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II. Annäherung an handlungsbestimmende Faktoren

II.2.   Konfigurationen der Macht-, Herrschaft- und Gewaltformen

II.2.8.   Staatssicherheit - Jugend und Kultur

Zur Reform des Kádár-Regimes gehörte auch eine Neuausrichtung des „Pflich-tenheftes“ der Staatssicherheit. Als einige der wichtigsten Bestimmungen (auch für die in dieser Arbeit fokussierte Periode) gelten die im geheimen Befehl Nr.

0022 formulierten Richtlinien des Innenministers Benkei, datiert auf den 25. Sep-tember 1970. Dieser bemühte sich um eine Reduktion und eine Art pragmatische Konzentration der Kräfte auf die wesentlichen Gefahrenpotenziale.

Dabei werden zwei besondere Zielgruppen als Gefahrenpotenziale für die inne-re Sicherheit anvisiert. Es handelt sich um zwei sehr komplexe Sammelbegriffe:

„das Gebiet der Kultur“ und wenn auch nicht so explizit benannt aber immer un-terschwellig vorhanden: die Jugend154.

Von 1972 bis zur Wende existierte innerhalb der Abteilung III/III für die innere Abwehr der Reaktion eine Unterabteilung, die III/III-2, die sich mit der Abwehr auf dem Gebiet der Jugend befasste (dazu gehörten Institutionen der Bildung, Clubs, und verschiedene von Jugendlichen frequentierte Einheiten der Gastwirt-schaft). Die Unterabteilung III/III-4 war für den Bereich der Kultur zuständig155.

Welches Bild über das Gefahrenpotenzial der Jugend bei der Staatssicherheit existierte, repräsentiert ein längerer Aufsatz eines Offiziers, Frau Szopov, die in einer „streng geheimen“ Arbeit eine „Lagebeurteilung über Jugendliche, die staatsfeindliche und andere Verbrechen begangen haben untersucht und welche von einem Strafprozess erfasst worden sind“156. Zu den häufig von Jugendlichen begangenen Straftaten gehören: Versuchte Grenzüberschreitung, Verschwörung, Aufwiegelung, die Verweigerung, nach Hause zu kommen157. Daneben werden weitere Vergehen aufgezählt: „Revolte, Zerstörung, Spionage, unerlaubtes Horten

Kommunisten. Als ‘Roter’ denunziert zu werden bedeutete, die Stelle zu verlieren. Es kam zu Untersuchungen wegen ‘unamerikanischer Aktivitäten’ veranlasst durch eine Senatskommission, präsidiert von Senator Joseph (sic!) McCarthy. Auch mit dem Konzept der ‘umstürzlerischen Organisation’ konnten die demokratischen Spielregeln nach Lust und Laune der Regierung um-gangen werden. (Schiess, S. 273.)

154 Im oben erwähnten geheimen Lexikon für Staatssicherheit steht unter dem Schlagwort „Jugend-schutz: „... die in politischen Kämpfen unerfahrene Jugend reagiert empfindlich auf feindliche Einflüsse und auf Verbrechen. Ihr Schutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Organe der Staatssicherheit verrichten keine Abwehrarbeit, sondern üben in Zusammenarbeit mit ande-ren Partner-, Staats- und Gesellschaftsorganen auf diesem Gebiet eine Schutzfunktion aus.“

155 Vgl. Unger, Gabriella, Ellenkultúra és állambiztonság, [Gegenkultur und Staatssicherheit], In:

Gyarmati György (Hg.), Az Átmenet évkönyve 2003, Trezor 3, Budapest, 2004, S. 165-188. Hier S. 166f.

156 So lautet der Titel der „Facharbeit“. ÁBTL: A 2035. Datiert auf den 15. September 1969.

157 Das kam beispielsweise vor, wenn ein legal mit Reisepass sich im Ausland befindender Jugendli-cher beschloss, im Ausland zu bleiben.

von Waffen, Verletzung des Staatsgeheimnisses, die Unterlassung einer Anzeige-erstattung, Mitwirkung in einer illegalen oder religiösen Gruppe, Devisen- und Zollvergehen, andere kriminelle Vergehen“.158

Bei der Einführung bemerkt Szopov:

Gemäss der Lagebeurteilung unserer Partei am IX. Kongress … ent-wickelt sich unsere Jugend in einer gesunden Weise, ihr sozialistischer Geist wird zusehends stärker. Allerdings erreichen einen Teil der Ju-gendlichen feindliche Ideologien, weil sie die Widersprüche unserer Entwicklung und die Probleme der Aufbauarbeit nicht verstehen.

Anders als bei der Instruktion einer äusseren Mitarbeiterin/Informantin159 wird hier den Jugendlichen zunächst noch eine gewisse Spontaneität zugebilligt. Wie in einem folgenden Teil noch genauer erörtert wird, gehört auch hier das spezielle Augenmerk dem Phänomen der Verschwörung:

Die illegalen Handlungen, die von Jugendlichen begangen wurden, waren bezüglich ihres politischen Inhalts spontan entstanden, so hatten sie sich zu Beginn noch ohne eine staatsfeindliche Zielsetzung organi-siert. Die Jugendlichen wollten bei den illegalen Aktionen bisweilen bloss an abenteuerlichen und risikoreichen Unternehmungen teilhaben.

Die politische Zielsetzung, ihre staatsfeindlichen Vorstellungen, gene-rierten sie erst - und das im Stil des Überschwangs -, als sie zu Waffen und Sprengstoff gelangten. Statt einer politischen Plattform (sic!) äfften sie voreinander von Anderen übernommene Losungen nach.

Beispiel: Einzelne Mitglieder einer Gruppe von jugendlichen Ver-schwörern sagten: „Gemäss den leninistischen Normen wollen wir das Land regieren“, doch hatten sie keine Ahnung vom Inhalt ihrer Aussage.

Wegen ihrer Orientierungslosigkeit in Sachen der Konspiration und der Organisation galt für die Mehrheit der sich verschwörenden jugend-lichen Gruppen eine lockere Organisation. Es gab auch solche Gruppen, wo die Anwerbung einzelner Mitglieder nur über persönliche Bekannt-schaft, FreundBekannt-schaft, ohne die geringste Vorsicht vollzogen wurde. Zwar legten die Mitglieder der Gruppen einen Eid zur Geheimhaltung ab, doch dies ausser Acht lassend sprachen sie auch vor äusseren Personen offen über ihre Pläne.

In einzelnen Fällen bemühten sie sich um die Einbeziehung von Per-sonen „mit Führungsqualitäten und entsprechender Vergangenheit“.

158 Siehe Fussnote 124.

159 Siehe „Lázár“, Kap.IV.7 (1).

Bisweilen setzen sie sich verschiedene Formen feindlicher Aktionen zum Ziel: die Verbreitung von Flugblättern, Beschaffung von Waffen, Sprengstoffanschlag, das Organisieren offener Aktionen, etc. Aber bis zur Entdeckung bzw. bis zur Beendigung ihrer Aktionen sprachen sie über diese Dinge nur unter sich. Gleichzeitig dürfen solche jugendliche Gruppen nicht unterschätzt werden, da sie aus Unüberlegtheit, aufgrund naiver Vorstellungen sofort aktionsfähig und für extremfeindliche Tätig-keiten anfällig sein können, gerade darin besteht ihre gesellschaftliche Gefahr.

Steigerung: Wohin es führen kann:

Eine gesellschaftlich noch gefährlichere Lage kann dann entstehen, wo politisch reife, bewusste und verstockt feindlich eingestellte Personen zu den Gruppen stossen, oder wo die illegale Gruppe aus „Gangs“160 be-steht und sich zu einer illegalen Form mit staatsfeindlichen Aktivitäten entwickelt hat. Bei diesen sich verschwörenden Gruppen gerieten bereits Aktionen in den Vordergrund, die sich in erster Linie durch feindliche Aufwiegelung, Staatshetze und in einer allgemein antisowjetischen Pro-paganda äusserte. Hinzu kamen konterrevolutionäre Forderungen, sowie Äusserungen nationalistischer und faschistischer Losungen. Die aus Ju-gendlichen bestehenden, sich verschwörenden Gruppen haben ihre Tä-tigkeit aufgrund verschiedener aussen- und innenpolitischer Ereignisse intensiviert.

Szopov inszeniert eine Steigerung des Gefahrenpotenzials, welches von den sich verschwörenden jugendlichen Gruppen ausgehen konnte. In der Praxis (wie auch weiter oben erwähnt) muss wohl ein wachsamer Staatssicherheitsbeamter stets mit dem Schlimmsten rechnen: Ein gefundenes „Dosszié“ im ÁBTL ent-sprach ungefähr dieser Konstruktion, wie es Szopov in der extremsten Form be-schrieben hat. Die Akten jenes „Objektum Dossziés“161 „dokumentieren“ Angaben über die Mitglieder einer solchen vermeintlichen Verschwörergruppe. Zunächst sind zahlreiche Informationen über die betroffenen Personen enthalten (Herkunft, Lebenslauf, schulische Zeugnisse, Auskünfte von Bezugspersonen, etc. und

160 In der sich entwickelnden Jugendkultur unterschied die Führung zwischen abzulehnenden Strö-mungen und jenen, die sie partiell unterstützte. Erstere wurden unter den Begriff „Galeri“ (Gang) zusammengefasst, wobei es sich für konventionell Denkende um eine antiautoritäre und auch in der Kleidung und Haartracht provokative und unberechenbare Erscheinungen handelte. Demge-genüber wurde eine eher konformere Form der „Disco-Jugend“ von der KISZ vereinnahmt und in ihrem unpolitischen, eher auf Konsum ausgerichteten Stil unterstützt und propagiert. Diese Er-läuterungen verdankt der Verfasser dem Historiker Sándor Horváth.

161 ÁBTL 315. 0-12169, „Olmosok“, eröffnet am 26. 03. 1964.

trait-Photographien). Die Gruppe bzw. deren einzelne Mitglieder werden obser-viert, es folgen Informantenberichte und schliesslich wird eine geheime Haus-durchsuchung vollzogen, wobei die corpora delicti - ein Messer (das irgendein Küchenmesser hätte sein können), ein Stempel, ein Adressbuch, quasi Insignien der Untergrundpartei, sowie eine Liste von Büchern -, als belastende „Beweismit-tel“ aufgeführt werden. Bei den Personen handelte es sich um durchschnittlich 16 jährige Schüler, die gemäss den Informanten (zwei der vierköpfigen Gruppe sind Informanten) eine „Magyar Keresztény Demokrata Munkáspárt“, Ungarische Christlichdemokratische Arbeiterpartei (sic!), gründen wollten. Die Staatssicher-heit ergreift kurz nach der erfolgten Hausdurchsuchung die Mitglieder der Gruppe und lässt sie verhören. Nach dem beigefügten Protokoll im Dossier blieb es nach einer angedrohten Anklage, die formal ausformuliert wurde, bei einer Verwar-nung.

Aus diesen Quellen allein lässt sich kaum eruieren, was die eigentliche Absicht jener Teenager war. Es ist möglich, dass die zeitliche Nähe zur Revolution, in der Jugendliche (auch sehr junge 13-14 Jährige) eine spezielle Rolle spielten und selbst in der westlichen Rezeption Eingang in die Revolutions-Ikonographie fan-den, die Jugendlichen zu politisch-oppositionellen Gesprächen und Handlungen inspirierte.

Aufgrund der, bis zu einem gewissen Grad überprüfbaren Objekte, die Fotos der „Beweismaterialien“, haben jene Vertreter der Staatssicherheit eher die Bestä-tigung ihrer eigenen Konstruktion, wie sie von Szopov beschrieben wurde, vorge-funden.

Hatte der weiter oben genannte Befehl Nr. 0022/1970 des Innenministers Ben-kei das Ziel einer Reduktion bzw. Konzentration seiner Kräfte und MöglichBen-keiten, erscheint das definierte Feld angesichts dieser aufwendigen Untersuchungsmetho-den nahezu uferlos.