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3 Bukowina

3.7 Zwischenfazit: Bukowina und die Zeichen der Orientierung

Um 1900 ist das urbane Projekt soweit fortgeschritten, dass nicht mehr essentielle Infrastrukturfragen im Fokus der Aufmerksam stehen, sondern bereits die bürgerlich-repräsentiven Ausprägungen städtischen Lebens. Damit verbunden sind verschiedene Selbst- und Fremdverortungen. Wichtige Bezugspunkte sind die steinernen Erinnerungszeichen, die in verschiedenen Formen das Stadtbild ergänzen und Orientierungen ausdrücken. In Czernowitz stand das Tomaschuk-Denkmal im Volksgarten und wenig später am Austria-Platz für die städtische Entwicklung und den Aufstieg zur Bildungs- und Kulturmetropole. Das Franz-Josephs-Denkmal oder das Kriegerdenkmal standen als habsburgische Erkennungszeichen und unterstrichen den Status des Kronlandes als Teil eines größeren Reiches. Ähnliches gilt für das Elisabeth-Denkmal in Suczawa. 1908, anlässlich des Kaiserjubiläums, überboten sich viele Orte des Reiches mit Erinnerungs- und Würdigungszeichen, die in manchen multiethnischen und spannungsbeladenen Teilen auch bereits als Widerstand gegen die sich vertiefenden Gräben standen. Weniger offensiv, aber gleichwohl strukturell in den Prozess der Stadtentwicklung eingebunden und zum Zeichen der Repräsentation und Anerkennung angelegt, waren Friedhöfe. Fast gänzlich wurden sie unter habsburgischer Administration neu angelegt und räumlich neu geordnet. Dies geschah teils als natürliche Folge des stetig ansteigenden Bevölkerungswachstums und teils als Ausdruck eines neuen Raumverständnisses, bei dem administrative Verwaltungsstrukturen vordergründig waren (beispielsweise die überkonfessionelle Verwaltung der christlichen Ruhestätten an einem Ort) und auch staatsrechtliche Ansichten der Gleichstellung zum Tragen kamen (beispielsweise die parallele Anlage christlicher und jüdischer Friedhöfe).

Um 1900 sterben einige der Träger und Pioniere des städtischen Ausbaus. Sie haben wichtige Beiträge zum Aufbau der modernen Strukturen in Stadt und Verwaltung beigetragen und nehmen dieses Ansehen mit in den Tod. Da nun die Städte und Marktgemeinden die entsprechenden repräsentativen Funktionen erfüllten und sich ihre Bewohner_innen darin wiedererkannten, veränderte sich auch das

Repräsentationsverhältnis auf Friedhöfen. Die Bemühungen im administrativen sowie infrastrukturellen Bereich können jedoch grundlegende Unterschiede nicht aufheben. Es bleibt festzuhalten, dass die Region Bukowina eine von der habsburgischen Administration geschaffene Einheit war, die in ihrem historischen Fundament unterschiedliche Bezüge aufweist und sehr vielfältige Ausdrucksweisen hervorbringt. Die Bemühungen einer vereinheitlichten Kultur- und Denkmalpolitik zielten letztlich auf die Umsetzung des Staatsgedankens in allen Landesteilen, wobei der Schwerpunkt stets im Zentrum lag und die Peripherien den dortigen Entwicklungen folgten. Auch die prominentesten Architekten Josef Hlávka und Karl Romstorfer waren nicht davon befreit als sie sich, wie Maximilian Hartmuth schrieb, “on the ‘wrong’ side of the Carpathians”

betätigten: “There is no doubt that Hlávka and Romstorfer were actually curious about the peculiar heritage of the lands to which they were dispatched by Vienna. However, their historic role in the study of the region was also a consequence of their incorporation in networks mediating the late monarchy’s cultural policy.380

Die Bruchlinien, die diese Art der Kulturpolitik zu überdecken suchte, blieben bestehen und vertieften sich zusehends, am deutlichsten ausgetragen im Sprachenstreit in Kimpolung zu Beginn des neuen Jahrhunderts. Sprache ist das offensichtlichste Element einer (wahrgenommenen) kulturellen Fremdheit, welche zugleich als Ausdrucksform dieser benutzt wird. Dies wird in lokalen Debatten immer wieder betont. Sei es die aus der Sicht der Czernowitzer Presse einseitig ruthenische oder rumänische Schulsprache in Kozman respektive Kimpolung oder sei es ein “fremder Orden” in Gedenken an einen Verstorbenen. Es scheinen bereits Spannungen auf, die die politischen Bemühungen um eine Wahlreform und weitere Formen der Partizipation erfordern. Es zeigte sich Halbasien (Karl Emil Franzos) oder Ganz Europa im Brennglas (Ortfried Kotzian) in diesen Debatten einer spannungsvollen Umbruchszeit. Auch im Friedhofsbereich finden vergleichbare Positionierungen statt. Teils werden bewusst die Bezüge geschaffen, die den Friedhof als Abbild der Stadt gestalten. Die Berichterstattung anlässlich der

380 Hartmuth, Maximilian. Vienna and the Art Historical ‘Discovery’ of the Balkans, In Born/ Lemmen, Orientalismen, S. 105-117, hier S. 110 f.

Fertigstellung des Baldachins auf dem Grab des Rabbi Elizier Elijah Igel mit der “weithin sichtbaren Kuppel”, die dem Tempel in der Innenstadt glich, ist nur ein Beispiel. Die Schilderungen zur Einweihung der Leichenhalle auf dem jüdischen Friedhof in Czernowitz gleichen frappierend der Beschreibung der Veränderungen in der Stadt nach Eröffnung des Bahnhofs im Jahr 1866. Die bekannten Ortseffekte bestimmen nun auch zunehmend die Ränder des Lebens. Der Friedhof ist kein rituelles Refugium innerhalb des Stadtbildes mehr, sondern Teil der Stadt und von städtischen Entwicklungen stets betroffen. Das Andere wird gezähmt und als Teil des Eigenen in räumliche Ordnungen inkorporiert. Zum Teil wurde diese Inkorporation aber auch absolut in materieller Hinsicht verstanden. Die Schlossruine in Suczawa war ein bekanntes Beispiel hierfür.

Dies zeigte aber zugleich auch die Akzeptanz eines neuen Denkmalverständnisses, was sich unlängst etabliert hatte, was aber nicht ohne die dazugehörige Beschäftigung und Pflege vermittelbar erschien. Denn auch wenn die Fundamente der Stadt Suczawa eine lange und wechselvolle Geschichte aufweisen, bedarf es der gegenwärtigen Bezugnahmen, da sonst den struktur-gewordenen Orientierungspunkte einer Stadt keine Funktion mehr zukommt und der öffentliche Raum als Raum der Repräsentation und Aushandlung nicht mehr wirkt. Ähnliches gilt für den Friedhofsbereich. Gestalterisch aufwendige Grabmale stehen für bestimmte Einflüsse und einen übergeordneten Zeitgeist.

Dieser änderte sich in rascher Folge im 20. Jahrhundert, aber die in Stein gefassten Aussagen bleiben bestehen. Daher wurden die Orte in ihrer Gesamtheit Gegenstand von Fragen der Verfügbarkeit oder gar Sichtbarkeit. Das ist auch der Grund, warum verwahrloste jüdische Friedhöfe oder andere Meldungen in der Presse wiederholt aufgegriffen werden. Das jüdische Leben ist hingegen kaum eine Meldung wert, da dies kaum Auffälligkeiten aufweist und integraler Bestandteil des Alltags ist. Alles wächst miteinander und nebeneinander, nur das, was die geltende Vorstellung des Reihengrabs oder anderen Vorgaben störte, alt oder unordentlch aussah und der sich ausbreitenden Modernisierung scheinbar entgegenstand, wurde als fremd wahrgenommen. Ein stetes Band, welches Verbindungen auch über scheinbare Unterschiede, herstellen konnte, waren verschiedene Jahrestage oder Jubiläen, die häufig als Anlass für größere Reflexionen genutzt wurden. 1908 feierten die Bewohner der Landeshauptstadt Czernowitz das 500jährige Jubiläum der urkundlichen Ersterwähnung der Stadt. Hierzu

wurden kaum Kosten und Aufwand gescheut. Zudem war dies das Jahr des Kaiserjubiläums, welches ebenfalls vielfach zelebriert wurde. Im städtischen Ensemble wurden meist rechtzeitig vor den Feierlichkeiten architektonische Markierungen gesetzt, die der bürgerlichen Elite ebenso wie nationalen Gruppierungen entsprachen und die Entwicklungen von Stadt und Umgebung - insbesondere der vorangegangenen fünf Jahrzehnte - unterstrichen.381 Doch erlebten nicht alle Jubiläen gleiche Aufmerksamkeit.

Sie sind dennoch gute Indikatoren für die Verortung von Gesellschaften und bieten Anhaltspunkte zum Verständnis von Symbolen und Riten. So ist es für die Bukowinaer Post bezeichnend, dass das Jubiläum von 1908 groß gefeiert wurde, wobei die Grundlagen aufgrund der zeitlichen Entfernung nicht persönlich erfahrbar und somit abstrakt waren, wohingegen das 50jährige Jubläum der Autonomie der Bukowina am 8. März 1914 kaum Beachtung fand. Doch waren hier die Erfahrungen, die diesem Jubiläum zugrunde lagen, durchaus im erweiterten (Familien-) Gedächtnis der meisten Bukowinaer verankert. 1914 wurde der Horizont des eigenen Erlebens jedoch anderswo gesehen, was auch mit einer verhinderten Denkmalentscheidung erklärt wurde. “Aus diesem Gefühle heraus wird auch die Unbegreiflichkeit begreiflich, daß man dem ersten Bürgermeister Petrowicz bisher kein Denkmal gesetzt hat, wiewohl schon durch etwa 20 Jahre ein Komitee dafür besteht.382” Somit sind die Denkmalfragen sowie -gestaltungen essentiell mit der Wahrnehmung der Zeitgenossen verbunden und geben Auskunft über Wertigkeiten verschiedener Erinnerungen. Der Horizont der Erinnerungen wurde zunehmend national bestimmt Im Frühjahr 1914 ist ein weiterer Gedenktag von Bedeutung, der den lokalen Charakter überschreitet und auf grundlegende Bruchlinien verweist, die bis dato nur peripher wahrgenommen wurden. Ebenfalls im März 1914 jährte sich der Geburtstag des ukrainischen Nationaldichters, Taras Schevschenko zum 100. Mal. Die vielerorts stattfindenden Jubiläumsfeiern fielen aufgrund der unterschiedlichen

381 Nachhaltig von Bedeutung war die jiddische Sprachkonferenz; die Nationalhäuser wurden fertig gestellt und wurden zu Austragungsorten verschiedener Festakte, etc. Vgl. U.a. Heppner Harald, Hrsg.

Czernowitz. Geschichte einer ungewöhnlichen Stadt, 2000; Turcynzki, Emanuel. Czernowitz am Pruth, Hauptstadt der Bukowina, In Heppner, Harald, Hrsg. Hauptstädte in Südosteuropa. Geschichte - Funktion - Nationale Symbolkraft. 1994, S. 69-85.

382 Bukowinaer Post. 8. März 1914, S. 2.

Rahmenbedingungen verschieden aus. So wurden geplante Feierlichkeiten in Kiew wegen des Verdachts auf Separatismus und Aufrührertum abgesagt, worauf hin es zu Demonstrationen kam.383 Trotz Verbote und anderer Restriktionen der russischen Machthaber in angrenzenden östlichen Gebieten, würdigte die Bukowinaer Öffentlichkeit den Dichter verschiedentlich und hoffte auf eine weitere Verbreitung dieser Gedanken.

Denn das Gedenken erfolgte auch in Verbindung mit politischen Idealen einer Vereinigung der ukrainischen Nation. Diese, so ihre Hoffnung, sei nunmehr möglich und wünschenswert.384 Die Kriegsgefahr war zu diesem Zeitpunkt noch abstrakt und - wenn überhaupt - weit weg vom Kronland. Die nationale Erhebung der Ukrainer sollte nach dem noch unvorstellbaren Krieg kurz aufleben, bevor sie nachhaltig wieder unterdrückt wurde. Es bleibt die Hoffnung, die in der Lokalpresse anlässlich der Räumung des alten jüdischen Friedhofs in Prag im Jahr 1896 geäußert wurde: “Doch auch hier ist einmal Blut geflossen, auch hier wurden einmal die an den Gräbern ihrer Vorfahren Schutz suchen niedergemetzelt. Aber schließlich fanden sie hier doch ewige Ruhe, der Friedhof war schließlich doch der einzige sichere Port, dem sie ihr ganzes Leben zusteuerten. Und so ruhen sie denn alle still nebeneinander, die Großen und Mächtigen unter ihnen, die weisen Rabbis und Gelehrten ruhen friedlich neben den Armen und Verstoßenen.385” […]

Bekannte Rabbis und weniger bekannte …Auch dieser Stein neigt sich bereits zum Sturze, aber der große Ruhm, mit welchem die Geschichte und noch mehr die Überlieferung die Gestalt des ehrwürdigen Rabbis umwoben, wird sein Denkmal überleben.386” Doch das gestalterische “Wunder des Orients im Abendlande” stand vor einer größeren Zerstörungswelle, bevor das Andenken wieder in den Vordergrund rücken sollte. Um die Jahrhundertwende gerieten sowohl das russische Zarenreich als auch die Habsburgermonarchie in Bewegung und ließen die Grenzregionen nicht unberührt. Die

“Vorgänge in Russland” ab 1905 werden in der Bukowina sehr genau wahrgenommen

383 Vgl. Kappeler, Andreas. Geschichte der Ukraine, S. 143 f.

384 Vgl. Bukowinaer Post. 12. März 1914, Feuilleton: Taras Szewszenko, S. 1-2, hier S. 2.

385 Bukowinaer Rundschau. 9. April 1896, S. 2.

386 Bukowinaer Rundschau. 9. April 1896, S. 2.

und mit Interesse von Presse verfolgt.387 Konkret sind Flüchtlinge aus den angrenzenden russischen Gebieten in steigender Zahl sichtbar und Teil des Stadtbildes, andererseits bewirkt die Konfrontation mit revolutionären Umbrüchen in der Region Unsicherheiten ob der eigenen Lage. So schreibt die Bukowinaer Rundschau im November 1905: “Die revolutionäre Bewegung Rußlands auf österreichischem Boden”388 und verdeutlicht die Gefahr einer möglichen Ausweitung der in Russland ausgetragenen Konflikte.

Revolutionäres Gedankengut ist indes bereits in der Bukowina und anderen Teilen des Habsburgerreiches angekommen. Die Arbeiterbewegung sowie verschiedene Nationalbewegungen stellen ernste Herausforderungen dar, die Lösungen verlangen damit es eben nicht zu einem vergleichbaren Ausbruch der Spannungen wie in Russland kommt.389 Die umfassende gesellschaftliche Transformation seit Mitte des 18.und des 19.

Jahrhunderts, die wirtschaftlichen und strukturellen Fortschritt brachten, bedingten zunehmend auch Unsicherheiten, welche in nationalen Bewegungen gebündelt und wahrgenommene Probleme kanalisiert wurden. Auch figürlich wurden die neuen Empfindungen ausgedrückt und im Bereich des Friedhofs etablierte sich erneut ein distinktes Figuren-Ensemble, welches die neuen Todeserfahrungen spiegelte.

387 Bukowinaer Rundschau. 8. November 1905, S. 3 f.

388 Bukowinaer Rundschau. 8. November 1905, S. 3.

389 Vgl.u.a. Eric Hobsbawm. The Age of Revolution: 1789-1848, 1962; Kocka, Jürgen. Arbeiterleben und Arbeiterkultur, 2015.