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Funktionen von Mehrsprachigkeit in literarischen Texten

In document Cathedra Magistrorum 2013/2014 (Pldal 115-120)

Mehrsprachigkeit in der Kinder- und Jugendliteratur

3. Funktionen von Mehrsprachigkeit in literarischen Texten

Nach dieser kurzen Einführung in die verschiedenen Formen literarischer Mehrsprachigkeit sollen nun die möglichen Funktionen von Mehrsprachigkeit in literarischen Texten kurz dargestellt werden. Der Terminus Funktionen un-terstreicht in diesem Zusammenhang die Vorannahme, dass literarische Texte nicht nur in einen Kontext eingebunden sind, der sie beeinflusst, sondern dass Literatur die dafür relevanten Diskurse zugleich auch mitgestaltet.

Basierend auf mehreren detaillierten literaturwissenschaftlichen Analysen mehrsprachiger Kinder- und Jugendliteratur ordnet die Verfasserin diese Funktionen drei Diskursbereichen zu: dem formal-ästhetischen, dem (spra-chen)politischen und dem (sprachen)didaktischen Diskursbereich. Allerdings kommen diese Diskursbereiche nicht unabhängig voneinander zum Tragen, sondern sie ergänzen und bedingen einander, und manchmal unterlaufen sie einander sogar gegenseitig. Die mehrdimensionale Vernetzung der hier aufgelisteten Diskursbereiche und der mit ihnen verbundenen Funktionen von Mehrsprachigkeit ist sogar das spezifische Qualitätskriterium mehrspra-chiger Literatur.

Autorinnen und Autoren konstruieren in ihren Texten eine neue Sprachwirk-lichkeit. Wenn sie dabei auf mehrere Sprachen zurückgreifen können, dann gestalten sich diese Sprachwirklichkeiten differenzierter und vielfältiger, denn

„Mehrsprachigkeit schafft mehr Sprachlichkeit“ (Knauth 2004: 265). Diesem differenzierten Umgang mit Sprachen in den literarischen Texten sollte mit einer ebenso differenzierten Analyse dieser Mehrsprachigkeit und ihrer Funk-tionen begegnet werden. Denn erst wenn Lehrende die spezifische Gestaltung eines konkreten mehrsprachigen Textes verstehen und nachvollziehen können, kann ihnen eine adäquate Didaktisierung dieses Textes gelingen, die den Text optimal für die jeweilige Lernendengruppe nützt, indem sie den Lernenden die besonderen Charakteristika des Textes zugänglich macht.

Richten wir unsere Aufmerksamkeit zunächst auf die formal-ästhetischen Funktionen von Mehrsprachigkeit in literarischen Texten. Autorinnen und Autoren, die selbst mehrere Sprachen sprechen, arbeiten in ihren Texten oft aus textkompositorischen Gründen mit Mehrsprachigkeit. Ihre verschiedenen Sprachen bieten Ihnen vielfältige Möglichkeit zur stilistischen Differenzierung.

Um die formal-ästhetischen Funktionen der Mehrsprachigkeit in einem lite-rarischen Text benennen zu können, ist zunächst eine genaue narratologische Analyse der mehrsprachigen Texte notwendig, die den Fokus besonders auf die Funktionen der Verwendung mehrerer Sprachen im Text legt. Einige dieser formal-ästhetischen Funktionen werden anhand des nun folgenden Textbeispiels deutlich: Mehrsprachige Textteile können etwa die Fiktion von Fremdheit erzeugen. Diese Funktion kommt in dem mischsprachigen Bilder-buch Alles gut (2007) von Lilly Axster und Christine Aebi zum Tragen. Darin zieht die kleine Leonie mit ihrer Mutter nach Istanbul. Sie ist aufgeregt und fragt sich, wer dort in der Fremde mit ihr gemeinsam in ihrem Haus wohnen wird. „Ben“ sagt Suzan. Was soviel heißt wie „Ich“ (vgl. Axster/Aebi 2007 [o.S.]). Suzan lebt in Istanbul, dementsprechend sprechen sie und ihre Freundin Fidan nicht Deutsch, sondern Türkisch. Durch die deutsch-türkische Sprach-mischung wird hier eine authentische und lebensnahe Sprachwirklichkeit suggeriert. Gleichzeitig erfolgt aber auch die räumliche Differenzierung mir Hilfe der Sprachen. Alles gut ist ein weitgehend einsprachiges Bilderbuch mit vereinzelten Textelementen in anderen Sprachen. Der Fließtext ist durchwegs in deutscher Sprache verfasst und somit können auch Leserinnen und Leser, die (noch) nicht Türkisch sprechen, beinahe alles verstehen. In Textsequen-zen mit direkter Rede sprechen Fidan und Suzan aber konsequent Türkisch.

Interessant ist in diesem Zusammenhang etwa die Szene, in der Leonie bei ihrer Ankunft auf ihre türkischen Mitbewohnerinnen trifft und dabei zum ersten Mal versucht, ihre noch spärlichen Türkischkenntnisse in die Praxis umzusetzen. Leonie kommt mit Sack und Pack vor ihrem neuen Wohnhaus in Istanbul an und wird gleich von den beiden türkischen Mädchen Fidan und Suzan begrüßt:

„Hoschgeldin!“ ruft Fidan.

Leonie erkennt dieses Wort mit „Hosch“ von ihrer wichtige-Wörter-Liste:

Willkommen!

Ihr fällt ein Stein vom Herzen.

„Leonie. Ben. Ich meine, ich bin Leonie. Guten Tag: Mehr Haba.“

„Merhaba“, sagt Suzan gnädig.

(Axster/Aebi 2007: o. S.) Leonies Unsicherheit – verbunden mit ihrer Unsicherheit im Gebrauch der noch fremden türkischen Sprache – ist hier sehr authentisch in Sprache um-gesetzt. Die wenigen türkischen Worte, mit denen die beiden Freundinnen Fidan und Suzan die nach Istanbul zuwandernde Leonie begrüßen, dienen hier zugleich auch der Figurencharakterisierung. Mit wenig Text gelingt den Autorinnen eine sehr komplexe Figurengestaltung. Und durch die spezifische Wortwahl werden sogar die unterschiedlichen Emotionen deutlich, mit denen Fidan und Suzan der Zukunft mit der neuen Hausbewohnerin entgegenblicken.

Wie hier hat Mehrsprachigkeit innerhalb mehrsprachiger literarischer Texte immer vielfältige formal-ästhetische Funktionen. Wenn Lehrkräfte den Blick auf solche poetologischen Gesichtspunkte lenken, unterstützt dies nicht zuletzt auch eine literarische Rezeption der Texte, wie sie literarischen Texten im Fremd- und Zweitsprachenlernkontext sonst vielfach nicht zugestanden wird.

Literarische Texte spiegeln immer auch gesellschaftliche Machtverhältnisse und Diskurse wider. Hier lassen sich unterschiedliche (sprachen)politische Funktionen herauskristallisieren. Herrschaftsmechanismen und Machtstrate-gien wirken einerseits auf die Verwendung einzelner Sprachen in den Texten zurück, sie werden anderseits aber gerade in mehrsprachigen Kinder- und Jugendbüchern vielfach auch explizit thematisiert und/oder bewusst unter-laufen. (Sprachen)politisch wirksam wird ein Text alleine schon dadurch, dass er die real existierende sprachliche Heterogenität thematisiert und so ein Stück weit widerspiegelt. Trotz der lebensweltlichen Mehrsprachigkeit unserer Kinder gibt es nur wenige Bilderbücher, die diese Lebenssituation auch in Literatur umsetzen. Das oben bereits genannte Bilderbuch Hilfe! Help! Aiuto!

ist ein Beispiel dafür. Es behandelt den Schulalltag in einer mehrsprachigen Klasse. Neben Deutsch und den etablierten Schulfremdsprachen Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch finden hier auch Migrationsminderhei-tensprachen wie Albanisch, Bosnisch / Kroatisch / Serbisch und Türkisch Platz und werden kreativ in die mehrsprachige Unterrichtsgestaltung eingebunden (vgl. Kapitel 2.2). Trotz dieser guten Absichten wird aber auch in diesem Buch das bereits etablierte Prestige der verwendeten Sprachen implizit ein Stück weit fortgeschrieben. So beginnt etwa der Titel des Buches mit dem Wort „Hilfe!“

in deutscher Sprache, gefolgt von der Übersetzung ins Englische und – an dritter Stelle – ins Italienische. Andere Sprachen wie etwa das Türkische oder Albanisch finden im Titel keinen Platz. Ein Grund für die Wahl der Sprachen im Titel ist vermutlich die bessere Vermarktbarkeit des Bilderbuches unter dem Titel Hilfe! Help! Aiuto!. Sprachenpolitisch interessant ist auch die Wahl des Titels selbst, denn Hilfe! Help! Aiuto! ist zugleich auch der Hilferuf der Lehrerin im Bilderbuch, die nicht weiß, wie sie mit den vielen Sprachen im Unterricht zurechtkommen soll – bis die Kinder ihr dabei helfen (vgl. Schader/Obrist 1999: 10). Wir können also auch davon ausgehen, dass dies zugleich die Spra-chen sind, die die Lehrerin im Buch beherrscht, bzw. die SpraSpra-chen, die ihr selbst als besonders wichtig erscheinen. Womit Schader und Obrist mit ihrem Buch aber auf jeden Fall aufräumen, ist der Mythos von der einsprachigen Schule.21 Einige (sprachen)politische Funktionen von Mehrsprachigkeit in literarischen Texten korrespondieren mit Schlüsselbegriffen der postkolonialen Studien. Sie kommen beispielsweise in Fracois Place’ Bilderbuch Die letzten Riesen (1995) zum Tragen. In diesem Bilderbuch für jugendliche Leserinnen und Leser dient Mehrsprachigkeit der Thematisierung von Subjekt- und Objektposition und von Othering. Auch die Differenzierung zwischen (Macht-)Zentrum und Peripherie erfolgt hier unter anderem mit Hilfe der verwendeten Sprachen.

Wenden wir uns nun dem dritten, (sprachen)didaktischen Diskurszusam-menhang zu. Die (sprachen)didaktischen Funktionen beziehen sich hier nicht auf die Möglichkeiten, wie mit Kinder- und Jugendliteratur im Sprachunter-richt gearbeitet werden kann (vgl. dazu Eder 2009: 37ff). Vielmehr soll gezeigt werden, ob und inwiefern sprachendidaktische Funktionen bereits in die Texte selbst eingeschrieben sind. Einige Autorinnen und Autoren konzipierten und konzipieren ihre Texte sogar bewusst als Sprachlerntexte. So verfasste etwa der tschechische Pädagoge Johann Amos Comenius das bereits erwähnte mehrsprachige Orbis sensualium pictus aus dem Jahr 1658 ganz gezielt für den Lateinunterricht und vermittelt daher auch den dafür notwendigen Wortschatz.

Aber nicht nur in mehrsprachigen Wörterbüchern, sondern auch in vielen mehrsprachigen erzählenden Kinder- und Jugendbüchern hat Mehrsprachig-keit unter anderem auch (sprachen)didaktische Funktionen. Zum Beispiel in Christoph Niemanns Bilderbuch Der kleine Drache. Eine Geschichte von Freundschaft und chinesischen Schriftzeichen (2008 zunächst in Amerikani-schem Englisch und noch im gleichen Jahr auch in deutscher Übersetzung erschienen). In diesem durchgängig mehrsprachig konzipierten Bilderbuch, in dem Niemann kunstvoll in jede Abbildung ein passendes chinesisches

21 Ingrid Gogolin konnte 1994 mit ihrer grundlegenden Studie „Der monolinguale Habitus der multilingualen Schule“ zeigen, wie das nationalstaatlich verfasste deutsche Bildungswesen seit dem 19. Jahrhundert ein solches monolinguales Selbstverständnis herausgebildet hat.

Schriftzeichen integriert, bekommt das Mädchen Lin ein besonderes Geschenk – einen roten Drachen. Die beiden sind sofort unzertrennlich und unternehmen vieles gemeinsam. Eines Tages zerbricht der kleine Drache beim Fußballspielen eine wertvolle chinesische Vase und muss von da an im Käfig bleiben. Doch er flüchtet. Lin sucht ihn, findet ihren Freund schließlich – mit Hilfe einer Hexe – bei seiner Drachenfamilie, und alle feiern ein Wiedersehensfest. Das Bilderbuch hat einen deutlichen (sprachen)didaktischen Anspruch. Das sug-geriert schon der Untertitel. In einem Vorwort an die Eltern der Leserinnen und Leser schreibt der Autor und Illustrator Niemann:

Liebe Eltern, als ich vor Kurzem in Asien war,

habe ich meine ersten chinesischen Schriftzeichen gelernt.

Am leichtesten konnte ich mir die merken,

die kleine Abbildungen dessen sind, was sie bedeuten. [...]

Dieses Buch will Ihnen und Ihren Kindern [...] keine erste Chinesisch-Lektion erteilen, sondern nur einen ganz kleinen Einblick

in die faszinierende Welt der chinesischen Schriftzeichen geben.

Aber vielleicht gelingt es mir sogar, Sie dazu anzuregen,

gemeinsam mit Ihren Kindern einen Chinesisch-Kurs zu belegen.

(Niemann 2008 [o.S.]) Die Verfasserin würde Niemanns Aussage hier zum Teil widersprechen, denn das Bilderbuch ist – ganz en passant – tatsächlich so etwas wie eine erste Chinesisch-Lektion. Mit den für sie geheimnisvollen Schriftzeichen verführt Der kleine Drache seine jungen Leserinnen und Leser spielerisch zur Ausein-andersetzung mit anderen Sprachen und zum Sprachenlernen. Seit 2008 wurde dieses Buch bereits vier Mal neu aufgelegt. Für diesen kommerziellen Erfolg des Buches sind die (sprachen)didaktischen Funktionen der Mehrsprachigkeit im Text nach Auffassung der Verfasserin zumindest mitverantwortlich. Sehr lernwirksam sind hier z.B. mehrere Begriffe aus einem semantischen Feld nebeneinander abgebildet. Es handelt sich um die drei Begriffe ‘Baum’, ‘Ge-hölz’ und ‘Wald’. Die Systematik der Zusammensetzung der entsprechenden chinesischen Schriftzeichen können auch sehr kleine Kinder schon problemlos verstehen. Zudem lernen sie die chinesischen Schriftzeichen gleich zwei Mal kennen – als separates Schriftzeichen mit deutscher Übersetzung und als integrativen Bestandteil der dazugehörigen Illustration. Somit werden die chinesischen Schriftzeichen zunächst in ein deutsches (bzw. im Original in ein englisches) Wort und danach in ein Bild „übersetzt“. Die Leserinnen und Leser begegnen dem jeweiligen Schriftzeichen damit nicht nur mehrmals, sondern zugleich auch in unterschiedlichen Kontexten, was – nach aktuellen Erkenntnissen auf dem Gebiet der Kognitiven Linguistik – zu einer besseren

Vernetzung des fremdsprachigen Begriffs in ihrem mentalen Lexikon und so auch zu einer tieferen Verankerung des Schriftzeichens im Gedächtnis führt (vgl. u.a. Kersten 2009). Auch die Wortfrequenz, also die Verwendungshäu-figkeit der Begriffe, trägt zur besseren Verankerung im mentalen Lexikon bei.

Denn die (jungen) Leserinnen und Leser begegnen den drei Schriftzeichen hier nicht zum ersten Mal: Sie sind Teil der Geschichte, sie sind auf den Vor-satzblättern abgedruckt, die den Buchblock – also den Teil des Buches mit dem eigentlichen Text – vorne und hinten mit den Buchdeckeln verbinden, und sie sind am rechten Rand des Titelblattes zu sehen. Schließlich begegnen die Rezipientinnen und Rezipienten den Schriftzeichen noch ein letztes Mal in einem Feuerwerk am Ende der Geschichte, und sie sind eingeladen, in diesem Himmel voller Schriftzeichen nach Wörtern zu suchen, die sie – nach der Lektüre des Buches – bereits lesen können. Gleichzeitig fördert Der klei-ne Drache auch Language Awareklei-ness – also die aufmerksame und bewusste Auseinandersetzung mit Sprachen (vgl. Kapitel 5). Vielen Kindern, die dieses Buch lesen, wird dabei zum ersten Mal bewusst, dass es nicht nur andere Spra-chen, sondern auch ganz unterschiedliche Schriftsysteme gibt, und auch, wie sehr sich das chinesische Schriftsystem von unserem unterscheidet. Niemann geht hier aber im Sinne der Förderung von Sprachaufmerksamkeit und Spra-chenbewusstheit noch ein Stück weiter, indem er formale Zusammenhänge zwischen einzelnen chinesischen Schriftzeichen aufzeigt. Auf dem hinteren Umschlag des Bilderbuches wird ein Statement aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zitiert, das die (sprachen)didaktischen Funktionen des Textes prägnant zusammenfasst:

Christoph Niemann erzählt eine Geschichte voller Abenteuer und bringt uns ganz nebenbei 33 chinesische Schriftzeichen bei. Der kleine Drache allein hätte den großen Preis für die beste Eselsbrücke ins Reich der Mitte verdient. (In:

Niemann 2008 [U4]).

Die hier gebrachten Beispiele und die genannten Funktionen literarischer Mehrsprachigkeit können nur einen ersten Einblick in dieses breite literatur-wissenschaftliche Forschungsfeld vermitteln, dessen Untersuchung erst am Anfang steht (vgl. Eder 2013b).

4. Das Unterrichtsprinzip Language Awareness und seine

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