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Das Aussageverweigerungsrecht des Beschuldigten – das Verbot der Pfl icht zur Selbstbelastung

In document S apienS in Sapientia (Pldal 45-51)

UND DES VERFASSUNGSGERICHTS VON UNGARN Ervin B ELOVICS

2. Gedanken über die einzelnen Teilgarantien

2.3. Das Aussageverweigerungsrecht des Beschuldigten – das Verbot der Pfl icht zur Selbstbelastung

Der EGMR hat sich in dem Fall Funke gegen Frankreich13 im Jahre 1993 mit dem Problemkreis des Schweigerechts befasst. Gegen den Betroffenen wurde ein Strafverfahren eingeleitet, weil er im Zollverfahren Unterlagen und Kontoauszüge nicht vorgelegt hatte, die ihn später mit hoher Wahrscheinlichkeit belastet hätten. Nach der Argumentation des EGMR wurde das Recht auf ein faires Verfahren dadurch verletzt, dass die Behörden den Betroffenen zur Vorlage von solchen Beweisen zwingen wollten, die sie auf andere Weise nicht einholen konnten oder wollten. Der EGMR hat jedoch die wichtigsten inhaltlichen Merkmale des Schweigerechts nicht bestimmt. Etwas später hat der EGMR dagegen in dem Fall Saunders gegen Vereinigtes Königreich den

11 Magyar László gegen Ungarn, Nr. 73593/10., §§ 64–66, EGMR.

12 Nr. 67/1995. (7.12), und 14/2004. (7.5) Entscheidungen des Verfassungsgerichts von Ungarn.

13 Funke gegen Frankreich 10828/84. (25/02/1993).

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Anwendungsbereich dieses Rechts zu bezeichnen versucht.14 Der EGMR hat die Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren darin gesehen, dass im gegen den Beschuldigten eingeleiteten Strafverfahren die Staatsanwaltschaft Aussagen verwendet hat, die der Beschuldigte vorher im Verwaltungsverfahren zur Ahndung von Ordnungswidrigkeiten gegenüber den Inspektoren pfl ichtgemäß abgegeben hat.

Saunders war Vorstandsvorsitzender der Firma Guinness PLC, als im Dezember 1986 eine Ermittlung von den Inspektoren des Ministeriums für Handel und Industrie eingeleitet wurde, weil angeblich die Firma die Preise ihrer Aktien künstlich hochgehalten bzw. hochgetrieben hat.

Die Inspektoren haben Saunders neunmal vernommen, wobei Saunders gesetzlich zur Beantwortung der Fragen verpfl ichtet war. Hätte er die Aussage nämlich verweigert, hätte ihn das Gericht wegen Behinderung der Justiz mit einer Geldstrafe oder mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren bestrafen können. Im Januar 1987 haben die Inspektoren Beweise gefunden, die den Verdacht strafbarer Handlungen begründeten. Deshalb wurden die Vernehmungsprotokolle und die eingeholten Unterlagen an die Staatsanwaltschaft übergeben. Danach übersandte die Staatsanwaltschaft diese an die Polizei, und die Polizei leitete ihr eigenes Verfahren ein.

Es erfolgte gegen Saunders eine fünfzehn Punkte umfassende Anklage.

Im August 1990 wurde der Angeklagte vom Crown Court zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Im Mai 1991 wurde das Rechtsmittel vom Berufungsgericht bis auf einen Anklagepunkt zurückgewiesen und die Höhe der Freiheitsstrafe auf zweieinhalb Jahre herabgesetzt. Im Juli 1991 hatte das britische Oberhaus die Einreichung einer Nichtigkeitsklage nicht genehmigt.

Der Beschuldigte hatte am 20. Juli 1988 Beschwerde eingelegt, in der er die Verwendung von seinen früheren, in einer vom Strafverfahren unabhängigen Ermittlung abgegebenen, auf rechtliche Verpfl ichtung beruhenden Aussage im Strafprozess beanstandet hatte.

Der EGMR hatte in seiner Entscheidung betont, dass das Recht, nicht gezwungen zu werden, gegen sich selbst auszusagen oder sich schuldig zu bekennen und das Aussageverweigerungsrecht allgemein anerkannte internationale Normen sind. Diese grundsätzlichen Thesen befi nden sich im Kernbereich des Rechts auf ein faires Verfahren nach Art. 6 der Konvention.

Sie stehen in engem Zusammenhang mit der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2, weil das Recht, sich nicht selbst zu belasten, in erster Linie der Achtung

14 Saunders gegen Vereinigtes Königreich [G.C.] 19187/91 (17/12/1996).

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des Willens des Beschuldigten, nicht auszusagen, dient. Der EMRK verbietet es nicht, Beweismaterial im Strafverfahren zu verwenden, welches vom Beschuldigten durch den Einsatz von Zwangsmitteln erlangt worden ist, die jedoch unabhängig von seinem Willen, wie Atemluft-, Blut- und Urinproben existieren.

Nach der Auffassung des EGMR ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles die unbegründete Verletzung des Rechts des Beschuldigten, sich nicht selbst beschuldigen zu müssen, danach zu beurteilen, ob die Staatsanwaltschaft die durch die Inspektoren unter Inaussichtstellen von Sanktionen erlangten Aussagen in der späteren Hauptverhandlung verwendet hat. Dabei spielt es eine unwesentliche Rolle, ob diese Aussagen eine Anklageerhebung begründen oder nicht. Das Recht, sich nicht selbst beschuldigen zu müssen, darf nicht auf die Straftaten betreffenden Aussagen oder auf Bemerkungen, die den Beschuldigten unmittelbar in Verdacht bringen würden, begrenzt werden.

Was die Verwendung von Aussagen des Beschuldigten betrifft, befand der EGMR, dass die Staatsanwaltschaft diese Aussagen zur Begründung der Anklage verwendet hat, um an der Ehrlichkeit des Beschuldigten Zweifel zu wecken und dessen Teilnahme an illegalen Handlungen zu beweisen.

Dadurch wurde das Recht, sich nicht selbst beschuldigen zu müssen, verletzt, und man kann sich im Strafverfahren gegen den Beschuldigten nicht auf das öffentliche Interesse der Fortsetzung der Betrugsbekämpfung zur Rechtfertigung der Verwendung von den die Anklage begründenden, in einem nicht gerichtlichen Prozess erlangten Aussagen berufen.

Demgemäß hat der EGMR festgestellt, dass Art. 6 Abs. 1 der Konvention verletzt wurde, da die Behörden ihre Macht missbraucht haben.

Mehrere Autoren weisen darauf hin, dass sich Richter Martens in seiner abweichenden Meinung, die er zum Urteil im Fall Saunders gegen Vereinigtes Königreich verfasst hat, eingehend mit dem Verhältnis zwischen dem Recht, sich nicht selbst zu belasten und dem Schweigerecht beschäftigt. Martens

„grenzt das Recht, sich nicht selbst beschuldigen zu müssen (die Freiheit von Selbstbelastung) von dem Schweigerecht ab. Nach seiner Meinung befi nden sich diese zwei Rechte in einem generellen-speziellen Verhältnis zueinander.

Die Freiheit von Selbstbelastung bedeutet das Recht auf Verweigerung der Mitwirkung. Betreffend seinen Umfang stellt sich die Frage, inwiefern der Beschuldigte dazu gezwungen werden kann, mit den Behörden in irgendeiner Weise zu kooperieren und dadurch gegen sich selbst Beweise zu liefern, beziehungsweise die Beschaffung solcher Beweise zu erleichtern […] Das Schweigerecht – entsprechend, wie es in der Alltagssprache verstanden wird –

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berechtigt den Betroffenen, die Beantwortung der Fragen zu verweigern.

Dementsprechend ist die Freiheit von Selbstbelastung das umfangreichere Recht, welches das Schweigerecht umfasst.“15

Laut Károly Bárd „ist dagegen das Schweigerecht – hinsichtlich dessen Form – ein negatives Recht in zweierlei Sinne: es ermächtigt, die Mitwirkung zu ver-weigern und verhindert gleichzeitig den behördlichen Eingriff; es verbietet die Zwangsanwendung zwecks der Erlangung einer Aussage. Dies ändert jedoch nichts daran, dass auch der Einzelne, der von seinem Schweigerecht Gebrauch macht, als prozesslenkende Person anzuerkennen ist: die Entscheidung wird ihm überlassen, wodurch seine Menschenwürde respektiert wird. Er entscheidet, wie er den Prozess lenken will: er kann sprechen oder er darf schweigen. Das Schweigen kann als Verzicht auf eine erlaubte Form der Verteidigung oder sogar auf das Recht der Verteidigung betrachtet werden. Durch das Schweigerecht – gleichwie durch die anderen Garantien – wird der Angeklagte als prozess-lenkende Hauptperson anerkannt. Durch die Sicherung des Schweigerechts werden seine Autonomie und Handlungsfreiheit anerkannt.“16

Im Einklang damit bemerkt Árpád Erdei, dass der Beschuldigte auf die einzelnen Elemente des Rechts auf ein faires Verfahren verzichten kann, so

„kann er das Schweigerecht aufgeben, und mitunter sogar ein Schuldgeständnis ablegen.“17

Zur ähnlichen Ansicht gelangte auch das Verfassungsgericht18, als es äußerte, dass aus den Grundprinzipien des Strafverfahrens dem Beschuldigten ein Schweigerecht unabhängig von seinem Motiv und seiner Absicht zusteht, folgt.

Der Beschuldigte ist folglich unabhängig von seiner Schuld berechtigt, die Aussage zu verweigern, und er ist auch nicht verpfl ichtet, die Verweigerung zu begründen.

Daher lässt sich behaupten, dass „die Einbürgerung der »Miranda-Rechte«

in Ungarn keine besondere Störung verursacht hat […] die Gewährleistung der Freiwilligkeit hat die Glaubwürdigkeit der Geständnisse erheblich erhöht.“19

15 BÁRD op. cit. 260–261.

16 BÁRD, Károly: Erkölcs és büntető igazságszolgáltatás – a hallgatás joga. In: HOLÉ, Katalin – KABÓDI, Csaba – MOHÁCSI, Barbara: Dolgozatok Erdei Tanár Úrnak. Budapest, ELTE Állam- és Jogtudományi Kar, 2009. 21.

17 ERDEI, Árpád: Tanok és tévtanok a büntető eljárásjog tudományában. Budapest, ELTE Eötvös, 2011. 238.

18 Nr. 41/2003. (VII. 2.) Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs von Ungarn.

19 TÓTH, Mihály: A „Magyar Miranda” első néhány éve. In: ERDEI, Árpád (szerk.): Tények és kilátások. Tanulmányok Király Tibor tiszteletére. Budapest, Közgazdasági és Jogi Könyvkiadó, 1995. 77.

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Fazit

In den Entscheidungen des EGMR und des Verfassungsgerichts erscheint regelmäßig das Gebot des Rechts auf ein faires Verfahren sowohl in Straf- als auch in Zivilsachen. In einem Rechtsstaat darf der staatliche Strafanspruch nur bei gleichzeitiger Durchsetzung der Regeln bezüglich des fairen Verfahrens geltend gemacht werden. Man muss sich den Autoren anschließen, nach deren Ansicht ein Zusammenhang zwischen der Staatsform und der Qualität des Strafverfahrens besteht.20 Es kann jedoch nicht bestritten werden, dass der Wertordnung einer demokratischen Gesellschaft – unabhängig von deren Staatsform – nur ein Strafverfahrenssystem entspricht, das imstande ist, zu gewährleisten, dass derjenige, der strafrechtlich verantwortlich ist, zur Verantwortung gezogen wird, und zwar im Rahmen der Regeln des fairen Verfahrens, beziehungsweise soll das Letztgenannte sichern, dass eine unschuldige Person nicht verurteilt wird.

20 Mirjan R. DAMAŠKA: The Faces of Justice and State Authority. New Haven–London, Yale University Press, 1986.

THE MAIN RULES CONCERNING PROSECUTORS

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