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II. Annäherung an handlungsbestimmende Faktoren

II.2.   Konfigurationen der Macht-, Herrschaft- und Gewaltformen

II.2.7.   Anmerkungen zur Verschwörung

Bei der Auseinandersetzung mit Akten der Staatssicherheit, die auf die Strate-gie und die Massnahmen schliessen lassen, wird die „Verschwörung“ zum zentra-len Begriff. Die eigentliche Tätigkeit der Staatssicherheit scheint sich darauf zu spezialisieren, staats- bzw. systemgefährdende Verschwörungen rechtzeitig aufzu-decken oder zu verhindern.

Während das System über einen Feindbildkanon verfügte, der auf sehr frühe Zeiten zurückgreift, dann aber in der Rhetorik zusehends zu einer moderateren Version überging, änderte sich der diesbezügliche Diskurs bei der Staatssicherheit kaum, er weist eine starke Beständigkeit auf.

Historische Beispiele:

Das Werk „Die Geschichte der KPdSU“143, gehörte zu Beginn der 1950er Jahre zu den weitverbreitetsten Büchern überhaupt und zählte zu dem fundamentalen Kanon des Sowjetsystems. Die darin geschilderte Rolle der Gegner bzw. das Feindbild wie es dort beschrieben wurde, fand auf allen Ebenen, wo das Thema zum Zug kam seinen Widerhall, sei es in Broschüren oder in Berichten zur politi-sche Situation oder in den Artikeln der Parteizeitung „Szabad Nép“ (Freies Volk), seien es Akten des Rajk- oder Mindszenty-Schauprozesses (die Akten wurden publiziert, zum Teil noch vor der Urteilsverkündung).

143 A Szovjetunió Kommunista (Bolsevik) Pártjának Története. Rövid tanfolyam. Budapest, 1950 [Die Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Schnellkurs.]

Beschrieben wird eine geradlinig verlaufende Geschichte, mit den Hauptakteu-ren Lenin, der KP, ihHauptakteu-ren Organen, dem ZK etc. und Stalin, der den Weg unbeirrbar weitergehen will, während feindlich gesinnte Akteure, wie Trotzkisten, Zinovjevi-sten, Bucharinisten beständig die Partei und den Sowjetstaat unterminieren.

In kaum zu überbietender Bösartigkeit und Boshaftigkeit lassen sie keine Gele-genheit aus, um ihre schädliche Tätigkeit voranzutreiben144.

„Die Trotzkisten beabsichtigten im Grunde genommen die Gründung einer Organisation der politischen Bourgeoisie, eine andere Partei, die Partei der kapitalistischen Restauration.145

(…) Im Sommer des Jahres 1926 vereinigten sich die Trotzkisten und die Zinowjewisten in einem parteifeindlichen Block, versammelten alle Reste der aufgelösten oppositionellen Gruppen und begründeten die Ba-sis der antileninistischen Untergrund-Partei.146

Diese organisieren stets Plattformen, Blöcke und Kreise und verrich-ten Wühlarbeit bzw. Unterhöhlungspolitik gegen die Partei und sie ver-langten eine allgemeine Parteidiskussion vom ZK.“147

„Zum Schein stimmten sie mit den Beschlüssen des ZK überein, sie klagten sogar, dass es nicht schnell genug gehen würde, in Wahrheit aber trieben sie Spott [genau das Gegenteil aber wollten sie erreichen].”148 Im Prinzip sind in diesem Werk die Embleme, die Haupt-Topoi sowie das Feld umschrieben, auf die im zukünftigen Diskurs ständig zurückgegriffen wurde. In diesem Sinn gehörte es („stilistisch“) zum Grundlagenwerk für grosse Teile des sowjetischen Machtbereichs. Zur Erklärung der jeweiligen Auseinandersetzungen kann es also als Vorlage betrachtet werden, welche bereits die Diskursregeln des ideologischen Scheins enthält. Über die Motivation hinter den Handlungen (z.B.

Interpretation des Rajk-Prozesses) kann man hier jedoch nichts erfahren.

Auffallend bei den in den Schauprozessen überführten Kommunisten ist, dass es sich in jener Lesart um quasi genuin schädliche Personen handelt, ihre Verge-hen werden in der Anklageschrift beinahe bis in ihre Kindheit zurückgeführt.

Dieses quasi genuin Schädliche wird im Diskurs der 1970er und 1980er Jahre bei der Staatssicherheit weitergeführt. Der frisch rekrutierte Informant (tmb)

144 Vgl. ebd., S. 298.

145 Ebd., S. 293.

146 Ebd., S. 297.

147 Vgl. ebd., S. 297f.

148 Ebd., S. 298.

„Lázár“, wird an der Hochschule Zeuge einer Auseinandersetzung über die Verga-be eines Preises. „Lázár“ möchte wegen Dringlichkeit sofort dem Staatssicher-heitsoffizier Bericht erstatten. In seinem Rapport an seinen Vorgesetzten sagt der Offizier, dass der geschilderte Vorfall ohne jegliches Interesse für die Staatsicher-heit gewesen sei. Den Grund für die sofortige Berichterstattung sieht der Offizier in der noch ungenügenden Ausbildung des Informanten. Deshalb hätte er den In-formanten sogleich darüber aufgeklärt, welche Vorkommnisse für die Staatsicher-heit von Belang seien:

„Als Beispiel erzählte ich von dem Vorfall am 16. Dezember 1975, als einzelne feindlich gesinnte Studenten die Zurückbeorderung von T.

Xuan, einer südvietnamesischen Studentin ausnutzen wollten, um eine Demonstration zu organisieren.“

Den Kommilitonen wird eine eigene Meinung und eine spontane Reaktion nicht zugemutet. Wer mittels einer Demonstration (die nicht gegen den Staat ge-richtet sein muss) seinen Protest kundtun will, wird vom Offizier per se als „feind-lich gesinnt“, in eine Art ontologische Kategorie eingestuft.

(2) Verschwörung

Dieter Groh, der zum Thema ‚Verschwörung’ schon in den 1980er Jahren ei-nen „grundlegenden Aufsatz“ verfasste, äusserte die Hypothese, Verschwörungs-theorien seien möglicherweise eine „transhistorische Konstante“, zumal wir letzt-lich alle anfällig seien für „verschwörungstheoretisches Denken in seinen mannig-fachen Erscheinungsformen“.149

Wichtig erscheint die Differenzierung der Verschwörung als ein Erklärungs-muster für, von einer bestimmten Gruppe als unvorteilhaft empfundene Ereignis-verläufe, welches in einer bestimmten Ideologie eingebettet sein kann und unter-schiedliche Absichten verfolgt oder Funktionen ausfüllt. Eine wichtige Funktion kann auch die Identitätsstiftung der Gruppe sein. Verschwörungstheorien reduzie-ren „mit ihrer Neigung zur Personalisierung, klareduzie-ren Kausalität und Verantwor-tungszuschreibung die Komplexität der Wirklichkeit auf überschaubare und nach-vollziehbare Muster. In diesem Sinn besitzen sie einen utopischen Kern: Konspira-tionstheorien suggerieren, dass es in der <Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit>, hinter den Kulissen als letzte Instanz noch jemanden gibt (den <Anderen des An-deren>,), der, gewissermassen als Puppenspieler, die Geschichte und die Welt kontrolliert und lenkt; somit widerspiegelt solches Denken letztlich den Wunsch

149 Siehe Traverse, 2004/3, S. 7, und Groh, Dieter, Die verschwörungstheoretische Versuchung oder:

Why do bad things happen to good people?, in: Groh, Dieter, Anthropologische Dimensionen der Geschichte, Frankfurt a.M. 1992, S. 267-304.

nach der Ganzheit und Intaktheit von Welt und Gesellschaft, nach deren Durch-schaubarkeit und Lesbarkeit.“150

Einmal erscheint die Verschwörung als die einer anderen Gruppe unterstellte und imaginierte Handlung und einmal als eine von der Gruppe selbst empfundene Zwangssituation, in der die Herrschaft keine Öffentlichkeit zulässt. Da werden alle Handlungen, auch völlig unpolitische, die aber als solche interpretiert werden könnten, konspirativ vollzogen. Ein Beispiel für eine, allerdings in ihrer letzten Konsequenz - den Schritt an die Öffentlichkeit - nicht realisierte politische Aktion findet sich im folgenden Abschnitt151:

Gábor: Wir haben im Frühling 1955 hinter dem Rücken von Imre Nagy [dem soeben gestürzten Ministerpräsidenten, der für einen antista-linistischen Kurs stand und später während der Revolution noch einmal Ministerpräsident wurde] beschlossen, eine illegale und zu diesem Zeit-punkt ausserordentlich lebensgefährliche Aktion zu starten: Wir wollten kleine Klebezettel mit Pro-Imre-Nagy- und Rákosi- bzw. Anti-Farkas-Texten herstellen und überall in der Öffentlichkeit verbreiten. Mit

‘wir’ sind Juca und ich, Miklós, Péter Kende, Pál Lőcsey und, wenn ich mich recht erinnere, Gábor Lénárt gemeint. Wir ersannen zwei, drei ganz kurze Texte:

RAKOSI = ELEND IMRE NAGY = WOHLSTAND

MIHALY FARKAS = KRIEG IMRE NAGY = FRIEDEN

Die technische Vorbereitung wurde mir anvertraut. Meine Idee war, ganz gewöhnliche Klebeetiketten zu verwenden, wie sie auf Konfitüre-gläser oder Schulhefte geklebt werden: kleine, weisse Quadrate mit blau-em Rand und hinten gummiert. Nur die gummierte Hinterseite sollte be-schriftet werden. Wir wollten die Etiketten zusammen mit einem nassen Schwamm in der Tasche haben und sie, wann immer möglich, auf die Fenster von Autobussen oder Strassenbahnen kleben. Dank der weiss ge-lassenen Vorderseite der Etiketten war die Gefahr für denjenigen, der klebt, weniger gross, sofort geschnappt zu werden, da die Texte nur jen-seits der Scheibe gelesen werden konnten. Wir planten mit ein paar hun-dert solcher Etiketten zu beginnen und je nach Echo allenfalls noch mehr

150 Siehe Traverse, ebd.

151 Die meisten aufgezählten Akteure sind dem Verfasser persönlich bekannt mit ihnen wurde im Zusammenhang eines anderen Projektes ein Lebensweginterview durchgeführt. Eine Lebens-wegerzählung, die sich über mehrere Generationen der Familie Gimes-Magos-Kende erstreckte, wurde in einer Arbeit von Regula Schiess herausgegeben.

herzustellen. Ich ging in Handschuhen durch die Stadt, betrat immer wieder Papeterien und kaufte einmal 5, dann 10 Etiketten. Da ich mit Handschuhen arbeitete, waren auf den Etiketten nur die Fingerabdrücke der Verkäufer zu sehen, und es war nicht anzunehmen, dass ein paar Dutzend Verkäufer bei einer allfälligen Untersuchung verdächtigt wür-den. Ich schrieb die Texte nachts im Badezimmer auf meiner Schreibma-schine. Ich verbog zwei Typenhebel um ein wenig, so dass die Buchsta-ben zwar noch geschrieBuchsta-ben wurden, aber etwas schief aufs Blatt kamen.

Meine Absicht war, die Buchstaben nach Beendigung der Arbeit wieder zurück zu biegen, so dass die Schrift unserer Maschine nicht mit jener des gedruckten Textes übereinstimmen würde. Ich wollte damit den Fahndern eine falsche Fährte legen. Natürlich trug ich beim Schreiben wieder Handschuhe - diesmal waren es Damenmodelle aus Zwirn. Ich begann die Arbeit immer um Mitternacht, damit ja niemand im Haus auf mein Tun aufmerksam würde.

Als ich den Mitgliedern der Verschwörergruppe melden konnte, die Arbeit sei getan, wir könnten jetzt mit dem Kleben beginnen, kam die Überraschung: Einer nach dem anderen stieg aus, jeder wieder mit einer anderen Begründung. Natürlich hatten wir alle Angst, aber keiner gab die Angst zu. Wir waren uns auch alle nicht sicher, ob wir Imre Nagy mit dieser, von ihm auf jeden Fall unerwünschten Aktion einen Dienst er-weisen würden. Am Schluss waren nur noch Miki, Juca und ich zum Kleben bereit, und wir sagten uns, dass die Sache so wirklich keinen Sinn mehr hatte. Ich verbrachte einige Nächte damit, die Etiketten ein-zeln in kleine Stücke zu reissen und das Klo hinunterzuspülen, darauf achtend, das sie das Klo nicht verstopften.152

Auch sind auf der Ebene der Interpretation der offensichtlich manipulierten In-formationen, der Suche nach der eigentlichen Botschaft, Anhaltspunkte verschwö-rungsähnlicher Formen nicht wegzudenken. Sieht man auf die politische Praxis, wie z.B. verschiedene Parteisekretäre gestürzt wurden Chruschtschow, Kádár oder Honecker, so handelte es sich tatsächlich um verschwörungsähnliche Aktionen.

Dies war wohl die einzige gangbare Möglichkeit in einem System, das nicht ein-mal der obersten Führungselite eine miniein-male Öffentlichkeit zugestand.

Auch sind die Erscheinungen der Verschwörung im politischen Diskurs nicht auf den Ostblock zu reduzieren, ähnliche Vorgänge spielten sich auch auf der an-deren Seite des bipolaren Systems des Kalten Kriegs ab153.

152 Schiess (1999), 308f.

153 „Am 4. April 1949 war im Westen der Nordatlantische Verteidigungspakt (NATO) geschlossen worden. 1951 erhöhte sich der Militäretat der Vereinigten Staaten sprunghaft um 500%. Der Kommunismus galt in jener Zeit in den USA offiziell als ‘internationale Verschwörung’, und je-der Kommunist wurde als ‘ausländischer Agent’ gesehen. Es kam zu Massenverhaftungen von