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Der Jugendstil im organischen Prozeß der deutschen Literatur

In document Der Weltanschauungsroman (Pldal 76-105)

M it Ju g e n d stil’ hat m an zuerst eine gewisse Art bildender K unst, inn erh alb der­

selben eher Kunstgewerbe oder G ebrauchskunst bezeichnet. Als Z eitspanne für sei­

nen H öhenflug, seine Vorherrschaft oder Blüte bestim m te m an schon 1935 die Zeit zwischen 1897 u nd 1902: „Als der entscheidende Z eitraum wird die Ära zwischen 1897 und 1902 bezeichnet, also von der M ünchener K leinkunstausstellung bis zum Tode Eckm anns, dem Ende d e s ,deutsch-naturalistischen Jug end stils’.112 Im erst­

malig 1935 gedruckten grundlegenden Aufsatz D o lf Sternbergers, der die Literatur ebenfalls noch nicht in den Begriff einbezieht, ist von „ fü n f oder zehn Jah ren um d iejah rh u n d ertw en d e“ die Rede.113 Die den Jugend-stil au f das Kunstgewerbe oder die G raphik beschränken, wie jüngst Friedrich A hlers-H esterm ann, behalten diese Z eitbestim m ung bis heute bei.

Seitdem Jugendstil’ als Periodenbezeichnung auch für die Literatur in A nspruch genom m en wird, umfassen die Jahreszahlen einen größeren Zeitraum . In ihrer orien­

tierenden und inhaltsreichen D okum entensam m lung sprechen Erich R uprecht und D ieter Bänsch von einer „losen Z eitbestim m ung“ von 1890 bis 1910, in der all­

gemeinen inhaltlichen C harakterisierung der veröffentlichten „M anifeste“ fällt das W ort Jugendstil zwar nicht, und es wird deutlich, daß sie in ihrem Sam m elband auch die H eim atkunst m einen, trotzdem ist dann vor allem vom Jugendstil in unse­

rem V erständnis die Rede. Die D okum ente „haben gegenüber den naturalistischen T endenzen u n d Positionen ihre G em einsam keiten, so etwa im Z urückdrängen der sozialen Frage u n d einer neuen A kzentuierung der bürgerlichen In dividu alität, in der Ersetzung des Prinzips experim enteller B eobachtung u n d Beschreibung durch den Ausdruck subjektiver Innerlichkeit oder einen historisierenden W illen zur Form an sich; im Lob der H eim at, Volk und N ation oder der Zönakel gebildeter Kenner;

im Rückzug aus der G roßstadt in die Provinz“.114 Das bisher letzte gewichtige W ort dazu fällt im großzügigen u n d langatm igen Versuch H erbert Lehnerts, der wenig­

stens in seiner geäußerten Absicht die ganze deutsche L iteratur seit 1880 u n ter den Aspekt des Jugendstils stellt, wobei die obere Zeitgrenze wegen der S childerung des Übergangs in den Expressionism us unbestim m t bleibt, eine Fixierung a u f die Zeit um 1910 jedoch nicht ausschließt.

H eute gilt auch die In tern atio n alitä t dessen, was deutsch Jugendstil (in Süd­

deutschland u n d im durch das Süddeutsche beeinflußten K ulturgebiet m anchm al oder konsequent .Sezession’) heißt, als allgemeines W issensgut. D abei denken wir hier nicht in erster Linie etwa an ,1’art nouveau’ (in der Kunst) und Gabriele d’Annun- zio (in der Literatur), sondern an die Vorläufer in England, weil es uns nich t so sehr um die G em einsam keit der Form en, sondern um die G em einsam keit der U rsachen u n d des Bewußtseins h in ter den Form en geht. Was die G leichzeitigkeit der

aus-lösenden F aktoren u n d der ausgelösten Phänom ene anbelangt, sind die Präraffae- liten .gleichzeitig’ wie die deutschen Jugendstilkünstler in ihrem A m biente: .gleich­

zeitig’ zu r Industriegesellschaft im jeweiligen Land.

U n d die K unst der Präraffaeliten ist „geboren aus .Lebensangst un d M elancho­

lie’, als eine Flucht vor dem beginnenden Industriezeitalter der viktorianischen Ära ins M ittelalter“.115 Sie waren genauso großstadtfeindlich wie die späteren D eut­

schen, u n d besonders vielsagend scheint uns, daß die literarischen Form en der englischen Bewegung, bei gleichbleibenden A uslösern, gegebenenfalls eher an die F luchtrichtung der H eim atkunst, sogar nicht ganz ohne die nationale K om ponen­

te, als des Jugendstils erinnern: „George M acD onald, Lewis C arro l u n d W illiam M orris schufen die G attung des ph antastischen Rom ans im Zeitalter der ersten industriellen R evolution in England. Zum al M orris, der sozialistische P hilanth rop und geniale Designer des Jugendstils, w andte sich im A lter enttäuscht vom ver­

m eintlichen technischen F ortschritt ab u n d träum te sich in seinen letzten Lebens­

jahren in eine von nordischen Sagen inspirierte Kunstwelt, in der kein Fabrikschorn­

stein, kein Proletarier-Elend die erhabenen, archaischen K onflikte zwischen dem G uten u n d Bösen stören d u rfte n .“116

W ir sind sogar m it den dam aligen deutschen Beteiligten einverstanden, die in nach- u n d /o d e r außernaturalistischen Tendenzen in der französischen Literatur und K unst R epräsentanten des N euen gesehen haben, wenn sie ihr N euerertum auch nicht Jugendstil n an n ten , zum Teil nicht nennen kon nten, da noch n ic h t einm al die Z e i t s c h r i f t / ^ ^ existierte, die der Tendenz den N am en gab. Den entsprechen­

den A uto ren n am en begegnen wir z.B. bei H erm an n Bahr schon 1892 in einem Aufsatz „Satanism us“: Huysmans, Barbey d ’Aurevilly und Felicien Rops, denen u.a.

eine „mystische N eigung nach erdenfernen, reinen, heiligen Paradiesen“ zugeschrie­

ben w ird117 (117); in bezug au f Huysm ans spricht H erm ann Bahr vom „entrüsteten, trostlosen u n d schadenfrohen Ekel“, von „erbitterter V erachtung der N a tu r“ u nd

„seiner brünstigen Gier nach dem Künstlichen“ (116, H ervorhebung von m ir, M. S.).

H ans H in terhäuser m eint in unseren Tagen auch vor allem die Franzosen, wenn er feststellt: „Die W ahrnehm ung einer .unheilbaren’ Entfrem dung zwischen dem künst­

lerisch schaffenden Subjekt und der Gesellschaft war in der Tat vielerorts ins Be­

w ußtsein der K ünstler gedrungen.“118

Einen K ünstler m it zu seiner Zeit durchschlagender W irkung kö n n en wir für einen echten, aber aus dem R ahm en fallenden V orläufer halten, indem sich sein Auszug aus der abgelehnten W irklichkeit nicht eindeutig aus der ihn um gebenden Industriew elt erklären läßt, bei dem also die K unstinhalte u n d -form en selbst ein­

deutig ein Zeugnis von der Jugendstilhaftigkeit ablegen, ohne daß wir uns a u f einen gem einsam en Auslöser berufen könnten: a u f A rnold Böcklin näm lich. Ju-gend- stilhaft ist bei ihm das Symbolische in an die N atur erinnernden, aber n ich t n atu r­

getreuen m enschlichen, tierischen und pflanzlichen Figuren, in ihrem Ensem ble ind ihrer A no rd nung, und daß das Symbolische a u f eine andere, künstlerische und künstliche Schönheit hiweist, m ithin die Welt des schönen Scheins heraufbeschwört.

A uffallend ist seine B eliebtheit bei A utoren in der späten Phase des N aturalism us wie z.B. W ilhelm von Polenz, für den er schlechthin als absoluter Gipfel der M ale­

rei galt, oder anderen, die als Zeitgenossen des Jugendstils in seiner Sphäre gesehen werdenn können. W ir lesen über H ofm annsthal: Sein D ram a Der Tod des Tizian „[...]

enthält einen entzückenden Prolog, eine nachdenkliche D arstellung seelischen und künstlerischen W achsens und einen H ym nus a u f die m ythisch schöpferische M acht Tizians. Aber T izian ist n u r Vorwand: der Zauberer, dem so würdevoll gehuldigt wird, heißt B öcklin.“ 119 An Böcklin mag auch Julius Langbehn gedacht haben, als er „die A bsicht vieler heutiger M aler“ lobte, „von der kahlen u nd oft so b rutalen Prosa des Lebens der Gegenwart absehen zu w ollen“.120 U nd w enn wir bis Böcklin vorgedrungen sind, weisen wir — um das G em einte noch deu tlicher w erden zu las­

sen — a u f die jugendstilhafte Esoterik des grotesk-tragischen bayrischen Königs Lud­

wig II. hin, a u f seine Flucht vor der m ächtig drängenden In d u strialisieru ng und Technisierung in die W elt einer historisch gem einten fast überirdischen Schönheit, die er im m erh in zu errichten strebte, in das Zönakelleben u n ter den G etreuen, zur für ihn die K unst schlechthin verkörpernden Person W agners un d zur Zauberkraft seiner M usik. Ä hnlich erin n ert uns die Praxis der A utoren, im R om an-geschehen für sich selbst u nd im Z usam m enhang m it der H an d lu n g sym bolische Bilder vor­

zustellen, — z.B. bei Carl H au p tm an n , der sonst ganze W erke im Geiste des Jugend­

stils sc h u f wie Die Austreibung (l 905) oder Die armseligen Besenbinder (1913) —, an die malerische Eigenart Franz von Stucks, also an eine Art K unstpraxis, die in den R andzonen des Jugendstils ihren Platz hat.

Vom Jugendstil in der deutschen L itertur spricht m an m it synthetisierendem A nspruch seit den 50er Jahren. H eute wird die H ypothese von einer Jugendstil- Periode zwischen N aturalism us und Expressionism us weitgehend akzeptiert.

D er B egriff Ju endstil in der L iteratur hat drei Ebenen. Sie haben einiges auch m it der chronologischen A bstufung der E ntstehung des heute existierenden Be­

griffs zu tun, die zugleich dem Prozeß der Verselbständigung des Literarischen vom M alerischen u n d Kunstgewerblichen gleichzusetzen ist.

A u f der u ntersten Ebene wird als literarischer Jugendstil verstanden, was in der L iteratur direkt a u f den Jugendstil in der M alerei u n d G raphik bezogen werden kann. D azu gehören lyrische Prosatexte Max D authendeys schon aus der ersten H älfte der 90er Jahre, die — für sich stehend — als N ach em pfin dun gen w irklicher oder m öglicher Gem älde Böcklins gelten können und a u f jeden Fall in eine W elt des Scheins führen; sie sind aus figurativen E lem enten zusam m engesetzt un d wir­

ken im Einzelnen un d noch m ehr in ihrem Ensem ble stilisiert. W ie dies sogar für einen A b schnitt eines episch gedachten Werks im ganzen gelten kann, wollen wir an der B eschreibung einer Episode im R om an d ’ A nnunzios Le vergini delle rocce (1895) aus der Feder H ans H interhäusers zeigen: „Sein H eld u n te rn im m t m it drei präraffaelitischen Jungfrauen eine Bootsfahrt zum wasserum spülten R uinenort Lin- turno, m an gelangt durch Beete von Seerosen a u f eine Insel und begegnet a u f Sarko­

phagen und in einer verfallenen Basilika einem floral verschönten M iteinander von

*

heidnischen u nd christlichen Relikten Er fügt noch hinzu: „Ich w üßte in der italienischen Literatur kein zweites Beispiel für ein derart massiertes A uftreten der europäischen Ju g en d stilto p ik .“ 121 Im weiteren rechnen wir in diese Kategorie der der M alerei verpflichteten Literatur Beschreibungen wirklicher oder von den Figu­

ren von Prosawerken gem alter fiktiver M enschendarstellungen sym bolischen In­

halts zunächst bei W ilhelm von Polenz, dan n auch bei H einrich M ann oder Carl H a u p tm an n bzw. W iedergaben von T räum en, die als solche Bilder wirken. Für die letzteren zwei Beispiele. Das erste von W ilhelm von Polenz in seinem ersten R om an Sühne (1891). Dazu zuerst seine Lobpreisung Böcklins, die wirkt, als ob der A utor schon in K enntnis des Jugendstil-Programm s auftreten wolle: „[...] seine rätselhaften Frauengestalten ließen sich durch das profane Geschwätz [der kunstunverständigen Besucher einer Ausstellung] nicht in ihrer am brosischen Seligkeit stören; m ochten die da u n ten doch ihren schwachen M enschenw itz an ihnen üben, ihre Existenz­

fähigkeit anzuzw eifeln, sie, die K inder einer schönen W elt, w ußten ja doch, daß es auch a u f der Erde eine Stätte gibt, wo W esen wie sie existieren, näm lich in der Phantasie des Genies“.122 (150) In einem späteren A bschnitt des Rom ans ,m alt’ sein P rotagonist im Traum : er genießt „paradiesische F reuden“ „in w on nen tru n k en er U m arm u n g “, es waren „ n u r glutvolle Rosen, sehnsuchtsvoll rankende W inden, hingebend schm iegsame Palmen zu Zeugen ihrer Liebeslust, um fächelt von kosen­

den, m it berauschendem W ohlduft erfüllten Lüften, um schwebt von fernen Gesän­

gen seliger C höre [...]“. (301) G ut zehn Jahre später träu m t Thom as Truck bei Felix H ollaender: „[...] die Frauen, die K ränze in den H aaren hatten u n d bu nte, ver­

wegene T rachten trugen, w andten und drehten sich so schnell, w irbelten so u n au f­

haltsam , kreisten so ungetüm , daß ihm schwindelig w urde“.123 In diesem Bereich wollen wir auch die M ilieus gehobenen Seinsinhalts sehen, die aus künstlerischen Bauelementen u nd aus in ihrer Auswahl und A nordnung stilisiert wirkenden N atur­

details zusam m engesetzt (wie Park, K unstgarten, Paläste, Terrassen u.a.) oder m en­

schenähnliche, aber n ich t m enschliche F igurengruppen sind (bei H ugo von H of­

m annsthal, Stefan George, G erhart und Carl H au p tm an n , später auch dem frühen Ernst Barlach). Als solche fassen wir z.B. die m ythischen Gestalten in Die versunkene Glocke auf.

A u f der zweiten Ebene der Inhaltsm öglichkeiten des Begriffs stehen literarische W erke oder sogar Lebenswerke, die sich m it T erm ini u nd Kategorien beschreiben u n d analysieren lassen, welche aus dem Jugendstil in den bildenden K ünsten ge­

w onnen w urden. D a ra u f beruhen die beachtlichen B em ühungen Jost H erm ands u n d R ichard H am anns, Jugendstil in der bildenden K unst und in der Literatur m it­

einander in D eckung zu bringen. Als Z uordnungskategorien un d H ilfsw örter der Analyse w erden a u f dieser Ebene B ezeichnungen wie .S tilisierung’, .Symbolisie- ru n g ’, .R h ytm isierung ’, .stilisierte N a tu r’ oder das .Pflanzliche’, .Vegetabile’, .Ran­

kende’ usw. verwendet. Der Versuch der Beschreibung des Jugendstils orientiert sich hier letzten Endes a u f Stilm erkm ale, daher ist der Vorschlag Jo st H erm ands ver­

ständlich, für Ju g e n d stil’, .Stilkunst’ einzusetzen. Er hat auch sonst im Sinne des

von ihm em pfohlenen Term inus gemeint: „Gerade a u f diesem Gebiet [auf dem des Jugendstils] entscheidet nicht die Idee als solche, sondern die künstlerische Form , in der sie erscheint.“ 124 Für unseren Begriff des Jugendstils ist diese V erengung a u f den Stil, wie wir gleich sehen werden, unannehm bar, man kann aber m it ihrer Hilfe sehr konkrete u n d ergebnisreiche U ntersuchungen d u chfü hren , wie es H o rst Fritz am lyrischen W erk Richard Dehmels dem onstriert h at.125 Für diese Auffassung und für diese Art von Analyse sind bei ihm Sätze wie folgende charakteristisch: „[...] das ,G ew ohnte’ wird so n d e rb a re r’ und schließlich — geradezu in Analogie zum b ild ­ nerischen Jugendstil — in der V erdichtung raum illusionistischer N u ancierungen zur holzschnittartigen und flächigen K onturierung der Gegenstandswelt, wie sie im Bild der klarer vom H im m el sich abhebenden Baumwipfel assoziiert w ird“ (135);

dies an h a n d des Gedichtes D e h m e ls,Manche Nacht“. O d er bei der Analyse des Ge­

dichts „ Venus Pandemos“: „Die realen Gegenstände werden zu einer einzigen Sinnes­

q u alität verkürzt und, a u f diese Weise aus ihrem Bezugssystem gelöst, in neue u n ­ gegenständliche B ildzusam m enhänge verwoben.“ (124) W alter B enjam in h at seine A blehnung Stefan Georges in diesem Kategorienbereich form uliert u nd ist vom Stil un m ittelb ar zum Bewußtseinsm äßigen vorgestoßen: „[...] R u d o lf B orchart [...] hat [...] a u f eine nicht geringe A nzahl m achtloser und verfehlter S trophen [Stefan Geor­

ges] den Blick gelenkt. [...]. Es will aber im G runde das gleiche sagen, w enn etwas ein ,Stil’ in den G edichten Georges m it einer D rastik sichtbar gew orden ist, die bisweilen ihren G ehalt verdrängt u n d in den Schatten stellt. [...]. Es ist der Jug en d ­ stil; m it anderen W orten der Stil, in dem das alte B ürgertum das V orgefühl der eigenen Schwäche tarn t [...]. M an hat von den gequälten O rn a m en ten , die dam als M öbel u n d Fassaden überzogen, gesagt, sie stellten den Versuch vor, F orm en, die erstm als in der T echnik zum D urch b ru ch kam en, ins Kunstgew erbliche zurück­

zubilden. Der Jugendstil ist in der Tat ein großer und unbew ußter R ückbildungs­

versuch. In seiner F orm ensprache kom m t der W ille, dem , was bevorsteht, auszu­

weichen, u n d die A hnung, die sich vor ihm b äum t, zum A usdruck.“126 Die ziem ­ lich weite Verbreitung dieses aus der bildenden K unst abgeleiteten Jugendstil-Bildes und die dazu gehörende Praxis des analytischen Verständnisses hat im m erh in das Ergebnis gezeitigt, daß wir bei einzelenen Sätzen a u f den ersten Blick n ich t o hne weiteres sagen können, ob es um Literatur oder K unst geht, u n d diese Beliebigkeit hat in der Tat in der W irklichkeit der K unst und der L iteratur ihre G rundlage:

„.Stilisieren’ war um die Jahrhundertw ende in allen Ländern ein ungm ein wichtiger Begriff. M an hat darunter etwa zu verstehen die vereinfachende, Zufälligkeiten unter­

drückende, Gesetzmäßigkeiten hervorhebende U m form ung des Naturvorbildes, seine E in o rd n u n g in einen gegebenen Raum oder einen bestim m ten R hythm us, die An­

passung an ein M aterial.“127 Kenner der M aterie m einen sogar Rückw irkungen der Literatur a u f die Sphäre des bildend K ünstlerischen feststellen zu können: ,Fidus’

(Hugo Höppeners) Arichtekturphantasien werden ein e,Jugend, Schönheit und Lebens­

lust beschwörende U topie“ genannt, bei der „als höchste Steigerung des Tanzes das Liebespiel den unausgesprochenen H ö h e n p u n k t bildet, ähnlich wie in W edekinds

1903 erschienener Erzählung, die Fidus verm utlich gelesen haben d ürfte“.128 W enn wir ,S tir im weitesten Sinne auch als ,E rzählstil’ nehm en u n d auch n o ch T hem en­

wahl darin subsum ieren, kann dieser Begriff viel leisten. Dies benutzt Jost H erm and auch selbst, wenn er m eint: „Im m er wieder zieht sich Fidus einfach in die R um pel­

kam m er des Erhabenen zurück u n d greift d o rt jene heroisch-germanischen, antiken oder höflisch-m ittelalterlichen Stoffe auf, die auch D ichter wie George, Stucken [früher erwähnt: M om bert] und Paul E rnst begeisterten.“129 M an kann dam it auch noch H o fm a n n sth a l durch eine „fast allzu penetrante Symbolik, ein[en] Legen­

d e n to n “ erfassen, „der die W erke [Der Kaiser und die Hexe, Bergwerk zu Falun] deut­

lich als solche des Jugendstils lokalisiert“.130 An der Grenze des noch stilistisch voll E rfaßbaren u n d des schon Inhaltlichen steht z.B. die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke-, es wäre schwer zu entscheiden, ob schon im Titel selbst das Begriffspaar „Liebe u n d T o d “ n u r eine Stilgeste ist oder doch ins jugendstilhaft Inhaltliche hinüb erreicht. W ie der typische Jugendstiltopos .Liebe u n d T o d ’ im Inhaltlich en verankert werden kann, zeigt H erbert Lehnert: „D ie Jugendstilerotik sucht [...] m it dem E lem entarthem a [Erotik] u n ter die unsicher gewordene soziale O berfläche zu dringen, also eine den M enschen bindende Sicherheit im Elem en­

taren zu zeigen, das daher nicht verfälscht werden darf. In dem Protest gegen gesell­

schaftliche Verbiegungen des Liebesbedürfnisses m eldet sich ein kosm isches Frei­

heitsgefühl. Der K ult des Lebens schien Trost und Z uflucht zu bieten in einer Zivi­

lisation, die ein im m er dichter werdendes Netz der O rganisatio n über die elem en­

tare W elt zog. Liebe u n d Tod erschienen als G renzen der R atio nalität f...].“131 Die Grenze zwischen Stilistischem und Inhaltlichem ihrerseits zeigt wohl an, d aß diese G edankenfolge a u f jeden Fall eher die D im ensionen der Göttinnen von H einrich M ann als die der Weise von Liebe und Tod: d o rt h a t ,Liebe un d T o d’ w irklich einiges m it dem Elem entaren u n d noch etwas m ehr m it dem program m atisch verkündeten Irrationalen zu tun.

Für unser Jugendstil-V erständnis reicht jedoch nich t einm al diese großzügige Erweiterung des Stilistischen aus. Es ist möglich, Jugendstil auch im In h alt zu erfas­

sen, u n d selbst eine H ypothese, die vom Inhaltlich en ausgeht, w ird der W irklich­

keit gerecht u n d schafft ein Jugendstil-Bild, das den F orderungen der L iteratur­

geschichte genügt.

Dieser In h a lt besteht im in der gegebenen Form n u r fü r diese Jah re charak­

teristischen Verhältnis zur W irklichkeit. Die eigentliche W urzel dieses Verhältnisses ist das B edrücktsein vor ,,eine[r] W irklichkeit, die als chaotisch, w idervernünftig, sinnlos, büergerlich-m ittelm äßig u nd plebejisch“132 erschien, u nd zwar den K ünst­

lern u n d den Intellektuellen, die „allen G ru n d hatten, sich als ohnm ächtige O pfer eines sp rung haften Prozesses der Industriealisierung, M echanisierung u n d R atio­

nalisierung zu sehen, der Geist u n d K unst zu verschlingen d ro h te “.133 (161) W ir wollen hinzufügen: n ich t n u r u n d n ich t einm al in erster Linie ,Geist u n d K un st’, sondern das In d iv id u u m und ein m enschenw ürdiges Leben. H ans H in terh äu ser spricht auch von Lebensangst und von ihrer Folge, der Flucht: von der Lebensangst

des Fin de siècle, von seinem „Aufbegehren gegen eine gegenständliche Entw ick­

lung, die weder aufzuhalten noch rückgängig zu m achen war, seine[r] Flucht in ein verkram pftes Exilbewußtsein, seine[n] Selbstvernichtungsphantasien, seine[m] Ver­

suche, aus dem ,bagne m atérialiste’ zu entkom m en, die O berflächendim ension der .Realität’ zu erreichen“. (7/8) D aß diese Entw icklung — nach seinem D afürhalten —

„weder aufzuhalten noch rückgängig zu machen war“, unterscheidet a u f dieser Ebene des Inhalts den Jugendstilliteraten vom H eim atkünstler; bei der F orm ulierung des Fluchtziels hat H ans H interhäuser eher die Franzosen vor Augen. Bei der U n ter­

suchung einzelner A utoren sieht die R ichtung der Flucht selbstverständlich ko n­

kreter aus: bei H o fm an n sth al z.B. „Flucht aus der W irklichkeit, die bei A ndrea als im pressionistischer Ä sthetism us erscheint, bei den T izianschülern als Rückzug in

kreter aus: bei H o fm an n sth al z.B. „Flucht aus der W irklichkeit, die bei A ndrea als im pressionistischer Ä sthetism us erscheint, bei den T izianschülern als Rückzug in

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