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3. Verhältnis zwischen Moral und Wirtschaft

3.3 Grenzmoral

Die Einschätzung von GIERSCH nach der der „Wettbewerb der Standorte einen Wettbewerb der Moralsysteme mit sich bring[t]“767 ist somit absolut zutreffend. Diese Betrachtungsweise führt zum Begriff der Grenzmoral. Diese Grenzmoral wird nach GÖTZ BRIEFS wie folgt definiert:

„Mit ´Grenzmoral` ist das noch tolerierte, noch erträgliche Verhalten in zwischenmenschlichen Beziehungen gemeint, ein Verhalten, das noch innerhalb der in einem Lebenskreis geltenden Normen verbleibt. (…) Wenn (ein) submarginaler Vorstoß erfolgreich ist, erzielt er einen psychi-schen oder wirtschaftlichen Gewinn, eine Differentialrente. Diese Differentialrente ist für die Konkurrenten ein ständiger Anreiz, um sich mit denselben Methoden zu beschäftigen.“768

Greift man vor diesem Hintergrund den Moralbegriff nochmals auf, so hat die Moral die Aufgabe bestimmte Regeln dem Handeln der Wirtschaftssubjekte an die Hand zu geben.769 Somit hat die Moral eine regulierende Funktion auf Märkten. In diesem Sinne könnte auch der Wettbewerb auf Märkten gesehen werden. Denn die Wettbewerber mit ihren egoistischen Zielen beschränken sich gegenseitig. 770 Jedoch hebt sich der Wettbewerb regelmäßig als regulierende Institution auf.771 Preisabsprachen, Bilanzmanipulationen und marktbeherrschende Stellungen führen dazu, dass der Wettbewerb nicht mehr begrenzend auf die Handlungen der Wirtschaftssubjekte einwirken kann.772 Dabei verblasst die Tatsache, dass der Wettbewerb kein Ziel ist, sondern ein Mittel zur Wohlstandsförderung darstellt.773 Existiert eine Wirtschaftskultur in der Fairness und soziale Ge-rechtigkeit in den Hintergrund treten, Eigennutz dominiert, dann wird dies immer in entsprechen-den Krisen enentsprechen-den.774

Darüber hinaus führt Wettbewerb ggf. sogar zum aktiven Verfall ethischer Regeln (Vgl. Kapitel 3.1.1).775 Durch die Globalisierung (Vgl. Kapitel 3.1.3.2) hat sich der Wettbewerb zwischen

765 Vgl. Lachmann, W. (2011), Seite 3-4.

766 Priddat, B.P. (2009), Seite 354.

767 Giersch, H. (1994), Seite 15.

768 Briefs, G. (1980), Seite 51,54; LACHMANN spricht im Zusammenhang von Vorteil statt von Differentialrendite.

Vgl. Lachmann, W. (2011), Seite 5.

769 Vgl. Hawliczek, J.W. (2007), Seite 16.

770 Vgl. Priddat, B.P. (2009), Seite 345-346.

771 Vgl. Brodbeck, K.-H. (2012), Seite 107ff.

772 Vgl. Brodbeck, K.-H. (2012), Seite 107ff.

773 Vgl. Mastronardi, P., v. Cranach, M. (2010), Seite 2.

774 Vgl. Mastronardi, P., v. Cranach, M. (2010), Seite 2.

775 Vgl. Brodbeck, K.-H. (2006), Seite 98.

ternehmen aber auch zwischen Nationalstaaten deutlich verschärft,776 zumal die Globalisierung nicht zum Verschwinden von Nationalstaaten geführt hat.777 Somit werden auch die Regeln, Ge-setze und moralischen Vorstellungen der jeweiligen Staaten in den Wettbewerb mit anderen Staa-ten treStaa-ten (`regime shopping´).778 Der Standortwettbewerb zwischen den Staaten kann dazu führen, dass sich gering regulierte Staaten -im Sinne der Grenzmoral- gegen intensiver regulierte Staaten durchsetzen und sich die Investitionen in diese gering regulierten Staaten verlagern.779

REHM und SCHMIDT sprechen bei der Ausnutzung solcher Regulierungsunterschiede und den damit verbundenen Vorteilen auch von sogenannten Regulierungsarbitragen.780 Solche Regulie-rungsabitragen entsprechen der Differentialrendite im Sinn der Grenzmoral (Vgl. Kapitel 3.3).

Solche Regulierungsarbitragen waren auch nach der Einführung des Sarbanes Oxley Acts in den USA zu beobachten.781 Eine Vielzahl großer institutioneller Investoren verließ den Finanzplatz New York und ließ seine Geschäfte künftig an der London Stock Exchange ausführen.782 Hinter-grund dieser Verschiebung waren die erheblichen Deregulierungen, die der Finanzplatz London in den 1980er und 1990er Jahren erlebte.783 Diese Form der Deregulierung wurde auch als ´Big Bang` bezeichnet und ging primär auf die Politik von Margret Thatcher zurück.784 In diesem Zu-sammenhang entstand auch der Begriff `Thatcherismus´ und vergleichbar zur politischen Ent-wicklung in den USA `Reaganomics´ in Anlehnung an den damals amtierenden Präsidenten Ronald Reagan.785 Sowohl THATCHER als auch REAGAN wurden von MILTON FRIEDMAN als Vertreter der `Chicago Schule` beraten.786 Im Ergebnis führte also eine verstärkte Regulierung in den USA zu einem massiven Boom an der Londoner Börse.787

Der Wettbewerb ist somit global auch ein Wettbewerb zwischen ethischen Systemen.788 Durch diesen Wettbewerb besteht das Risiko, dass sich durch die Verfolgung der Eigeninteressen der Staaten ein Wettbewerb um die geringsten moralischen Standards (u.a. social dumping789) entwi-ckelt.790 Dies würde zum Erodieren der Rahmenordnung führen und zeigen, dass kurzfristiges ego-istisches Handeln, langfristig zum Schaden aller Beteiligter führen kann.791

776 Vgl. Gerken, L. (1999), Seite 5f; Koslowski, P. (2009), Seite 179; Küng, H. (2010a), Seite 27; Neuhäuser, C.

(2011), Seite 308; Zsifkovits, V. (2005), Seite 117.

777 Vgl. Herrmann, U. (2013), Seite 104; Hollstein, B. (2010),Seite 124; Neuhäuser, C. (2011), Seite 286.

778 Vgl. Crouch, C. (2013), Seite 13, 180.

779 Vgl. Crouch, C. (2013), Seite 13, 180; Roberts, R. (2008), Seite 318; Stiglitz, J. (2012), Seite 98.

780 Vgl. Rehm, H. (2012), Seite 476; Schmidt, S. (2010), Seite 185.

781 Vgl. Berlinski, C. (2008), Seite 149.

782 Vgl. Gingrich, N., Haley, V., Tyler, R. (2007), Seite 135-136; Lamby, S. (2009), Reportage; Roberts, R. (2008), Seite 318.

783 Vgl. Koslowski, P. (2009), Seite 225; Küng, H. (2010a), Seite 87.

784 Vgl. Jäger, S., Klüssendorf, J. (2013), Reportage. In diesem Zusammenhang sind auch zwei Reden von Margret Thatcher aus dem Jahr 1980 aufschlussreich: http://www.margaretthatcher.org/document/104316, Stand:

22.06.2014 und http://www.margaretthatcher.org/document/104442, Stand: 22.06.2014.

785 Vgl. Küng, H. (2010a), Seite 39.

786 Vgl. Küng, H. (2010a), Seite 47.

787 Vgl. Chiu, I.H.-Y. (2008), Seite 189; Honegger, C., Neckel S., Lamby, S. (2009), Reportage; Magnin, C. (2010), Seite 16.

788 Vgl. Brodbeck, K.-H. (2006), Seite 96.

789 Social dumping = „…Länder mit geringer sozialer Sicherung, mit niedrigen Löhnen, können dieses Wettbewerb zu ihrem Vorteil nutzen, aber sie reißen dabei andere Länder mit sich, verstärken den Zwang zur Preisgabe der dor-tigen sozialen Errungenschaften.“ Bourdieu, P. (2004), Seite 56.

790 Vgl. Bourdieu, P. (2004), Seite 19; Homann, K. (2014), Seite 51; Zsifkovits, V. (2005), Seite 117.

791 Vgl. Zsifkovits, V. (2005), Seite 117.

Zwei weitere konkrete Beispiele für die Schaffung von Differentialrenditen werden - aufbauend auf SANDEL- im Folgenden dargestellt:

Corporate-owned life insurances (= COLIs):

Bei dieser Form von Risikolebensversicherung versichert der Arbeitgeber das Leben seines Ar-beitnehmers häufig ohne dessen Wissen und Zustimmung.792 Diese Risikolebensversicherungen bestanden i.d.R. fort, auch wenn die Mitarbeiter kündigten, entlassen wurden oder das Rentenalter erreichten.793 Teilweise wurden diese Versicherungen auch auf die Kinder und Ehepartner der Mitarbeiter ausgeweitet.794 Synonym werden auch die Begriffe: ´janitor´s insurance´795 bzw. ´dead peasants insurance´796 verwendet.797 Diese Form der Risikoversicherung ist erst durch eine zuneh-mende Liberalisierung der Versicherungsbranche in den USA entstanden.798 Abgeschlossen wur-den sie im großen Umfang von Konzernen wie z.B. AT&T, Nestlé, Wal-Mart und Winn Dixie.799 Ab dem Jahr 2000 machten diese Versicherungen einen Anteil von 25 bis 30 Prozent des US-Lebensversicherungsmarktes aus.800 Durch diese Versicherungsform partizipierten die Unterneh-men direkt vom Tod der eigenen Mitarbeiter. Teilweise wurden in der Bankenbranche die Erträge dieser Versicherungen bzw. Todesfälle zur Bezahlung von Boni des Managements verwendet.801 Durch diese grundlegende Umformung eines Versicherungsproduktes, das ursprünglich die Hin-terbliebenen versorgen sollte, hin zu einem Spekulationsinstrument von Unternehmen, wurde durch die Absenkung moralischer Standards eine Differentialrendite möglich. Bezieht man diese Entwicklung nun auf finanziell marode Unternehmen, so wird durch die Umformung der Risiko-lebensversicherung ein Anreiz generiert, weniger Geld in die Arbeitssicherheit der eigenen Mitar-beiter zu investieren.802

Durch solche Maßnahmen, die nur durch die Deregulierung von Märkten möglich wurde, werden Mitarbeiter tot wertvoller als lebendig und mithin zu einem moralfreien Terminkontrakt degene-riert, bei dem nicht mehr die geleistete Arbeit des Mitarbeiter im ausschließlichen Zentrum der unternehmerischen Entscheidung liegt.803

792 Vgl. Sandel, M.J. (2012b), Seite 165.

793 Vgl. Sandel, M.J. (2012b), Seite 165.

794 Vgl. http://www.marketwatch.com/story/why-are-workers-in-the-dark-2002-04-24, Stand 21.06.2013 zitiert nach:

Sandel, M.J. (2012b), Seite 165.

795 Vgl. diesbezüglich auch den Artikel aus dem Wall Street Journal:

http://online.wsj.com/public/resources/documents/april_25.htm, Stand 21.06.2013.

796 Vgl. diesbezüglich auch http://deadpeasantinsurance.com/, Stand: 21.06.2013.

797 Diese Begrifflichkeiten lassen sich mit `Putzfrauenversicherung´ bzw. ´Tote-Bauern-Versicherung` übersetzen.

Vgl. Sandel, M.J. (2012b), Seite 164.

798 Vgl. Sandel, M.J. (2012b), Seite 165.

799 Vgl. Sandel, M.J. (2012b), Seite 165.

800 Vgl. Sandel, M.J. (2012b), Seite 166.

801 Vgl. http://online.wsj.com/article/SB124277653430137033.html#, Stand: 21.06.2013.

802 Vgl. Sandel, M.J. (2012b), Seite 167.

803 Vgl. Sandel, M.J. (2012b), Seite 169.

Defence Advanced Research Projects Agency (= DARPA):

Die DARPA entwickelte von einigen Jahren die Idee Terminkontrakte auf Terrorakte zuzulas-sen.804 Bei dieser Form der Terminkontrakte ging es darum, darauf zu spekulieren, welcher terro-ristische Anschlag als nächstes verübt wird oder welcher Politiker als nächstes ermordet wird.805 Bei diesem System hätten bis zu 10.000 Händler auf entsprechende Ereignisse wetten können und dadurch ggf. ihr Insiderwissen indirekt veröffentlicht.806 Dabei wurde angenommen, dass ein sol-cher Finanzmarkt effizient verborgene Informationen zutage fördern könnte, um damit die Risi-koeinschätzung entsprechende Szenarien zu optimieren.807 Wäre diese Idee nicht vom US-Kongress gestoppt worden,808 wäre das Dilemma entstanden, ob die Verhinderung eines Terroran-schlags den moralischen Preis rechtfertigt mit dem Tod anderer Menschen (den Opfern) einen fi-nanziellen Profit und damit eine Differentialrendite zu erwirtschaften.809

Sollte Wirtschaften dauerhaft ein grenzmoralischer Kampf nach dem Motto: `Jeder gegen Je-den“ sein, wird es wahrscheinlich, dass sie (die Wirtschaft) dabei ihre Legitimations- und Ver-trauensbasis verliert, die wiederum auf der Kooperationsbereitschaft als auch auf gesellschaftli-cher Solidarität810 basiert.811 Es bestehen jedoch ungeachtet der scheinbaren Attraktivität grenzmo-ralischer Verhaltensweise auch Möglichkeiten solche Entwicklung einzudämmen.812 Dazu gehö-ren:813

1. Dokumentation der negativen Konsequenzen von grenzmoralischem Verhalten und den damit verbundenen Risiken für alle Beteiligte.

2. Ächtung solcher Verhaltensweisen auf nationaler und internationaler Ebene.

3. Die ökonomischen Vorteile durch moralisches Verhalten in der Wirtschaft (z.B. Reduktion von Transaktionskosten) müssen stärker in die öffentliche Wahrnehmung gelangen.

4. Schaffung nationaler und internationaler Normen zur Sanktionierung solchen Verhaltens.

5. Menschen, Institutionen und Staaten die grenzmoralisches Verhalten unterlassen, müssen Anreizsysteme geboten werden, dies auch in Zukunft zu praktizieren.

804 Vgl. Sandel, M.J. (2012b), Seite 186.

805 Vgl. http://articles.latimes.com/2003/jul/29/nation/na-terror29, Stand: 21.06.2013.

806 Vgl. http://articles.latimes.com/2003/jul/29/nation/na-terror29, Stand: 21.06.2013.

807 Vgl. http://www.nytimes.com/2003/07/29/us/threats-responses-plans-criticisms-pentagon-prepares-futures-market-terror.html, Stand: 21.06.2013.

808 Vgl. Sandel, M.J. (2012b), Seite 187.

809 Vgl. Sandel, M.J. (2012b), Seite 191.

810 Das Institut für Wirtschaftsforschung der eidgenössischen Hochschule in Zürich unter Leitung von Prof. Fritsche hat im Jahr 1984 herausgefunden, dass die Solidarität abnimmt, je weiter sie sich vom Ich entfernt. So sind Men-schen bereit mit der Familie 50% zu teilen, mit dem Staat 12-15%, mit der Region 3% und mit der Welt 0,8%.

Eine Solidarität von 100% findet sich mithin nur beim Ich. Vergleichbare Erkenntnisse gelten für die Nächsten-liebe. Zitiert nach Zsifkovits, V. (2005), Seite 47; siehe auch Bourdieu, P. (2004), Seite 110.

811 Vgl. Küng, H. (2010a), Seite 90 mit Bezug auf DUNNING; Mastronardi, P., v. Cranach, M. (2010), Seite 2;

MOHR geht davon aus, dass eine moralische Ganzheitlichkeit bzw. ein Weltethos nicht erreichbar sind. Vgl.

Mohr, H. (2010), Seite 237; Wieland, J. (2010a), Seite 11; HAYEK geht davon aus, dass bei einer offenen Ge-sellschaft und der Erweiterung des Geltungsbereiches dieser GeGe-sellschaft es zwangsläufig zu einer inhaltlichen Reduktion des Moralkodex kommen wird. Die durchsetzbaren Pflichten werden aus diesem Grund ebenfalls vermindert. Vgl. Hayek, F.A. (2003), Seite 297.

812 Vgl. Zsifkovits, V. (2005), Seite 118.

813 Vgl. Zsifkovits, V. (2005), Seite 118-119.

Unterschiedliche Moralkulturen haben positive bzw. negative Konsequenzen für die Transakti-onskosten der Unternehmen.814 Aus diesem Grund sollten Unternehmen dem folgenden imperativ folgen: „Wähle dasjenige Unternehmen aus demjenigen Land zum Produktions- oder Vertriebs-partner, dessen moralische Kultur positive Einflüsse auf die Gesamtkosten der angestrebten wirt-schaftlichen Transaktionen hat!“815 Damit wird Moral zum strategischen und operativen Erfolgs-faktor und aktiver Bestandteil der Unternehmenspolitik.816