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Der Verwandtschaftsterminus

In document Anne-Elisabeth Otto (Pldal 21-33)

Das Zusammenleben von Menschen in Gruppen hat seinen Ursprung in ihrem gemeinsamen Bedürfnis nach Nahrung, Schutz vor einer ungünstigen physischen Umwelt, Unterstützung im Falle von Hilflosigkeit durch geschwächte körperliche Konstitution (Alter, Krankheit usw.) sowie nach Reproduktion. Dabei orientiert sich die soziale Organisation vorstaatlicher Gesellschaften maßgeblich an Prinzipien der Verwandtschaft (Abstammung, Gruppenzugehörigkeit), während in den Industrie-gesellschaften auch andere soziale, wirtschaftliche und politische Systeme erheblich an Bedeutung gewonnen haben.

Verwandtschaft ist ein soziologisches Faktuni. Sie steht zwar in engem Zusammenhang mit biologischen Tatsachen, ist jedoch nicht mit ihnen identisch (Beals/Hoijer 1971.349): die durch Abstammung und/oder Heirat entstandenen Beziehungen müssen sozial anerkannt sein.1 3

Verwandtschaft wird in Blutsverwandtschaft und Heiratsverwandtschaft unter-schieden. Die Blutsverwandtschaft (cognatische Verwandtschaft) begründet sich durch Abstammung, die Heiratsverwandtschaft (affinale Verwandtschaft1 4) durch Heirat bzw. Heirat und Abstammung. Die Blutsverwandtschaft läßt sich darüber hinaus in lineare und collatérale Verwandtschaft einteilen. Die lineare Verwandt-schaft (VerwandtVerwandt-schaft in gerader Linie) umfaßt die Verwandten, die voneinander abstammen (Sohn, Großvater), die collatérale Verwandtschaft (Verwandtschaft in

1 2 Coseriu differenziert nach diatopischer, diastratischer und diaphasischer Ebene ( 1963.149f.; cf. Geckeier 1973.14).

1 3 Besonders augenfällig ist dies bei der ungleichen Behandlung von ehelichen und nicht-ehelichen Kindern in vielen Gesellschaften.

1 4 Eine Trennung von affinaler Verwandtschaft (die Ehepartner von Blutsverwandten) und Ileiratsverwandtschaft (die Blutsverwandten des Ehepartners), wie sie z.B. bei Morvay

1980 und Kósa-Szánthó 1980 begegnet, ist für diese Arbeit nicht von Belang.

Seitenlinie) diejenigen, die durch einen gemeinsamen Vorfahr verbunden sind, ohne voneinander abzustammen (Schwester, Cousine). Erfolgt bei der Verwandtschaft in Seitenlinie eine Differenzierung nach Herkunft von Vater- oder Mutterseite, so spricht man von lateraler (patrilateraler, matrilateraler) Verwandtschaft (cf. Bush 1972.568;

cf. Kap. 3.2 zum Lateinischen).

Die einzelnen genealogischen Verhältnisse innerhalb der Verwandtschaft werden durch Verwandtschaftstermini (Verwandtschaftsbezeichnungen, Verwandt-schaftsnamen1 5) benannt (Quadri 1952.48, Debus 1958.2). Diese sind eine Universalie und gehören zu den "fundamentalen Komplexen des Sprachgefüges"

(Blochwitz 1965.13): meist ist das erste Wort, das ein Kind äußert, ein Verwandt-schaftsname (Schusky 1972.15).

Die Verwandtschaftsbezeichnungen jeder Sprache bilden ein System, in dessen Zentrum Ego steht. Ego (x; die "Origo" des Systems1 6, der "Propositus"1 7 oder der

"de cujus"1 8) verkörpert dabei den Ausgangspunkt der sich auf einen Alter (y) beziehenden, mittels Verwandtschaftstermini verbalisierten Relationen. Die genaue Zuordnung der Bezeichnungen geschieht durch den Gebrauch von Deiktika (im Ungarischen von Possessivsuffixen)1 9. Die Gesamtheit der Verwandtschaftsnamen einer Sprache heißt ihre Verwandtschaftsterminologie.

Die Verwandtschaftsbezeichnungen sind ein prägnantes Beispiel dafür, wie Menschen sprachlich sehr unterschiedlich kategorisiert werden können, obwohl objektiv gleiche und unveränderliche biologische Fakten vorliegen; die Denotate lassen sich exakt definiert und komplett in einem einheitlichen Paradigma darstellen (Weisgerber 1962.64). Jede Gesellschaft wählt aber nach ihren zu regelnden Ansprüchen und Bedürfnissen bestimmte Aspekte der Verwandtschaftsbeziehungen, die durch den sprachlichen Ausdruck explizit hervorgehoben werden, während andere Gesichtspunkte unberücksichtigt bleiben. Dies ergibt dann eine besondere Art der Klassifikation, in der die Teilhaber einer Sprachgemeinschaft so verwurzelt sind, daß ihnen ein davon abweichendes System oft seltsam, schwierig und unlogisch erscheint.

Keine Terminologie ist so substanzhaltig, daß sie in einer l : l - R e l a t i o n allen nur möglichen Verwandtschaftsbeziehungen spezielle Verwandtschaftsnamen zuord-n e t e2 0 (und sei es durch eine Kette von reinen Genitivverbindungen, die ja zumindest theoretisch bis zu beliebig weit entfernten Angehörigen ausgedehnt werden könnte2 1).

Die Bezeichnungen bedeuten also keine Abbildung, keine bloße "Verdopplung der

1 5 cf. einschränkend Debus 1958.5!

1 6 Geckeier 1973.44.

1 7 Lounsbury 1964.1080.

1 8 Blochwitz 1965.27.

1 9 Bierwisch 1969.69, cf. Ruipérez 1984.120.

2 0 Kroeber 1909.20.

2 1 Koski 1990.240.

Sachwelt" (Gipper 1976.27). Die jeweils zugrundeliegende Betrachtungsweise führt vielmehr durch eine zusammenfassende Gliederung innerhalb des Verwandtschafts-namensystems dazu, daß die Termini Einzelbeziehungen (Vater, Ehefrau), Einzelkate-gorien (Sohn, Schwester) oder SammelkateEinzelkate-gorien (Onkel, Cousin) benennen (cf.

Murdock 1949.99). Für eine solche Gliederung existieren zahlreiche potentielle Lösungen (im Prinzip könnte jede Gesellschaft ihr eigenes System entwickeln), von denen indes letztlich nur einige realisiert werden (Schusky 1972.15), wobei die

"Modulationsfähigkeit der Erkenntnisweise des Menschen eine überraschende Varia-bilität im begrifflichen Aufbau der Gruppe zur Folge" hat (Blochwitz 1965.13).

Die Kriterien der Kategorisierung können sehr verschieden sein und in unterschied-lichen Kombinationen auftreten, die Art der Gliederung ist jedoch zweckgebunden und hat ihre Ursache in außersprachlichen Fakten: die sie repräsentierende Ver-wandtschaftsterminologie wird durch soziale Normen determiniert, d.h. die Bezeich-nung für einen Verwandten ist verknüpft mit Verhalten ihm gegenüber. Umgekehrt läßt der Mangel an Verwandtschaftsnamen für einen Verwandten/eine Gruppe von Verwandten darauf schließen, daß zu diesem/dieser Gruppe kein Kontakt besteht.2 2

Die oben ausgeführte Systemhaftigkeit gilt ebenso für künstlich geschaffene, fiktive und rituelle Verwandtschaftsbeziehungen (Pflegebeziehungen, Patenschaften, Adoptionen usw.); sie bilden ein "socially defined equivalent of affinal or consanguine ties" (Schusky 1972.Glossary s.v. pseudo-relations) und verfügen daher über ein ähnlich klar ausgefächertes Verwandtschaftsnamensystem.

Die Bedeutung der Untersuchung von Verwandtschaftsterminologien für die Ethnologie liegt in der Möglichkeit, mit ihrer Hilfe soziokulturelle Phänomene in einer Gesellschaft aufzudecken: sie geben "wichtige kulturhistorische Einblicke in die soziologische Struktur eines Volkes" (Debus 1958.5). Diese gründen sich auf den Zusammenhang, der zwischen den durch Verwandtschaftstermini bezeichneten Bezie-hungen und dem sozialen Verhalten des Einzelnen zum jeweils Benannten besteht:

gleiche Bezeichnung impliziert gleiches Verhalten, während wir es bei verschiedenen Verwandtschaftsnamen auch mit verschiedenen Verhaltensnormen zu tun haben (Kósa-Szánthó 1980.147). Diese enge Korrelation zwischen Bezeichnung und Bezie-hung zeigt sich deutlich, wenn durch Kulturwandel (z.B. von sozialen und ökono-mischen Bedingungen) Veränderungen in der Verwandtschaftsstruktur und im so-zialen Verhalten eintreten, die sich dann zuletzt im generell sehr konstanten Ver-wandtschaftsnamensystem niederschlagen.2 3 Die Zeitspanne vom Kulturwandel bis zur Änderung in der Verwandtschaftsterminologie ist durch Divergenzen zwischen

2 2 cf. Debus 1958.6: nach indogermanistischen Forschungen gab es ursprünglich für die Verwandten der Ehefrau keine Bezeichnungen, denn die Frau heiratete aus ihrer Familie weg; diese war für den Ehemann und seine Angehörigen nicht mehr von Bedeutung.

2 3 cf. dazu beispielhaft die Untersuchung über die russische Verwandtschaftsterminologie unter zaristischer und unter kommunistischer Herrschaft (Friedrich 1966).

sprachlichem Ausdruck, Denotat und sozialer Norm gekennzeichnet. Genau solche Widersprüche ermöglichen es der Ethnologie, Rückschlüsse auf vergangene Zustände zu ziehen, die ansonsten ethnographisch nicht mehr nachzuweisen wären. Dies macht die Verwandtschaftsterminologie zu einer unschätzbaren historischen Quelle.2 4

Der erste, der das erkannte und die Verwandtschaftsbezeichnungen einer Sprache nicht als Einzelerscheinungen, sondern als gegliederte Ganzheit untersuchte, war ab Mitte des 19. Jahrhunderts Lewis Henry Morgan, nachdem er bei nordamerikani-schen Indianerstämmen eine von der ihm vertrauten abweichend differenzierende Verwandtschaftsklassifikation entdeckt hatte (cf. Bodrogi 1962.273f., Eggan 1972.3ff.). Eine sich anschließende planmäßige Sammlung von terminologien in aller Welt führte zu seiner Typologie von Verwandtschafts-klassifikationssystemen (klassifikatorisch/deskriptiv), die seitdem mehrmals neu be-arbeitet und z.T. wesentlich modifiziert wurde (Kroeber, Rivers, Lowie, Kirchhoff, Spier, Radcliffe-Brown, Murdock; cf. Lowie 1929.39ff., Bodrogi 1962.274ff„

Schusky 1972.18f., Eggan 1972.7f.). Eine allgemein gültige generelle Theorie der Verwandtschaftsklassifikationssysteme liegt jedoch noch nicht vor.

Verwandtschaftsterminologien als Repräsentanten von Sozialstruktur und die sie begleitenden äußeren Charakteristika der verschiedenen Gesellschaftstypen ent-wickelten sich zu einem wichtigen und populären Forschungsobjekt für die Ethnologie und gelten bis in die Gegenwart als einer ihrer größten Themenkomplexe.

Die Untersuchung ungarischer Verwandtschaftsbezeichnungen unter ethnolo-gischen Gesichtspunkten setzte in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts ein.2 5 Den Anstoß dazu dürften gleichermaßen die von Pál Hunfalvy 1859 beant-wortete Anfrage Morgans betreffend die ungarischen Verwandtschaftstermini (cf.

Bodrogi 1962.276) sowie die Resultate der vor etwa zweihundert Jahren begonnenen und seit dem Erscheinen der Zeitschrift Magyar Nyelvőr (Nyr) 1872 intensiviert betriebenen Dialektaufzeichnungen (Benkö/Imre 1972.299) gegeben haben. Die in den einschlägigen Periodika (NyK, Nyr, Ethn, M N y ) publizierten Beiträge weisen allerdings erhebliche Lücken auf, da Erfassung und Übermittlung der Daten von Zufällen abhängig und relativ unsystematisch waren. Es kann daher zunächst eher von

Debus (1958.8) merkt unter Berufung auf Dornseiff an, daß neben kulturhistorischen und soziologischen auch psychologische Gründe für veränderte Verwandtschaftsnamen existieren könnten, z.B. bei gleicher Anrede für Mutter und Schwiegermutter ("Assimilation" von Verwandtschaftstermini, cf. Kambe 1978.63). Inwieweit diese psychologischen Gründe kulturhistorische bzw. soziologische Phänomene sind, soll hier nicht näher erörtert werden.

Daß die mit der Schöpfung neuer ungarischer Verwandtschaftsnamen durch die Spracherneuerer verbundenen Überlegungen fast einhundert Jahre zuvor nicht schon eher die Aufmerksamkeit der Forscher auf die Systemhaftigkeit von Verwandtschaftstermi-nologien gelenkt haben, ist erstaunlich. Vermutlich hat hier der sprachwissenschaftliche den ethnologischen Aspekt überdeckt.

schlichter Bestandsaufnahme der Termini und ihres jeweiligen Kontextes als von gezielten Analysen die Rede sein. Deren früheste stammen aus den 1930er Jahren.

Die ethnologische Untersuchung ungarischer Verwandtschaftsbezeichnungen erfolgte bisher fast ausschließlich durch "native speakers" (cf. dazu L. Szabó

1980.1 Off., Bodrogi 1962.281, Lőrinczi 1980.2Iff.)2 6. Dieses Defizit mag seine Ur-sache zum einen in der "exotischen" Sprache und dem damit "unzugänglichen"

Material und Fachwissen haben, zum anderen ebenso in dem lange Zeit in der Ethno-logie stark ausgeprägten Trend, sich den VerwandtschaftsterminoEthno-logien "primitiverer"

Völker zu widmen, deren "ursprünglicherer" Zustand leichter zu erforschen sei, was u.a. zu Lasten des Studiums europäischer Verwandtschaftsnamensysteme ging.

Edmonsons Aufsatz zu diesem Thema (1957) bedient sich für den ungarischen Ab-schnitt der von einem Muttersprachler überprüften Angaben eines einzelnen Wörterbuchs2 7; seine Daten und Graphik sind z.T. grob falsch (cf. Edmonson

1957.400, 432f.). Scheffler (1972) wiederum bezieht seine Benennungen allein von Edmonson und Morgan/Hunfalvy (cf. Bodrogi 1962.276) und bringt das Kunststück fertig, unter partieller Stützung auf das "Magyar System" eine strukturelle Typologie der Verwandtschaftsklassifikationssysteme zu entwickeln, ohne in seiner Abhandlung einen einzigen ungarischen Verwandtschaftsterminus zu zitieren, wobei er einräumen muß. daß gerade die für ihn besonders relevanten Daten über die Cousin-Bezeichnungen bei Morgan/Hunfalvy fehlen (Scheffler 1972.122).

Seit dem 19. Jahrhundert hat die sprachwissenschaftliche Untersuchung von Verwandtschaftsnamen durch die Entstehung der Indogermanistik einen bedeuten-den Aufschwung genommen (Ruipérez 1984.13). Die Tatsache, daß zu jedem Ter-minus ein "objektives Korrelat" einwandfrei bestimmt werden kann (Fritz 1974.30), ermöglichte es den Forschern, diese zum Grundwortschatz rechnenden (Simai 1913.223) und daher in bereits allerfrühesten Quellen wie auch unterschiedlichsten Textsorten auftretenden Lexeme nach rein sprachlichen Kriterien zu analysieren.

Dabei waren - den akademischen Präferenzen der damaligen Zeit folgend - zunächst vorzugsweise Herkunft, Etymologie und Geschichte des Einzel Wortes von Interesse.

Dasselbe läßt sich für die Erforschung der ungarischen Verwandtschaftsbe-zeichnungen festhalten; die Anstrengungen galten hier in erster Linie Argumenten pro und contra finnisch-ugrische Sprachverwandtschaft. Die Resultate dieser Aktivitä-ten sind in den Aufsätzen der FachzeitschrifAktivitä-ten sowie den alAktivitä-ten und neuen etymolo-gisch-historischen Wörterbüchern (CzF, MSzFgrE, EtSz, TESz; Kreszn, NySz, NyÚSz, OklSz, SzT, RMG1) formuliert. Das Thema "Verwandtschaftsnamen" wurde

Letztere beide mahnen des weiteren die noch ausstehende Sammlung und Zusammen-stellung eines Korpus von ungarischen Verwandtschaftstermini nach einheitlichen Prinzi-pien sowie seine ausführliche Beschreibung und Erkundung an (cf. außerdem Gunda

1949.231).

Es handelt sich um eine undatierte Fassung des mehrfach überarbeiteten englisch-ungarischen "egyedül valódi megbízható ... szótár" von Ferencz Bizonfy (1828-1912).

j e d o c h in zahlreichen sprachwissenschaftlichen Studien unter weiteren Gesichts-punkten erörtert.

So besteht eine erkennbare Vorliebe, Termini für spezielle Teilgruppen der Ver-wandtschaft zu beschreiben und mit Anmerkungen zu versehen, wobei die früheren Arbeiten (hauptsächlich über die linearen Aszendenzverwandten, cf. Szíly 1908, Balassa 1939, Brüll 1940 und 1941, Baboss 1942) mit ihren Erklärungen nicht selten einen präskriptiven Anspruch verbanden, während die aktuelleren (z.B. über Bezeich-nungen der Affinal Verwandtschaft, cf. Lörinczi 1972 und 1973) die zusammengetra-genen Daten zusätzlich ethnologisch und/oder vor finnougrischem Hintergrund interpretieren.

Das häufige Erscheinen von Verwandtschaftsnamen in Dialekttexten, -Wortlisten und im Rahmen volkskundlicher Monographien erlaubte nach einiger Zeit den Schritt v o m bloßen Konstatieren der Existenz des Terminus in einer bestimmten Region zur gezielten Konfrontation verschiedener Bezeichnungen für denselben Verwandten innerhalb des ungarischen Sprachgebiets, anschaulich im Dialektatlas (NyAtl) dokumentiert.

Auf der anderen Seite bilden onomasiologisch motivierte Zusammenstellungen von Verwandtschaftsnamen, wie sie erstmals bei Mátyás 1864 (noch einfache Aufzählung) und zuletzt bei Lörinczi 1980 (mit einer beeindruckenden Materialfülle und umfangreichem Kommentar) begegnen, die Basis für diachronische Unter-suchungen zum Bezeichnungswandel.

Relativ komplette Darbietungen der ungarischen Verwandtschaftsterminologie(n) finden s i c h - j e nach Forschungsgebiet und -zweck in Anordnungen divergierender Systematik - bei Csapodi 1892, Szilágyi 1942, Márton 1944, Bogáts 1947, Gunda 1949, Beke 1950a, Komáromi 1951, Bálint 1953, Bodrogi 1962, Fél/Hofer 1969, S z é p e 1972/76, Vincze 1978, Kósa-Szánthó 1980.

Studien, die ungarische Verwandtschaftsnamen in einer Weise behandeln, die Berührungspunkte mit der Methode dieser Arbeit erkennen läßt, werden in Kap. 2.4 ("Literaturüberblick") näher geschildert.

Hervorzuheben ist hier noch die 1931 von Jost Trier begründete Lehre vom sprachlichen Feld, die später durch andere Wissenschaftler (vor allem durch Leo Weisgerber) Erweiterung und Modifikation erfuhr. Mit ihr kam ein Unter-suchungsansatz auf, der sich für die Erforschung von Verwandtschaftsterminologien als besonders geeignet erwies.

Eugenio Coserius Definition

"Ein Wortfeld ist in struktureller Hinsicht ein lexikalisches Paradigma, das durch die Aufteilung eines lexikalischen Inhaltskontinuums unter verschiedene in der Sprache als Wörter gegebene Einheiten entsteht, die durch einfache inhaltsunterscheidende Züge in unmittelbarer Opposition zueinander stehen. "

(1967.294)

betont Charakteristika des Wortfeldes, wie sie für das Verwandtschaftsnamensystem jeder Sprache überaus signifikant sind. Die verhältnismäßig scharfen Konturen dieses Wortfeldes nach außen, die Konstanz der Denotate sowie die Möglichkeit der formalisierten Darstellung der Bedeutung der Feldglieder nach ihren distinktiven Merkmalen gestattet den intralingualen und interlingualen Vergleich der einzelnen Verwandtschaftsbezeichnungen bzw. der durch sie verkörperten Ordnungen mit einem Maximum an Objektivität. Dies macht die Verwandtschaftstermini seit langem zu einem der beliebtesten Forschungsgegenstände der Wortfeldmethode.

Die Ethnologie hat sich von jeher der Linguistik quasi als einer "Hilfswissenschaft"

bedient: dies ergab sich folgerichtig aus der Tatsache, daß viele Ethnologen auch Sprachwissenschaftler waren und sind. Das wechselseitige Verhältnis wird freilich recht divergent gesehen (cf. Jones 1990.Iff.).

Den Nutzen, den beide Disziplinen aus den Untersuchungsergebnissen der jeweils anderen ziehen können, indem dort eigene Resultate bestätigt, korrigiert oder verworfen werden, hat Korompay beschrieben (1961.134f.). Dazu gehört die Mög-lichkeit, mit Hilfe von Sprach- und Dialektunterschieden ethnische Einheiten gegen-einander abzugrenzen, ohne daß eine absolute Übereinstimmung zwischen Kultur-und Sprachgebiet bestehen muß (ibid. 138). Ebenso lassen sich für den Ethnologen interessante Komplexe des alltäglichen Lebens über die Auswertung der einschlägigen Nomenklatur erforschen, da diese immer auch tradiertes nichtsprach-liches Wissen birgt (Coseriu 1970.12).

Die Anerkennung von Sprache als wichtigsten Aspekt von Kultur ist die Ausgangsbasis der cognitiven Anthropologie. Dieser Teilbereich der Ethnologie greift methodisch auf ältere sprachwissenschaftliche Ansätze zurück. Besonders deut-lich wird das am Beispiel der Komponentenanalyse, die der Untersuchung des Wortfeldes sehr ähnlich ist2 8 und sich neben Farbbezeichnungen und botani-schen/zoologischen Ausdrücken bevorzugt den Verwandtschaftsnamen widmet, denn

2 8 zu den engeren Zusammenhängen cf. Wenning 1977.4ff.

"as a kinship terminology is a terminology, it must be part of a language; so these elements must be linguistic elements, and these relationships must be linguistic relationships. Thus their proper description must in some form belong in the overall description of a linguistic structure." (Lamb 1965.37; cf.

ähnlich Lounsbury 1964.1073)

Bereits im Jahre 1909 hatte Kroeber die linguistische Determiniertheit der schaftsbezeichnungen verfochten und acht Prinzipien aufgestellt, die den Verwandt-schaftsbeziehungen zugrundelägen ("categories of relationship"). Es handelt sich dabei um

(1) den Unterschied ("difference") zwischen Personen derselben und verschiedener ("separate") Generation,

(2) den Unterschied zwischen linearer und collateraler Verwandtschaft, (3) den Altersunterschied innerhalb derselben Generation,

(4) das Geschlecht des Verwandten,

(5) das Geschlecht des Sprechers ("speaker", d.h. Ego),

(6) das Geschlecht der Person, durch die die Verwandtschaft besteht,

(7) die Unterscheidung ("distinction") zwischen Bluts- und Heiratsverwandtschaft, (8) die Lebensumstände der Person, durch die die Verwandtschaft besteht

(1909.20ff.).

Die Punkte (1), (4) und (7) sind vermutlich Universalien (Greenberg 1966.87), während (1), (2), (3), (4), (7) und in bestimmten Fällen (5) die ungarischen Termini prägen.

Kroeber forderte statt einer Untersuchung der Verwandtschaftsbeziehungen ihren Vergleich hinsichtlich der einzelnen in ihnen wirkenden Beziehungskategorien (ibid.20). Lounsbury und Goodenough nahmen diesen Gedanken 1956 wieder auf und erweiterten ihn, indem sie - dem Prinzip der "distinctive features" in der Phonologie folgend - die Bedeutung einer jeden Verwandtschaftsbezeichnung als ein Bündel von vielfältig kombinierbaren semantischen Merkmalen (Komponenten) betrachteten, die Kroebers Beziehungskategorien repräsentieren. Ein Verwandtschaftsname erhält dann in Abgrenzung von anderen Verwandtschaftsnamen mit z.T. abweichenden, z.T.

identischen Merkmalen (die den "inhaltsunterscheidenden Zügen" in Coserius Wortfelddefinition entsprechen) seinen besonderen Platz in der Verwandtschafts-terminologie: ihre generellen Klassifikationsregeln werden durch die Komponenten-analyse erkennbar gemacht (Schusky 1972.2).

Dieser Forschungsansatz mit seiner anschaulichen Darstellung der Verwandt-schaftsbezeichnungen in Notationen und Matrices, wie sie die Ethnologen auf einem M i n i m u m an Raum mit einem Maximum an Information und unter Vermeidung von Redundanzen entwickelten, hat mittlerweile auch in sprachwissenschaftlich orientier-te Unorientier-tersuchungen zu Verwandtschaftsnamen Eingang gefunden (cf. Geckeier

1973.43ff. (frz.), Kuznecov 1974 (engl., frz., dän., span.), Maranda 1974 (frz.),

Sprengel 1978 (dt., engl., frz., span., lat.), Lutzeier 1981.160ff. (dt.); Szépe 1972/76 (ung.), Schveiger 1980 (ung., engl., russ., rum.). Szíj 1982/84, Teil II (fi.-ugr.)).

Ruipérez sieht einen beachtlichen Vorteil der Sprachwissenschaft gegenüber der Ethnologie darin, daß sich gemessen am System der Verwandtschaft das System der Verwandtschaftsbezeichnungen2 9 leichter zu einem Korpus isolieren lasse, was seine Erforschung begünstige (1984.133). Die Arbeit des Ethnologen beginnt indes ebenfalls mit dem Zusammentragen eines solchen Korpus von Verwandtschaftster-mini. Anders als die Sprachwissenschaft, wo die Analyse seiner Elemente nach Wort-form und -inhalt oder der Relation zwischen Gestalt und Bedeutung des einzelnen Lexems das zentrale, "eigentliche" Thema bildet, dienen jedoch der Ethnologie die Ergebnisse der inhaltlichen Untersuchung der Verwandtschaftsnamen (eine auf die Form bezogene erfolgt kaum bzw. nach stark divergierenden Kriterien, dazu später) oft "nur" als Ausgangspunkt und Begründung für weiterführende Thesen zur sozialen Organisation einer Gesellschaft. Der "Nachteil" für die Ethnologie liegt also höch-stens darin, daß sie bei der Erforschung von Verwandtschaftssystemen den "Um"weg über deren Repräsentanten, die Verwandtschaftsterminologien, nehmen muß.

In Anlehnung an ihren Gebrauch in der Sprache lassen sich die Verwandtschafts-bezeichnungen in Bezugs- und Anredetermini (Nennamen - R u f n a m e n3 0, terms of reference - terms of address, ung. hivatkozó terminusok - megszólító terminusok) unterscheiden. Die Bezugstermini haben Verweisfunktion, die Anredetermini werden appellativisch verwendet, d.h. über einen Verwandten spricht man in der Bezugsform, zu ihm in der Anredeform.

Referenz- und Vokativsystem können mehr oder weniger deutlich voneinander abweichen (Goodenough 1965.287), wobei diese Diskrepanz in der Ethnologie auf wesentlich größeres Interesse als in der Sprachwissenschaft stößt. Dennoch basieren selbst hier die meisten Untersuchungen auf den Bezugstermini (Schusky 1972.13).

Nach Murdock sind sie für die Analyse viel geeigneter, da sie normalerweise spezifischer in der Anwendung seien (1949.98), nach Schneider steht das Referenz-system der Klassifikation der Verwandten und dem Inhalt der Verwandtschafts-kategorien näher (1968.89). Natürlich stellt aber auch gerade diese - j e nach Sprache kleinere oder größere - Kluft zwischen beiden Terminologien einen bleibenden Forschungsgegenstand bzw. mindestens einen zu berücksichtigenden Aspekt dar (cf.

für das Ungarische Bodrogi 1962, Vincze 1978, Kósa-Szánthó 1980).

Häufig sind die Divergenzen zwischen Bezugs- und Anredeformen allerdings nicht sehr ausgeprägt3 1. Schneider nennt die Differenzierung zwischen Referenz- und Vokativsystem für das Amerikanische "dubious", denn dort seien bisher keine zwei

z ) Hervorhebung von mir

3 0 Schoof 1900.193

3 1 Blochwitz spricht von oftmals "verwischten Grenzen" zwischen "usueller Bezeichnung"

und "Verwandtschaftsappellativum" in "vokaliv-affektivem Gebrauch" (1963.94).

klar getrennten Systeme dokumentiert: nicht selten könne ein Verwandtschaftsname in Verweis- und Appellativfunktion auftreten (1968.89).3 2 Ähnlich argumentiert Bloch, für den eine Verwandtschaftsbezeichnung eine "moral meaning" hat, ihr Gebrauch als Bezugs- oder Anredeform sei lediglich eine von zahlreichen "tactical possibilities". Wenn zuweilen ein Verwandtschaftsname auf nur eine Art genutzt werden könne, liege eine "moral meaning" vor, die die "tactical possibilities" in dieser Weise einschränke (1971.85ff.). Vincze notiert in seiner Untersuchung Uber die Verwandtschaftsterminologie eines ungarischsprachigen Dorfes in Rumänien, daß hier Referenz- und Vokativsystem zwar nicht identisch seien, die Anredeformen jedoch aus dem Referenzvokabular gewählt würden (1978.106).

Die Sprachwissenschaft arbeitet in der Regel bei der Analyse von Verwandtschafts-bezeichnungen wegen ihrer Objektivität und Genauigkeit mit den Bezugstermini, obwohl die Anredeformen unter Umständen im Alltagsgebrauch funktional signifi-kanter sind (Jones 1990.4f.). Sie kennt außerdem die Betrachtung der Verwandt-schaftsnamen nach deren syntaktischer Rolle:

"Vater!" : vokativ3 3-appellative3 4 Verwendungsweise; der Terminus ist im Satz unabhängig.3 3

"Mein Vater ist..." : pronominale Verwendungsweise; der Terminus läßt sich durch ein Personalpronomen substituieren3 3; sein Gebrauch ist

"referentiell", da er "nicht zur Bezeichnung einer Beziehung", sondern "eines bestimmten Individuums" dient. 3 4

"Er ist mein Vater" : attributive3 3 Verwendungsweise; der Terminus wird

"relational" zur Bezeichnung einer Verwandtschaftsbeziehung gebraucht.3 4 Possessivpronomina oder -suffixe besorgen die Zuordnung zu einer Person.

"Er ist Vater" : attributive3 3 Verwendungsweise; der Terminus wird jedoch

"Er ist Vater" : attributive3 3 Verwendungsweise; der Terminus wird jedoch

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