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Die andere Stimme des Lyrikers Oscar Walter Cisek

II. Eklektische Anfänge

Als Lyriker debütierte Cisek 1919 in der Hermannstädter „Monatsschrift für die Kultur der Ostdeutschen“ Ostland.21 Nach dem Siebenbürger Hermann Klöß ist er darin mit den meisten Gedichten vertreten und unter den nichtsiebenbürgischen Autoren jener, der am häufigsten zu Wort kommt.22 Der Herausgeber des Ostlands Richard Csaki erkannte in den lyrischen Verlautbarungen Ciseks allem Anschein nach eine Haltung, deren Durchbruch er in der gesamten deutschsprachigen Literatur Großrumäniens befürwortete: Überwindung sozialpädagogischer Gesinnungspoesie und eine ästhetische Emotionen auslösende Sprach-beherrschung – die Bereitschaft und Fähigkeit, „Menschheitsprobleme aufzunehmen, an der Formgestaltung mitzuschaffen, zuerst Mensch, dann Dichter, dann ... Sachse sein zu wollen“23.

Zweifelsfrei sind Ciseks frühe Gedichte, die den Anschluss an die europäische Moderne anstrebten, eklektisch, noch nicht von einem

Peter Motzan

Stilwillen gebändigt und bewegen sich zwischen neuromantischem Subjektivismus und expressionistischem Menschheitspathos. „Und hinaus in den Tag musst du schleudern aus dir die blutigen Scherben!/ Zerbrechen musst du dich erst, ehe dich Heilkraft durchtränkt!/ O Gutsein! O Freundsein! O stockendes Seelenverderben!/ O Wandlung, die jubelnd und sterbend sich schenkt“, lautet eine Strophe aus der mit expressionis-tischen Schlagworten gespickten imperativischen Verheißung24, während ein im selben Jahr erschienenes Gedicht ein melancholisch gedämpftes Saitenspiel in einem Fin-de-siècle-Stimmungsdekor intoniert: „[...]// In diesen Tagen, die wie bleiche Küsse/ von Mädchenmündern zittern durch mein Leben,/ send ich ins Dunkel dir die scheuen Grüße,/ aus weißen Träumen, die im Dämmer schweben.“ (Grüße)25

In Ciseks wenigen Stadt-‚Portraits’ verbindet sich expressionistisch gestaltete Beschreibung des Großraumes der Vergesellschaftung mit der bildhaften Reflexion über dessen verheerende Auswirkungen auf mensch-liche Befindlichkeiten. Die Verheißung einer befreienden Wandlung ist darin der Darstellung individueller Entmächtigung in den Ballungszentren der Moderne gewichen.

Großstadtgram

Es schweben wie zage Seelen Laternenlichter im Nebel, Wie glänzende Türkensäbel

Schienenkurven ihr Dasein verhehlen.

Das Regennetz zerreißt ein Dröhnen:

Eine Trambahn gleitet in den Schacht Des Dunkels, den wie ein Höhnen Vor sie hinstellt die Nacht.

Atembange Autohupen ächzen, Einem kleinen Knaben tun sie leid, Straßenecken wechselnd mit der Zeit, Dirnen trillernd nach Vergnügen lechzen.

Hinter Fenstern kleben braune Klumpen:

Interdiskursive Verdichtungen.

Matte Frauen warten, warten, warten ...

Wie bei ewig vollen Humpen Abflussstellen trüb im Trunk entarten.

Der Asphalt fängt spärliche Reflexe, Wirft sie weiter auf ein nahes Haus, Das, vergrämt wie eine alte Hexe, Lauernd blickt nach neuem Unheil aus.

Ein Gelächter keilt sich durch die Luft, Das nun plötzlich ferne Bilder ruft, Bis dann wieder Schienen sich im Nebel Winden wie geschliffne Türkensäbel.26

Die tradierte Gliederung in vierzeilige Reimstrophen tritt in Widerspruch zu der im Text eingefangenen Wirklichkeit. Cisek variiert allerdings Reimfolge, Metrum und Verslänge, rekapituliert den unreinen Reim (Nebel/Türkensäbel) der ersten in der letzten Strophe und markiert dadurch auch auf der Klangebene die sprunghafte, fluktuierende Wahrnehmung. In den beiden ersten Strophen alternieren Jamben mit Daktylen, in den folgenden vier herrscht der Trochäus, die Zeilenlänge schwankt zwischen sechs und zehn Silben. Eingesetzt wird, wenn auch nicht durchgängig, der subjektentkernte Reihungs- und Simultanstil in der Erfassung des Disparaten, den Jacob van Hoddis mit seinem berühmten Gedicht Weltende (1911) eingeführt hatte und der danach eine erfolgreiche

‚Karriere’ im Frühexpressionismus machte. Auch Ciseks Gedicht zerfällt in Segmente, die nur durch ihre gemeinsame Provenienz aus der Großstadtrealität locker verbunden werden. Das lyrische Ich bezieht eine Beobachterposition, nimmt nicht unmittelbar an den gleichsam im Kreise verlaufenden Bewegungen teil, sein umherirrender Blick schweift durch eine Stadt voller bedrohlicher ‚Stimmen’: Dröhnen der Straßenbahnen, ächzendes Hupen der Automobile, Trillern der Huren, keilendes Gelächter.

Der Betrachterkommentar setzt sich vorwiegend aus Vergleichen zusam-men, die zur Verunheimlichung und Dämonisierung der Ding-Welt beitra-gen: Laternenlichter schweben „wie zage Seelen“ im Nebel, Straßenbahnschienen krümmen sich „wie geschliffne Türkensäbel“, ein nahes Haus lauert „wie eine alte Hexe“. Die dominante semantische Serie

Peter Motzan

wird von als fragwürdig empfundenen ‚Errungenschaften’ moderner Zivilisation (Laternen, Trambahn, Automobile, Asphalt, Kanalisation) gebildet, Menschliches hingegen wirkt verloren und bindungslos, erscheint als periphere Präsenz in einer nebelverhangenen, dunklen und verregne-ten Szenerie, schrumpft zu „braunen Klumpen“.

Auch die Natur enthüllt eine in expressionistischer Manier gezeich-nete Fratze des Verfalls und der Verwesung: „Im Aas beißen sich fest die Krähen/ Ziehn ihm ein Trauerkleid an,/ Wolkenaugen in kranke Sümpfe spähen,/ Und faule Dünste heben sich dann. [...].“ (Grau)27

Doch war Ciseks Aufenthalt unter einem europaweiten Kunstrevolutions-Himmel von kurzer Dauer und bestätigt am Einzelfall, was Michael Markel allgemein über den „einheimischen Expressionismus“

vermerkte, der dessen „entwicklungsgeschichtliche Bedeutung“28 hervor-hob, seine „Eigenleistung“ aber skeptisch beurteilte: „Der rumäniendeut-sche Expressionismus bleibt regionaler Ableger der deutrumäniendeut-schen Bewegung.29

Etwa um das Jahr 1925 sind die grell bis düster plakatierten Expressionismen in Ciseks Lyrik restlos getilgt. Nun tritt Landschaft als gesellschaftsentrückte Traum- und Eigenwelt in seine Gedichte, allerdings noch auf einen konkreten Erlebnishintergrund bezogen – u. a. in Kronstädter Frühling, Rumänischer Oktober und in das zweiteilige Erinnerung an Italien – mit der Widmung „An Theodor Däubler Dank und Gruß“: „[...]// Zwei Inseln in der Bucht verankert rasten./ Sie bringen aus der Weite nur Geschmeide/ Und Flammenvögel auf den grünen Masten,/ Indes die Häfen flaggen lauter Freude.// Die Zeit verkündet himmelnahe Klänge,/

Und leis ein Traum die leichten Küsten schichtet,/ In das entrückte Laub der Pinienhänge/ Sich die Verschwiegenheit des Sommers flüchtet.“30

In der Zeitspanne, die das Gedicht Grau (1920) von Erinnerung an Italien (1926) trennt, durchreiste Cisek die Apenninenhalbinsel und erlebte dieses Sehnsuchtsland der Deutschen wie zahlreiche Autoren – von Johann Wolfgang von Goethe bis Hugo von Hofmannsthal – vor ihm, als einen Raum, in dem Kultur und Natur, Geist und Leben einander durch-dringen. 1925 kam es zur persönlichen Begegnung mit Theodor Däubler31, den Cisek schon 1923 als „den größten deutschsprachigen Lyriker“32 der Gegenwart gerühmt hatte, zuerst in Florenz und danach in Rumänien.

Der bereits 1916 im Insel Verlag zu Leipzig erschienene Gedichtband Däublers Hymne an Italien hat nicht nur des Lyrikers Cisek Italien-Image,

Interdiskursive Verdichtungen.

sondern auch seine synästhetischen Naturvisionen mitgeprägt. Sein ein-fühlsamer metapherndurchrankter Kommentar zu Däublers Gedichten liest sich darüber hinaus streckenweise wie eine vorweggenommene Deutung eigener, damals noch ungeschriebener lyrischer Texte:

der Mensch ist ein Wanderer auf dem Wege der Ewigkeit, mal seiner selbst bewusst, mal eine Pflanze, die unter der Kobaltglut des Himmels schmilzt.

Die Sonne verflüssigt sich, strömt über Täler, stürzt über Felsengestein. Die Scholle gebiert ein Himmelreich.33

Einzelne Texte Ciseks der späten 1920er Jahre stehen, auch wenn sie den Reim noch nicht abgestreift haben, schon ganz im Zeichen eines Panmetamorphismus, der den Raum des Bandes Die andere Stimme belebt und bewegt: „[...]/ Es öffnet sich der Schlaf im Kreisen der Träume,/

Zerflattertes winkt aus der Weite zurück,/ Entzündet Pflanzenlichter, nahende Bäume./ Wälder branden heran, Berge knien nieder,/ Tränen grünen im Blick./ Die Sonne orgelt wieder. [...].“ (Das Kind)34

III. Eigenständige interdiskursive Verdichtungen: Die andere Stimme