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5 Minderheitenrechte in Ungarn und seinen Nachbarstaaten

5.1 Minderheitenrechte in Ungarn

Ungarn zählt durch seinen niedrigen Anteil an nationalen Minderheiten (unter 10 Prozent), die zudem auch noch stark assimiliert sind, zu den homogenen Nationalstaaten in Europa.391 Die Minderheitenpolitik Ungarns wurde laut Brunner in der alten Verfassung392 nach den Verfassungsänderungen vom Oktober 1989 durch die Verankerung der nationalen und ethnischen Minderheiten als „Teilhaber der Macht des Volkes“ und „staatsbildende Faktoren“ (Art. 68 der ungarischen Verfassung, UVerf.) gekennzeichnet. Außerdem gewährte der Art. 68 UVerf. den Minderheiten den Schutz der Kultur, das Recht auf freien Gebrauch der Sprache, auf Bildung und mutter-sprachliche Namen in der eigenen Sprache, die politische Vertretung, sowie die Organisation in Selbstverwaltungsstrukturen.

Das ungarische Parlament beschloss schon 1990 die Einrichtung des sogenannten Ausschusses für Menschenrechte, Minderheiten und Religionsangelegenheiten, welcher jedoch keine Vertretung der Minderheiten darstellt. Dem folgte noch im gleichen Jahr per Verordnung die Schaffung des Amtes für Nationale und Ethnische Minderheiten beim Ministerrat. Dieses sollte die Regierung bei der Verwirklichung der Interessen und Rechte der Minderheiten unterstützen.393 Um zusätzliche Petitions- und

390 Eine Zusammenfassungen aller im Kapitel genannten Rechtsakte sind unter 11.4 im Anhang pro Land in chronologischer Abfolge zu finden.

391 Brunner (1996), S. 40-41

392 Republik Ungarn: 1949. évi XX. törvény a Magyar Köztársaság Alkotmánya. Verfassung der Republik Ungarn, Budapest 1989a, www.ki.oszk.hu/sites/ki.oszk.hu/files/dokumentumok/1949.pdf vom 09.04.2015

393 Küpper, Herbert (1998): Das Neue Minderheitenrecht in Ungarn (= Untersuchungen zur Gegenwarts-kunde Südosteuropas, Bd. 36), München: R. Oldenbourg Verlag, S. 114-115

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Kontrollmöglichkeiten zu haben, wurde außerdem das Amt des Ombudsmannes für die Rechte der nationalen und ethnischen Minderheiten (Art. 32 UVerf., offiziell

„Parlamentarischer Beauftragter für die Nationalen und Ethnischen Minderheiten“)394 mit der Verfassung eingeführt. Dieser sollte Abhilfe schaffen, wenn durch Maßnahmen oder Unterlassungen von staatlichen Behörden oder Ämtern die verfassungsrechtlich gewährten Rechte der Minderheiten verletzt wurden.395

Der ungarische Gesetzgeber verabschiedete außerdem bereits während der ersten Regierungsperiode unter József Antall (1990-1993) ein großzügiges Minderheiten-gesetz, welches gemäß der Verfassung (Art. 68 UVerf.) benötigt wurde. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass die Anzahl der 13 anerkannten Minderheiten (Roma, Deutsche, Slowaken, Kroaten, Rumänen, Ukrainer, Serben, Slowenen, Polen, Griechen, Bulgaren, Russinen und Armenier) in Ungarn relativ klein ist, im Vergleich zu der Anzahl der ethnischen Ungarn in den Nachbarstaaten.396 Das 1993 verabschie-dete Gesetz für nationale und ethnische Minderheiten397 wurde von internationalen Experten, wie Berichterstattern für Minderheitenfragen der Parlamentarischen Ver-sammlung des Europarates gelobt und enthält kollektive Rechte, wie das Recht auf nationale und ethnische Identität, das Recht auf Bewahrung und Aufrechterhaltung der Beziehungen zum „Mutterland“ oder zur „Mutternation“, das Recht auf lokale Selbst-verwaltung und das Recht auf Vertretung im Parlament. Eine Unterscheidung von nationalen und ethnischen Minderheiten wurde im Gesetz nicht getroffen. Diese weit-reichenden Rechte, die sich auch auf die Benutzung der Sprache im Unterricht, Bildung, Kultur und Minderheitenmedien ausdehnten, sollten als Grundlage dazu dienen, die gleichen Rechte in den Nachbarstaaten für die Auslandsungarn zu fordern.398

Das Minderheitengesetz (UMindG) definiert in §1 Mitglieder einer Minderheit als ungarische Staatsbürger, die sich selbst als Angehörige einer Volksgruppe betrachten, die bereits seit mehr als hundert Jahren in Ungarn ansässig ist. Außerdem müssen sie

394 Das Amt gab es bis Ende 2011, dann wurde er von der Regierung Orbán II (2010-2014) abgeschafft.

Amt des Ombudsmannes für die Rechte der nationalen und ethnischen Minderheiten: Pressekonferenz, Budapest 2011, www.kisebbsegiombudsman.hu/hir-708-megtartotta-utolso-sajtotajekoztatojat.html vom 16.09.2014.

395 Schmidt-Schweizer (2007), S. 311-313

396 Zellner/Dunay (1998), S. 217

397 Republik Ungarn: 1993 évi LXXVII. törvény a nemzeti és etnikai kisebbségek jogairól (Gesetz über die Rechte der nationalen und ethnischen Minderheiten), Budapest 1993b, www.nemzetisegek.hu/

dokumentumok/kisebbsegitorveny/kisebbstorvmagyar2006.pdf vom 20.11.2012

398 Zellner/Dunay (1998), S. 220, Vizi (2009), S. 122, Brunner/Küpper (2004), S. 26, siehe: 8.1.2

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sich von der Mehrheitsbevölkerung durch eine Gruppenidentität in Form von Kultur, Tradition und Sprache abgrenzen lassen. Damit fordert das Gesetz sowohl subjektive als auch objektive Kriterien zur Bestimmung der Minderheiten. Angehöriger einer Minder-heit ist aber generell derjenige, der sich zu einer Nationalität bekennt. §61 enthält die erwähnten 13 anerkannten Minoritäten, wobei die Liste jedoch nicht abschließend gemeint ist, denn es reichen theoretisch bereits 1.000 Unterschriften von ungarischen Wahlberechtigten, und die Überprüfung der abstrakten Definitionsmerkmale von §1, um eine neue Minderheit anerkennen zu lassen. §4 enthält das Verbot staatlicher Assimila-tionspolitik, der Um- oder Aussiedlung und sonstiger Benachteiligungen. In den §§7-14 werden die gewährten Individualrechte aufgezählt: Möglichkeit zu Bekenntnis oder Ablehnung des Minderheitenstatutes (Selbstbekenntnis, niemand kann gezwungen werden) sowie der doppelten Minderheitenzugehörigkeit (§7), Recht auf Namens-führung in der Muttersprache (§12), Recht auf Pflege und Kennenlernen der eigenen Sprache und Kultur und muttersprachliche Bildung (§13) und das Recht auf individuelle Kontakte ins Ausland (§14). Dies war in der sozialistischen Vergangenheit nicht möglich gewesen. Die kollektiven Minderheitenrechte sind in den §§15-20 zu finden.

So erkennt das Gesetz laut §15 das Gemeinschaftsrecht der Minderheitenidentität an und schützt in §16 ihr Recht auf Wahrung und Pflege ihrer Traditionen und Kultur. §17 ermöglicht die Errichtung von gesellschaftlichen Organisationen, lokalen und landes-weiten Selbstverwaltungen. Die Bildung und Kompetenzen der Selbstverwaltungen legt

§21ff. fest.399 Das Recht auf die regelmäßige Produktion und Ausstrahlung von nationalen und ethnischen Minderheitenprogrammen wird von §18 gewährleistet, der des Weiteren auch für Schutz und Ermöglichung der muttersprachlichen Erziehung und Bildung, sowie Bewahrung der Kultur, Traditionen und Feste, und Nutzung der nationalen Symbole steht. §19 enthält das kollektive Recht auf Auslandskontakte. Das in §20 beschriebene Recht auf eine Vertretung der Minderheiten im Parlament wurde bis zur Verabschiedung des neuen Wahlgesetzes im Dezember 2011400 nicht umgesetzt, was auch vom ungarischen Verfassungsgericht 1992 und 1994 als verfassungswidrig

399 Die Bestimmungen zu den Wahlen der Selbstverwaltungen (Wahlberechtigte, Kandidaten, Größen der Gemeinden, Teilnahme an den Wahlen auf kommunaler oder Landesebene usw.) sind sehr komplex und werden deswegen nicht im Detail wiedergegeben. Wichtig ist jedoch das die Möglichkeit besteht und auf kommunaler Ebene auch genutzt wird. Siehe: Amt des Ombudsmannes für die Rechte der nationalen und ethnischen Minderheiten, Budapest 2010, www.kisebbsegiombudsman.hu/data/files/198541987.pdf vom 16.09.2014.

400 Republik Ungarn: 2011. évi CCIII. törvény az országgyűlési képviselők választásáról (Gesetz über die Wahl der Parlamentsabgeordneten), Budapest 2011d, www.valasztas.hu/hu/ovi/23/23_1_20.html vom 16.09.2014.

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kritisiert wurde.401 §18 des Wahlgesetzes sichert den Minoritäten nun einen Minderheiten-Wortführer (nemzetiségi szószoló) im Parlament zu, wenn sie auf der Minderheiten-Landesliste nicht genügend Stimmen sammeln konnten. §§7 und 9 behandeln den Modus der Aufstellung von Kandidaten und der Landesliste, wobei hier die Minderheiten begünstigt werden. Des Weiteren wirkten durch §20 UMindG die Landesminderheitenselbstverwaltungen oder das Landesorgan der Interessenver-tretungen der jeweiligen Minderheit von 1995 bis 2011 an der Ernennung des Minderheiten-Ombudsmannes (siehe 8.2.2) mit. Der Minderheitensprachunterricht wird in §43 mit der Möglichkeit zur Bildung von Minderheitenklassen mit eigenem Sprachunterricht gefördert, und §51 gewährt das Recht auf freien Sprachgebrauch auch im Gerichtsverfahren.

Weitere Regelungen zu den Minderheiten existieren im Vereinigungsgesetz, dem Verbot der Diskriminierung im Arbeitsrecht und öffentlichen Dienstrecht, im Gesetz über den Gebrauch der Muttersprache in Gerichtsverfahren, im Mediengesetz und im Strafrecht. Letzteres bestraft nach: §155 Völkermord, §156 Straftaten gegen nationale, völkische, religiöse oder rassische Gruppen, §157 Apartheid, §174B Gewalt gegen ein Mitglied einer nationalen, völkischen, religiösen oder rassischen Gruppe und

§269 Aufstachelung gegen eine Gemeinschaft. Mit diesen Bestimmungen, die noch aus dem Jahre 1978 stammen, geht das Ungarische Strafgesetzbuch über völkerrechtliche Anforderungen hinaus. Unter der Horn-Regierung (1994-1998) wurde der Schutz durch die Änderung des Strafgesetzbuches weiter verstärkt (Strafverfolgung bei Diskriminie-rungsdelikten), und das Unterrichts- und Minderheitengesetz angepasst. Zusätzlich trat 1996 das neue Mediengesetz402 in Kraft, welches die öffentlich-rechtlichen Medien dazu verpflichtete, Nachrichten und kulturelle Programme auch in den Minderheiten-sprachen auszustrahlen.403 Nach dem Beitritt zur Europäischen Union verabschiedete die ungarische Regierung unter Gyurcsány (2002-2006) das „Law on equal treatment and the promotion of equal opportunities“404, welches die Antirassismus-Richtlinie in nationales Recht umsetzte.405 Unter dem zweiten Regierungszyklus von Viktor Orbán

401 Mehr dazu bei Küpper (1998), S. 203. ff., Vizi (2009), S. 125

402 Republik Ungarn: 1996. évi I. törvény a rádiózásról és televíziózásról (Gesetz über das Radio und das Fernsehen), Budapest 1996c, www.complex.hu/kzldat/t9600001.htm/t9600001.htm vom 20.11.2012

403 Schmidt-Schweizer (2007), S. 311-313

404 Republik Ungarn: Law on equal treatment and the promotion of equal opportunities 2003, www.equal rightstrust.org/ertdocumentbank/Microsoft%20Word%20-%20Hungarian_Act.pdf vom 16.09.2014.

405 Schwellnus (2009), S. 37

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trat im April 2011 eine neue Verfassung,406 das Grundgesetz, in Kraft. Jetzt sind die Rechte der in Ungarn lebenden Minderheiten in Art. XXIX geregelt. Sie sind im Grunde gleich mit der alten Verfassung geblieben. Durch die Änderung des Wahlgesetzes hat sich auch die bisher kritische Frage der Minderheitenrepräsentation im Parlament gelöst.

Durch die Mitgliedschaft Ungarns in den Vereinten Nationen (UN-Charta, IPBPR, ICESCR), im Europarat (EMRK, Rahmenabkommen zum Schutz nationaler Minder-heiten, Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen, Empfehlung 1201 usw.) und in der Europäischen Union (Kopenhagener Kriterien, Charta der Grund-rechte der Europäischen Union usw.) gelten in Ungarn zudem die dort verbrieften völkerrechtlichen Minderheitenbestimmungen. Gleich nach der Wende 1989 bemühten sich die ungarischen Regierungen außerdem um bilaterale Abkommen mit den Nachbarstaaten, in denen ungarische Minderheiten beheimatet sind: Slowenien, Rumänien, Slowakei, Serbien, Kroatien und Ukraine (siehe 8.1.1, 8.2.1).

Schwierigkeiten gab es in den Selbstverwaltungsstrukturen der Minderheiten durch das reine Selbstbekenntnis zur Minderheitenzugehörigkeit, die nirgendwo öffentlich gemacht werden musste. Damit konkurrierten in den Kommunalwahlen Minderheiten-kandidaten mit den Kandidaten der politischen Parteien und Unabhängigen gleicher-maßen. Außerdem wurde die Minderheitenzugehörigkeit der Kandidaten und Wähler ebenfalls nicht überprüft. Eine Gesetzesänderung 2005 schaffte durch die Entkoppelung der Minderheitenvertretung von der kommunalen Vertretung Abhilfe, jedoch wird bis heute die ethnische Zugehörigkeit der Wähler und Kandidaten nicht hinterfragt.407 Die Registrierung der Wähler, die später an der Wahl der Selbstverwaltungen teilnehmen können, ist optional und basiert auf Selbstbekenntnis, die keine weiteren objektiven Kriterien benötigt.408

406 Magyar Közlöny Nr. 43: (2011): Magyarország Alaptörvénye

407 Küpper, Herbert (2009): »Die rechtliche Definierbarkeit von Minderheiten und ihren Angehörigen.

Das Beispiel Ungarn«, in: Zsolt Vitári (Hg.), Minderheiten und Mehrheiten in ihren Wechselbeziehungen im südöstlichen Mitteleuropa. Festschrift für Gerhard Seewann zum 65. Geburtstag, Pecs: Univ, S. 387–399, S. 395-397

408 Vizi (2009), S. 126

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Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der ungarische Gesetzgeber sehr vorbild-liche und weitreichende Regelungen für die Minderheiten getroffen hat, die nicht nur individuelle, sondern auch kollektive Rechte, wie die Selbstverwaltungsmöglichkeiten der Minderheiten, mit einschließen. Damit ging er weit über die völkerrechtlichen Min-deststandards hinaus. Dies muss jedoch auch immer vor dem Hintergrund der geringen Zahl der Minderheiten in Ungarn gewertet werden. Problematisch sind auch die faktischen Schwierigkeiten der Roma in Ungarn. Obwohl diese Minderheitengruppe die größte ist, hat sie durch ihre soziale Stellung (niedrige Schulbildung, hohe Armut und Arbeitslosigkeit), Uneinigkeit und Diversität wenig Chance sich selbst zu verwalten.409