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2 Raumordnung

2.1 Theoretische und Methodische Grundlagen

2.1.1 KulturRaum

Eine kulturgeschichtliche Herangehensweise benötigt zuvorderst eine Klärung des Kulturbegriffs, um den Gegenstand und die (Selbst-) Deutungen der historischen Subjekte beschreiben zu können. Die Fächer der Humanwissenschaften, die universitär meist in den Philsophischen Fakultäten angesiedelt sind, blicken mit ihren jeweiligen Methoden, Definitionen und Zugängen auf teils lange Fachtraditionen zurück. Kulturhistorische Betrachtungen lassen sich bereits bei Herodot im antiken Griechenland finden und haben seither in unterschiedlichen Intervallen bedeutende Fachvertreter_innen, theoretische Ansätze und methodische Zugänge hervorgebracht und zur Weiterentwicklung der Geistes- und Kulturwissenschaften beigetragen. Eine grundlegende Annahme bestand lange in dem Gegensatz von Kultur und Natur, in der die Güter, die von Menschen geschaffen oder gestaltet wurden von natürlichen Gegebenheiten unterschieden wurden.

Von der lateinischen Bezeichnung cultura ausgehend wurde die menschliche Auseinandersetzung mit der direkten Umwelt verstanden, der Bewirtschaftung des Bodens und anderer Tätigkeiten, bevor auch die Pflege und Stärkung der geistigen Aktivitäten des Menschen in das erweiterte Kulturverständnis einbezogen wurden. Diese Unterscheidung wurde in der Moderne zu einem Gegensatz erhoben und ging mit einer werthaltigen Sonderstellung der immateriellen Kultur sowie der Schriftgüter einher. Im 20. Jahrhundert wurde dieses eingeengte Verständnis wieder erweitert und der Kulturbegriff nicht mehr nur auf Geisteserzeugnisse angewandt. Materielle und

85 Foucault, Michel. Die Ordnung der Dinge, S. 23.

86 Foucault, Michel. Die Ordnung der Dinge, S. 24 f.

symbolische Praktiken von Individuen und Gemeinschaften rückten in den Fokus und das Feld der Kulturwissenschaften differenzierte sich aus und der Kulturbegrriff öffnete sich einer breiteren Definition.87

Hier wird einem relationalen und wissensorientierten Kulturbegriff gefolgt, der das Entstehen von Bedeutungen und Identitäten als Prozess begreift. Angelehnt an Max Weber und Clifford Geertz bezeichnet dies die “Art und Weise, wie Menschen ihrer Welt Sinn verleihen”.88 Kultur ist dem zufolge der Gesamtkomplex von Vorstellungen, Werten und Bedeutungen, die das menschliche Leben strukturieren und es in symbolischen diskursiven Feldern verorten. Dieses Verständnis von Kultur umfasst die mentalen und institutionellen Voraussetzungen, die zur Erzeugung und Verwendung dieser bemüht werden. Sie dienen der Kultivierung der Natur und dem Anspruch, sich von dieser unabhängig zu machen. Dabei ist Natur nicht statisch, sondern manifestiert sich reflexiv im Verhältnis zur Kultur. Denn die Grundunterscheidung zwischen Kultur und Natur implizierte ein Ordnungsverständnis von Kultur gegenüber der chaotischen und unsteten Natur, welche sich auch in Nicht-Zugehörigkeit oder eben Fremdheit ausdrückt. Somit zeigt sich, dass in diesem Gegensatzpaar ein reflexives Verständnis von Zugehörigkeit steckt. Grenzziehungen sind daher im materiellen sowie im individuellen Bereich bedeutsame Positionierungen gegenüber Unkultiviertheit, Wildnis und verschiedenen Formen der Fremdheit.89 Die Hervorhebung von Fremdheit in Verbindung mit einem erweiterten Kulturverständnis führte zur Erschließung neuer Themen- und Arbeitsfelder

87 Mögliche Defininition laut Brockhaus (Bd.16, 2006), S. 61: “In einem engeren, auch traditionell so vorgegebenen Sinn bezeichnet K[ultur] die Handlungsbereiche, in denen der Mensch auf Dauer angelegte, einen individuellen oder kollektiven Sinnzusammenhang gestaltende oder repräsentierende Produkte, Produktionsformen, Verhaltensweisen und Leitvorstellungen hervorzubringen vermag, die dann im Sinne einer Wertordnung oder eines Fortbestandes das weitere Handeln steuern und auch strukturieren können.”

Bereits im Jahr 1952 dokumentierten die Anthropologen A. L. Kroeber und C. Kluckhohn mehr als 150 Definitionen von Kultur und zeigten die teils ambivalenten Bezüge auf, vgl. Kroeber, Alfred; Kluckholm, Clyde (1952), Culture. A Critical Review of Concepts and Definitions, Cambridge/ Mass.

88 Conrad, Christoph; Kessel, Martina, Blickwechsel: Moderne, Kultur, Geschichte, In Dies. (Hg.) (1998), Kultur und Geschichte, S. 9-40, hier S. 10.

89 Vgl. auch Nippel, Wilfried. Griechen, Barbaren und ‘Wilde’. Alte Geschichte und Sozialanthropologie, 1990.

der Kulturwissenschaften im Verlauf des 20. Jahrhunderts.90 Diese korrespondierten mitunter mit außer-akademische Bedingungen, die Zugänge zu neuen Themen-/Gebieten ermöglichten. Hier sei vor allem auf neue Formen von Transport und Kommunikation hingewiesen sowie der Grenzöffnungen und Zugänge zu Archivalien in vormaligen sowjetischen Machtbereich seit 1990, was Fremdheits- und Erinnerungsdebatten neu beförderte und allgemein eine Vielzahl kulturhistorischer Betrachtungen in einst gesperrten Gebieten generierte. Dieser Forschungsrichtung eigen ist der fremde Blick des Forschers oder der Forscherin, um Signifikanten im Alltag, in Familien, in Ritualen oder Institutionen sichtbar zu machen und hinsichtlich eines allgemeinen Kulturverständnisses zu analysieren. Die neue Kulturgeschichte erschließt zuweilen Themengebiete, die zuvor aufgrund ihres alltäglichen Charakters in der Forschung weitgehend unsichtbar waren und daher - wenn überhaupt - als minderwertig betrachtet wurden. Akademischen Vorgänger-Disziplinen bereiteten das Feld, in dem sich neue Zugänge bewähren konnten. Unter anderem ist die Kameralistik zu nennen, bei der Landeskundler meist im Auftrag absolutistischer Administrationen ‘Land und Leute’ erforschten, um zu bestimmen, wie Gemeinden, Regionen und Staaten aufgestellt und ausgestattet seien. Dabei dienten alsbald statistische Daten der Abbildung der lokalen Gegebenheiten. Zudem gelangten Reisebeschreibungen (der fremde Blick) zur Beliebtheit ebenso wie der ‘Blick der Romantik’, welcher mit Johann Gottfried von Herder seinen exponiertesten Vertreter in diesem Feld hatte.91 Diesem und anderen ‘Ethno-Graphen’ ging es wörtlich darum, Aufschreiber des Volkes zu sein. Wenngleich sie - im Bewusstsein um cultural turns und der Fachgeschichte im 21. Jahrhundert - häufig selbst zu Schreibern der Kultur wurden.

Der Fortschrittsglaube ebenso wie konfliktarme Vorstellungen von Gemeinschaft, wie sie noch zur Aufklärung verbreitet waren, wurden nicht übernommen. Was blieb, ist die Hinwendung zu den Untersuchungsobjekten - auch geographisch- und das dichte

90 Dies führte wiederholt in der jüngeren Vergangenheit zu fachinternen Kontroversen, die in zahlreichen Publikationen Niederschlag fanden. Vgl. U.a. Wehler, Hans-Ulrich (1998), die Herausforderungen der Kulturgeschichte, München; Landwehr, Achim; Stockhorst, Stefanie (2004), Einführung in die europäische Kulturgeschichte, Paderborn u.a.m.

91 Vgl. Burke, Peter. Was ist Kulturgeschichte?, 2005, S. 30 f.

Beschreiben92 von mikroperspektivischen gesellschaftlichen Prozessen. Die Hinwendung zum Alltäglichen ist daher nicht in Gänze neu, aber die Frage nach den Möglichkeiten zur Konstruktion und Etablierung von Wissen, sowie dessen Veränderungen durch und in alltäglichen Ausdrucksformen ist wesentlich. Auch das Politische kann dabei in den Fokus geraten, sofern es zur Wirklichkeitskonstruktion von Individuen oder einer Gruppe bedeutsam ist und sich in deren Alltag manifestiert. Denn dies ist allein durch Statistiken nicht zu erfassen, zumal, und hier kann Pierre Bourdieu gefolgt werden, “[ist] Politik der Ort schlechthin symbolischen Wirkens: jenes Handeln, das mittels Zeichen sich vollzieht, die sozialen Dinge und zumal Gruppen zu erzeugen vermögen.93” Zeichenbasierte Sinnstiftung kann in der Gegenwart mittels ihrer Relikte Aussagen über Vergangenes zulassen, welche mehr noch als geschriebene Zeugnisse, von Überlieferung, Pflege und Zugang abhängig sind. Sie sind universal beobachtbar und dienen verschiedenen Kommunikationszwecken, die sowohl zwischen Individuen aber auch zwischen Administration und Individuum stattfinden und durch Sichtbarmachung von Einstellungen oder Positionen eine Ordnung ausdrücken.

Die Feststellung von Ordnung oder Fremdheit sowie die Bezüge zur oder Abgrenzungen von Natur sind in mehrfacher Hinsicht für diese Arbeit bedeutsam. Es ist der scheinbare Gegensatz von Kultur und Natur, der sowohl in der Betrachtung von öffentlichen Räumen wie auch im Speziellen auf Friedhöfen bedeutsam ist und etwas über ihre jeweilige Stellung aussagt, aber auch historisch die Entstehung von Gemeinschaften oder Staaten analytisch fassbar macht. Gruppen wie Individuen definieren sich in Abgrenzung gegenüber dem Anderen und es sind die Signifikanten des Anderen (der anderen Grenzseite, der Wildnis, des Todes), die das Eigene eingrenzen. Zudem sind die Konzepte von Kultur und Natur hinsichtlich des modernen Denkmalbegriffs bedeutsam, welcher sich im 18. Jahrhundert aus Betrachtungen und Erfahrungen mit Landschaftsgärten entwickelte. Die darin kultivierte Natur stand beispielhaft für gesellschaftliche Entwicklungen. "Der Garten ist im Hinblick auf die Genesis des

92 Geertz, Clifford. Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, 2003.

93 Bourdieu, Pierre. Sozialer Raum und ‘Klassen’. Zwei Vorlesungen, 1995, S.39.

Denkmalbewusstseins nicht nur der Ort, an dem die in der Erinnerung der Natur aufgetane historische Perspektive ihre gestalterische Objektivation erfährt, also Denkmäler und Erinnerungsmale vergangener Zeiten versammelt bzw. errichtet werden, geschichtliche Allusionen vergegenständlicht werden, sondern auch der Ort, an dem Architektur als Denkmal gesehen - gebaut wird."94 Neben der engen Verzahnung, etwa der französischen Gartentheorie mit dem absolutistischen Staatsverständnis, konnte der Garten, vor allem als (englischer) Landschaftsgarten, auch als Imagination des Reisens oder gar des Ausbruchs aus den starren sozialen Räumen verstanden werden. Der kultivierte Garten war aber eben nur Abbild des einen oder anderen und seine Begrenzungen hielten den größeren gesellschaftlichen Bewegungen nicht stand, so dass neue Kultur-Räume erschlossen und Distanzen überwunden werden mussten.

Mit der Pluralisierung der Lebensstile, Privatisierungstendenzen und kulturellen Mehrdeutigkeiten blieb dennoch der Raum ein bedeutendes Ordnungskriterium, welches der Gesellschaft ihr Innen und Außen anzeigt und Zugehörigkeiten regelt. Die Kontrolle des Raumes wird zu einem Grundelement gesellschaftlicher Ordnung (und staatlichen Handeln). Dabei ist der Raum an sich nicht beobachtbar, sondern erst durch die Positionierung von Personen und Objekten darin. Daraus ergibt sich seine soziale Formung95, die sich über Symbole, Riten und Dingen ausdrückt. Das heißt, dass der Raum nicht als messbare Größe oder feststellbare Entität von Bedeutung ist, sondern dass mittels räumlicher Aspekte gesellschaftliche Phänomene beschreibbar werden, da in ihm Kultur und Natur in wechselvollem Verhältnis stehen.96 Diese Einsicht setzte sich nicht erst mit dem spatial turn durch, doch bewirkte dieser ein (Wieder-)Erstarken vorhandener Konzepte und die Emanzipation raumorientierter Zugänge bei gesellschaftlichen

94 Lipp, Wilfried (1987), Natur - Geschichte - Denkmal, S. 243.

95 Vgl. Ziemann, Andreas. Der Raum der Interaktion, In Krämer-Badoni, Thomas; Kuhm, Klaus (Hg.), Die Gesellschaft und ihr Raum, 2003, S. 133-153, hier S. 150.

96 Vgl. Böhme, Hartmut. Kulturwissenschaft, In Günzel, Stephan, Hrsg. Raumwissenschaft, 2012, S. 191-207, hier S. 200. Im ausgehenden 20. Jahrhundert erfuhr die gesellschaftliche Produktion von Räumen starke Aufmerksamkeit. Eine umfassende Übersicht über die Entwicklungen und Ausprägungen der einzelnen turns sowie einiger re-turns siehe auch Bachmann-Medick, Doris. Cultural Turns.

Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, 2006; Döring Jörg; Thielmann, Tristan, Hrsg. Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, 2007.

Analysen. Georg Simmels im Jahr 1908 vorgelegtes Gesamtwerk “Soziologie” behandelt im neunten Kapitel den “Raum und die räumlichen Ordnungen der Gesellschaft”97. Darin wurde bereits ein Schwerpunkt auf die Konstruktion von Räumen sowie die Wechselwirkungen zwischen räumlichen Ordnungen und sozialen Beziehungen gelegt98. Raum wird danach als Grundlage und Resultat von gesellschaftlichen Organisationen verstanden, in der sich Kultur (als objektivierte Erinnerungen) manifestiert. Der cultus beschreibt daher sowohl eine stets sich erneuernde Raumnahme, die Bestimmung seiner Grenzen sowie die innere Festigung von Gemeinschaft. Somit ist ein wie auch immer angenommener ursprünglicher, wertfreier Zusammenhang zwischen Raum und Gesellschaft nicht gegeben, sondern immer erst hergestellt wurden. Daher ist Kultur nicht ohne Raum zu verstehen, in dessen Grenzen sie stattfindet und diese zugleich definiert.

Die Erneuerung und Weitergabe von Raumbildern funktioniert analog zu anderen Formen der kulturellen Überlieferung.