• Nem Talált Eredményt

Der Transfer österreichischer Literatur ins nicht deutschsprachige Aus-land steht vor großen Herausforderungen. Der Transfer österreichischer Literatur ähnelt Platos Höhlengleichnis: Der ausländische Leser erfährt häufig nur Echo, Schatten und Spiegelbilder, kurz: Erscheinungen statt

„wahrer Dinge“. Unser Anliegen ist einige davon zu besprechen.

Die Rezeption und der Transfer österreichischer Literatur ist zu-mindest mit vier grundsätzlichen Herausforderungen konfrontiert: die erste ist die (häufige) Unübersetzbarkeit der sprachlichen Besonder-heiten österreichischer Literatur, etwa Dialektdichtung usw.; die zweite ist die (nicht selten) mögliche Kluft zwischen den literarischen Selbstver-ständlichkeiten des Aufnahmelandes und jenen Österreichs; die dritte ist die Erstarrung bzw. das Übersehen der österreichspezifischen Geschichtsmomente; viertens die Übersetzungsdynamik des Aufnahme-landes, insbesondere die gattungsorientierte Übersetzungsdynamik bzw.

die mangelnde Verlagsbetreuung der Autoren.

Aporien der bisherigen komparatistischen Rezeptionsforschung.

Rezeptionsforschung als Importartikel und die Praxis der Aus-landsgermanistik als Pseudokomparatistik

Bevor wir auf unser Anliegen eingehen, halten wir eine Rekapitulierung des Problemfeldes der Anwendung der Rezeptionstheorie in der aus-landsgermanistischen Komparatistik für sehr notwendig. Eine Praxis der Auslandsgermanistik ist die Rezeption deutschsprachiger Autoren im Ausland. Diese Praxis bewegt sich auf einem Problemfeld, dessen Schwierigkeiten wir folgendermaßen erklären werden:

Diese Rezeptionsforschung ist teilweise in den Germanistik-Semi-naren im Ausland geboren worden, anstatt an den Lehrstühlen der Komparatistik. Grund dafür ist anscheinend, dass die Rezeptionsforschung

sich „als Programm nachgerade zu einem deutschen Exportartikel ent-wickelt [hat].“1 Der importierte Artikel bekommt fremde Gebrauchs-anweisungen – „eine (bundesdeutsche bzw. österreichische) nationale Ausrichtung“ – in der Auslandsgermanistik und ist, wie wir sehen wer-den, oft sogar fehlerhaft. In diesem Hinblick „[bleibt] die Germanistik anfällig für den Zeitgeist, für Trends und Krisen.“2

Daraus haben sich einige Syndrome entwickelt. Klaus Zeyringer bezeichnet die „starke Selbst-Bezogenheit eines Literaturbetriebes“ als

„Solipsismus“3; der Solipsismus in der Erforschung einer National-literatur im fremdsprachigen Ausland ist eine angeborene Krankheit, die häufig nicht diagnostiziert wurde. Ein Symptom davon ist die man-gelnde Diskussion und Selbstkritik dieser Praxis. Mit Mandelkows Urteil könnten wir auch behaupten, dass es für die meisten dieser Rezeptionsarbeiten charakteristisch ist,

dass ihnen die methodologische Reflexion dessen, was sie vorhaben, weit-gehend fehlt. Das scheint weniger die Schuld oder das Versäumnis der betreffenden Autoren zu sein als vielmehr das Gesetz des Gegenstandes, der eine methodologische Reflexion nicht zu fordern scheint oder über-flüssig macht.4

Ein weiteres Problem ist eine verwirrende Verwendung der rezeptions-theoretischen Kategorien. Wenn es die rezeptionstheoretische Haupt-prämisse ist, dass die Wirkung eines Werkes vor allem von der Aktivität des Rezipienten abhängt, ist die Erforschung der Autoren, die keine Rezeption im Ausland gehabt haben, unverständlich. Besonders bei

„modernen Klassikern“ und „zeitgenössischen Klassikern“ ist dieses Phänomen zu sehen.

Die Untersuchung der Rezeption eines deutschsprachigen Autors im Ausland ist zu einer „Fata Morgana“ geworden. Beiträge mit solcher Thematik lassen sich von Auslandsgermanisten wohl sehr angenehm vor inlandsgermanistischen Kollegen/Innen auf Jubiläumstagungen vorlesen. So versucht, z. B. der bulgarische Germanist Alexander Andreev „eher eine mögliche als die tatsächliche Rezeption Thomas Bernhards in Bulgarien zu schildern.“5

Bezüglich einer gewissen Praxis der Komparatistik hat schon René Wellek eine Todsünde der vergleichenden Literaturwissenschaft er-Ildikó Czap – Gerardo Álvarez

150

wähnt, die bedauerlicherweise sehr gut zu dieser Praxis der Rezeption passt. Er bezeichnet sie als „ein merkwürdiges System kultureller Buch-führung.“ So sieht Wellek in einigen Studien

ein Bedürfnis, das Haben-Konto der eigenen Nation nach Möglichkeit zu vermehren, indem man ihr möglichst viele Einflüsse auf andere Völker zuerkennt, oder – ein subtileres Vorgehen – indem man beweist, dass die eigene Nation einen ausländischen Großen vollständiger „verstanden“

und sich zu eigen gemacht habe als irgendeine andere.6

Bei der Problematisierung des Begriffes ‚Geheimtip‘ veranschaulicht sich die Labilität der Argumentationskraft gewisser Rezeptionsstudien bzw. ihr Solipsismus. Ist der Begriff ‚Geheimtip‘ eine Kategorie der Rezeption oder nur ein Euphemismus für nicht gelesene Bücher? Was bedeutet folgender Satz in dieser Hinblick: „Unter den literarisch gebil-deten Lesern in Frankreich wird Hermann Broch heute als besonders interessanter ‚Geheimtip‘ weitergegeben. In der offiziellen französischen Kritik jedoch kann man kaum von einer intensiven Rezeption dieses Autors sprechen.“7In Frankreich scheint Hermann Broch einer „dieser Autoren zu sein, die man wohl zitiert, ohne sich einer Lektüre auszuset-zen.“8In Spanien wiederum kommt Musils Mann ohne Eigenschaften„in den Genuss des unbestrittenen Prestiges dessen, der nie gelesen wird.“9

Mit den oben erwähnten Beispielen veranschaulichen sich teilweise die veralteten Immanenzkategorien. Solche Untersuchungen vertreten implizit eine Auffassung, die der Hauptprämisse der Rezeptionsforschung widerspricht, und zwar, „dass die Wirkung eines Werkes eine Funktion seiner Qualität ist“. Diese Auffassung impliziert die rezeptionstheoreti-sche Prämisse, „dass die Wirkung eines Werkes vor allem durch dieses selbst hervorgerufen wird, nicht von der Aktivität des Rezipienten abhängt.“10 Und in dieser Hinsicht unterscheidet sich die Praxis der Rezeption deutschsprachiger Autoren im Auslande nicht besonders von der so genannten älteren Wirkungsgeschichte, die ganz im Zeichen des Nachweises steht, „welcher besondere Ruhm und Einfluss von einem Autor ausging, und schließt von hier aus auf dessen literarische Größe.“11

Daraus erklärt sich, dass es bei einigen Aufsätzen scheint, als wäre der untersuchte Autor bei der Auswahl des Themas im Vordergrund

Platos Höhle

und nicht die tatsächliche Rezeption. Hermann Broch, „ein Klassiker der Moderne“, ist paradigmatisch dafür. Nicht ohne Grund betitelt Hartmut Steinecke seinen Artikel „Brochs Wirkung – Geschichte einer Nicht-Wirkung?“ Und anhand des folgenden Zitates spricht er ein Thema an, das in solchen Fällen üblich ist, der „Topos“12 der Nicht-Wirkung bzw. Nicht-Rezeption:

Er ist, ohne Zweifel, der klassischste aller Klassiker der Moderne:

Hermann Broch, viel zitiert, kaum gelesen. Von den großen Gestalten der Literaturgeschichte dieses Jahrhunderts, wie Kafka und Proust, wie Joyce und Musil und [...] Thomas Mann, ist er, bis heute, der unbekannteste geblieben.13

Manfred Durzak behauptet diesbezüglich mit Recht, dass

das sicherlich nicht nur ein stereotypes Versatzstück einer Broch nur als großen Namen registrierenden Kulturjournalistik und von daher zu kor-rigieren [ist], sondern so etwas wie die Leitmelodie, die die Wirkungs-geschichte dieses Autors im Hintergrund immerzu begleitet hat.14 Und in einem anderen Aufsatz hat Durzak diesbezüglich einen schönen Euphemismus verwendet: „Was produktive Rezeption betrifft: Döblin ist lebendig geworden, Broch ist historisch geworden.“15 Andererseits weist Paul Michael Lützeler schon darauf hin, dass „Broch zwar nicht bekannt, aber aktuell“ ist.16

Damit haben wir eine Potenzierung der Todsünde der Kompara-tistik erreicht, aber jetzt bei der Auslandsrezeptionsforschung: Die Untersuchung der Nicht-Wirkung. Sind solche Untersuchungen nicht absurd?

Eine solche Praxis findet fruchtbares Feld, wo die Auslands-germanistik noch kritiklos unter einer (bundesdeutschen bzw. österreichi-schen) „nationalen Ausrichtung“17der Inlandsgermanistik ihre Aufgaben betreibt. Aus diesem Grund ist sowohl die Inlandsgermanistik als auch die Auslandsgermanistik bei der Rezeptionsforschung für eine gewisse Ideologie anfällig. Besonders bei der Rezeption österreichischer Autoren im Ausland wird dies deutlich. Der Nutzen dieser Fragestellungen, ob es eine österreichische Literatur gibt, ist in erster Instanz eher induzie-Ildikó Czap – Gerardo Álvarez

152

rend als relevant; dabei spielen wir etwa auf Joseph Strelkas Frage-stellung an, ob es eine österreichische Literatur gibt, genauer: ob es innerhalb der Literatur des gesamten deutschsprachigen Raumes eine spezifisch österreichische Literatur gibt, die sich in ihrer Gesamtheit durch bestimmte, gemeinsame Züge von der übrigen deutschsprachigen Literatur unterscheidet.18 Diese Frage steht im Zusammenhang mit einem Österreich-Bewusstsein, das nach dem Zweiten Weltkrieg geschaf-fen wurde und das „sich spätestens seit dem Jahr des Staatsvertrags 1955 aus der Gewissheit [speist], nicht nur über eine eigene Staatsform son-dern auch über eine eigenständige Kultur zu verfügen“ und dieses Selbstverständnis der „Kulturnation“ Österreich „entsteht einzig und allein durch die Abgrenzung gegen das große Nachbarland im Norden, das zwar die gleiche Sprache spricht, aber nicht dieselbe.“19 Der Germanist Miljan Mojasevic hat schon die Frage der Aussonderung der österreichischen Literatur problematisiert:

Zu welchem Zweck sondert man die österreichische Dichtung von der gesamtdeutschen aus? Ist eine solche Aussonderung literarhistorisch und literartheoretisch überhaupt möglich? Wann wird aus dieser literaturwis-senschaftlichen Frage eine nicht nur kulturpolitische, sondern rein politi-sche, tagesgebundene? Denn die Gefahr liegt nahe, dass die Frage nach der Rezeption einer Nationaldichtung im Auslande zu einer kulturpolitischen Angelegenheit wird, auch wenn das nicht beabsichtigt war.20

In Hinblick auf diese Gefahr schließen wir uns an diese Vorbehalte an.

Die Rede von einer Rezeptionsgeschichte der österreichischen Lite-ratur setzt voraus, „dass ein Bewusstsein von ihrer Eigenständigkeit exis-tiert und sich im Kreis anderer Literaturen –besonders innerhalb der deutschsprachigen – als solche ausmachen lässt.“21Die meisten Unter-suchungen bestätigen, dass das Niveau und die Qualität der Vermittlung und der Rezeption österreichischer Literatur im Ausland mit der Entwicklung der Germanistik im Ausland zusammen hängen. Das Selbstverständnis jeder Auslandsgermanistik und deren Geschichte wir-ken und steuern die Rezeption der deutschsprachigen Literatur. Die uni-versitären Rezeptionsinstanzen waren nicht immer ein fördernder Faktor für die Ausbreitung und Förderung der Rezeption der österrei-chischen Literatur in der Öffentlichkeit, aufgrund der

traditioneller-Platos Höhle

weise sehr an der bundesdeutschen Literatur orientierten ausländischen Germanistik-Lehrstühle. So schien es, z. B. dem britischen Professor und Dichter Michael Hamburger anno 1971,

dass der Begriff einer österreichischen Literatur im angelsächsischen Sprachgebiet nur für eine ganz geringe Anzahl von Spezialisten irgendeine Gültigkeit besitzt. Was das größere lesende Publikum betrifft, unterschei-det es bei deutsch schreibenden Autoren den Österreicher kaum von dem Deutschen oder Deutsch-Schweizer.22

Denselben Tenor schlagen Graham D. C. Martin und Malcom J.

Pender: In den Germanistiklehrgängen mancher britischen Universitä-ten wird die österreichische Literatur „bloß als Bestandteil der deut-schen Literatur überhaupt [behandelt] oder sie wird als Provinzliteratur nur nebenbei erwähnt bzw. lediglich in Fußnoten berührt“.23

Auch der Germanist Miljan Mojasevic weist diesbezüglich darauf hin, „dass in der jugoslawischen Fachliteratur die österreichische Dichtung ausnahmslos als Bestandteil der gesamtdeutschen betrachtet wird.“24In Frankreich berichtet Gilbert Ravy, „was für die Nachschlage-werke der französischen Germanistik galt, galt erst recht für die journa-listische Kritik“ und zwar, dass sie

auf eine Spezifizität der österreichischen Literatur nie einging, Autoren wie Schnitzler, Roth oder Hofmannsthal kaum erwähnte und zeitgenössi-sche Autoren wie Peter Handke nicht selten als „bundesdeutzeitgenössi-sche Schrift-steller“ bezeichnete.25

Interdependenzen zwischen Textgrundlage, Fachgeschichte, Über-setzung und Rezeption

Ein weiteres Problemfeld ist die unzulängliche Apperzeption der Interdepen-denzen zwischen Textgrundlage, germanistischer Fachgeschichte und Über-setzung in der auslandsgermanistischen Rezeptionsforschung bzw. der aus-landsgermanistischen Komparatistik bezüglich österreichischer Literatur.

Die Forschungspraxis der Rezeption deutschsprachiger Autoren im Ausland bewegt sich auf zwei Problemfeldern. Das eine resultiert aus der Fachgeschichte der Rezeptionstheorie, das andere aus der Fachpraxis der Ildikó Czap – Gerardo Álvarez

154

Komparatistik: Erstens, ihre „Vorliebe eine Tragische Literaturgeschichte sein zu wollen“26 wie Mandelkow ironischerweise aufzeigt; zweitens, das was René Wellek als „Todsünde“ der vergleichenden Literaturwissenschaft bezeichnet hat. Die Ergebnisse beider Forschungspraxen sind üblicher-weise nicht erkenntnisrelevant. Jede Theorie, als Mittel der Erkenntnis, schränkt gleichzeitig das Blickfeld auch ein, da die verwendeten Kategorien auch zur systematischen Ausblendung von Fragen führen, insbesondere die Elemente der Vermittlungsinstanz und der Zielkultur. Darunter sind mehr die Faktoren in der Zielkultur „wie etwa die notwendige Rücksicht auf die eigene literarische Tradition, die Eigenwilligkeit der Lektorate (so Hubert Orlowski), literarische Moden und nicht zuletzt die nationalen, religiösen und sittlichen Vorurteile“ zu berücksichtigen.27

Dass man nur mit einem guten Agenten die richtige Publikums-nische erreichen kann, ist mittlerweile eine Binsenwahrheit für jeden Pop-Star, nicht so für das Berufsethos einer in Bereich der Rezeption immer noch arg retardierten Wissenschaft, die sich in ihren Elfenbein-turm zurückzieht und stumme Experimente mit der pneumatischen Glocke bevorzugt, und die von ihren professionellen Vertretern verlangt, dass sie in tautologischen Operationen die Aufnahme einer Literatur in dem Zielland weniger verstehen und erklären als sie sich durch die Beschreibung der immanenten Größe der eigenen Nationalliteratur legi-timieren und sie „den Lorbeer nach dem Kriterium der Staatsbürger-schaft“28verteilen sollen.

Kann die Transfer-Forschung sich von der negativen Gewohnheit der germanistischen Rezeptionsforschung distanzieren, die die Vermittlungs-instanzen vernachlässigte, weil ihre Erforschung von der unsterblichen Größe der Literatur ablenkte, und sich nur auf einfachen Sterblichen kon-zentrierte? Peter V. Zima definiert die Vermittler als diejenigen

die als erste auf fremdsprachige Autoren aufmerksam machen, ihre Texte kri-tisch kommentieren oder interpretieren und dadurch einen Rezeptionspro-zess auslösen, den sie zugleich in eine bestimmte Bahn lenken, in der er lange Zeit verharren kann.29

Der Vermittler ist auch derjenige, „der die Rezeption eines Textes er-möglicht oder erleichtert, indem er einen Code zum entschlüsseln des Werkes dem Publikum bereitstellt.“30

Platos Höhle

Im Kontext der Relevanz der Vermittlungsinstanzen ist der Schrift-steller André Gide ausschlaggebend, weil er als Mitglied der Verlags-leitung von Gallimard die Übersetzung und Herausgabe von Der Mann ohne Eigenschaftenin Frankreich verhindert hat, da er

instinktiv vor allem die dekadente oder preziöse Literatur [schätzte].

Schriftsteller wie Proust, Zola oder Musil, welche die Struktur einer Gesell-schaft zu verstehen suchten, lehnte er bei der ersten Lektüre ab.31 Aber wenn Gide ein Begriff in der Literatur der Moderne ist, unterschei-det sich seine Wichtigkeit weniger von den anderen (noch exotischeren) Vermittlern, die durch den Import ausländischer Werke neue Wege beschreiten und die Herausbildung eines neuen Geschmacks bzw. einer neuen Ästhetik in ihren Kulturräumen fördern, wie etwa Juan García Ponce (1932-2003) für die Rezeption von dem Werk Musils im iberoa-merikanischen Kulturraum32, oder Mori Ôgai (1862-1922) – durch des-sen Übersetzungen Rilke „einen gewisdes-sen Einfluss auf die [literarische]

Modernisierung Japans“33 hatte –, Hori Tatsuo (1904-1953) – der

„Rilkes Namen und Werk über die engeren literarischen Zirkel hinaus bekannt [machte] und das populäre Rilke-Bild verbreitet“ hatte –34, und Murano Shirô (1901-1975) für die Rezeption von Rilke in Japan. Als

„bemerkenswert“ bezeichnet Zhang Yushu, dass der Beginn der Vermitt-lung der österreichischen Literatur in China in das Jahr 1919 fiel und Mao Dun, „einer der Hauptrepräsentanten der modernen chinesischen Literatur als der erste Schnitzler-Übersetzer auch der erste Vermittler der österreichischen Literatur in China war.“35Im Kontext der Rezeption deutschsprachiger Literatur in der Sowjetunion ist auch die Relevanz der Initiative Maksim Gorkijs für die Gründung des Verlages für Weltliteratur 1919 zu untersuchen, „der Werke der klassischen sowie der zeitgenössischen ausländischen Literaturen herausgab.“36

Im europäischen Kontinent sind noch Aufgaben zu erledigen, nämlich die gründliche Untersuchung der Vermittlerrolle von Giaime Pintor, der „für die deutsch[sprachig]e Literatur eine ähnliche Funktion gehabt hat wie Cesare Pavese und Elio Vittorini für die Einführung der erzählenden amerikanischen Literatur.“37Die fundierte Erforschung der Vermittlerrolle von Claudio Magris steht noch aus. Die im österreichi-schen Fachbereich der Germanistik geführte Polemik um die Thesen des Ildikó Czap – Gerardo Álvarez

156

Habsburgischen Mythos in der österreichischen Literaturhat Magris’ Beitrag zur Vermittlung dieser Facette der österreichischer Literatur ausgeblen-det, insbesondere seine Leistung für das Werk Joseph Roths, die in der Erforschung der Rezeption österreichischer Literatur in Italien nicht gewürdigt wurde. Die Fruchtbarkeit dieser Vermittlung sieht man noch in Arbeiten von Gabriella Catalano und Gabriella Rovagnati.38

Hans Robert Jauß hält bei der methodischen Beantwortung der Frage, worauf ein literarischer Text oder ein Kunstwerk antwortete und warum es zu einer bestimmten Zeit gerade so, zu einer späteren Zeit aber wieder anders verstanden wurde, nicht allein die Rekonstruktion des innerliterarischen, vom Werk implizierten Erwartungshorizontes für erforderlich. Für ihn benötigt sie

auch eine Analyse der außerliterarischen, durch die Lebenswelt vermittel-ten Erwartungen, Normen und Rollen, die das ästhetische Interesse ver-schiedener Leserschichten vororientieren und bei idealer Quellenlage auch auf die historisch-ökonomische Situation zurückgeführt werden können.39 Die Analyse ist auch erforderlich für die Erforschung der Rezeption eines Autors im Ausland; sie lässt sich nicht isoliert untersuchen, da dieses Rezeptionsmoment immer im Zusammenhang mit der kulturellen Orien-tierung des Aufnahmelandes (Vorbilder und Ressentiments) und des Aus-gangslandes (Platz in der Forschung, Zugänglichkeit der Texte, etwa durch Lese- und historisch-kritische Ausgaben, sowie Zeitungsrezensionen) steht.

Was die extrinsischen Elemente betrifft, setzt sie die Untersuchung der Fachgeschichte der Germanistik im Aufnahmelande (Entwicklungsgrad, Spezialisierung der Lehrstühle, Ideologisierung des Faches, Beziehungen die-ser mit der Inlandsgermanistik, Ergebnisaustausch zwischen beiden), des Literaturbetriebes (Größe des Systems, Synchronisierung und Qualitäts-niveau der Übersetzungen) und vieler anderer Elemente voraus. Erlauben Sie uns, gewisse Phänomene der Ideologisierung des Faches zu thematisie-ren, wie etwa die so genannten und nichts sagenden sowjetischen

„Pflichtformeln“ in Vor- und Nachworten, die als eine notwendige und unausweichliche Buße galten, damit ein Buch die Zensur bestehen konn-te, „eine Art »Lösegeld« für die Möglichkeit, westliche Autoren den russi-schen Lesern sonst ohne Verzerrung näher zu bringen.“40

Platos Höhle

Das „Averroes-Syndrom“

Ein Phänomen beim Transfer österreichischer Literatur wollen wir das

„Averroes-Syndrom“ nennen. In vieler Hinsicht erlebt der Übersetzer österreichischer Literatur die Ratlosigkeit des arabischen Gelehrten Averroes. Wir beziehen uns auf die Erzählung des argentinischen modernen/postmodernen Jorge Luis Borges Averroes auf der Suche. Bei der Übersetzung der aristotelischen Poetik ins Arabische bemüht sich der islamische Universalgelehrte Averroes vergebens zwei Begriffe zu verstehen, für die der Islam mit seinem Darstellungsverbot und seiner andersartigen Literatur keine Entsprechung hat. Diese zwei Wörter von

„zweifelhafter Bedeutung“ am Anfang der Poetikhatten ihn stocken lassen.

Es waren die Wörter „Tragödie“ und „Komödie“. Jahre vorher war er ihnen im dritten Buch der Rhetorikbegegnet; kein Mensch im Umkreis des Islam hatte eine Ahnung, was sie bedeuten sollten. Vergebens hatte er die Schriften Alexanders von Aphrodisias durchstöbert, vergebens die Versionen des Nestorianers Hunain ibn-Isháq und des Abu-Bashar Mata befragt. Diese beiden Geheimwörter fanden sich im Text der Poetik an unzähligen Stellen; unmöglich sie zu umgehen.41

Der Übersetzer österreichischer Literatur ist zumindest mit drei sprach-lichen Problemen konfrontiert: mit der Dialekt-Problematik, der landes-kundlichen Problematik, und den immanenten grammatikalischen Unterschieden der deutschen Sprache anderen Sprachen gegenüber.

Als Beleg des ersten Punktes dieser Problematik ist Ernst Jandls Gedicht Nationalliteraturals Paradebeispiel zu erwähnen:

jo seizn es kane daitsch?

no oeso des samma wiagli ned owa eia dichtersschbrooch is do daitsch es heazzas jo – oder ned?

Abgesehen davon, dass ein Großteil der Dialektgedichte und experimentel-len Gedichte Jandls, bzw. der Wiener Gruppe fast unübersetzbar ist, wird ihr avantgardistischer Charakter häufig übersehen, da in anderen Ländern, Frankreich insbesondere, Dialekt nicht mit Avantgarde assoziiert wird.

Ildikó Czap – Gerardo Álvarez

158

Die Hindernisse der „Sprachverankerung“ österreichischer Auto-ren hatte Marcel Ray, ein französischer Karl-Kraus-Übersetzer, anhand des Werks von Karl Kraus schon 1933 problematisiert. Kraus ist „in den Schranken seiner eigenen Sprache eingeschlossen“ geblieben, denn „sein unerhörtes Sprachkönnen, die profunde Sprachverankerung seines Werkes bilden ein schier unüberwindliches Hindernis für jede Über-tragung.42

Nestroys Schicksal ist ähnlich, seine Werke sind in Großbritannien

Nestroys Schicksal ist ähnlich, seine Werke sind in Großbritannien