• Nem Talált Eredményt

I. Einleitung

I.2.   Thematische Abgrenzung - Gegenstand der Arbeit

Der im Titel erwähnte Begriff „autonome Gruppierungen“ mag ein pragmati-scher Arbeitsbegriff sein. Mögliche Schlagworte sind nebst dem gewählten Aus-druck: zivile Sphäre, Zivilgesellschaft, soziale Bewegung, zweite Öffentlichkeit, politische Öffentlichkeit oder auch Spielraumforschung. Jeder Begriff hat seine eigene Entstehungsgeschichte, eigenen Bedeutungswandel und eigenen Kontext.

Diese Begriffe werden nicht eindeutig angewendet, doch steht gerade der Begriff der Zivilgesellschaft historisch betrachtet im Zusammenhang mit der Verbürgerli-chung. In der folgenden Arbeit präsentiert er sich als ein Projekt der Aufklärung.

Im Aufsatz „Was ist Aufklärung?“ bestimmt Kant das Prinzip der Aufklärung als die Selbstbefreiung von jeder Art von Unmündigkeit, die Loslösung von den vielen Vormündern und als Fähigkeit und Mut, „sich seines Verstandes ohne Lei-tung eines anderen zu bedienen“. Nach Kants Einschätzung ist es „für jeden ein-zelnen Menschen schwer, sich aus der ihm beinahe zur Natur gewordenen Un-mündigkeit herauszuarbeiten“, dass aber ein Publikum sich selbst aufkläre“, hält er nicht nur für möglich, sondern sogar für unausbleiblich, wenn man ihm nur die erforderliche Freiheit des Räsonierens liesse. Kant postuliert daher die Freiheit des öffentlichen Gebrauchs der Vernunft, das heisst der Räsonierfreiheit „vor dem ganzen Publikum der Leserwelt“, mit anderen Worten: vor der Gelehrtenrepublik oder der „Weltbürgerschaft“. Vom aufgeklärten Staatsoberhaupt erwartet Kant die Einsicht, „dass selbst in Ansehung seiner Gesetzgebung es ohne Gefahr sei, seinen Untertanen zu erlauben, von ihrer eigenen Vernunft öffentlichen Gebrauch zu machen“.15 Bei dem gewählten Thema geht es, wenngleich in einem anderen hi-storischen Kontext, doch ebenfalls um die zitierten Postulate.

In der erfassten indigenen Begriffswahl der Akteure kommt es selten zur Ver-wendung dieses Begriffs, doch während sich einige Repräsentanten der späteren demokratischen Opposition in einem langsamen Prozess dazu durchringen, ent-wickelt es sich in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre zu einem Programm, einer Forderung einer breiteren Bewegung.

14 Medick, Hans a.a.O.

15 Kant, Immanuel, Was ist Aufklärung, München, 1910.

„Bürgerliche Gesellschaft“ wurde zum anti-absolutistischen Kampfbegriff mit dem Ziel des mündigen Bürgers, in den sich der Untertan zu verwandeln habe.

Osteuropäische Dissidenten, wie Konrád, Havel, Geremek und andere stellten sich in ihren systemkritischen Milieus zwischen Untergrund und gegängelter Öffent-lichkeit, in die Tradition westlich-liberaldemokratischen Denkens und zielten mit der Forderung nach Zivilgesellschaft auf den Schutz des Individuums vor dem Staat, auf die Herrschaft der Gesetze und die Teilung der Gewalten, auf das Recht und die Pflicht gesellschaftlicher Selbsttätigkeit und auf die Mündigkeit der Bür-ger als citoyens und citoyennes, auch auf Solidarität, Moral und Authentizität in der Politik, die es neu zu konstruieren gelte.16

János Kis, einer der Hauptrepräsentanten der demokratischen Opposition, schildert im Vorwort seines Werkes17 die Schritte, die er als Philosoph unternahm und welche ihn „vom humanistischen freiheitszentrierten Neomarxismus der Lu-kács–Anhängerschaft“ entfernten und schliesslich zu den Prinzipien der Men-schenrechte brachten, die er als unvereinbar ansieht. Nach einer Phase theoreti-scher Überlegungen begann er, sich auch praktisch für die Unternehmungen der demokratischen Opposition zu betätigen.

Das Buch ist eine moralphilosophische Studie über die Menschenrechte.

Die Mehrheit meiner Freunde kümmerte sich nicht um die Probleme des Nachweises [dass es Menschenrechte gibt]. Nach Helsinki wurde das internationale Recht zu einer starken Berufungsgrundlage. Der Staat konnte nicht mehr sagen, dass die Menschenrechte zu den Unterwande-rungsmitteln der Imperialistischen Ideologie gehörten. Sie konnten aller-lei sagen aber das nicht. Also war es natürlich, das klarzustellen, dass wir Menschenrechte haben.

Bevor ich in der Gründung der demokratischen Opposition einen Bei-trag leistete, wählte ich die Philosophie zu meinem Beruf. Für mich war die Menschenrechtsbewegung nicht nur eine praktische Aufgabe, son-dern eine zu überdenkende weltanschauliche Frage. Als mir 1973 im

„Philosophen-Prozess“ als einem der Betroffenen ein Publikationsverbot und ein Berufsverbot auferlegt wurde, da hatte ich mich schon von der Weltanschauung meiner Jugend distanziert, vom humanistischen frei-heitszentrierten Neomarxismus der Lukács-Anhängerschaft. Doch

16 Kocka, Jürgen, in: Hildermeier (2000). S. 13-40.

17 Kis, János (2003), Vannak-e emberi jogaink? [Haben wir Menschenrechte?] Zum ersten Mal erschien der Haupttext in einer Samisdat–Ausgabe und kam in Paris/Budapest zu einer erweiterten Auflage. S. 11.

fand ich mich noch weit entfernt von jenem Punkt, dass ich in meiner gedanklichen Entwicklung zu einem Ruhepunkt gelangt worden wäre.

Mit dem Begriff „Zivilgesellschaft“18 ist ein Entwurf menschlichen Zusam-menlebens gemeint, der in der Aufklärung entstand, seitdem vielfach verändert wurde und in weiterer Veränderung begriffen ist. In unterschiedlichen historischen Konstellationen wurde und wird Zivilgesellschaft unterschiedlich definiert. Erst recht variabel sind Grad und Art ihrer Realisierung. Generell lässt sich sagen: Zu

„Zivilgesellschaft“ gehört ein hohes Mass an gesellschaftlicher Selbstorganisation, z.B. durch Vereine, Assoziationen, und soziale Bewegungen mit entsprechenden Ressourcen wie Vertrauen, Kommunikationsfähigkeit und Bildung.

Mit dem Problem einer genaueren Definition des Begriffs Zivilgesellschaft be-schäftigt sich Jürgen Habermas in seinem Werk „Strukturwandel der Öffentlich-keit“.19 „Die zentrale Fragestellung des Buches wird heute unter dem Titel einer

<Wiederentdeckung der Zivilgesellschaft> aufgenommen.“20

„Der vage Begriff der Assoziationsverhältnisse knüpft nicht von ungefähr an jenes <Vereinswesen> an, das einst das soziale Stratum der bürgerlichen Öffent-lichkeit gebildet hat. Er erinnert auch an die inzwischen gängige Bedeutung des Ausdrucks <Zivilgesellschaft>, die anders als die moderne, seit Hegel und Marx übliche Übersetzung von <societas civilis> in <bürgerliche Gesellschaft>, die Sphäre einer über Arbeits-, Kapital- und Gütermärkte gesteuerten Ökonomie nicht mehr einschliesst. In den einschlägigen Publikationen sucht man vergeblich nach klaren Definitionen. Den institutionellen Kern der <Zivilgesellschaft> bilden je-denfalls nicht-staatliche und nicht-ökonomische Zusammenschlüsse auf freiwilli-ger Basis, die, um nur unsystematisch einige Beispiele zu nennen, von Kirchen, kulturellen Vereinigungen und Akademien über unabhängige Medien, Sport- und Freizeitvereine, Debattierclubs, Bürgerforen und Bürgerinitiativen bis zu Berufs-verbänden, politischen Parteien, Gewerkschaften und alternativen Einrichtungen reichen.“21

Die Konjunktur des Begriffs der Zivilgesellschaft begründet Habermas mit „je-ner Kritik, die vor allem Dissidenten aus staatssozialistischen Gesellschaften an der totalitären Vernichtung der politischen Öffentlichkeit geübt haben. Eine wich-tige Rolle spielt dabei der kommunikationstheoretische Begriff des Totalitarismus, den Hannah Arendt entwickelt hat. Vor dieser Folie wird verständlich warum in der Zivilgesellschaft die meinungsbildende Assoziation, um die sich autonome Öffentlichkeiten kristallisieren können, eine prominente Stellung einnehmen. Die

18 Eine Problematisierung und einen Versuch der historischen Begriffsbestimmung unternimmt Kocka, Jürgen, in: Hildermeier, S. 14f.

19 Habermas, Jürgen, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, (Erste Erscheinung 1962), Frankfurt a.M., Neuauflage 1990

20 Ebd., S. 45

21 Ebd., S. 46

totalitäre Herrschaft unterwirft gerade diese kommunikative Praxis der Bürger der Kontrolle der Geheimdienstapparate.“22

Diese Arbeit sieht in der Frage der Möglichkeit der Zivilen Sphäre eine Art Gradmesser der Spielräume. Es gilt auch die Eigenheiten für das frühere Osteuro-pa zu bestimmen, denn mit „bestimmten Familienformen z.B. klientelistischen, alles dominierenden, sozialen Beziehungen tendenziell monopolisierender Art – dürfte Zivilgesellschaft jedenfalls nur schwer kompatibel sein“.23 Anders als im 19. Jahrhundert ist das zivilgesellschaftliche Projekt heute kaum noch einer klar umrissenen sozialen Trägerschicht zuzuordnen, wie es umgekehrt schwer ist, in der inländischen Bevölkerung jene Gruppen eindeutig zu benennen, die von den zivilgesellschaftlichen Rechten und Pflichten ausgegrenzt sind.24

In der Forschung wird auch der Begriff „politische Öffentlichkeit“25 verwen-det. Einzelne Situationsanalytiker vor Ort, wie János Kis, Adam Michnik und der Soziologe Elemér Hankiss führten in den 1970er und 1980er Jahren auch eigene Begriffe in den Diskurs ein, doch dürfte es sich auch bei ihnen im Wesentlichen um das Konzept der Zivilgesellschaft gehandelt haben.

I.3. ZUR KLÄRUNG DER ZEITLICHEN EINGRENZUNG