• Nem Talált Eredményt

D ie Geburt des Romans aus dem Geist des JugendstilsV

In document Der Weltanschauungsroman (Pldal 105-128)

Inm itten der fieberhaften geistigen u n d künstlerischen Geschäftigkeit des Jug end ­ stils, der oft kram pfhaft und künstlich erscheinenden Leidenschaftlichkeit für eine außergesellschaftliche W elt des schönen Scheins oder der erdnahen, die Geschichte überw indenden V olkstüm lichkeit erschien 1904 ein stiller R om an, der zunächst ziemlich unbem erkt blieb und auch später n icht den richtunggebenden oder reprä­

sentativen W erken des Jah rh u n d erts zugerechnet wurde: H erm an n Hesses Peter Camenzind. M an k ö n n te ihn nach den K ategorien des Jugendstils oder auch der H eim atkunst, also der aktuell zeitgemäßen, wir sagen, h orizontalen Aspekte u n ter­

suchen. Seine wahre Bedeutung läßt sich jedoch n u r nach der vertikalen D im ension aufschlüsseln. Das besagt m it anderen W orten, daß er vor allem als das klare, eigen­

gesetzliche Signal u n d frühe Zeichen von einem d ritten Bereich der literarisch­

künstlerischen W elth altung zu verstehen ist, der über die m odeartigen un d die Breite der L iteratur beherrschenden aktullen S tröm ungen hinaus das D auerhafte u nd das Substantielle des Jah rh u n d erts in sich trägt.

Peter Camenzind ist ein E ntw icklungsrom an. Bei dieser G enrebestim m ung sind gewisse Freiheiten erlaubt; wir könn en uns über die G enauigkeiten der m öglichen D efinitionen der U nterarten (wie Bildungs-, Erziehungs-, D esillusionierungsrom an) hinwegsetzten und n u r die H auptm erkm ale dauerhafter G ültigkeit vor Augen hal­

ten: D argestellt w ird der persönlichkeitsbestim m ende A bschnitt des Lebens eines M enschen, die K indheit, d.h. angeborene Anlage, das W erden in der Jugend, die K onfrontation m it der W elt und das Resultat als Aufarbeitung der Erfahrungen, der Z ustand der Ruhe und Abgeschlossenheit, der sich folglich nicht m ehr ändert und für das Individuum , das im Laufe des Lebens entstanden ist, als der endgültige gilt.

W ir begegnen dem P rotagonisten des Rom ans als Kind, un d zwar einem Kind, das in einem D orf, in einer geschlossenen G em einschaft lebt — all die M enschen um ih n herum sind m iteinander v erw an d t—, aber d ennoch einsam ist. Seine Ein­

sam keit rü h rt von seinem A ndersgeartetsein her, u n d dies läßt sich am ehesten als das K ünstlerische im weitesten Sinne des W ortes bestim m en: Er lebt in seinem Inneren, fern vom alltäglichen und gew öhnlichen T un u nd H andeln seiner Alters­

genossen und der Erwachsenen, ist eins m it der N atu r u nd m it einem G ottesbe­

griff, der m it dem G ott der K onfessionen nichts zu tu n hat. Das Symbol seines inneren M enschen u nd zugleich seiner Beziehungen zum Außer-Ich sind die W ol­

ken, später auch in der Ferne aufschim m ernde Schiffe, schön, fern, unfaßbar, ohne feste Gestalt, überirdisch und in einer Überw irklichkeit heim isch. Er wußte dam als noch n ich t, „daß auch ich als eine W olke durchs Leben gehen würde, w andernd, überall frem d, schwebend zwischen Zeit un d Ewigkeit.202 (354) Lebensfrem d u nd gehem m t ist er auch in seiner platonischen K indheitsliebe, früh durch ein Gefühl des Andersseins, das sich als M inderw ertigkeitskom plex dem W elthaften gegen­

über zeigt, eingeschüchtert: er spü rt das „bauernhafte U nverm ögen, je in der ,W elt’

einen sicheren u n d beweglichen M ann abzugeben“. (372) Z uhause fü h lt er sich noch in der W elt des Geistes, das ist praktisch die Literatur, „das m ächtige W under des Geistes, der unsere kurzen Tage verklärt u nd du rch die K raft des E rkennens unser kleines Dasein in den Kreis des N otw endigen un d Ewigen erhebt“ (364), u nd angezogen von der M usik, die „die weiblichste u n d süßeste K unst“ ist. (380)

Er geht in die W elt und setzt sich dem Frem den aus: das ist Angezogen- und A bgestoßensein, zusam m engefaßt in Begriffspaaren, von denen das „O b erlän d i­

sche“ („m ich bew ahrte m ein O berländer B auerntum davor, an dem T um m el teil­

zun eh m en “ [407]) und das „Flachländische“, bzw. das „M önchische“, „Asketische“

und das „W eltliche“ die aussagekräftigsten sind. Konkret ist das zunächst die am bi­

valente F reundschaft zu einem großstädtischen, weltoffenen, selbstsicheren, gebil­

deten Altersgenossen, eine spannungsgeladene B ekanntschaft m it einer großstädti­

schen Jugend, der es un b ek an n t ist, „ohne äußeren Zweck an sich selber zu bauen und ih r persönliches Verhältnis zu Zeit und Ewigkeit zu klären“ (385), d.h. an dem inneren M enschen zu arbeiten und das wahre u n d einzig wertvolle M enschentum in der Inn erlichkeit zu suchen, ü b erh au p t die W erte der In nerlich k eit zu ahnen;

zweitens sind es scheue und bald verschreckte Versuche, sich in Liebe dem ande­

ren G eschlecht zu nähern, wobei auch die Frauengestalten zu jener anderen A rt M ensch gehören. Sein Streben u n d T rachten, im typisch jugendstilhaften, sich im Ausgefallenen, im an gebildet-großstädtischen „Feinheiten“, „Posen“, „K om ödien“

(458) delektierenden Literaturleben Fuß zu fassen, scheitert. Am R ande der Ver­

zw eiflung stößt er a u f die „lichte“ G estalt der E infachheit, N atu rh aftig k eit u nd inneren H arm onie, Franz von Assisi, begegnet in Italien einer „freim ütigen“ N atü r­

lichkeit u n d findet echte B indungen zu einer in anderem Sinne für ihn bis dahin frem den M enschenart, die näm lich in A rm ut, Zufriedenheit, m itleidvoller Gemein­

sam keit, in E in trach t m it N ot, Leiden un d Tod lebt. Er b leibt aber auch in dieser W elt nicht. Er geht in sein D o rf u n d zu r N a tu r zurück: „D er See war blau wie ehemals, die Sonne nicht m inder feiertäglich und warm, u nd ich alter Bursche schau­

te oft den gelben Faltern zu.“ (491) Er sagt der W elt ab: „W enn ich n u n m eine F ahrten u n d Lebensversuche beschaue und überdenke, freut u n d ärgert es m ich, die alte E rfahrung auch an m ir erlebt zu haben [...], daß aus einem N im ik on er Ca- m enzind tro tz aller Künste kein Stadt- u n d W eltm ensch zu m achen ist.“ (493) Er will das beschauliche Leben eines Gastwirtes führen un d seine W elterfahrung in einem D ichterw erk in eine höhere Form bringen. „Vielleicht k o m m t noch einm al die Zeit, daß ich von neuem beginne, fortfahre und vollende; d a n n hat m eine J u ­ gendsehnsucht recht gehabt, und ich bin doch ein D ichter gewesen.“ (496) H öher aber noch als die D ich tu n g steht die in isch selbst aufgenom m ene u nd verinn er­

lichte W elt, „sam t allen den lieben M enschenbildern“: „Das Vergangene u nd doch U nverlorene meines Lebens.“ (496)

Z unächst k ön n en wir Peter CamenzincL als Fortsetzung der T ra d itio n des klas­

sischen, b ü rg e rlic h e n ’ Entw icklungsrom ans verstehen: Einer geht in die W elt a u f

der Suche nach seiner Individualität. H erm an n Hesse selbst bestim m t später das M otiv seines R om ans (bzw. seiner Rom ane) etwas anders. Es wird d arin der Weg

„aus der U nschuld in die Schuld, aus der Schuld in die Verzweiflung, aus der Ver­

zweiflung entweder in den U ntergang oder in die Erlösung“203 gezeigt. W ir wollen es a u f eine noch einfachere Formel bringen, die aber zugleich den inhaltsträchtigen U nterschied zum alten Entw icklungsrom an enthält: Einer erfährt die W elt, und im Besitz seiner E rfahrungen kehrt er a u f höherer Ebene d o rth in zurück, von wo er ausging, in die — im U nterschied zu r A usgangssituation — inhaltsvolle A ußer­

gesellschaftlichkeit. Er ist nicht wie früher zu einer H arm onie des Individuum s m it der Gesellschaft gelangt, er hat nicht seinen Platz in der W elt gefunden. Er erfuhr, daß es diesen Platz n ich t gibt, wohl aber eine andere H arm onie, m it sich selbst, in sich selbst, welche der W elt nicht m ehr bedarf. Er hat von der W elt so viel in sich aufgenom m en, so viel verinnerlicht, wieviel er, die Persönlichkeit, für sich braucht.

Das gesellschaftsbedingte Individuum d o rt und die sich selbst k o n fro n tierte Per­

sönlichkeit als Ergebnis des Entwicklungswegs des M enschen hier ist der wich­

tigste U nterschied zwischen dem klassischen E ntw icklungsrom an bis zum Grünen Heinrich u n d der neuen, zeitgemäßen V ariante des Genres, wie sie sich in Peter Ca- menzind abzeichnet. Der U nterschied geht a u f eine veränderte W eltlage u n d die veränderte Trägerschicht der Literatur zurück. Statt einer dem bürgerlichen Geist gem äßen W elt, dessen R epräsentanz die L iteratur trug, tu t sich eine W elt auf, die der das klassisch-bürgerliche Ideal w eitertragenden m odern en Intelligenz keine E rfüllung m ehr verspricht. Das Individuum rettet sich in eine w elterfahrene und - enthaltende Innerlichkeit.

Dies, das Eskapistische, ist das vorherrschend Gemeinsam e in allen drei H a u p t­

formen des literarischen Bewußtseins um diejahrhundertw ende: im Jugendstil, in der H eim atkunst u n d in der, deren ausgeprägtes Zeugnis Peter Camenzind ist und die wir hier Innerlichkeit des 20. Jahrh u n d erts nennen wollen. Es gibt natürlich noch eini­

ges m ehr, was sie als P rodukte derselben künstlerischen Zeit ausweist, dem Wesen, d.h. dem In h a lt N ahestehendes und eher Äußerliches, für alle drei Form en oder n u r für zwei von ihn en Gültiges. So z.B. der den In h alt tangierende Gestus der Form, die Begriffspaare; Inhalt, weil sie eine W eltvorstellung der ,zwei H älften’ aus- drücken, Form , weil sie die S truktur der H an d lu n g bestim m en bzw. einrahm en.

Einige dieser Gegensätze sind der H eim atkunst verpflichtet: Dem „O berländischen“

w ird näm lich als Synonym das „Bäuerliche“ zugeordnet, u n d seinem Gegensatz, dem „F lach län dischen“, das „G roßstädtische“. Ä hnlich verhält es sich m it den

„F einheiten“ u n d „Posen“, deren Gegensatz die „R ealität“ ist, selbstverständlich im Sinne von .Erden-’ und .N aturnähe’ oder .Verwurzeltsein’. Der Kult des Heiligen ist auch eine Form der Flucht, diesmal in eine innere W unschwirklichkeit, die die Per­

sönlichkeit vom Gesellschaftlichen abschirm t. Eine andere Form desselben Inhalts w ird bei Hesse der K ult indischer P hilosophem e sein, den er hier noch als groß­

städtische M odeerscheinung verachtet; andererseits beschränkt sich der Assisi-Kult um diejahrhundertw ende nicht nur auf ihn. Schon Julius Langbehn war ein Anhänger

des Heiligen von Assisi: er war gerne und oft im Kreise der „Söhne des Arm en von Assisi", und „in Gewissensfragen hielt er sich am liebsten an die Söhne“ des Heiligen.204 Der andere, m it Peter Camenzind fast gleichzeitig entstandene bedeutende Rom an des Jahrzehnts, Buddenbrooks (1901), hat nach anfänglicher U nsicherheit breite Aner­

kennung u n d A ufnahm e gefunden; er schien aber und scheint zum Teil bis heute außerhalb der literarischen Zeit zu stehen. Die Versuche, ih n in ein näheres oder weitgreifendes Beziehungssystem einzugliedern, blieben vage, unbefriedigend oder unverbindlich u n d w urden m it offener oder stillschw eigender B erufung a u f die S onderstellung des A utors in der Prosa des Jah rh u n d erts praktisch aufgegeben.

M an sah ih n aufgrund des biologischen Degenerationsprozesses u n ter dem Aspekt des D eterm inationsgesetzes als ein spätes u n d reifes P ro d u k t des N atu ralism u s oder aufgrund des konkret bestimmten, abgrenzbaren und atm osphärisch wirkenden Schauplatzes, des zweifelsohne vorhandenen Lokalkolorits, als ein Erzuegnis der H eim atkunst. Es konnte nicht ausbleiben, daß der etwas vage Vorstellungskom plex über einen .bürgerlichen H um an ism u s’ aus seiner doch vo rh an d en en Z eitbestim ­ m ung gelöst u nd a u f diese frühe Zeit projiziert wurde, in der sein wichtigstes un d beinahe ausschließlich konstituierendes Elem ent, die geistige u n d m oralische A n­

strengung, eine ideelle Abwehr gegen den Faschismus aufzu richten, to tal fehlte bzw. fehlen m ußte. So durfte er ein ,G esellschaftsrom an’ sein, in dem die angeb­

liche gesellschaftshistorische Z eittendenz des A ufkom m ens eines .im p eria listi­

schen’ — in einer V erdrehung unseliger Provenienz erhielten diese zwei Bürger- tüm er die Adjektive .deutsch-patriotisch’ und .jüdisch verseucht’ — dargestellt sein sollte. Am ehesten m ag die E in o rd n u n g .F am ilienrom an’ oder, wie W erner W elzig in seiner großangelegten U ntersuchung über die gesamte R om an lan d sch aft des Jah rh u n d erts sagt, .Epochen- und G enerationsrom an’ Bestand haben, n u r weicht sie der m oralischen Pflicht der Literaturgeschichtsschreibung, K u n stp ro d u k te in die Zeitläufe einzubinden, durch die Zuhilfenahm e eines gesellschafts- u n d k u ltu r­

geschichtlich eher form alen Genrebegriffs in gewissem M aße aus.

Etwas anders sieht es aus, wenn wir in den Buddenbrooks einen E ntw icklungs­

rom an sehen, dessen Protagonist, a u f dem das Hauptgewicht der Idee ruht, Thom as B uddenbrook ist: er trägt die M om ente des inneren W andels allein, dad u rch und auch dadurch unterscheidet er sich von allen anderen Figuren des Rom ans. Was vor ihm und nach ihm die zentralen Figuren im R om an tun, erscheint als statischer A.nfang u n d A bschluß eines in n eren Prozesses, den allein er d u rc h m a ch t. Der A nfang ist die eigentliche Zeitgem äßheit des B ürgerlichen, wir d ü rfen es o hne weiteres a u f Thom as M annsche A rt abgewandelte ,In stin k tsich erh eit’ nennen, im H auptvertreter der ersten G eneration und das G eschwächtsein derselben durch nichts anderes, als die durch Nietzsche als antiinstinktives G ift angesehene christ­

liche R eligiosität in dem der zweiten; der A bschluß ist die absoloute H errschaft eines dem Bürgerlichen entgegengesetzten anderen Prinzips in H a n n o B udden­

brook. Genauso statisch sind die Gegen- oder Begleitfiguren in der ho rizo n talen Ebene, d.h. in der eigenen G eneration Thom as B uddenbrooks: C hristian, die fehl­

geschlagene, sich eher nur in Negativem m anifestierende Verkörperung des H anno- schen nicht-bürgerlichen Prinzips, Tony B uddenbrook, die V ernichtung des Bürger­

lichen durch seine totale Entleerung, und die im bürgerlichen Sinne u nd überhaupt .frem de’ u n d m usikalische Gerda A rnoldsen (eine „frem dartige, fesselnde u n d rät­

selhafte S chönheit“205), oder eben — a u f der anderen Seite — die H agenström s, zwar nicht der Familie, wohl aber der entsprechenden G eneration zugehörende reine, wir könnten auch n o c h ,flach’ oder w ieder,instinktsicher’ hinzufügen, Idealfiguren des Bürgerlichen.

D am it ist die Anlage des Rom ans a u f dieselben jugendstilhaften W elthaltungs­

und künstlerischen Ansätze zurückzuführen wie die Novellen (und das D ram a) in dieser Periode Thom as Manns: a u f die Spaltung der inneren Existenzm öglichkeiten des M enschen in zwei unvereinbare oder nich t m ehr vereinbare H älften, die an­

nähernd u nd eher symbolisch als .bürgerlich’ und .künstlerisch’ bezeichnet werden können. W ir müssen daran erinnern, daß das .K ünstlerische’ bei Jean Buddenbrook das Religiöse, bei Tom , wenn konkret, das Philosophische u nd sonst der Verlust des bürgerlich Instinktsicheren ist; auch bei H a n n o ist das M usikalische eher eine allegorische M aterialisierung des in bürgerlichem Sinne Lebensfrem den als eine konkrete Begabung u n d Berufung. Das .Bürgerliche’ selbst will auch in seiner Eigen­

art der In stinktsicherheit vor allem als Lebenstüchtigkeit, gesellschaftliche Zeit­

gem äßheit u n d K on form ität, als .D abeisein’ im Gegensatz zur .Flucht’ verstanden werden. D er w esentliche U nterschied zu den N ovellen liegt in der Form , un d diese besteht im R om anhaften, im Entw icklungsrom anhaften, indem näm lich die zwei Prinzipien einander nicht bzw. in genregestaltender H in sich t un d in der werk­

spezifischen Relevanz nich t statisch entgegengesetzt, sondern im Ü bergang von einem zum anderen geschildert, im prozeßhaften W andel einer un d derselben Per­

son verlebendigt sind. Den U nterschied zum durch Peter Camenzind repräsentierten E ntw icklun gsrom antyp m üssen wir seinerseits d arin sehen — u n d das verstärkt seine Zugehörigkeit zum Jugendstil —, daß der Prozeß nicht in den K om positions­

gliedern des A ufbruchs, der W anderung und der A nkunft, sondern als Um schlag des einen Prinzips ins andere vor sich geht, daß er also, was die kom positorische Idee anbelangt, neben Die Göttinnen gestellt werden kann. Das tangiert keineswegs die R ichtigkeit der den S to ff betreffenden Feststellung über den a u f die Fam ilien­

geschichte bezogenen autobiographischen C harakter des R om ans. D aß T hom as M ann den zeitneutralen und autobiographischen S to ff in solchem M aße u n d m it solcher K onsequenz in diesen durch seine eigene Zeit hervorgebrachten In h alt verwandelt hat, beweist n u r die M ächtigkeit des Zeitgeistes und die übrigens später im m er wieder und im m er m ehr bew underte Fähigkeit des A utors, aus dem Klein­

geld der A lltagserfahrung das Gold einer auch durch ihre A ktualität beeindrucken­

den K unst bleibenden W erts hervorzaubern zu können.

Eine m it H erm an n Hesses Peter Camenzind praktisch gleichzeitige Verwirkli­

chung der neuen Idee und Form des R om ans dürfen wir in Felix H ollaenders .Der Weg des Thomas Truck (1902) sehen. Der literarhistorisch erfaßbare U nteschied

zwi-sehen den beiden R om anen veranschaulicht sich in den G eburtsjahren der beiden A utoren: Felix H ollaender gehört durch seine G eburt im Jah re 1867 beinahe ver­

bindlich zum Naturalism us, dessen Repräsentanten zwischen 1860 und 1865 a u f die W elt kamen; H erm ann Hesse wurde zwei Jahre nach Thom as M ann, 1877 geboren.

Dieses Zahlenspiel k önnte natürlich gegenstandslos erscheinen; das ist es weniger, wenn wir das Gewicht des G enerationserlebnisses in den Denk- u n d K unstform en der Literatur, die u n ter den Begriffen wie N aturalism us, Jugendstil, Expressio­

nism us oder Neue Sachlichkeit zusam m engefaßt werden, bedenken; u n d noch we­

niger, w enn wir im vorliegenden Falle berücksichtigen, wie stark Felix H ollaender zur Zeit der E ntstehung des Rom ans noch u nter dem E in fluß seiner n atu ralisti­

schen Anfänge stand. Eine literarhistorisch ansetzende Analyse des Rom ans könnte u n ter dem Zeichen der G eburt der neuen Form im K am p f des neuen Geistes m it dem des N aturalism us stehen. Was also bei H erm an n Hesse als Jugendstil un d H eim atkunst erscheint, ist bei Felix H ollaender der N aturalism us. Die Zeitspanne der H a n d lu n g seines R om ans läßt sich im übrigen auch ziem lich genau fixieren, u n ter anderem aufgrund der nam entlich oder u n ter einem fiktiven N am en aufge­

führten w irklichen A kteure der Zeit wie M oritz von Egidy (gestorben 1898) oder Georg von Gizycki (gestorben 1895) und seiner G efährtin Lily von K retzschm ar, der späteren Lily Braun, die Letzteren als die Leiter der „N ach tlich t“-Gesellschaft (in der W irklichkeit Ethische Gesellschaft) M aler Brose un d seine Frau. Es sind die Jahre zwischen 1893 u n d 1900. Das ist natürlich die kulturhisto risch objektiv fest­

stellbare Zeit des entscheidenden A bschnitts der H andlung: sie geht sonst, wie bei einem echten Entw icklungsrom an, gut fünfzehn Jahre m it dem zeitlich m itgehen­

den B ericht in die K indheit und Jugend des P rotagonisten zurück.

D er neue G ru n d to n wird sogleich angeschlagen: Die lungenkranke u n d bald sterbende M utter Thom as Trucks ist eine Künstlerseele, gehört in die andere H älfte des M enschlichen als der gewalttätige, brutale, energische, kraftstrotzen de u n d rücksichtslose Vater m it dem bürgerlichen B eruf eines w ohlverdienenden Arztes, der sich nach dem Tod der Frau m it einer Gastwirtwitwe tröstet. (Also ziem lich genau eine T hom as M annsche 7rate«-K onstellation.) Thom as Trucks C ousine, Ju ­ gendliebe u n d spätere seelische Begleiterin seines Lebens ist die T o ch ter eines

„polnischen Geigers“, später selber V iolinkünstlerin. Er selbst schlägt auch aus der A rt seiner Schulkam eraden: er leidet unter dem Zwang der Schule, er „em pfand die Schule wie einen Kerker“,206 (30) und die anderen, die vielen, „waren aus einer anderen W elt u n d k o n n ten ih n nich t befreifen“. (29) N ach dem Tod der M utter verläßt er das väterliche H aus, in das der Vater als zweite Frau die Gastwirtwitwe brachte, und zieht m it seiner C ousine zu ihrem Vater, dem leidenschaftlichen, ge­

fühlsbeherrschten und bohem ienhaften Musiker polnischer Abstammung. Er kom m t als M edizinstudent nach Berlin, und dam it beginnt der äußere Bildungsweg und die innere Seelenwandlung.

Berlin ist der S chauplatz seiner K o n fro n tatio n m it der W elt. Die G ro ßstadt zieht ih n m ächtig an u n d stößt ih n ab: Das ist in dieser A m bivalenz ein charak­

teristisch spätnaturalistischer Erlebniskom plex, Ä hnliches finden wir in dieser Di­

rektheit u n d Gegenständlichkeit bei W ilhelm von Polenz in seinen späteren Jahren u nd weniger direkt beim jungen H einrich M ann zur gleichen Zeit, also um 1900 herum . H ier wird Berlin genau lokalisiert: Die Friedrichstraße bietet ein „entsetz­

liches Bild der V erführung“ (124), ihn schockiert ihr D oppelantlitz von Pracht und Elend, von „genießenden M enschen“ u nd „verkrüppelten G estalten “ (124). In

liches Bild der V erführung“ (124), ihn schockiert ihr D oppelantlitz von Pracht und Elend, von „genießenden M enschen“ u nd „verkrüppelten G estalten “ (124). In

In document Der Weltanschauungsroman (Pldal 105-128)