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Abgrenzung verschiedener Fallgruppen

Siegfried H. E LSING *

2. Abgrenzung verschiedener Fallgruppen

Wenn es um kreative Prozessstrategien geht, ist zwischen einer berechtigten Interessenwahrnehmung durch die Parteien und einer willentlichen Behinderung des Verfahrens zu unterscheiden. Dabei sind die Grenzen zwischen solchen Kategorien, also einer regelkonformen Wahrnehmung legitimer Rechte, einer resoluten und aggressiven Prozessführung und einer regelwidrigen Obstruktion des Verfahrens oft fl ießend.

2.1. Regelkonforme Verhaltensweisen als Taktik

In vielen Fällen sind die Handlungen oder Unterlassungen, die das Verfahren verzögern, unmittelbar von den Verfahrensregeln gedeckt. Zumindest wird ein Obstruktionsversuch oft in das Gewand einer berechtigten Interessenwahrnehmung gekleidet. In der Tat geben die Verfahrensregeln den Parteien ein umfangreiches Instrumentarium an die Hand, das geeignet ist, bei (gezielter) Ausnutzung das Verfahren in die Länge zu ziehen oder sonstwie zu behindern.

Den Parteien steht beispielsweise die Möglichkeit offen, einen Ablehnungsantrag gegen einen Schiedsrichter zu stellen, wenn zu besorgen ist, dass dieser nicht unparteilich ist.12 Dies stellt ein elementares Recht der Parteien dar. Allerdings wird eben dieses Recht zunehmend auch als Mittel zur

10 Siehe auch PARK: Arb. Int’l 2001. 263.: „No arbitral ‘Miss Manners‘ sets worldwide procedural etiquette.“ Zu Ansätzen der Kodifi zierung von Verhaltensregeln für Parteivertreter siehe unten III.5.

11 Vgl. LAU: TDM (2) 2010. 1.: „The gloves seem to have come off in a number of commercial and investment arbitrations“; Menon, ICCA Congress Series. 2013. 6., 17.: „[T]his “age of innocence” as it has been famously described has very much come to an end”.

12 Siehe beispielsweise § 18.1 DIS-Regeln, Art. 14 Abs. 1 ICC Rules oder § 1036 Abs. 2 ZPO.

Verzögerung des Verfahrens missbraucht.13 Besonders augenfällig wird dies, wenn eine Partei wiederholt Ablehnungsanträge stellt und diese zudem gegen alle Mitglieder des Schiedsgerichts richtet. Hier sind dem Schiedsgericht aber insofern die Hände gebunden, als es sich jedenfalls die Zeit nehmen muss, über den jeweiligen Ablehnungsantrag zu entscheiden. Gegebenenfalls muss auch eine folgende Entscheidung des staatlichen Gerichts abgewartet werden.14 In institutionell administrierten Schiedsverfahren wird es zumeist die Institution sein, die über den Ablehnungsantrag zu entscheiden hat (siehe unten III.3.).

Einer Partei, die das Verfahren mittels derartiger Ablehnungsanträge zu behindern beabsichtigt, kommt auch entgegen, dass sie nicht im Detail die fehlende Unabhängigkeit oder Unparteilichkeit darlegen muss. Vielmehr ist es ausreichend, lediglich berechtigte Zweifel vorzutragen.15 Daher sind die Erfolgsaussichten eines Ablehnungsantrags oft sogar gut. Aber auch dann, wenn der Antrag nicht von Erfolg gekrönt wird oder solche Anträge gehäuft gestellt werden und sogar offensichtlich nicht fundiert sind, erreicht die antragstellende Partei ihr Ziel, nämlich eine wenigstens vorübergehende Behinderung des Verfahrens.16

Weitere Beispiele für solche Taktiken, die nicht gegen die Verfahrensregeln verstoßen, sind (wiederholte) Anträge auf Gewährung einer Fristverlängerung, umfangreiche Beweisanträge oder spiegelbildlich die exzessive Vorlage von Dokumenten als vermeintliche Beweismittel oder Anträge auf Erlass einstweiliger Maßnahmen. Eine in der Praxis nicht selten zu beobachtende und für den Beklagten oft naheliegende Möglichkeit ist der Antrag, dem Kläger die Leistung einer Kostensicherheit aufzuerlegen. Die positive Bescheidung dieses Antrags würde dem Kläger die Rechtsverfolgung unter Umständen erheblich erschweren. In jedem Fall muss das Schiedsgericht sich mit dem Antrag auseinandersetzen und auch den Kläger hierzu anhören, so dass der Antrag ein probates Mittel zur Verzögerung des Verfahrens sein kann.17

Ein weiteres legitimes Recht des Beklagten ist der Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit des Schiedsverfahrens. Dieser Antrag kann bis zur Bildung des Schiedsgerichts nach § 1032 Abs. 2 ZPO beim staatlichen

13 BLACKABY–PARTASIDES–REDFERN–HUNTER: Redfern and Hunter on International Arbitration.

Rn. 4.91; MARKERT–WILSKE: SchiedsVZ 2012. 58‒59.; GRENZ: Der Faktor Zeit im Schiedsverfahren. 32 f.

14 So im deutschen Recht § 1037 Abs. 3 ZPO. Allerdings hat das Schiedsgericht auch die Möglichkeit, das Schiedsverfahren während der Anhängigkeit des Antrags beim staatlichen Gericht fortzusetzen, § 1037 Abs. 3 S. 2. ZPO.

15 So auch HORVATH: Austrian Yearbook of International Arbitration. 2011. 297., 302.

16 PARK: Arb. Int’l 2001. 263., 269.

17 So auch HO: Vindobona Journal. 2005. 329., 332.; WANG: Brooklyn Journal of International Law. 2003. 1059., 1074.; KIRTLEY–WIETRZYKOWSKI: Int’l Arb. 2013. 17., 23.

69 Gericht gestellt werden. Nach Konstituierung des Schiedsgerichts kann dieses hierüber zunächst selbst entscheiden, wobei der Beklagte die positive Zuständigkeitsentscheidung wiederum beim staatlichen Gericht überprüfen lassen kann, § 1040 Abs. 3 S. 2 ZPO. Da das Schiedsgericht über den Antrag in jedem Fall (spätestens im Endschiedsspruch) entscheiden muss und auch die Möglichkeit der Einbeziehung des staatlichen Gerichts weiteren Aufwand bedeuten kann18, ist auch die Rüge der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts als Verzögerungstaktik durchaus geeignet.19

Auch wenn es nicht gesondert in Verfahrensregeln erwähnt wird, steht einer Partei fraglos auch das Recht zu, ihren Verfahrensbevollmächtigten zu wählen, auszutauschen oder sich eines zusätzlichen Vertreters zu bedienen.

In diesem Zusammenhang kommt es aber auch vor, dass ein Anwaltswechsel

„zur Unzeit“, also unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung vorgenommen und daraufhin unter Hinweis auf die fehlende Sachverhaltskenntnis eine Verlegung des Termins beantragt wird.20 Eine Variante besteht darin, den neuen Parteivertreter gezielt auszuwählen, um beispielsweise wegen gegenwärtiger oder früherer Verbindungen einen Interessenkonfl ikt bei einem der Schiedsrichter zu schaffen.21 Unter Berufung auf diesen Interessenkonfl ikt könnte der Schiedsspruch später im Aufhebungsverfahren angegriffen werden (siehe hierzu auch sogleich 2.).

Eine ähnliche Konstellation gab es beispielsweise in dem ICSID-Fall HEP v. Slovenia.22 Dort kündigte die Beklagte ungefähr eine Woche vor der mündlichen Verhandlung die Teilnahme eines weiteren Anwalts an der Verhandlung an, welcher ebenso wie der Vorsitzende des Schiedsgerichts Mitglied der Essex Court Chambers war. Das Schiedsgericht stellte explizit fest, dass das Vorgehen der Beklagten, insbesondere die unterbliebene Offenlegung der Beteiligung des zusätzlichen Anwalts und die Ankündigung erst kurz vor der mündlichen Verhandlung, eine „atmosphere of apprehension and mistrust“ erzeugt hatten.23

18 Zwar kann das Schiedsgericht nach § 1040 Abs. 3 S. 3 ZPO das Verfahren fortsetzen, solange ein Antrag beim staatlichen Gericht anhängig ist. Eine gewisse Verzögerung wird sich aber dennoch nicht vermeiden lassen, zumal eine Fortsetzung des Verfahrens auch nur dann opportun ist, wenn die Rüge des Beklagten ersichtlich gegenstandslos ist.

19 Siehe auch GAILLARD: Liber Amicorum Michel Gaudet. 28., 29.; GRENZ: Der Faktor Zeit im Schiedsverfahren. 34.

20 HWANG: Table Talk Autumn. 2007. 4., 6.

21 SUSSMAN: The American Review of International Arbitration (ARIA). 2001. 611., 614.

22 Hrvatska Elektroprivreda d.d. v. Republic of Slovenia (ICSID Case No. ARB/05/24).

23 Hrvatska Elektroprivreda d.d. v. Republic of Slovenia (ICSID Case No. ARB/05/24), Order Concerning the Participation of a Counsel vom 6. Mai 2006, Rn. 31. Siehe zu dieser Entscheidung auch unten III.2.

2.2. Regelwidrige Behinderung des Verfahrens

Neben diesen jedenfalls auf den ersten Blick berechtigten und legitimen Maßnahmen einer Partei gibt es Strategien, die eindeutig gegen die Verfahrensregeln verstoßen und allein der Verzögerung und Behinderung des Verfahrens dienen. Hierunter fallen insbesondere alle Fälle der Unterlassung von nach den Verfahrensregeln erforderlichen Handlungen.

Dazu zählt insbesondere das Verstreichenlassen von Fristen für bestimmte Handlungen, die sich aus den Regeln selbst oder aus Vorgaben des Schiedsgerichts ergeben. Bereits vor Bildung des Schiedsgerichts kann der Beklagte den Beginn des eigentlichen Schiedsverfahrens dadurch verzögern, dass er die Benennung des eigenen Parteischiedsrichters unterlässt.24 Ein weiteres, für den Beklagten sehr naheliegendes Mittel ist es, den auf ihn entfallenden Teil des Vorschusses nicht zu bezahlen, ohne den das Schiedsgericht das Verfahren nicht fortsetzen wird.25 Gerade solche Unterlassungen lassen sich recht leicht als bewusste Verzögerungstaktik enttarnen. Das vermag an der entstehenden Verzögerung des Verfahrens allerdings nichts zu ändern.

Ein Beklagter, der konsequent eine Teilnahme am Schiedsverfahren verweigern will, wird auch an einer mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen.26 In all diesen Fällen sind die übrigen Verfahrensbeteiligten darauf angewiesen, ihrerseits für die Fortsetzung des Verfahrens zu sorgen, wobei sich dabei die Konsequenzen in der Regel bereits aus den Verfahrensregeln selbst ergeben (siehe unten III.1.).

Eine spezielle Taktik besteht auch darin, während des Verfahrens das Schiedsgericht regelmäßig durch ungewöhnlich aggressives Verhalten herauszufordern, um möglicherweise eine ungerechtfertigte oder regelwidrige Reaktion des Schiedsgerichts zu provozieren. Diese kann dann später zur Grundlage der Anfechtung des resultierenden Schiedsspruchs im Aufhebungsverfahren gemacht werden.27 Beispielsweise kann die Ablehnung eines Beweisantrages, die Zurückweisung eines Vorbringens als verspätet oder die Ablehnung einer Fristverlängerung provoziert und unter Hinweis auf den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs angegriffen werden.

24 WELSER: Der Gesellschafter 1/2012. 55‒56.

25 WELSER a.a.O. 55; GREENBERG: TDM 2 (2010) 1‒2.

26 WELSER a.a.O. 59.

27 HWANG: Table Talk. Autumn 2007. 4., 5.

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2.3. „Guerrilla Tactics“

Schließlich umfasst das Instrumentarium auch jene „Guerrilla Tactics“ als plakative Beschreibung solcher Maßnahmen, die sich nicht nur gegen den Fortgang des Verfahrens, sondern unmittelbar gegen die gegnerische Partei, gegen Zeugen oder auch gegen Schiedsrichter richten und nicht selten strafbare Handlungen darstellen.28 Dazu gehören die Gewaltandrohung und Gewalt sowie Erpressung und Einschüchterung von Zeugen und Schiedsrichtern, um das Verfahren zu behindern und sich selbst einen Vorteil zu verschaffen.29

In dem Verfahren Himpurna v. Indonesia, ging es beispielsweise so weit, dass der vom beklagten Staat benannte Schiedsrichter während der Anreise zur abschließenden Beratung innerhalb des Schiedsgerichts am Flughafen abgefangen und an der Weiterreise gehindert wurde.30 Im Ergebnis war die Vorgehensweise jedoch nicht erfolgreich, da ein Schiedsspruch zulasten des beklagten Staates Indonesien erging und die Ereignisse vor Erlass des Schiedsspruchs zudem ausdrücklich in der Entscheidung erwähnt wurden.31

Insbesondere in Investitionsschiedsverfahren besteht die Besonderheit, dass ein souveräner Staat beteiligt und dort zumeist die beklagte Partei ist. Hieraus ergibt sich vielfach auch ein Machtgefälle zwischen dem Staat und dem auf der anderen Seite stehenden Unternehmen. Es kommt auch vor, dass in einem solchen Fall der Staat seine Hoheitsrechte und überlegenen Möglichkeiten und Ressourcen dazu nutzt und nicht selten dazu missbraucht, das Schiedsverfahren zulasten der anderen Partei zu beeinfl ussen.32

Ein Beispiel dafür bildet das Verfahren Libananco v. Turkey.33 In diesem Verfahren kam es zu Abhörmaßnahmen türkischer Behörden bei Verfahrensbeteiligten, wobei allerdings nicht abschließend bestätigt werden konnte, dass diese Maßnahmen in direktem Zusammenhang mit dem Schiedsverfahren standen.34

28 Der Begriff Guerrilla Tactics wird zum Teil auch als Überbegriff für obstruktive Taktiken einer Partei verstanden, wobei innerhalb des Begriffs Abstufungen nach Qualität und Schwere der Obstruktion gemacht werden, vgl. HORVATH–WILSKE–NETTLAU–LEINWATHER: In:

HORVATH–WILSKE (Hrsg.): Guerrilla Tactics in International Arbitration. § 1.02, 3.

29 Dazu eingehend HORVATH–WILSKE–NETTLAU–LEINWATHER a.a.O. 6 f., 12 f.;

30 Himpurna California Energy Ltd. v. Republic of Indonesia, Interim Award and Final Award vom 26. September und 16. Oktober 1999, XXV Y.B. Com. Arb. 2000, S. 11. Vgl. zu diesem Fall auch RUBINS: In: HORVATH–WILSKE (Hrsg.): Guerrilla Tactics in International Arbitration.

§ 2.03, 89; LAU: TDM (2) 2010. 1‒2.

31 RUBINS a.a.O. 90.

32 Vgl. zu den Motiven auch KOLO: Arb. Int’l 2010. 43., 46.

33 Libananco Holdings Co. v. Turkey (ICSID Case No. ARB/06/8).

34 Ausführlicher dazu RUBINS: In: HORVATH–WILSKE (Hrsg.): Guerrilla Tactics in International Arbitration. § 2.03, 87.

Ein weiteres Beispiel war die Beschlagnahme des Computersystems einer Kanzlei durch russische Behörden unter Berufung auf eine angebliche Ermittlung, wobei die Kanzlei in einem großen Verfahren den Gegner eines vom Staat gehaltenen Unternehmens vertreten hat.35 In solchen Verfahren, an denen ein souveräner Staat beteiligt ist, trägt auch das Hinzutreten des öffentlichen und des eigenen staatlichen Interesses zur Brisanz der Situation bei.

Ein drittes Beispiel für das Ausnutzen einer überlegenen Position, jenseits von Verfahren unter staatlicher Beteiligung, ist die Ausübung von Druck auf (künftige) Zeugen von Seiten ihres Arbeitgebers unter der (konkludenten) Androhung der Kündigung für den Fall, dass der Zeuge ungünstig für das jeweilige Unternehmen aussagt.36

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