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D ie klassischen Werke

In document Der Weltanschauungsroman (Pldal 185-200)

„Von [der] krankhaften Vereinsamung, von der W üste solcher Versuchs-Jahre [nach dem „ersten A usbruch von K raft“] ist der Weg noch weit bis zu jener ungeheuren überström enden Sicherheit und G esundheit, welche der K rankheit selbst n ich t ent- raten mag, als eine sM ittels und Angelhakens der E rk en ntn is“, bis zu jenem „Ü ber­

schuß“, „der dem freien Geiste das gefährliche V orrecht gibt, a u f den Versuch hin leben u n d sich dem A benteuer anbieten zu dürfen. [...]. Es gibt einen m ittleren Z ustand darin, dessen ein M ensch solchen Schicksals später nich t oh n e R üh ru n g eingedenk ist: ein blasses feines Licht und Sonnenglück ist ihm zu eigen, ein Ge­

fühl von Vogel-Freiheit, Vogel-Umblick, Vogel-Übermut, etwas Drittes, in dem sich N eugierde und zarte V erachtung gebunden haben. Ein S chritt weiter in der Ge­

nesung: u n d der freie Geist nähert sich wieder dem Leben, langsam freilich, fast widerspenstig, fast m ißtrauisch. Es wird wieder w ärm er um ih n [...]. Fast ist ihm zu M ute, als ob ihm jetzt erst die Augen für dzsN ahe aufgingen. Er ist verw undert und sitzt stille: wo war er doch? Diese nahen und nächsten Dinge: wie schienen sie ihm verwandt! welchen Flaum u n d Z auber haben sie inzwischen bekom m en. Er blickt dankbar zurück, — d an k b ar seiner W anderschaft, seiner H ärte u n d Selbstentfrem ­ dung, seinen F ernblicken u n d Vogelflügen in kalte H ö h e n .“304

Diese Zeilen stam m en von Nietzsche, sie stehen inMenschliches, Allzumenschliches, in einem seiner W erke, welches u n ter den Lektüren Thom as M anns von den Exper­

ten n ich t aufgezählt wird. T rotzdem scheinen sie ein E n tw u rf fü r In h alt, K om ­ positio n u n d sogar Fabel des Zauberberg zu sein. Ü brigens brauchte sie T hom as M ann in der T at n ich t zu lesen, um einen R om an ganz im Sinne u n d beinahe in der Form der Prosa-H ym ne des Philosophen zu schreiben. Was hier gesagt wird, ist n u r eine bildhafte Zusam m enfassung dessen, was Nietzsche vom inneren Weg seines fürs H öhere bestim m ten M enschen überall sagt.

Die G leichgestim m theit zwischen P hilo soph und Schriftsteller beweisen auch Ä ußerungen T hom as M anns selbst, gerade zur Zeit der Arbeit amZMuberberg. Ende 1918 schreibt er an E rnst Bertram : Bei der Lektüre seines Buches über N ietzsche

„war es die ernsteste R ü h ru n g u n d D ankbarkeit, die E m p fin d u n g w ahrhaft trö st­

lichen, freund schaftlich wissenden Zuspruchs, eine R ückblick-Ergriffenheit beim B etrachten dieser geistigen Landschaft, Ü bersicht des eigenen Lebens, E insicht in seine N otw endigkeit, ein V erständnis m einer selbst, so intensiv wie m eine tastende Schreiberei es m ir n ich t hatte gewähren können, etwas wie Todesw ehm ut u n d doch auch wieder ein starker A ntrieb un d A uftrieb des Selbstbewußtseins, neue Lust, m ich zu Ende zu führen, weiter auszuführen, Einblick in die them atischen Zusam ­ m enhänge der zukünftigen A rbeiten m it der Sphäre, die m ich beim Lesen umgab:

T odesrom antik plus Lebensja im Zauberberg [,..]“.305 Beweiskraft haben hier viel­

leicht n ich t so sehr die G edanken u n d das direkte Bekenntnis zu Nietzsche als eher

der Stil: Wie unser Nietzsche-Zitat m s Menschliches, Allzumenschliches in seinem Inhalt a u f den/Zauberberg hinweist, so führt uns diese Briefstelle durch ihren Stil zu Nietzsche, Diese B indung an Nietzsche wird durch Peter Pütz bestätigt: „U n ter den Literaten des 20. Ja h rh u n d e rts war Thom as M ann w ahrscheinlich der beste Nietzsche-K en­

n er“306 (125) und: „Fast ebenso wie der C hrist die Bibel zitiert, beruft sich Thom as M ann a u f N ietzsche.“ (127) Das W ort „Zauberberg“ selbst ist eine B ildung N ietz­

sches: dies im m erh in in der Geburt der Tragödie, die Thom as M ann m it Sicherheit gelesen h at.307

Zwischen Der Tod in Venedig (1913) und Der Zauberberg (1924) hat er W eniges und dan n auch nicht besonders W ichtiges an erzählerisch Belletristischem geschrie­

ben bzw. veröffentlicht; dabei aber Essayistisches, das an der M ittellinie seines Schaf­

fens liegt und angesichts des Zauberberg und bei unserer Them enstellung eine gleich­

sam zentrale Bedeutung hat.

Da sind zunächst die Betrachtungen eines Unpolitischen, geschrieben in den Jahren des W eltkriegs. W ir wollen hier von den durch den Krieg direkt bestim m ten, inso­

fern zeitbedingten Gewichtssetzungen so weit wie möglich absehen und haben dann darin zunächst das zusamm enfassende D okum ent dessen, was sich an w eltanschau­

lichen Positionen, Einstellungen und M einungen zu W elt u n d M ensch bei N ietz­

sche und seit Nietzsche in seinem Geiste herausgebildet hat. N ietzsche, dessen Le­

ben ein „unsterbliches europäisches Schauspiel von Selbstüberwindung, Selbstzüch­

tigung, Selbstkreuzigung m it dem geistigen O pfertode als herz- u nd h irn zerreißen ­ dem A bschluß“308 (118) war, leuchtet als Stern über den Betrachtungen, es wird im ­ mer wieder a u f Paul de Lagarde verwiesen, u n d ihre Begriffspaare lassen sich als etwas Analoges neben die von Oswald Spengler stellen (obw ohl er w ährend der Arbeit an den Essays des Bandes diesen kaum noch lesen k on nte).309 A u f der einen Seite stehen K ultur, Musik, Seele, m oralische Bindung, Einsam keit (überhaupt und die der D eutschen „zwischen O st u n d W est“ [9]), historische T ra d itio n , H altung- Form-Verzweiflung, d.h. Leben und Innerlichkeit, und au f der anderen Zivilisation, Z ivilisationsliterat, zersetzender Geist, röm isches V ereinigungsprinzip, parlam en­

tarische Demokratie, d.h. Parteienwirtschaft un d Im m oralität, W ahrheit (d.h. Ratio­

nalität), Politik; hier deutsch-poetisch, synthetisch, politisch indifferent, aristokra­

tisch, dort europäisch-intellektuell, analytisch-kritisch, In ternationalism us und M en­

schenrechte, dem okratisch; dem M atphysiker hier wird d o rt der R evolutionär, dem M oralisten der M enschheitsschm eichler, der M oral (der Stim m e des Inneren) die Tugend (das öffentlich Ä ußerliche), der B esonderheit die N ivellierung, dem Volk die Masse, der Persönlichkeit das In dividuum , der natürlichen R angordnung, d.h.

Hierarchie, „die dem okratische Einebnung und E inordnung“ (390) entgegengesetzt.

„Ä hnlich wie W agner und Nietzsche sucht er [Thom as M ann in den Betrachtungen]

die deutsche K ultur als aus dem (dionysischen) M ythos, aus dem U nbew ußten, aus der Tiefe der Vergangenheit entstanden und in ihr w urzelnd zu verstehen. [...] die westliche französische .Z ivilisation’“ trage „alle K ennzeichen des Nietzscheschen S okratism us [...], näm lich Absage an die .Sym pathie m it dem T ode’, plattes F ort­

schrittsdenken, abstrakte [...] Grundsätze [...], die die Persönlichkeit u nd überhaupt alles N ichtkom m ensurable ausm erzen.“310 Er übernim m t a u f einer durch die Ein­

o rd n u n g in die K ulturgeschichte u n d einen um fassenden Blick höherer Ebene das ganze Arsenal des Protestes gegen den Geist der Industriegesellschaft: er n im m t gegen den Geist des 18. und 20. Jahrhunderts m it seinem rationalen D enken in den K ategorien der W ünschbarkeit, M enschheit, D em okratie, des Glücks Stellung und stellt ihm das 19. m it der deutschen R o m antik u n d Dostojewski entgegen. D am it n im m t er D enkrichtungen und em otionale Inhalte wieder a u f oder vorweg, die ihn — u n d n ich t n u r ih n — bisher beschäftigten u n d /o d e r weiter beschäftigen wer­

den. M it B erufung a u f Sorel spricht er über die „V ernichtung der G röße u n d [die]

H errschaft der M ittelm äßigkeit im Sozialism us“ (320), er prophezeit den alles zer­

störenden Sieg des Proletariats, er hat Angst vor der Z ukunft, aber zugleich Einsicht in die N otw endigkeit ihres Kom m ens, trauert über das Vergehen des Gewesenen und sagt: „Liebevollste K ultur und Pflege des A ristokratisch-Individuellen [...] sind unerläßlich als Gegengewicht gegen den organisierten Sozialism us im Staate der Z u k u n ft.“ (270) Die K unst ist für ihn Religion, A nti-V ernunft, irratio nal, sie gehe von der Sym pathie m it dem Tode aus. M it N ietzsche, und wie er selbst imZauber- berg, sagt er vom K ünstler (und vom M enschen au f der Künstlerseite), daß er „bis zum letzten H auch ein Abenteurer des Gefühls und des Geistes bleibt, zur Abwegig­

keit u n d zum A bgrunde geneigt, dem Gefährlich-Schädlichen offen“. (403) W ie er hier die R eform ation sieht, geht wieder einerseits a u f de Lagarde zurück, der sie verurteilt hat, weil sie die E inheit Europas zerstörte, un d sie schätzte, weil er das Erwachen des deutschen N ationalgeistes in ih r entdeckte; er, T hom as M ann, hält sie hier für „eine Störung und U nterbrechung, ein(en) Rückfall ins M ittelalter, eine konservative, ja reaktionäre Bewegung“ (524), aber zugleich für „tief-trotzig, ver­

hängnisvoll, program m w idrig, persönlich und groß [...] nach guter deutscher A rt“.

(526/527) Die K ritik kehrt unter einem etwas anderen Vorzeichen in Doktor Faustus wieder, in erster Linie als „Rückfall ins M ittelalter".

Dem Zusatz in unserem letzten Z itat begegnen wir in den Betrachtungen häufig.

W enn er z.B. gegen das „Aufgehen des Individuum s in der G esam theit“ wettert, sagt er dazu als Begründung: „D er M ensch ist nicht n u r ein soziales, sondern auch ein m etaphysisches Wesen; der Deutsche zuerst.“ (269) Das ist auch vor allem Lagarde- sche u n d Langbehnsche T radition. W ichtiger für uns ist es aber, daß dieses Besin­

nen a u f die deutsche Identität, welches durch die S treitsituation und den K rie g ­ er sagt selber in der „V orrede“, daß der Streit gegen den Geist des 18. un d 20. Jah r­

h u nderts das Tiefste in ihm , das N ationale aufgeschreckt hätte — hier das erste Mal u n d d ann wieder im Doktor Faustus inhaltsbestim m end wird. H ier ist au f jeden Fall alles a u f der positiven Seite zugleich deutsch, a u f der anderen undeutsch, m eistens .französisch’. Diese Schärfe der n ationalen G egensatzbildung ist n atü rlich durch die S treitsituation veranlaßt: Sein D iskussionspartner ist als G esam teuropäer, Ver­

treter der A ufklärung, des republikanischen u nd dem okratischen Geistes un d Kri­

tiker des D eutschen aufgetreten, und wenn m an einm al unter den Bedingungen der

Kriegsverhältnisse ü berh au p t eine G egenposition bezog, m uß te es in dieser extre­

men Form geschehen: Diese Schärfe ist also eher a u f die sp o n tan e D ynam ik des Disputs als a u f die prinzipiellen Gegensätze zurückzuführen. Die G rundeinstellung selbst, die D ualität in der Sicht a u f M ensch u nd Welt, ist aber ein Erbe der geistigen Situation der Jahrhundertw ende, hat also m it der Sehnsucht u n d dem Streben nach T otalität zu tu n und ist als solche ein G run dzug seines ganzen W erks u n d eines bedeutenden Teils der Literatur des Zeitalters. So m uß es verstanden werden, wenn wir sagen, daß er hier G edanken und em otionale Inhalte ausspricht, die für ihn im m er charakteristisch waren, anders gesagt: gemäß gedanklichen un d gefühlsm ä­

ßigen Kategorien spricht, nach denen er sich im m er orientiert hat. N u r hat sich der Stellenwert der einen oder anderen Kategorie in der inneren S tru k tu r seines W elt­

bildes in den verschiedenen A bschnitten seines Lebens und seines Werkes geändert.

Am stärksten und ü berhaupt fast grundsätzlich hat sich zwischen Betrachtungen und Zauberberg sein inneres V erhältnis gegenüber dem gewandelt, was er in den Betrachtungen Zivilisationsliteratentum nennt und wogegen sich seine Streitlust haupt­

sächlich wendet. Dieser W andel kann auch in seiner P ublizistik verfolgt werden, so z.B. in seiner Rede Von deutscher Republik (1923). Sie ist in einem P unkt zweifellos eine Absage an seine Aussagen zum Komplex von Staatsform u nd politischem Geist der Gesellschaft in den Betrachtungen: Was an das, was d o rt m it den Begriffspaaren aristokratisch-dem okratisch, m onarchisch-republikanisch (bzw. parlam entarische Demokratie und Parteienwirtschaft), natürliche Rangordnung-Gleichheit, politisch­

indifferent M enschenrechte u.a. umrissen wurde. O hne leise angedeutetes Bedauern, ohne w ehm ütige E insicht in die zur Gegenwart gewordene unverm eid liche Z u ­ k u n ft geht dieser W andel n ich t vor sich, die R epublik ist histo risch e N otw en­

digkeit und Schicksal. Er versucht sie sich und seinen im Geiste der Betrachtungen als gleichgesinnt gedachten Z u hörern dadurch anneh m b ar zu m achen, daß er die Republik .verdeutscht’. Der Sinn des Titels der Rede wird gedeutet: U n terstü tzt von einer B erufung a u f W agner — diesm al m üssen die Meistersinger h erhalten — wird D em okratie und R epublik als eine innere deutsche Sache aufgefaßt u n d erklärt:

„[...] das N ationale bleibt weit m ächtiger u n d lebensbestim m ender als der staats­

rechtliche Buchstabe, als jede positive Form [...]. .D eutsche R epublik’— die W o rt­

verbindu ng ist sehr stark im Beiwort“.311 — Dies zur R elativierung der M aßstäbe und D im ensionen des W andels; er bleibt im m er noch bedeutsam genug.

Am besten kö nnen wir uns diesen W andel plastisch vergegenwärtigen, w enn wir daran erinnern, wie anders derselbe Typ von M ensch m it denselben A ssoziations­

begriffen und -adjektiven jeweils in den Betrachtungen u n d im Zauberberg beurteilt wird, d o rt der „Z ivilisationasliterat“, also H einrich M ann, hier Settem brini (üb ri­

gens auch H einrich M ann), bzw. wie anders sich das Verhältnis des A utors zu ihnen (zu ihm ) gestaltet. D o rt direkte A blehnung bis zur Gehässigkeit, hier ein durch m ilde Ironie gefärbtes W ohlw ollen, durch Stilw endungen erfaßbar wie: „D u bist zwar ein W indbeutel und D rehorgelm ann, aber du [...] bist m ir lieber als der scharfe kleine Jesuit und T errorist [...], obgleich er fast im m er recht hat [...].“312 (660) In

den Betrachtungen gehört Mazzini, „lateinischer Freimaurer, Dem okrat, Revolutions­

literat und F o rtsch rittsrh eto r“ (393), gehören „W ahrheit, Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit, V ernunft, Tugend, Glück, [...] das unbedingte Glück Aller“ (213), „Phil- an tro p ie u n d S chreibkunst“ (214), Tugend und V ernunft, „h um an itär-d em ok rati­

scher Zivilisations- u n d .Gesellschafts’ — In tern atio n alism u s“ (XXXVIII) zu der schroff abgelehnten Gegenwelt, der gegnerischen, wenn n ich t feindlichen Seite; im Zauberberg wird die Figur Settem brinis, dessen G roßvater C arbonaro, also eine Art M azzini, gewesen ist, der in sich „die Politik des Großvaters m it dem H um anism us des Vaters zur schönen Literatur“ (564), also zu Politik, H um anism us und Literatur vereinigte, „der die M oral in der V ernunft u n d der Tugend suchte“ (482), der die V erkörperung von Ideen wie Freiheit, technischer F ortschritt, Sittichkeit, Revolu­

tio n (die französische und bürgerliche natürlich), Zivilisation, D em okratie, M en­

schenrechte ist, m it ironischer Z uneigung betrachtet und also m it einer gewissen D istanz akzeptiert. Die durch Ironie angedeutete D istanz ändert selbstverständlich nichts an der Tatsache, daß dieser Bereich des je nachdem dem okratisch oder hum a­

nistisch Bürgerlichen fester Bestandteil seines Denkens un d seines W eltbilds blieb.

Ä hnlich ist es m it anderen Strukturelem enten seines Bewußtseins, wenn wir auch einen Um schlag wie im Falle „Zivilisationsliterat“ — Settem brini sonst nicht sehen können. M eistens erfäh rt der Stellenwert von Auffassungen, von den ideentragen­

den Figuren von Betrachtungen bis Zauberberg n u r eine leichte Verschiebung, etwa von der vollen Identifizierung bis zur wehmütigen A ffinität wie z.B. von der „deut­

schen“ W elt des „seelischen M ilitarism us, [der] O rdnun g, A utorität un d Pflicht“ in den Betrachtungen (XXXIX) bis zur W elt Jo achim Ziemsens im Zauberberg, die ü b ri­

gens nich t weniger .deutsch’ ist.

Der R om an Der Zauberberg (1924) n u tzt die M öglichkeiten des Genres zu einem in der Literatur des 20. Jahrh u n d erts kaum vergleichbaren W eltpanoram a m it dem M enschen im M itte lp u n k t und erhebt das Genre zugleich in eine bis d ah in u ner­

reichte H öhe.

Die Anfangssituation seines Protagonisten ist alltäglich-konventionell und problem­

los bürgerlich. .B ürgerlich’ an ih r ist in erster Linie das Problem lose. Sie wird erst­

malig in der Geschichte des Genres in R ückblenden flüchtig dargestellt, eher ange­

deutet; plastisch daran sind vor allem die M om ente der A nfechtung dieser Problem- losigkeit, die in ihrer Zeit unbew ußt em pfangenen, gleich fallengelassenen un d scheinbar spurlos wieder verschwundenen Botschaften der anderen Welt, das Erleb­

nis des Todes (des G roßvaters) und des lockenden und verw irrenden Frem den um die Figur H ippes. Das war ein Leben ohne Bewußtsein: ohne E ntscheidung, Selbst­

verständnis und W ahl; ein Leben in der „H eim at u n d O rd n u n g “. (13)

Die W ende, der A usbruch zur großen Fahrt ins U nbekannte, zum A benteuer des Lebens vollzieht sich nicht bei seiner A nkunft a u f dem Berg, sondern, nach den ersten, abstoßenden und zugleich unw iderstehlich verlockenden Erfahrungen des Frem den, durch seinen E ntschluß, krank zu sein. Das ist K ranksein zunächst im physischen u n d konkreten Sinne, zweitens aber und noch m ehr im übertrage­

nen, Nietzscheschen und symbolischen: der E ntschluß zu Versuchsjahren, der E nt­

schluß, „ a u f den Versuch hin zu leben“, der E ntschluß zu einer künftigen „unge­

heuren üb erström enden Sicherheit und G esundheit, welche der K rankheit selbst nicht entraten m ag“, was dan n im Text faßlich wird m it der E ntscheidung für die

„bodenlosen Vorteile der Schande“. (131) Das .K ranksein’ bedeutet also die Erfah­

rung eines Teils des Lebens, sogar des Lebens selbst, m it all seiner Tiefe un d m it seinem Sinn oder seiner Sinnlosigkeit, der oder das ihm bisher unb ekan nt war. „[...]

H ans C astorp hätte die für seinen A ufenthalt bei D enen hier oben ursprünglich angesetzte Frist nicht überschritten, wenn seiner schlichten Seele aus den Tiefen der Zeit über Sinn und Zweck des Lebensdienstes eine irgendeine befriedigende A uskunft zuteil geworden wäre.“ (321) H ier b erühren sich thematisch, im U m fang u nd C harakter der Idee, Kafka und Thom as M ann; und deshalb sind die häufig vorkom m enden Hinweise au f die Abgeschlossenheit der Sanatorium swelt oberfläch­

lich zwar richtig, in der Substanz aber grundfalsch oder zum ind est irrefü h ren d .313 .Abgeschlossen’, .isoliert’, .herm etisch’ ist diese W elt in dem Maße, in dem es darin um die B eschreibung der Sym ptom e und der H eilsm ethoden der L ungentuberku­

lose geht, um K rankheit also im direkten u n d einfachen Sinne des W ortes.

Der erste Band des Rom ans ist beherrscht von einem Gegensatz, der ganz ver­

schieden form uliert werden kann, jedoch im G runde nur eine ungem ein tiefe, weite, inhaltsvolle Fassung des Bürger-Künstler-Gegensatzes der Jahrhundertw ende ist und entlang einer bestim m ten Schnittfläche das ganze individuelle Leben d u rc h m iß t, m it anderen W orten eine T otalität des Lebens darstellt.

W enn wir trotzdem die Bereiche des Gegenstandes a u f eine, konkrete un d ad­

äquate A rt form ulieren wollen, würden wir die Bezeichnungen rational — irrational, (bürgerlich) eindeutig — zwielichtig, bewußt — unterschwellig, v ern un ftbestim m t — em otional bem ühen; die Bezeichnungen müssen a u f jeden Fall das aus zwei H älften bestehende Ganze zeigen. (D aß diese zwei H älften objektiv unabh äng ig von per­

sönlichen Anlagen da sind, wird durch die Niederlage Jo ach im Ziem sens u n d die W iederholung der A nfechtung Jam es Tienappels beton t, in dem sie im m erh in ne­

gativ ausgeht.) Thom as M ann bietet verschiedene bildhafte u n d begriffliche For­

men der B estim m ung wenigstens der Teilaspekte dieses ko m plem en tären Gegen­

satzes. In A utorenrede (oder innerem M onolog): „Da war ein Pädagog, u n d d o rt draußen war eine schmaläugige Frau“ (346); und die schmaläugige Frau meint: „Vous aimez l’ordre m ieux que la liberte“ (466). H ans C astorp selbst bestim m t im Rück­

blick seine Position zwischen den Polen des Gegensatzes genau un d in diesem Sinne um fassend (auch was die eigene E ntscheidung anbelangt): „Ih r [M me C hauchat]

zuliebe und H errn S ettem brini zum T rotz habe ich m ich dem P rinzip der U nver­

n u n ft, dem genialen P rinzip der K rankheit unterstellt, dem ich freilich wohl von langer H and und jeher schon unterstand (848) (Der Satz ist wohl dem zitierten Kafkas im Prozeß an die Seite und gleichzustellen: er „hätte den Prozeß leicht m iß­

achten können, wenn es allerdings auch sicher war, daß dann der Prozeß überhaupt nicht entstanden wäre“.) .K rankheit’ als Symbol um faßt auch die Liebe, die für sich

w iederum über sich selbst a u f den irrationalen und unterschwelligen Bereich des Lebens überhaupt hinausweist: „[...] ce [das Kranksein]“ — sagt Hans C astorp — „n’est rien d ’autre [...] que m on am our pour toi [...] et c’était lui [seine Liebe], évidem m ent, qui m ’a m ené a cet e n d ro it“. (475) .K rankheit’ steht sogar für noch m ehr, für das Leben insgesamt: „[...] K rankheit war die unzüchtige Form des Lebens. U n d das Leben für sein Teil? W ar es vielleicht n u r eine infektiöse E rkrankung der M aterie [...]“ . (398) Dies bedeutet zugleich, daß der Gegensatz auch den des norm ativen V ernunftdenkens und der D ialektik der ontologischen Zweideutigkeit m itm ein t, die wiederum auch dem des Bürgers u n d K ünstlers nicht frem d war, von der „hel­

len“ und „d u n k len “ W elt Hesses ganz zu schweigen. Die Komplexe der anderen Seite in ihrer sym bolischen E inheit stehen zur W elt der V ernunft in O p p o sitio n , sie sind auch an sich von der D ialektik der Zweideutigkeit, Zw eilichtigkeit und V erw irrung d u rc h trän k t. Die sexuelle Liebe und ihre S ublim ationen sind an und

len“ und „d u n k len “ W elt Hesses ganz zu schweigen. Die Komplexe der anderen Seite in ihrer sym bolischen E inheit stehen zur W elt der V ernunft in O p p o sitio n , sie sind auch an sich von der D ialektik der Zweideutigkeit, Zw eilichtigkeit und V erw irrung d u rc h trän k t. Die sexuelle Liebe und ihre S ublim ationen sind an und

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