachigen Agrarbevölkerung sorgte der Exodus aus den deutschen Kolonien des Wolga- und Krimgebietes in die Staaten Süd- und Norddakota, Nebraska und nach Kanada sowie die Aus
wanderung von einzelnen, zum Teil auch deutschsprachigen Volksgruppen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie um diejahrhudertwende.
Die Tausende von überlieferten deutschsprachigen Bibelausgaben, Psalm
büchern, Tages- und Wochenzeitungen, Kalendern, Grammatiken, Wörter
büchern und Schullektüren (mit Klassikern wie Egmont, Maria Stuart und Dichtung und V/ahrheit) zeugen von einem hohen und sämtliche Sozialgrup
pen umfassenden Bildungsanspruch, der im Vergleich mit dem kulturellen Bewußtsein anderer europäischer Einwanderergruppen durchweg günstig abschnitt. Im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert verlangten die lokal
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regionalen Initiativen zur Beibehaltung und Förderung der europäischen kulturellen Erbschaft immer mehr nach entsprechenden organisatorischen Rahmen. Der erste wichtige Schritt in diesen Bemühungen wurde im jahre 1870 durch die Gründung des Deutsch-Amerikanischen Lehrerbundes in Louisville (Bundesstaat Kentucky) vollendet; im jahre 1899 folgte die Grün
dung von Fachzeitschriften wie die Pädagogischen Monatshefte in Madison (Wisconsin) und das Journal oJEnglish and Germanic Philology in Urbana (Illi
nois), die heute zu den führenden Fachorganen der nordamerikanischen Germanistik gehören. Unterstützt durch die hohen Immatrikulationszahlen in den Elementar-, Mittel- und Oberschulen erlebten auch Deutschunter
richt, Deutschlehrerbildung und germanische Philologie auf Hochschulebe
ne einen anhaltenden Aufschwung. Wurde an den Elite-Universitäten der Ostküste (wie Harvard, Yale und Princeton) die deutsche Sprache samt an
deren Fremdsprachen im späten achtzehnten und frühen neunzehnten Jahr
hundert lediglich als Wahlfach unterrichtet, so wurde zwischen 1880 und 1910 eine Reihe von Fremdsprachseminaren mit postgradualer Weiterbil
dung (mit dem Magister und dem Ph.D. als angestrebtem Abschluß) einge
richtet. Im Laufe dieser Gründungswelle, begünstigt durch das oben er
wähnte Morrill-Gesetz, enstanden die germanistischen Institute an den großen und großzügig geförderten Staatsuniversitäten des Mittleren Westens (dar
unter in Wisconsin, Minnesota, Iowa und Illinois), die auch heute noch eine prägende nationale und internationale Wirkung im Fachbereich ausüben.
Zu den germanistischen Fachbibliotheken gehören die Sammlungen bzw.
Forschungszentren an den Privatuniversitäten Harvard, Yale, Princeton und Cornell sowie an den Staatsuniversitäten Wisconsin (in der Stadt Madison), Minnesota (in Minneapolis), Iowa (in Iowa City) und Illinois (Chicago und vor allem Urbana-Champaign).
Dieser Blütezeit wurde nach dem amerikanischen Einstieg in den Ersten Weltkrieg an der Seite der Entente im jahre 1917 ein jähes Ende gesetzt.
Die in militärischer Konfrontation duchweg unerfahrene Bevölkerung stand dem Krieg gegen die Zentralmächte unvorbereitet gegenüber und erwies sich als besonders beeinflußbar durch Feindbilder und gezielte Hetze der Regierungspropaganda. Kriegsberichterstattungen deutschamerikanischer Zeitungen, die in denjahren vor der Kriegserklärung die Vorstöße der Zent
ralmächte begrüßt und offen für die deutsch-österreichische Seite Partei er
griffen hatten, wurden jetzt als Beweise gegnerischer Propaganda oder gar als Hochverrat angeprangert. Die Stimmungsmache gegen die eigenen, am Krieg unbeteiligten deutschstämmigen US-Staatsbürger bzw. Einwanderer fand gleichzeitig ihren entsprechenden gesetzlichen Rahmen, als der soge
nannte Espionage Act verabschiedet wurde. Laut diesem (in der Nachkriegs
zeit allerdings wieder als verfassungswidrig erklärten) Gesetz waren sämtli
che Druckschriften und Veröffentlichungen in Fremdsprachen zu verbieten 68
und zu beschlagnahmen, die den aktuellen außenpolitischen Standpunkt der US-Regierung nicht ausdrücklich unterstützten. Sollten durch dieses, in der demokratischen Tradition der Vereinigten Staaten unerhörtes Gesetz auch sämtliche fremdsprachige Publikationen unter die Kontrolle der Zensur ge
stellt werden, so waren dabei - aufgrund ihrer zahlenmäßigen Überlegen
heit und organisatorischen Stärke — doch vor allem die deutschen Presse
organe betroffen.
Die fremdenfeindliche Tendenz solcher Dekrete wurde in den einzelnen Staaten und Schulbezirken je nach der lokalen politischen Konstellation und nach dem Diensteifer der Kommunalpolitiker und Schulverwalter mei
stens noch überboten. Zu den Repressalien gehörten die öffentliche Ver
spottung, psychische und physische Belästigung von Deutschlehrern, -pro- fessoren und ihrer Familien, das Verbot der deutschen Sprache in der Öf
fentlichkeit und die restlose Eliminierung des Deutschunterrichts in etwa fünfzehn Bundesstaaten bis zum Kriegsende. Diesen Vorgangsweisen im Erziehungsbereich wurde durch Untersagung deutschsprachiger Gottesdienste und sogar durch Zwangsauflösung deutscher Gemeinden in zahlreichen Ort
schaften besonders im mittleren Westen Nachdruck verliehen. Die Einstel
lung vieler Tages- und Wochenzeitungen, die massenweise Entlassung von Sprachlehrern und die Reduzierung bzw. Schließung von Lehrerseminaren an Universitäten und Hochschulen waren die unvermeidlichen Folgen der Kampagne in denjahren 1917 und 1918.
Wie verheerend auch diese Propaganda und ihre lokale Ausführung sich für den Deutschunterricht auswirkten, blieb doch der Schaden auf einen relativ engen Zeitrahmen begrenzt. Ein Stimmungswechsel zugunsten der Fremdsprachen machte sich bereits in den ersten Nachkriegsjahren bemerk
bar und ermöglichte auch eine Rehabilitierung des Deutschen in der Öffent
lichkeit. Nach Aufhebung sämtlicher Kriegsdekrete und Einschränkungen konnten sich die Immatrikulationszahlen bis zur Mitte der zwanziger Jahre auf allen Ebenen stabilisieren. In der germanistischen Forschung erfolgte ein Prozeß der Entpolitisierung; Energien, die in den Kriegsjahren mit der Besinnung auf die nationale bzw. ethnische Identität der Deutschamerika
ner verwendet worden waren, wurden nun wieder auf einzelne Fragen des praktischen Unterrichts und der akademischen Forschung konzentriert. Dem Regenerierungsprozeß um die Mitte der zwanziger Jahre waren unter an
derem die sich vielfältig entfaltende Tätigkeit des Dachverbandes American Association ofTeachers of German (AATG) und die Entwicklung von renom
mierten Zeitschriften wie Journal ofEnglish and Germanic Philology, The Ger
man Quarterly und Germanic Review zu verdanken.
Gemessen an den schwerwiegenden Folgen, die der deutschen Sprache und Kultur während des Zweiten Weltkriegs zugefügt wurden, hielten sich die Schäden für den Beruf des Germanisten nach 1945 in relativ engen Gren
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zen. Dies lag erstens daran, daß die amerikanische politische und M edien
öffentlichkeit zwischen dem mitteleuropäischen Kriegsfeind und der eige
nen integrierten deutschen Volksgruppe diesmal klar zu unterscheiden wußte und keinen Sündenbock brauchte, um die Bevölkerung auf den Einstieg in den Krieg einzustimmen. Ist das Interesse an Deutsch als Wahlfach in den einzelnen Schuleinrichtungen teilweise auch zurückgegangen, wurde doch ein Verbot des öffentlichen Gebrauchs von Fremdsprachen auf lokaler oder gar nationaler Ebene weder gefordert noch ausgesprochen. Zweitens befan
den sich die Sympathisanten mit dem Dritten Reich in der Hochschulger- manistik in deuüicher Minderheit, und das Wirken solcher Kräfte beschränk
te sich auf einzelne kleine Privat-Colleges an der Ostküste und im Mittle
ren Westen. Drittens setzten sich zahlreiche, hoch angesehene intellektuelle Verfolgte des Dritten Reiches an amerikanischen Universitäten dafür ein, daß Deutschunterricht und Germanistik ihren erst vor kurzem wieder er
worbenen guten Ruf auch unter den Kriegsumständen bewahren konnten.
Umgekehrt leisteten zahlreiche jüngere US-Germanisten einen wichtigen Beitrag zum Nachrichtendienst und zur Spionageabwehr an der europäi
schen Front. Um die Regenerierung des Berufs des Germanisten zu beschleu
nigen, sprach sich Thomas Mann in seinem Brief An die Deutschlehrer Ame
rikas unmittelbar nach Kriegsende für den Erhalt des Deutschen zusammen mit anderen Sprachen im Unterricht aus. Seine Worte der Ermutigung ha
ben ihre Aktualität selbst im Abstand von fünfzig Jahren nicht eingebüßt:
... die Welt der Erziehung wäre um ein hohes Bildungsmit
tel ärmer, wenn man aus epheremen zeitlichen Gründen das Studium der deutschen Sprache und Kultur daraus entfernte - im Zusammenhang wohl gar mit einer um sich greifenden Nei
gung, den fremdsprachlichen Unterricht überhaupt zu kürzen.
Das würde nichts als eine nationalistische Verengung des gei
stigen Horizonts bedeuten, in einer Zeit, die auf planetarische Umsicht, auf Völkerkenntnis und Völkerverständnis, auf eine - vom eigenen Gut jeder Nation nichts aufgebende - Mondäni- tät des Geistes dringt, und in einem Lande, dessen Geschichte und innerer Aufbau auf eine universelle Menschlichkeit verweist.3 In den Jahrzehnten des Kalten Krieges und der deutschen Teilung kam dem Deutschunterricht und der Germanistik in den USA ein besonderer Stellen
wert zu. Die Bundesrepublik als festes und zuverlässiges Bindeglied der westlichen Allianz hat das Interesse an der deutschen Sprache und Kultur in den Nachkriegsjahren erfolgreich aufrechterhalten und weiter angeregt.
Die Zusammenarbeit in der NATO und im Rahmen von Partnerschaften sowie Austausch- und Förderprogrammen sorgte für stabile Schüler- und Studentenzahlen, wobei die größeren Staatsuniversitäten in der
Sprachaus-70
bildung von Reserveoffizieren eine besonders wichtige Rolle übernahmen.
Neugier auf das „andere“, unerschlossene Deutschland hinter dem Eiser
nen Vorhang erweckte immer wieder ein konkretes kulturelles und politi
sches Interesse an der DDR (bekannt vorwiegend als „East Germany“). Die neutralen Länder Österreich und Schweiz wurden im amerikanischen öffent
lichen Bewußtsein und im Sprachunterricht eher nur an zweiter bzw. drit
ter Stelle zur Kenntnis genommen, wobei die österreichische Literatur in der Forschung seit den sechzigerJahren allerdings eine zunehmend wichti
ge Stellung einnimmt.
Die amerikanische Germanistik derjahrtausendwende steht vor schwie
rigen Entscheidungen. Die Immatrikulationszahlen in den Mittel- und Ober
schulen und besonders an den Hochschulen und Universitäten sind in den letzten 25 Jahren um etwa 50% zurückgegangen, mit verhängnisvollen Fol
gen für die Berufschancen der Nachwuchskräfte. Konnte sich der Fachbe
reich nach kurzen Krisen diesesjahrhunderts mit relativ geringen Schäden jeweils wieder erholen, erscheint doch für die gegenwärtigen langanhal
tenden Verluste kein Heilmittel in unmittelbarer Aussicht zu sein. Der be
sorgniserregende Rückgang liegt weniger an fachinternen Gründen, son
dern vielmehr am Vorstoß des Englischen im Welthandel und Tourismus (wovon inzwischen nicht einmal die traditionellen Hochburgen der deutsch
mitteleuropäischen Kultur ausgenommen sind); am unaufhaltsamen Vor
marsch des Spanischen in den USA im Zuge der Masseneinwanderung aus Lateinamerika; an den strategischen und handelspolitischen Prioritäten der USA in der neuen Weltordnung der Globalisierung; und an den sich än
dernden Interessen nordamerikanischerjugendlicher in den neunziger Jahren.
Dazu kommt die europäische Integration, die in den USA oft als Zeichen eines modernen kontinentalen Isolationismus mit Ausgrenzung der tradi
tionellen nordatlantischen Bündnispartner mit Besorgnis registriert wird und Überlegungen zu einer geopolitischen und kulturellen Neuorientierung anregt. W erden in der nordamerikanischen bzw. in der langfristig vorgese
henen gesamtamerikanischen Freihandelszone Sprachkenntnisse verlangt, so wird die Zielsprache fast ausschließlich das Spanische sein.
Diskussion und Kontroverse um die Zukunft des Deutschunterrichts und der Germanistik in Nordamerika haben besonders in den neunziger Jahren an Intensität und Schärfe zugenommen und ihren Niederschlag auch auf dem europäischen Kontinent gefunden.4 Sind auch notwendige strukturel
le Änderungen und Reformen der Curricula in den gutenjahren wie auch während der kurzen kriegsbedingten Krisen des 20. Jahrhunderts unterlas
sen worden, so wurden doch in letzter Zeit Stimmen laut, die eine radikale Umwandlung des traditionellen sprach- und literaturorientierten Unterrichts ohne Rücksicht auf historische und regionale Besonderheiten fordern. Die Besorgnis um den Ruf der Hochschulgermanistik bei den Studenten und be
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sonders bei den Universitätsverwaltern führte in der jüngeren Vergangen
heit zu Überlegungen, die im Endeffekt die akademische Freiheit und so
gar die Zivilrechte einzelner Lehrkräfte zu bedrohen scheinen. Auf der Su
che nach Gründen für die zurückgehenden Studentenzahlen wurde unter anderem auf den hohen Anteil nicht-amerikanischer, vorwiegend deutsch
gebürtiger Hochschullehrer an den Fremdsprachinstituten mit der herabset
zenden Bezeichnung „Einwandererwissenschaft“ für die Germanistik auf
merksam gemacht.5 Die deutschsprachigen europäischen Zeitschriften und Verlage als bevorzugtes Veröffentlichungsorgan einzelner amerikanischer Germanisten wurden dabei ebenso in Frage gestellt wie die deutschen Ti
tel traditionsreicher Zeitschriften (Monatshefte und Unterrichtspraxis), die in der Universitätsöffentlichkeit, so die Befürchtungen, wiederum als Zeichen der Selbstisolierung und Überfremdung ausgelegt werden könnten.6
Solche kurzsichtigen Überlegungen mit einem Hang zur Panikmache kön
nen höchstens die fachlich-sprachliche Eigenständigkeit der Lehr- und For
schungstätigkeit einschränken, jedoch auf die Dauer keinen Respekt bei den Studenten und Verwaltungsbeamten erkämpfen. In den sachbezogeneren Einschätzungen zur Lage und Zukunft des Berufs in den USA zeichnen sich zwei Lösungsmodelle ab. Ein inzwischen vielerorts erprobter Ausweg bie
tet sich in der Erweiterung des Begriffs Deutsch- bzw. Germanistikstudium durch Einbeziehen der Geschichte bzw. Kulturgeschichte, Wirtschaft, der politischen Einrichtungen und des Bildungssystems der deutschsprachigen Länder an. In einer dem europäischen landeskundlichen Studium ähnli
chen Weise ist dabei ein interdisziplinäres Curriculum („German studies program“) vorgesehen, das die besonders wichtigen Leistungen deutschspra
chiger Länder auf einzelnen Gebieten der Geisteswissenschaften systema
tisch darbieten soll. Mit Recht wird immer wieder an den Umstand erinnert, daß die Leistungen deutschsprachiger Philosophen, Theologen, Komponi
sten, Psychoanalytiker, Mediziner, M athematiker, Naturwissenschaftler, Folkloristen, Anthropologen und Sprachwissenschaftler im nordamerikani
schen öffentlichen Bewußtsein in diesem jahrhundert gering beachtet und noch weniger anerkannt wurden. Eine zusätzliche, bislang erstaunlich we
nig genutzte Möglichkeit zur Erweiterung der germanistischen Lehre besteht im umfassenden Studium der Geschichte und Kultur von Österreich und der Schweiz sowie anderer Gebiete im deutschsprechenden bzw. ehemals deutsch mitgeprägten Teil Mitteleuropas: Deutschunterricht und Germanistik in den USA sind mit wenigen Ausnahmen immer noch größtenteils auf Deutsch
nig genutzte Möglichkeit zur Erweiterung der germanistischen Lehre besteht im umfassenden Studium der Geschichte und Kultur von Österreich und der Schweiz sowie anderer Gebiete im deutschsprechenden bzw. ehemals deutsch mitgeprägten Teil Mitteleuropas: Deutschunterricht und Germanistik in den USA sind mit wenigen Ausnahmen immer noch größtenteils auf Deutsch