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3. Verhältnis zwischen Moral und Wirtschaft

3.4 Moralische Enthemmung der Wirtschaftsdoktrin

Nimmt man die bisherigen Ausführungen der vorliegenden Kapitel als Grundlage, so ist der Wirt-schaft offensichtlich eine wesentliche Grenze bzw. ein entsprechender Rand abhandengekom-men.817 RÜSTOW hat bereits im Jahr 1961 hierzu ausgeführt, dass „…der Marktrand, der Markt-rahmen, das eigentliche Gebiet des Menschlichen ist, hundertmal wichtiger als der Markt selbst.

Der Markt selber hat lediglich eine dienende Funktion. […] Der Markt ist ein Mittel zum Zweck, ist kein Selbstzweck, während der Rand eine Menge Dinge umfasst, die Selbstzweck sind, die menschliche Eigenwerte sind.“818

Jedoch ist das Vorteils- bzw. Gewinnstreben der Wirtschaftssubjekte ungebändigt und zügellos und basiert, wie bereits gezeigt wurde, auch auf einer fehlgeleiteten wissenschaftlichen Lehre (Vgl. Kapitel 3.1) und Ausbildung der vorherrschenden Managergeneration.819 Hierbei entsteht unter anderem auch eine Schnittstelle zwischen der Individual- (`wollen`) und der Institutio-nenethik820 (`zumutbar`).821 Die Sachlogik der aktuellen Märkte erscheint jedoch weiter unerschüt-terlich und sie (die Finanzmärkte) sind von einer nachhaltigen Regulierung weit entfernt (Vgl.

Kapitel 3.1.2).822 Lebenspraktische Fragestellungen unter anderem nach Sinn- und Gerechtigkeit sind in diesem Markt nicht relevant und entsprechen auch nicht der beschriebenen Sachlogik im Sinne der Motive und Funktionsweisen.823

814 Vgl. Wieland, J. (2007), Seite 111.

815 Wieland, J. (2007), Seite 111.

816 Vgl. Wieland, J. (2007), Seite 121.

817 Vgl. Ulrich, P. (2009), Seite 1.

818 Rüstow, A. (1961), Seite 68.

819 Vgl. Friedrich, K. (2012), Seite 44-45.

820 Die Begriffe Institutionenethik und Ordnungsethik werden im Rahmen der Dissertation synonym verwendet. Vgl.

Homann, K. (2014), Seite 64.

821 Vgl. Ulrich, P. (2009), Seite 2.

822 Vgl. Hamm, B. (2011), Seite 148; Rehm, H. (2011), Seite 334.

823 Vgl. Ulrich, P. (2009), Seite 2.

Abbildung 25: Zusammenhang zwischen Sinn, Gerechtigkeit und Effizienz824

Darwinistische Analogien à la VON HAYEK, dass Märkte einem Selektionsmechanismus folgen und ohne Staat und Politik besser funktionieren,825 entsprechen zwar der gelebten Realität, sind je-doch in ihrer Konsequenz menschenfeindlich und destruktiv.826 In dieser Situation zählt unbe-grenzt das Recht des Stärkeren, das weder durch Politik noch durch Moral limitiert wird.827 Die Politik scheut die Diskussion über die Grenzen der Märkte zu führen und zeigt damit den Bürgern, den Mangel an moralischer Diskursfähigkeit.828

Gemeinschaftliche Tugenden kann ein solcher Markt nicht stiften und ein solcher Markt führt letztendlich zur stärkeren Separation der Bürger in Arm und Reich.829 Offensichtlich erleben wir eine Ablösung der Wirtschaft von den tatsächlichen Lebenswelten und somit eine Trennung des immer dominierenden ökonomischen Systems.830 Wenn sich aber eine „Hegemonie des Sharehol-der-Value-Konzeptes“831 erhebt, kommt es zur Dominanz der ökonomischen über die ethische Theorie und es besteht die Gefahr, dass das dominante Theoriegerüst totalitäre Züge annimmt.832 SANDEL spricht in diesem Zusammenhang von der Entwicklung der Marktwirtschaft hin zur Marktgesellschaft.833 Dabei stellt die Marktwirtschaft ein hoch effizientes Instrument zum Aus-tausch von Gütern dar,834 die Marktgesellschaft hingegen symbolisiert ein System, in dem sich die

824 Entnommen aus: Ulrich, P. (2009), Seite 3.

825 Vgl. Sistermann, R. (2002), Seite 26.

826 Vgl. Bendixen, P. (2009), Seite 118; Lohmann, H.-M. (2001), Seite 137 zitiert nach Willke, G. (2003), Seite 162.

827 Vgl. Sistermann, R. (2002), Seite 26.

828 Vgl. Sandel, M.J. (2012a), Seite 162.

829 Vgl. Sandel, M.J. (2012a), Seite 164.

830 Vgl. Ulrich, P. (2009), Seite 7-8.

831 Vgl. Hollstein, B. (2010), Seite 123; http://www.boeckler.de/19569_19591.htm, Stand: 24.07.2014.

832 Vgl. Sistermann, R. (2002), Seite 27.

833 Vgl. Sandel, M.J. (2013), Seite 27; Sandel, M.J. (2012a), Seite 162 siehe dazu auch Löw-Beer, M. (2010), Seite 206.

834 Vgl. Hirsch, F. (1980), Seite 224.

sozialen Beziehungen der Wirtschaftssubjekte als Spiegelbild der Märkte (marktförmig) manifes-tieren.835 Die Gesellschaft wird zu einem Appendix des Marktes.836 Gemäß KÜNG hat eine solche

`totale Marktwirtschaft` weitreichende Konsequenzen:

1. Die allgemeingültige Menschenwürde-/ -rechte/ Pflichten können durch die Wirtschaft manipuliert werden.837

2. Es kommt zur Resignation der Politik vor dem Markt.838 3. Die Kontrollfunktion der Wissenschaft geht verloren.839

4. Die Kultur wird zur Magd des Marktes und die Kunst zur Ware bzw. zum Spekulationsob-jekt.840

5. Moral und Ethik orientieren sich an Profit und Spaß.841

Im Ergebnis substituiert die Ökonomik „die Ethik des menschlichen Verhaltens.“842 NIDA-RÜMELIN geht -auf der Verhaltensebene- davon aus, dass rein ökonomisch handelnde Men-schen, die der ökonomischen Rationalität -mit der Syntax von Kosten und Nutzen- folgen, nicht freundschaftsfähig sind.843 Dies führt in der Konsequenz zur Vereinsamung und dazu, dass ohne Altruismus keine Freundschaft geschaffen werden kann.844 Ohne Freundschaft entsteht wiederum keine soziale Gemeinschaft und mithin kein gutes Leben für die beteiligten Personen.845

ULRICH geht davon aus, dass die Krise des Wirtschaftssystems über die Probleme der Nutzen- bzw. Gewinnmaximierung (Vgl. Kapitel 3.1.1) hinausgeht und es sich um eine tiefgreifende Ori-entierungskrise handelt, in dem die Relation zwischen Marktwirtschaft auf der einen und Gesell-schaft auf der anderen Seite in Frage gestellt werden.846 Des Weiteren müssen wir, die Wirt-schaftssubjekte, uns darüber im Klaren sein, dass wir unsere gegenwärtigen und künftigen Prob-leme nicht mit den Denkmustern und Systemen lösen können, die diese ProbProb-leme erst verursacht haben.847 ULRICH beschreibt die Divergenz der ethischen Vernunft und der ökonomischen Ratio-nalität, wie folgt:

835 Vgl. Nida-Rümelin, J. (2011), Seite 16, 284; Polanyi, K. (2013), Seite 88-89; Sandel, M.J. (2013), Seite 27; San-del, M.J. (2012a), Seite 162; Ulrich, P. (2008), Seite 445; Wetzel, D.J. (2010), Seite 294; Ziegler, J. (2005), Seite 222; Ziegler, J. (2015), Seite 110.

836 Vgl. Polanyi, K. (2013), Seite 88.

837 Vgl. Küng, H. (2010a), Seite 154; Neuhäuser, C. (2011), Seite 297.

838 Vgl. Küng, H. (2010a), Seite 154.

839 Vgl. Küng, H. (2010a), Seite 154.

840 Vgl. Küng, H. (2010a), Seite 155.

841 Vgl. Küng, H. (2010a), Seite 155.

842 Sandel, M.J. (2012a), Seite 162.

843 Vgl. Nida-Rümelin, J. (2011), Seite 27, 47.

844 Vgl. Nida-Rümelin, J. (2011), Seite 47-48, 70.

845 Vgl. Nida-Rümelin, J. (2011), Seite 47-48; Rinderle, P. (2007), Seite 116. In diesem Kontext ist darauf hinzuwei-sen, dass es neben den von ARISTOTELES benannten Freundschaften: Lustfreundschaft, Nutzenfreundschaft, Tugendfreundschaft weitere verschiedene Arten gibt (z.B. Freundschaften unter Kollegen, Sportlern, Nachbarn) Vgl. Rinderle, P. (2007), Seite 141.

846 Vgl. Ulrich, P. (2009), Seite 2.

847 Vgl. Ulrich, P. (2009), Seite 6; Weik, M., Friedrich, M. (2014), Seite 16.

Abbildung 26: Verhältnis zwischen ethischer Vernunft und ökonomischer Rationalität848

Das Marktprinzip folgt dabei in seiner Grundphilosophie FRIEDRICH AUGUST VON HAYEK, der durch die Lehren aus der stalinistischen Zeit davon ausging, dass jeglicher Eingriff in die Wirtschaft ein erster Schritt in die `Knechtschaft` bedeutet.849 Für VON HAYEK stellt die soziale Gerechtigkeit eine Gefahr dar, da durch sie (die soziale Gerechtigkeit) Menschen sich Gelder ein-verleiben, die ihnen grundsätzlich nicht zustehen.850 Aus seiner Sicht sollte der Markt unreguliert bleiben, da diese Marktwirtschaft durch Glück und Geschick den jeweiligen Gewinner krönt.851 Verluste und Niederlagen muss sich jeder Marktteilnehmer selbst zuschreiben, denn nur er trägt dafür die Verantwortung.852 Die Befürworter freier Märkte berufen sich dabei regelmäßig auf die folgenden beiden Argumente:

1. Freie Märkte fördern das Gemeinwohl der gesamten Gesellschaft, weil es das Motivations- und Allokationsproblem innerhalb der Marktwirtschaft löst.853

2. Märkte erkennen die Freiheit des Einzelnen Wirtschaftssubjektes an, in dem Gütern nicht einfach Preise zugeordnet werden, sondern in dem der Marktmechanismus diese Preise durch ein freies Spiel der Marktkräfte determiniert.854

Dabei wird durch VON HAYEK jedoch verkannt, dass Glück und Geschick auch von den Start-chancen des jeweiligen Wirtschaftssubjektes determiniert werden.855 Diese Startchancen sind

848 Entnommen aus: Ulrich, P. (2009), Seite 12.

849 Vgl. Sistermann, R. (2002), Seite 26.

850 Vgl. Sistermann, R. (2002), Seite 26.

851 Vgl. Sistermann, R. (2002), Seite 26.

852 Vgl. Sistermann, R. (2002), Seite 26.

853 Vgl. Sandel, M.J. (2009), Seite 13.

854 Vgl. Sandel, M.J. (2009), Seite 13.

855 Vgl. Sistermann, R. (2002), Seite 26.

doch gemäß der OECD u.a. auf Grundlage des jeweiligen Bildungsniveaus sehr unterschiedlich gelagert.856

Darüber hinaus besteht in freien, unregulierten Märkten das Risiko, dass die Marktteilnehmer gie-rig und maßlos werden.857 Die Gier widerspricht jedoch den Werten einer Zivilgesellschaft, weil ihr die Gefahr innewohnt, die Schicksale Dritter im Sinne der eigenen Profitmaximierung zu igno-rieren.858 Exzessive Gier muss somit durch die Gesellschaft bekämpft werden, denn „eine Gesell-schaft, die gieriges Verhalten eher bestraft als belohnt, fördert die Tugend, miteinander zu teilen und Opfer für das Gemeinwohl gemeinsam zu tragen.“859 Denn es kann keinen wirklich ´freien Markt` geben, wenn einzelne Wirtschaftssubjekte sich zulasten der Gesellschaft bereichern.860 Somit ist die Grundannahme von VON HAYEK evidenzbasiert unvollständig und mithin unfair.

Wenn aber die Ausgangsbasis des Marktprinzips unfair gestaltet ist, kann das Ergebnis nicht ge-recht sein bzw. werden.861 Vielmehr bedarf es der Erkenntnis, dass eine lebensdienliche Wirtschaft ein ethisches Fundament benötigt.862 Denn die Marktwirtschaft muss in eine Gesamtordnung ein-pflegt werden, die sich nicht nur auf ökonomische Steuerungsgrößen beruft.863