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Erster Weltkrieg und die Friedensverträge (1914-1920)

3 Geschichte der Minderheiten in Mitteleuropa

3.2 Erster Weltkrieg und die Friedensverträge (1914-1920)

Nach dem Ersten Weltkrieg wurden in Paris die Pariser Vorortverträge unterzeichnet, die als Oberbegriff für die Friedensverträge der alliierten und assoziierten Siegermächte des Ersten Weltkrieges mit den unterlegenen Mittelmächten stehen. Die Verträge wurden in Folge der Pariser Friedenskonferenz von 1919 ausgehandelt und beendeten formal den Ersten Weltkrieg. Der Inhalt bestand aus spezifischen Punkten für die jeweiligen Kriegsgegner. Insgesamt wurden mit den Verlierern fünf verschiedene Verträge geschlossen, der Vertrag von Versailles am 28. Juni 1919 mit dem Deutschen Reich, der Vertrag von Saint-Germain-en-Laye mit Deutsch-Österreich (später dann Republik Österreich) am 10. September 1919, der Vertrag von Neuilly-sur-Seine mit Bulgarien am 27. November 1919, der Vertrag von Sèvres am 10. August 1920 mit dem Osmanischen Reich, später zugunsten der Türkei revidiert, und der Vertrag von Trianon mit Ungarn, der am 4. Juni 1920 unterzeichnet wurde. In den Verträgen wurden auch die Eigentumsumschichtungen zu Lasten von Deutschland, Österreich, Ungarn und Russland abgesegnet.103

Zwei Jahre nach dem Ersten Weltkrieg entstand der Völkerbund (1920), der aus einem System von Minderheitenschutzverträgen bestand. In die Verträge wurden Diskrimi-nierungsverbote, allgemeine Freiheitsrechte und staatsbürgerliche Rechte aufgenom-men, die durch ein Beschwerdeverfahren und das Klagerecht vor dem Ständigen

102 Borsody (1988), S. 9

103 Suppan, Arnold/Heuberger, Valeria (1994): »Nationen und Minderheiten in Mittel-,Ost- und Südost-europa seit 1918. Nationalismus als europäisches Phänomen«, in: Valeria Heuberger/Othmar Kolar/Arnold Suppan et al. (Hg.), Nationen, Nationalitäten, Minderheiten. Probleme des Nationalismus in Jugoslawien, Ungarn, Rumänien, der Tschechoslowakei, Bulgarien, Polen, der Ukraine, Italien und Österreich 1945-1990, Wien, München: Verl. für Geschichte und Politik; R. Oldenbourg, S. 9–32, S. 19

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Internationalen Gerichtshof abgesichert wurden.104 Die Minderheitenschutzbestim-mungen dienten der Konfliktvorbeugung und konzentrierten sich primär auf Individual-rechte. Der identitätsstiftende Charakter der Anerkennung der ethnischen Gruppen als Kollektiv, der zum Beispiel noch in den alten Regelungen der Doppelmonarchie vorhanden war, fehlte hier fast vollständig.105

Durch die Verträge mussten Österreich und Ungarn völkerrechtlich verbindlich zur Kenntnis nehmen, dass ihre historischen Grenzen verändert und Gebiete an andere, neu entstandene Staaten verteilt wurden. Ungarn verlor zwei Drittel des Territoriums des historischen Königreichs. Ein Streifen ging sogar an Österreich (Teile des Burgenlan-des), obwohl das ebenfalls auf der Verliererseite stand und Gebiete abtreten musste.106 Der Zerfall der k.u.k. Doppelmonarchie begann jedoch schon vor Abschluss der Vorort-verträge, diese bestätigten nur die faktisch bereits bestehende Situation, bei der die Grenzen aber noch nicht exakt festgelegt waren.107 Bereits am 28. Oktober 1918 ent-stand die Tschechoslowakische Republik, die Einzelstaaten des am 1. Dezember 1918 gegründeten SHS-Staates, Kroatien, Slowenien und Serbien deklarierten ihre Unab-hängigkeit im Oktobers 1918 und zu dem am 1. Dezember 1918 proklamierten Rumänien gehörte auch Siebenbürgen (Abbildung 1). Das Völkermanifest Österreichs von 1918,108 welches den Umbau des Kaisertums Österreich in einen Bund selbst-ständiger Nationalstaaten enthielt, konnte diese Entwicklung nicht mehr aufhalten.109

104 Jaeckel, Liv (2005): »Der Minderheitenschutz im Völkerrecht - ein System im Werden«, in: Frank-Lothar Kroll/Matthias Niedobitek (Hg.), Vertreibung und Minderheitenschutz in Europa, Berlin: Duncker

& Humblot, S. 149–198, S. 152-154

105 Salzborn, Samuel (2006): »Minderheitenkonflikte in Europa. Historische Entwicklung, aktuelle Kon-troversen und Lösungsstrategien«, in: Samuel Salzborn (Hg.), Minderheitenkonflikte in Europa.

Fallbeispiele und Lösungsansätze, Innsbruck: StudienVerlag, S. 7–18, S. 10

106 Pariser Vorortverträge 1919/20 zur Beendigung des Ersten Weltkrieges, www.versailler-vertrag.de vom 10.03.2015

107 Anmerkung des Autors: Die Grenzziehungen sind im nach hinein schwierig nachzuvollziehen. In fast allen Gebieten hätten sich anhand der eindeutigen Mehrheit der Ungarn andere Grenzen angeboten, die das heute bestehende Problem unter Umständen abgemildert hätten (Abbildung 4 illustriert dies auch noch nach den Vertreibungen, Um- und Aussiedlungen). Es gab auch Bestrebungen in diese Richtung während der Ausarbeitung der Friedensverträge, wobei England und Italien eher auf der Seite der Ungarn standen, Frankreich sich aber durchsetzte und den Forderungen von Edvard Benes folgte. Siehe auch:

Göllner, Ralf T. (2001): Die Europapolitik Ungarns von 1990 bis 1994. Westintegration, mitteleuropäische regionale Kooperation und Minderheitenfrage (= Studia Hungarica, Band 47), München: Ungarisches Institut, S. 147-148, Eine Abbildung von 1990 ist bei: Kocsis, Karoly/Kocsis-Hodosi, Eszter (2001): Ethnic geography of the Hungarian minorities in the Carpathian Basin, Safety Harbor FL: Simon Publications, S. 27 zu finden.

108 Völkermanifest 1918, www.anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=wrz&datum=19181017&seite=17&

zoom=33 vom 16.08.2014.

109 Hauszmann, Janos (2004): Ungarn. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart (= Ost- und Südosteuropa), Regensburg, München: Pustet; Südosteuropa-Gesellschaft, S. 213

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Abbildung 1: Grenzen, Gebietsveränderungen und Daten der Unabhängigkeitserklärungen der Staaten vor und nach dem Vertrag von Trianon und dem Vertrag von Saint-Germain-en-Laye110

Österreich musste laut dem Vertrag von Saint-Germain-en-Laye Böhmen, Mähren, Österreich-Schlesien und einige Gemeinden Niederösterreichs an die Tschecho-slowakei, Galizien an Polen, Südtirol, Welschtirol und das Kanaltal, sowie Istrien an Italien, die Bukowina an Rumänien, Dalmatien, Krain, Teile der Untersteiermark und Kärnten an das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen abgeben.111 In Südkärnten entschied 1920 eine Volksabstimmung über die Zugehörigkeit zu Österreich oder dem SHS-Staat, wobei sich 59 Prozent der Bevölkerung für Österreich entschieden.112 Durch die Entstehung des Burgenlandes trafen dort die ungarische und österreichische Gesetzgebung für Minderheiten aufeinander, die unterschiedlich ausgeprägt waren (siehe 3.1).

Der Vertrag von Trianon (1920) verpflichtete Ungarn zum Minderheitenschutz:

Gewährleistung von individuellen Freiheitsrechten und Gleichberechtigung, kombiniert mit einem strikten Diskriminierungsverbot. Des Weiteren enthielt es auch spezifische

110 Nation-state - New World Encyclopedia 2014., www.newworldencyclopedia.org/entry/Nation-state vom 16.09.2014.

111 Staatsvertrag von Saint-Germain-en-Laye. Staatsvertrag (Friedensvertrag) zwischen Österreich und den alliierten und assoziierten Mächten, www.versailler-vertrag.de/svsg/svsg-i.htm vom 13.08.2014.

112 Reiterer, Albert F. (2007): »Abkehr, Widerstand, Loyalität? Die Minderheiten und die Erste Österreichische Republik«, in: Peter Haslinger/Joachim v. Puttkamer (Hg.), Staat, Loyalität und Minderheiten in Ostmittel- und Südosteuropa 1918-1941, München: Oldenbourg, S. 127–142, S. 132-133

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Minderheitenschutzregelungen, wie die Benutzung der Muttersprache vor Gericht, und in den der nationalen und religiösen Identitätswahrung erforderlichen Einrichtungen, wie Schulen. In kompakten Minderheitengebieten war sogar ein Fördergebot der Minderheitensprachen vorgeschrieben. Das Nationalitätengesetz von 1868 galt fort und die darin enthaltenen Regelungen des gleichen Zugangs zu öffentlichen Ämtern und die Erfordernis von Minderheitensprachkenntnissen in Justiz und Verwaltung wurde dahingehend erweitert, dass bei Kreisgerichten und Gerichtshöfen, sowie bei staatlichen und kommunalen Verwaltungsbehörden, bei einem Bevölkerungsanteil der Sprachminderheit von einem Fünftel, die Beamten zu einer gewissen Anzahl dieser Sprache mächtig sein mussten. Die ungarische Regierung verfolgte trotz dieser umfassenden Schutzrechte jedoch eine restriktive Minderheitenpolitik, so dass die Gesetze keine praktische Anwendung fanden.113

Die Slowakei unterlag, wie schon erwähnt ab der Mitte des 19. Jahrhunderts einem starken Magyarisierungsdruck, der erst Unwillen, dann Widerstand und schließlich die Abwendung von der Monarchie verursachte.114 Bereits 1916 erhielten so slowakische und tschechische Exilpolitiker (unter anderen Tomáš Garrigue Masaryk, Edvard Benes) die Unterstützung der Triple Entente nach dem Krieg im Sinne der nationalen Selbstbestimmung einen eigenen Staat zu errichten.115 Durch die Verträge von Saint-Germain-en-Laye und Trianon wurde der neue Staat Tschechoslowakei schließlich offiziell anerkannt. Der erste Präsident war Masaryk. Da die beiden genannten Verträge auch in die Verfassung von 1920 übergingen, wurden im neuen Staat allen Bürgern die gleichen Rechte unabhängig von Rasse, Sprache oder Religion gewährt (Art. 7).

Außerdem wurde die Gleichbehandlung und der Unterricht in Muttersprache in Gebieten mit einem bestimmten Anteil von Minderheiten (Art. 9), sowie die autonome Gebietskörperschaft der Karpato-Ukraine (Art. 10) festgehalten.116 Die Gebiets-autonomie wurde allerdings bis zur Auflösung der Tschechoslowakei nicht eingerichtet.

Die Staatssprache war tschechoslowakisch, wobei die Minderheitensprachen durch Sprachgesetz in den Gebieten mit 20 Prozent Minderheitenbevölkerung als

113 Brunner/Küpper (2004), S. 14-15

114 Hofmann, Mahulena: Minderheitenschutz im östlichen Europa: Slowakei. Berichte zur rechtlichen Ausgestaltung des Minderheitenschutzes. Forschungsprojekt des Instituts für Ostrecht der Universität zu Köln 2005, www.uni-koeln.de/jur-fak/ostrecht/minderheitenschutz/Vortraege/Slowakei/Slowakei_

Hofmann.pdf vom 16.07.2014., S. 7

115 Kavka (1968), S. 150-151

116 Hofmann (2005), S. 7

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Amtssprache genutzt werden konnten. Jedoch wurde dies nicht überall verwirklicht und auch zum Beispiel in Städten eingeschränkt. Gleichzeitig wurde die öffentliche Verwaltung reorganisiert, wobei bei der Grenzfestlegung darauf geachtet wurde, den Anteil der Minderheiten möglichst gering zu halten. Es kam des Weiteren zur Gründung von Kolonien in den von Minderheiten besiedelten Gebieten, um die Homogenität aufzubrechen. Veränderungen der Bevölkerung traten insbesondere in der Slowakei durch die Auswanderung der ungarischen Oberschicht und den Abzug und die Ent-lassung der alten ungarischen Eliten ein, welche die Fachleute in der staatlichen und wirtschaftlichen Verwaltung stellten. Da es keine vergleichbaren Arbeitskräfte in der Slowakei gab, wanderten viele tschechische Fachleute zu.117 Alles in allem zählte der Staat 20 Prozent Deutsche und sechs Prozent Ungarn als Minderheit sein eigen.118 Ins-gesamt kann gesagt werden, dass den Minderheiten auf dem Papier sehr liberale politische, sprachliche, kulturelle Rechte zugestanden wurden.119

Rumänien gewann 1913 den zweiten Balkankrieg gegen Bulgarien und bekam durch den Frieden von Bukarest die südliche Dobrudscha. 1916 schloss sich der Staat der Entente an und nahm 1918 die mehrheitlich rumänisch besiedelten Territorien Russlands und Österreich-Ungarns ein. Im Ungarisch-Rumänischen Krieg marschierten rumänische Truppen 1919 in Ungarn ein und besetzten Budapest. Durch die Pariser Friedensverträge (Art. 59 Vertrag von Saint-Germain-en-Laye und Art. 45 Vertrag von Trianon) wurden die neuen Grenzen anerkannt. Rumänien erhielt Siebenbürgen, das östliche Kreischgebiet, die Bukowina und zwei Drittel des Banats von Ungarn und von Russland Bessarabien. Der rumänische Staat entstand damit durch die Zusammen-führung und Loslösung von Gebieten aus früheren Souveränitätsverhältnissen: Die Fürstentümer Moldau und Walachei stammen aus osmanischer Herrschaft, Bessarabien wurde vom russischen Zarenreich, die Bukowina, das Banat und das Fürstentum Siebenbürgen vom ungarischen Königreich abgetrennt.120

Der 1918 gegründete SHS-Staat (Slowenien, Kroatien, Serbien) wandelte sich noch im gleichen Jahr zum Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen und nahm 1929 den

117 Polányi (1994), S. 29, 33-35

118 Riemer, Andrea K. (1997): Die ungarische Minderheit in der Südslowakei - ein multidimensionales Krisenpotenzial, in: Osteuropa (3), S. 253–268, S. 255

119 Polányi (1994), S. 29

120 Hösch (1995), S. 77

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Namen Königreich Jugoslawien an. Innenpolitisch standen sich dabei der Zentralismus der Serben und der Föderalismus der Kroaten gegenüber. Der Minderheiten-schutzvertrag von 1920 trat zwar als Gesetz in Kraft, jedoch unterließ die Regierung keinen Versuch die wirtschaftliche Kraft und die Identität der im Lande lebenden Minderheiten zu schwächen.121

Durch die veränderte Grenzziehung befanden sich in der Tschechoslowakei (1930) 691.923, in Jugoslawien (1921) 467.658 und in Rumänien (1930) 1.554.529 Auslands-ungarn. Insgesamt hatte die Tschechoslowakei mit 30,6 Prozent, Jugoslawien mit 18,8 Prozent Minderheiten zu kämpfen. In Rumänien stellten die Minderheitenangehörigen ein Drittel der Bevölkerung (siehe Abbildung 2).122

Abbildung 2: Gebietsunterschiede und Zusammensetzung der Bevölkerung zwischen dem Königreich und unabhängigen Ungarn nach dem Vertrag von Trianon123

121 Vogel, Sándor (1995): »Sicherheitsdilemma und ethnische Konflikte aus ungarischer Sicht«, in:

Gerhard Seewann (Hg.), Minderheiten als Konfliktpotential in Ostmittel- und Südosteuropa. Vorträge der internationalen Konferenz der Südosteuropa-Gesellschaft (München), des Südost-Instituts (München) und des Österreichischen Studienzentrums für Frieden und Konfliktlösung (Stadtschlaining, Burgenland) auf Burg Schlaining, 19.-22. Oktober 1993, München: Oldenbourg, S. 212–230, S. 215

122 Teichova, Alice (1988): Wirtschaftsgeschichte der Tschechoslowakei 1918-1980, Wien: Böhlau, S. 14, Bevölkerung der Tschechoslowakei: 53% Tschechen, 16,4% Slowaken, 23,6% Deutsche, 4,3 % Ungarn, 2,7% Sonstige, Vogel (1995), S. 214-215

123 Trianon peace 1920 - The dismemberment of 1000 years old Hungarian state - Peace to End peace 2013., www.hunsor.se/trianon/treatyoftrianon1920.htm vom 16.09.2014.

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Nach dem Ersten Weltkrieg und den Pariser Vorortverträgen entstand somit in Mitteleuropa ein neues Gefüge von Staaten, welche zum Teil vorher in dieser Form nie existierten, und daher auch mit den grundsätzlichen Schwierigkeiten des Staatswerdens zu kämpfen hatten. Dazu kam, dass die Auflösung des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn keineswegs zu homogenen Nationalstaaten geführt hatte, was zum Teil auch der unglücklichen Grenzziehung durch den Trianon Vertrag zu verdanken war. Die neu entstandenen Staaten waren im Grunde ein Abbild des Vielvölkerstaates im Kleinen, mit unterschiedlichen Minderheiten und Kulturen, wogegen die alten Staaten, die Republiken Österreich und Ungarn eine viel größere Homogenität und eine geringere Minderheitenanzahl aufwiesen.

Das System des Völkerbundes und der in den Verträgen festgelegte Minderheitenschutz bestand zwar auf dem Papier, wurde jedoch von den meisten Staaten nur teilweise oder gar nicht umgesetzt, da es keine automatischen Überwachungsmechanismen dafür gab (siehe 4.3).