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8 Minderheitenpolitik der Regierungen nach 199

8.1 Die Antall – Boross Regierung (1990-1994)

8.3.4 Schwierigkeiten des Statusgesetzes

Rein rechtlich betrachtet, kann kein einziger völkerrechtlicher Vertrag gefunden werden, durch den die vom Statusgesetz angeordneten Handlungen auf dem Gebiet der Nachbarstaaten legitimiert werden könnten.739 Kritisch gesehen werden muss auch die Frage wer und wie über die Vergabe des Ungarnausweises bestimmt,740 denn dies wirft die bereits angesprochene Problematik der Definition von Minderheit und Nation wieder auf, welche von Forschern unterschiedlich beurteilt wurde. Die eine Seite sieht die Auslandsungarn als Teil der politischen Nation des Staates dessen Staatsbürger-schaft sie tragen, und so wird durch das Statusgesetz der Integrationsprozess der ungarischen Minderheiten im Ausland behindert (Tamás Bauer). Andere (Zoltán Kántor, Béla Bíró) sind der Überzeugung, dass die Auslandsungarn nie an der Nationsbildung der Nationalstaaten teilgenommen haben, und deswegen trotz ihres politischen „Integriertseins“ außerhalb der politischen Nation ihres Sitzstaates stehen.

Des Weiteren gab es eine Diskussion über die antagonistische oder eben die zukunfts-weisende Rolle des Gesetzes. Die Rückkehr zum ethnischen Nationsverständnis, zur ethnischen Gemeinschaft, die vor dem Entstehen der Staaten existierten, steht hier einem den Nationalstaat überholenden, postmodernen Staatskonzept gegenüber, dass von einem Europa der Regionen und Kulturen, und nicht der Nationalstaaten ausgeht.

736 Pesti (2006), S. 321-323

737 Bárdi (2005a), S. 549-550

738 Küpper, Herbert (2004): Die Volksabstimmung über die doppelte Staatsbürgerschaft für Auslands-ungarn vor dem Verfassungsgericht, in: europa ethnica - Zeitschrift für Minderheitenfragen (3/4), S. 82–96, S. 85

739 Voigt (2005), S. 127

740 Kántor, Zoltán (2002): »Státusztörvény és nemzetpolitika: elméleti szempontok«, in: Zoltán Kántor (Hg.), A státustörvény. Előzmények és következmények, Budapest: Teleki László Alapítvány, S. 18–28

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Der Autor schließt sich hier Bárdi und Bauer an, die der Ansicht sind, dass das Statusgesetz das ethnische Nationsverständnis gegenüber dem Staatsbürgerverständnis gestärkt habe.741

Kontrovers wurde in der Politik und Öffentlichkeit auch die Frage nach der Fest-stellung, wer eigentlich Ungar ist diskutiert. Die Selbstdeklaration und Bestätigung durch eine Organisation der Auslandsungarn ließ großen Spielraum für Willkür. Durch den Druck der Venedig-Kommission wurden später eindeutige Kriterien (z.B. unga-rische Sprachkenntnisse) aufgestellt, die jedoch das Problem nicht komplett aus der Welt schaffen konnten.742 Die Auslandsungarn in Rumänien reagierten gemischt auf das Statusgesetz. Ältere und Teile der kulturellen Elite erklärten einen Ungarnausweis beantragen zu wollen, während jüngere, insbesondere Studenten oder Intellektuelle der Ansicht waren, dass sie keinen Ausweis benötigen würden um sich als Ungarn zu fühlen. Insbesondere der von der ungarischen Regierung betonte ökonomische Grund für das Statusgesetz verletzte den Stolz der Auslandsungarn. Einer der rumänisch-ungarischen Politiker lehnte dann auch öffentlich den Ausweis mit der Begründung ab, er benötige kein Geld. Auch die Einbeziehung der ungarischen Organisationen wurde von den Auslandsungarn nicht gern gesehen, denn sie würden keinen Verband benötigen um zu „beweisen“ wer sie sind. Außerdem kritisierten sie die Leichtigkeit mit der fast ein jeder den Ausweis erhalten könne, wobei anderen das gleiche verwehrt bliebe. Der Widerstand zeigte sich auch in der Anzahl der Anträge, die bis Juli 2003 gerade Mal ein Drittel der Berechtigten (etwa 700.000) umfasste.743 Kis sah im Statusgesetz die Gefahr der Verschlechterung der Beziehung der Staaten zu ihren Minderheiten, das Erstarken von rechten politischen Parteien und dem damit verbun-denen eingeschränkten Spielraum der Minderheitenorganisationen.744

741 Bárdi (2005a), S. 552

742 Ieda (2004), S. 21-22

743 Stewart, Michael (2004): »The Hungarian Status Law: A New European Form of Transnational Politics?«, in: Zoltán Kántor (Hg.), The Hungarian Status Law. Nation Building and/or Minority Protection, Sapporo, S. 120–151, S. 142-144

744 Kis, János (2004): »The Status Law: Hungary at the Crossroads«, in: Zoltán Kántor (Hg.), The Hungarian Status Law. Nation Building and/or Minority Protection, Sapporo, S. 152–176, S. 166

198 8.3.5 Zusammenfassung

In der ersten Hälfte seiner Amtszeit konnte Orbán in der Außenpolitik, die nicht die Auslandsungarn betraf, eindeutige Erfolge erzielen: Der NATO-Beitritt fand wie geplant 1999 statt und die Verhandlungen mit der Europäischen Union über den Beitritt verliefen in geordneten Bahnen. Die mit dem Statusgesetz durchgeführte national-politische Wende erweckte jedoch aufs Neue bei den Nachbarstaaten die Angst vor ungarischem Revisionismus und isolierte die Regierung auf internationalem Parkett zunehmend. Die Akzeptanz des Statusgesetzes, welches im Grunde eine positive Diskriminierung der Auslandsungarn vorsah, traf durch schlechte diplomatische Vorbereitung und mangelnde Kommunikationsfähigkeit auf Ablehnung der Nach-barstaaten und Widerstand der europäischen Institutionen. Dazu trug auch die nationalistische Rhetorik um das Gesetz bei. Der Ministerpräsident sprach im Zusammenhang mit dem Gesetz von einem „die Grenzen überbrückenden Programm der nationalen Wiedervereinigung745 und in den Parlamentsdebatten über den Gesetzes-vorschlag wies Zsolt Németh, Staatssekretär im Außenministerium, zum Beispiel darauf hin, dass das Statusgesetz der seelischen Integration und Solidaritätsstärkung zwischen den Auslandsungarn in den verschiedenen Ländern, sowie der politischen Integration diente: Die Ungarn seien damit nicht nur eine Kulturnation, sondern eine Nation mit politischem Körper. Dieser würde durch die MÁÉRT auf politischen Gebiet vertreten und repräsentiere die 15 Millionen starke ungarische Nation. Jedoch deutete er auch an, dass die Einheit der über die Grenzen reichenden ungarischen Nation durch die europäische Integration verwirklicht werden würde.746 Durch die Ausklammerung aller andern Auslandsungarn, die nicht in den anrainenden Staaten leben, besitzt das Statusgesetz auch einen territorialen Bezug, was das Misstrauen auf Seiten der Nachbarstaaten nur weiter schürte. Österreich wurde, wie erwähnt, durch den Druck der EU von vornherein ausgeklammert.747

Der Premier Orbán machte außerdem von Anfang an keinen Hehl daraus, dass er die Wiedervereinigung der Ungarn ohne Grenzveränderungen anstrebte, und forderte eine ungarischsprachige Universität in Siebenbürgen, was die rumänischen Parteien 1998

745 Schmidt-Schweizer (2007), S. 386, 389

746 Pesti (2006), S. 320-321, Zitat: „A magyarság ma már nem csupán kulturális nemzet ilyen értelemben, hanem olyan közösség, amelynek politikai teste is van.”

747 Ieda (2004), S. 22-23

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erboste.748 Dies brachte die dortige Koalitionspartei RMDSZ in Schwierigkeiten.749 Mit der Slowakei konnte durch die Teilnahme der Ungarischen Koalitionspartei (MKP), die an der Regierungskoalition teilnahm, anfangs eine Entspannung der Verhältnisse verzeichnet werden, welche zu einer verstärkten regionalen Zusammenarbeit und zur Aufstellung der gemischten Kommissionen führte, die für die Umsetzung des Grund-lagenvertrages benötigt wurde. Dieser vielversprechende Beginn wurde durch die Verabschiedung des Statusgesetzes unterbrochen, das die Verschlechterung der Beziehungen herbeiführte und den politischen Bewegungsspielraum der MKP einschränkte.750 Betont werden muss auch, dass sowohl Rumänien als auch die Slowakei bereits vor der Verabschiedung des Gesetzes die ungarische Regierung auf ihre Bedenken hinwies, Kritik übte und bilaterale Verhandlungen forderte.751

Die Finanzierungspolitik der ungarischen Regierung gegenüber den Auslandsungarn, ursprünglich initiiert von Csaba Tabajdi, wurde von der Orbán Regierung weitergeführt.

Unter den geförderten Projekten befand sich auch die ungarische Privat-universität in Siebenbürgen, die 2001 und 2002 mit zwei Milliarden Forint unterstützt wurde.752 Änderungen bei der Struktur gab es jedoch insoweit, dass die Projekte jetzt leistungsorientiert vergeben wurden.753

Noch vor den Wahlen 2002 sprachen sich Viktor Orbán, der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und der deutsche Bund der Vertriebenen (BdV) für eine Streichung der Benes Dekrete vor dem Beitritt der Tschechei und Slowakei zur Europäischen Union aus. Dies wiesen die Regierungen in Bratislava und Prag strikt zurück. Es kam zu einem politischen Eklat,754 der die komplizierten Nachbarschafts-beziehungen mit der Slowakei noch weiter belastete.

748 Kastner, Georg (2008): »Die jüngere Geschichte Ungarns und ihre Wirkung auf die ungarische Politik rund um den EU-Beitritt oder "Ungarn ist anders"«, in: Iskra Schwarcz (Hg.), Quo vadis EU? Osteuropa und die EU-Erweiterung, Wien, Berlin, Münster: Lit, S. 207–221, S. 213

749 Dunay (2004), S. 204

750 Hamberger, Judit (2004): A magyar-szlovák viszony esélyei az MKP kormányzati helyzetének tükré-ben, in: Külügyi Szemle (1-2), S. 28–45, S. 33-40

751 Ieda (2004), S. 31-32

752 Pesti (2006), S. 326

753 Bárdi (2005a), S. 543

754 Hauszmann (2004), S. 278

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Die Regierung unter Orbán legte besonderes Augenmerk auf den dualen Charakter der ungarischen Außenpolitik, was sich durch die Vertretung der staatlichen und nationalen (nationalpolitischen) Interessen darlegte. Außerdem war die Außenpolitik auf die Institutionalisierung und Verrechtlichung der ungarisch-ungarisch Beziehungen, sowie das Durchsetzen von positiver Diskriminierung und die Verstärkung der kulturellen Beziehungen zu Ungarn ausgerichtet.755 Der Außenminister János Martonyi erklärte, dass die Nationalpolitik sich mit den Auslandsungarn beschäftigen müsse, um deren ethnische Identität und menschliche Existenz dort zu bewahren, wo sie geboren sind.

Institutionelle Veränderungen traten ebenfalls bei der Regierung ein: Das Regierungs-amt der Ungarn im Ausland wurde unter die Aufsicht des Außenministeriums gestellt, womit die ungarische Außenpolitik kohärenter im Ausland dargestellt werden konnte, gleichzeitig aber auch die Tätigkeit des Regierungsamtes mit der offiziellen Außenpolitik Ungarns gleichgesetzt wurde.756 Beim Wahlkampf 2002 betonte Orbán innenpolitisch die Bedeutung des Statusgesetzes, welches neben der kulturellen auch eine politische Dimension habe, da es eine rechtliche Bindung zwischen dem ungarischen Staat und den Ausweisträgern des Ungarnausweises herstelle. Gleichzeitig negierte er letzteren Aspekt jedoch im Ausland, indem er nur die Förderung der kulturellen Einheit der ungarischen Nation herausstrich.757

Auf der 1999 abgehaltenen Konferenz der „Ungarn und der jenseits der Grenze lebenden Ungarn“, welche zur Institutionalisierung des MÁÉRT führte, wurde in der Erklärung auch dargelegt, dass die Auslandsungarn Staatsbürger unterschiedlicher Staaten seien, aber zur gleichen Zeit auf Grund der gemeinsamen Muttersprache, Kultur und des Zusammengehörigkeitsbewusstseins, einen Teil der ungarischen Nation bildeten.758 Die Fidesz fasste die Frage der Auslandsungarn des Weiteren nicht als Last, sondern als natürlich gegeben an, was an der hohen Anzahl von Mitarbeitern liegen mag, die Auslandsungarn waren.759

755 Kiss, László J. (2008): »Integration, Nation und Modernisierung - Ungarns Außenpolitik am Anfang des 21. Jahrhunderts«, in: Ellen Bos/Jürgen Dieringer (Hg.), Die Genese einer Union der 27. Die Europäische Union nach der Osterweiterung, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 397–418, S. 399

756 Kiss (2000), S. 55

757 Ahn (2007), S. 190

758 Vogel (2001), S. 70

759 Bárdi (2005a), S. 543