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Die Geschichte der ungarischen Rilke-Übersetzungen

Noémi Kordics (Großwardein) Die ungarische Rilke-Rezeption

2. Die Geschichte der ungarischen Rilke-Übersetzungen

Die Geschichte der ungarischen Übersetzung der Werke Rilkes ist ein langer und widerspruchsvoller Prozess. Die erste ungarische Nachdichtung eines Rilke-Gedichtes ist am 1. April 1906 in einer Provinzzeitung Szeged és Vidéke (Szeged und Umgebung) erschienen. Der Übersetzer, Gyula Juhász (1883–1937), war Student der Budapester Universität, wurde aber einige Jahre später einer der bedeutendsten Dichter seiner Generation.

Das Gedicht selbst war das erste Stück des aus vier Teilen bestehenden Zyklus Vigilien aus dem Band Larenopfer. Juhász fand den Text in der 1903 in der Reclam Universal-Bibliothek erschienen Anthologie Moderne deutsche Lyrik von Hans Benzmann. Der junge ungarische Dichter wurde wahr-scheinlich von der Musikalität und der melancholischen Land-schaftsbeschreibung ergriffen und versuchte das Gedicht ins Ungarische zu übertragen. Der Versuch war nicht misslungen, denn Juhász konnte nicht nur den Sinn der Sätze, sondern auch die Sprachmelodie und die musikalische Wirkung der Alliterationen wiedergeben. Diese Motivation ist bis auf die neuste Zeit für die ungarische Nachdichtung der Gedichte Rilkes charakteristisch.

Einer der grundlegendsten Widersprüche der ungarischen Rilke-Rezeption ist, dass die Nachdichtungen in der überwiegenden Mehrheit nicht zur Befriedigung der Erwartungen des Lesepublikums entstanden sind, sondern aus einem inneren Drang des Übersetzens, die eigene Kunstfertigkeit zu überprüfen. Diese Versuchung war aber enorm. Ferenc Szász veröffentlichte 1980 eine Bibliographie der ungarischen Rilke-Rezeption.2 Laut den Angaben dieser Bibliographie entstanden bis 1979 804 Nachdichtungen von 508 Rilke-Gedichten. Und da einige

Die ungarische Rilke-Rezeption aus der Sicht der Übersetzungen Nachdichtungen mehr als zwanzigmal in verschiedenen Ausgaben erschie-nen, war die Zahl der Veröffentlichungen mehr als 2000. In den seit 1980 vergangenen Jahren erschienen weitere 54 Gedichte in 141 neuen Übersetzungen. Dass die Lesererwartungen bei den Übersetzungen kaum eine Rolle gespielt haben, zeigt auch der besondere Fall jenes Bändchens, das 1923 in Heidelberg erschien und auf 16 Seiten ungarische Nachdichtungen von Rilke-Gedichten enthielt. Den Inhalt des Heftes kennen wir nicht, da es trotz des Suchens in keiner Bibliothek zu finden war. Es wird sowohl in Walter Ritzers Rilke-Bibliographie als auch in Ingeborg Schnacks Lebens-Chronik aufgeführt, aber sie übernehmen wahrscheinlich die Angabe aus dem Deutschen Bücherverzeichnis, das Bändchen selbst ist spurlos verschwunden. Ob es je einen Leser hatte, ist eine offene Frage. Für den Übersetzer, über den wir außer seinem Name nichts wissen, muss nur wichtig gewesen sein, dass er sich selbst bewies, diese schwierigen Kunstgebilde in der eigenen Muttersprache wiederge-ben zu können. Diese Bestrebung ist auch für die meisten anderen, selbst in der neusten Zeit entstandenen Nachdichtungen charakteristisch.

Der Budapester Helikon-Verlag veröffentlichte 1988 in einem Band zwei komplette Übersetzungen der Duineser Elegien. Die zwei Übersetzer, selbst Dichter, sind Dezső Tandori und Gyula Tellér. Im Jahr 1990 sind zwei neue Gedichtbände erschienen. Der in Siebenbürgen lebende Dichter Sándor Kányádi (geb. 1929) veröffentlichte in Bukarest beim Kriterion-Verlag ein von dem Graphiker Sándor Plugor illustriertes Heft mit zehn Herbstgedichten aus dem Buch der Bilder. Der Zisterzienspater Dénes Farkasfalvy gab in Budapest bei der St.-Stephan-Gesellschaft ein Bändchen mit der Nachdichtung von 42 Rilkegedichten heraus. Farkasfalvy begründete seine Übersetzungen auf folgende Weise:

Sie sind einerseits Hilfsmittel, um dem Originaltext mit Hilfe unseres Sprach- und Versgefüges näher zu kommen, und das Lesen des deutschen Gedichtes durch unsere Kenntnisse in der ungarischen Dichtung zu einem volleren Erlebnis zu machen. Andererseits ist jede Nachdichtung ein neues, ein eigenes Leben führendes Gedicht, die Reinkarnation eines jeweiligen Rilke-Erlebnisses in der ungarischen Sprache.3

Diese Begründung weist auf einige Eigenschaften der literarischen Übersetzung hin: Erstens wird durch die Übersetzung das passive

Noémi Kordics

Empfangen in eine Aktivität verwandelt und dadurch die Intensität des Erlebnisses gesteigert. Zweitens bindet die Übersetzung ein fremdes Gebilde in die eigene Kultur ein, denn die Wörter der Nachdichtung und ihre Bilder entstammen der eigenen Sprache und assoziieren die eigene Literatur; dadurch wird aber die Fremdheit aufgehoben und das Fremde zum Eigenen gemacht. Drittens ist die Übersetzung die Widerspiegelung des einmaligen Erlebnisses eines ganz konkreten Subjekts.

Wenn man diese Eigenschaften auf einen gemeinsamen Nenner bringt, stellt sich heraus, dass das rezipierende Subjekt bei den Übersetzungen der bestimmende Faktor ist. Diese Subjektivität der Rezeption führte zu manchen Widersprüchen. Das Stunden-Buch, die Duineser Elegien und die Sonette an Orpheus liegen zwar auf Ungarisch kom-plett vor, aber nicht in einem Band. Die einzige fast vollständige Nachdichtung des Stunden-Buches, die von Miklós Kállay (1885–1955), ist 1921–1922 kurz nacheinander in zwei Auflagen erschienen, aber seitdem nicht mehr veröffentlicht werden.

Alle Sonette an Orpheus sind nur in dem Band Rainer Maria Rilkes Gedichte (1983) enthalten.4 Diese von Ede Szabó (1925–1985) besorgte Auswahl ist die bisher umfangreichste Ausgabe von Rilkes lyrischem Werk, sie bringt 297 Rilke-Gedichte in 325 Nachdichtungen von 31 Dichtern. Der Band ist vom Budapester Europa-Verlag in der Bücherreihe Lyra mundi herausgegeben. Im Jahr 1994 sind 110 Gedichte in der Bücherreihe Perlen der Weltliteratur unter dem Titel Die schönsten Gedichte von Rainer Maria Rilke vom Jugendbuchverlag Móra herausgegeben. Diese Ausgabe umfasste aber keine neuen Übersetzungen.

Vergleicht man die drei repräsentativen ungarischen Ausgaben der Gedichte Rilkes, muss man feststellen, dass diese hauptsächlich das Rilke-Erlebnis einer ungarischen Dichtergeneration widerspiegeln, die kurz vor oder nach Rilkes Tod geboren wurde und ihre erste Rilke-Begeisterung während des zweiten Weltkrieges erlebte. Dieser Generation gehörte auch Ágnes Nemes Nagy (1922–1991) an. Der Kampf der ungarischen Dichterin mit Rilke ist kein Einzelfall, sondern für eine ganze Gruppe ihrer Zeitgenossen charakteristisch.

Mehrere von jenen Dichtern, deren Rilke-Nachdichtungen zuerst 1961 in dem von Ede Szabó redigierten Band Ausgewählte Gedichte erschie-nen sind, waren 1946–1948 Mitarbeiter der kurzlebigen literarischen Vierteljahrsschrift Ùj Hold (Neuer Mond). Nach der kommunistischen

Die ungarische Rilke-Rezeption aus der Sicht der Übersetzungen Machtübernahme im Jahre 1948 hatten diese Dichter keine Hoffnung, mit eigenen Gedichten vor die Leser zu gelangen, so übten sie Kraftproben, und die größte Kraftanstrengung verlangte Rilke. Diese Auswahl enthielt einen Überblick über Rilkes gesamtes lyrisches Werk und zum ersten Mal alle zehn Duineser Elegien. Zweiundzwanzig Jahre später, in dem Band der Serie Lyra mundi, wirken nur zwei jüngere Übersetzer mit: Dezső Tandori (geb. 1938) und Zoltán Halasi (geb. 1954). Der letztere beteiligte sich nur an der Nachdichtung der Sonette an Orpheus; Tandori, der in den fünfziger Jahren als Gymnasiast Schüler von Ágnes Nemes Nagy war und als einer der bedeutendsten Dichter seiner Generation gilt, veröffentlichte 1978 in einem Band seiner eigenen Gedichtübertragungen 46 Rilke-Gedichte.5

Die hier skizzierte Entstehungsgeschichte der zwei wichtigsten Rilke-Bände zeigt, dass sie größtenteils durch Auswahl aus bereits vorhan-denen Nachdichtungen entstanden sind. Die Bestrebung, Rilkes Dichtung einem Publikum, das nicht deutsch lesen kann, so breit wie möglich vor-zustellen, kam nur bei den Elegien und den Sonetten an Orpheus zur Geltung.

So entstand die Ungleichmäßigkeit, dass einige Gedichte aus dem Buch der Bilder und den Neuen Gedichten in fünf, sechs oder zehn Nachdichtungen zu lesen sind, während andere überhaupt nicht nachgedichtet wurden.

Grund für diese Erscheinung ist auch der Widerspruch, dass es in Ungarn einerseits einen engen Intellektuellenkreis gibt oder gab, der das Lebenswerk Rilkes sehr gut kannte, andererseits lasen viele, auch jene, die einige Gedichte von Rilke ins Ungarische übersetzten, nur wenige Texte von ihm; in erster Linie solche, die auch in verschiedenen Anthologien erschie-nen sind. Die Motivation der ersten ungarischen Nachdichtung von Gyula Juhász im Jahre 1906 scheint weiter zu wirken.

Rilkes Prosa ist in Ungarn viel weniger bekannt als seine Lyrik. Die Geschichten vom lieben Gott (Zoltán Bartos 1921, Miklós Vidor 1991) und die Aufzeichnungen des Malte Lauris Brigge (Ambrus Bor 1946, Gábor Görgey 1961, 1990) liegen zwar in jeweils zwei Übersetzungen vor, aber alle sind in einer kleinen Auflage veröffentlicht und von manchen unglücklichen Umständen begleitet. Ambrus Bors Malte-Übersetzung war ursprünglich die völlige Umarbeitung des laienhaften Versuches einer Literaturliebhaberin (Olga Meraviglia-Crivelli), deren Name als Mitübersetzerin in dem einzig erhalten gebliebenen Exemplar der Ausgabe in der Széchenyi Nationalbibliothek zu lesen ist. Vor der Auslieferung wurde nämlich das fertige Buch samt dem Verlaghaus durch einen Bombenangriff vernichtet.

Noémi Kordics

Zwei Jahre später brachte die damals noch nicht verstaatlichte Franklin-Gesellschaft den Roman erneut heraus, bereits unter dem Namen des eigentlichen Übersetzers, aber das Jahr 1946 war in Ungarn für die Aufnahme der Aufzeichnungen des fiktiven dänischen Dichters nicht geeignet. Das Publikum konnte in Maltes kontemplativer Tatenlosigkeit keine Entsprechung zum eigenen Lebensgefühl finden. Es ist die Periode zwischen 1945 bis 1948, nach der Befreiung vom Druck des Krieges.

Es gibt auch eine neue Übersetzung von Gábor Görgey. Diese Übersetzung ist nie als selbstständiges Buch erschienen, sie wurde zwei-mal in einer jeweiligen Prosaauswahl veröffentlicht. Weder die 1961 von Ede Szabó (Prosaschriften) noch die 1990 von Zoltán Halasi (Ausgewählte Prosawerke) herausgegebene Auswahl hatte einen Titel , der nicht viele von der Neuartigkeit des Werks verriet. Der in 1990 herausgegebene Band machte die wichtige Texte wie Ewald Tragy oder die Skizzen Ur-Geräusch, Erlebnis, Puppen, Erinnerung das erste Mal ungarisch zugänglich. In diesem Band trifft man Übersetzungen nicht nur von den älteren (Gábor Görgey, Ede Szabó, György Rónay), sondern auch von zwei jüngeren Übersetzern (Zoltán Halasi, Imre Barna).