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Schwierigkeiten mit räumlichen Künsten und Poesie

Das zähe Festhalten an Lessings Dichotomie von sukzessiven und simultanen Kunstmitteln hinderte Heydenreich logischerweise daran, ein Gemälde, eine Skulptur oder einen Garten als ›Malerei‹ oder ›Kopie‹ von Empfindungen an-zuerkennen, weil sie als im Raum ausgedehnte Formen nicht fähig sind, die zeitliche Dimension menschlicher Gefühle entsprechend nachzuahmen. Im

36 Die vollkommenste universale Sprache der Empfindungen sah Heydenreich in der Mu-sik. Diese sei »die einzige Kunst, welche Gefühle und Leidenschaften im vollen Sinne des Wortes kopieren kann.« Sie ermögliche außerdem die vollkommene Einfühlung in andere Menschen: »[I]ch höre in der Sprache des Tonkünstlers die eigene Sprache meines Herzens, mein Gefühl erkennt sich gleichsam im Spiegel des seinigen wieder.«

Vgl. Heydenreich: System (wie Anm. 4), 166, 236. In einer früheren Schrift führte Heydenreich die Parallele zwischen Musik und Sprache auf Johann Gottfried Herders anthropologische Abhandlung über den Ursprung der Sprache (Berlin 1772) zurück und zitierte daraus: »Das war gleichsam der letzte Druck der bildenden Natur, dass sie jedem das Gesetz gab: empfinde nicht nur für dich allein, sondern dein Gefühl töne!« Vgl.

Karl Heinrich Heydenreich: »Ideen über die Möglichkeit einer allgemeinen Theorie der schönen Künste«. In: Denkwürdigkeiten aus der philosophischen Welt 3 (1786), 162 f. Später im System der Aesthetik wird ebendieser Gedanke Herders über den Ursprung der Sprache aus dem inneren Drang des Menschen, seine Gefühle zu äußern, zum an-thropologischen Grundprinzip, aus dem Heydenreich alle schönen Künste abzuleiten versucht.

37 Architektur hielt Heydenreich zu dieser Zeit noch gar nicht für schöne Kunst. Bereits in seiner ersten ästhetischen Abhandlung hatte er festgestellt, dass ihr Hauptendzweck immer bloß physischer Nutzen sei und keine Erregung angenehmer Empfindungen.

Vgl. Karl Heinrich Heydenreich: »Ideen über die Möglichkeit« (wie Anm. 36), 266.

Erst später sollte er den Primat der ästhetischen Funktion solcher Gebäude wie Kirchen oder Paläste anerkennen. Vgl. Karl Heinrich Heydenreich: »Neuer Begriff der Baukunst als schönen [sic!] Kunst«. In: Deutsche Monatsschrift 9 (1798), 3, 160–164.

Falle der Poesie lag das Problem an einer anderen Stelle. Poesie besteht zwar aus Reihen von nacheinander folgenden Wörtern und zählt somit zu den suk-zessiven Kunstmitteln. Als solche schafft sie es, mit ihren prosodischen Qua-litäten Empfindungen gewissermaßen akustisch nachzuahmen. Prosodie hielt Heydenreich jedoch nicht für die wichtigste Komponente des poetischen Aus-drucks. Nicht Klang, sondern Semantik der Wörter sei das Wesentliche an der Poesie.38 Das Problem war aber, dass zwischen Wörtern und dem, was sie be-deuten, keine »reelle Ähnlichkeit« existiert.39 Anders gesagt, die Wörter sind keine natürlichen, sondern konventionelle Zeichen und können deshalb keine Empfindungen malen. Aus ästhetikgeschichtlicher Perspektive ist darin eine in-teressante Wende zu bemerken. War zuvor die Musik die Anomalie im Rahmen des Nachahmungsprinzips, so sind es nun bildende Künste, Gartenkunst und Poesie im Rahmen des Ausdrucksprinzips.40

Heydenreichs Lösung des Dilemmas erscheint auf den ersten Blick wie ein Rückschritt in die klassische Nachahmungstheorie. Er behauptete nämlich, dass die bildenden Künste, Gartenkunst und Poesie zwar keine Empfindungen kopieren, aber immerhin den Gegenstand »darstellen«41 oder »schildern«42 könnten (was Heydenreich als Synonym für das ›Nachahmen‹ entweder tat-sächlicher oder möglicher Realität zu verstehen scheint43), der diese Empfin-dungen in der Seele des Künstlers erregt hatte. Diese Lösung führt jedoch zu weiteren theoretischen Schwierigkeiten. Es scheint nämlich, als ob die bilden-den Künste, Gartenkunst und Poesie in Heybilden-denreichs Kunstsystem lediglich

38 Heydenreich: System (wie Anm. 4), 179.

39 Ebd., 174.

40 Vgl. Scholtz: Der Weg zum Kunstsystem (wie Anm. 8), 23.

41 Heydenreich: System (wie Anm. 4), 174.

42 Ebd., 156.

43 Obwohl Heydenreich im System der Aesthetik in Bezug auf Poesie ausschließlich die Ter-mini »Darstellung« und »Schilderung« verwendete, beweist die folgende Stelle aus sei-nen Ideen über die Möglichkeit einer allgemeisei-nen Theorie der schösei-nen Künste, dass er den Begriff der Darstellung als im nahen Zusammenhang mit dem Begriff der Nachahmung des Wahren oder des Möglichen verstand: »Darstellungen von Reihen von Begeben-heiten [in der Poesie] nennen wir schön, wenn sie bis zur Täuschung war nachgeahmt, oder bis zur Täuschung der Möglichkeit nachgebildet sind.« Vgl. Heydenreich: Ideen (wie Anm. 36), 278. Dass Heydenreich auch Gartenkunst als eine Art Nachahmung verstand, geht bereits aus dem Titel seiner späteren Schrift klar hervor: »Philosophische Grundsätze über die Nachahmung der landschaftlichen Natur in Gärten«. In: Ders.:

Originalideen über die interessantesten Gegenstände der Philosophie. Leipzig 1793, I, 193–

230. Einzig im System der Aesthetik wird der Terminus ›Nachahmung‹ nur in Bezug auf bildende Künste erwähnt. Vgl. Heydenreich: System (wie Anm. 4), 291.

Künste zweiten Ranges wären, die sich wegen ihrer begrenzten Ausdrucksfä-higkeit mit jenen unmittelbar ausdrückenden (gefühlsmalenden) Künsten wie Musik, Tanz und Pantomime nicht messen könnten. Diese Konsequenz wäre doch skandalös, und zwar besonders im Falle der Poesie, der traditio-nellen Domäne großer Leidenschaften. Das konnte Heydenreich (selbst Autor mancher lyrischer Gedichte44) nicht zulassen. Darüber hinaus hatte er – an-gestoßen von Kants skeptischer Bemerkung in der Kritik der reinen Vernunft bezüglich der Möglichkeit einer wissenschaftlichen Begründung der Ästhe-tik45 –   geplant, seine Ästhetik als ein anthropologisches, »auf feste[n] und unwandelbare[n] Anlagen in der menschlichen Natur«46 beruhendes Projekt zu fassen. Er glaubte, dass alle Künste die Empfindungen in gleicher Weise

»notwendig und allgemeingültig«47 ausdrücken müssten, weil sie alle »Resul-tat notwendiger Gesetze unsers Wesens«48 seien. Um diesen methodologischen Anforderungen gerecht zu werden, musste er demonstrieren, dass die bildenden Künste, Gartenkunst und Poesie Empfindungen mit derselben Notwendigkeit und allgemeiner Verständlichkeit wie Musik, Tanz oder Pantomime ausdrücken können, obwohl dieser Ausdruck nur indirekt, über den Umweg der Gegen-standsnachahmung realisierbar ist.

Eine Idee, wie die universale Sprache von Empfindungen durch Darstel-lung, Schilderung bzw. Nachahmung eines Gegenstandes erfolgen sollte, deu-tete Heydenreich jedoch nur leicht an – noch dazu nur in Bezug auf Poesie. Der Dichter stelle den Gegenstand (Stoff) dar, der in ihm eine »tiefe Rührung«49

44 Karl Heinrich Heydenreich: Gedichte. Leipzig 1794.

45 Heydenreich verweist auf die erste Auflage der Kritik der reinen Vernunft, in der Kant in einer bekannten Fußnote schreibt: »Die Deutschen sind die einzigen, welche sich des Worts Aesthetik bedienen, um dadurch das zu bezeichnen, was andre Kritik des Geschmacks nennen. Es liegt hier eine verfehlte Hofnung zum Grunde, die der vor-treffliche Analyst Baumgarten faßte, die kritische Beurtheilung des Schönen, unter Ver-nunftprincipien zu bringen, und die Regeln derselben zur Wissenschaft zu erheben.

Allein diese Bemühung ist vergeblich. Denn gedachte Regeln oder Kriterien, sind ihren Quellen nach blos empirisch, und können also niemals zu Gesetzen a priori dienen, wornach sich unser Geschmacksurtheil richten müßte, vielmehr macht das letztere den eigentlichen Probierstein der Richtigkeit der ersteren aus.« Heydenreich: System (wie Anm. 4), 81 f. Vgl. Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft. Riga 1781, 21.

46 Heydenreich: System (wie Anm. 4), 65.

47 Karl Heinrich Heydenreich: Vorbereitung einer Untersuchung über die Gültigkeit der Ge-setze für Werke der Empfindung und Phantasie. Leipzig 1790, 19. In dieser Schrift fasst Heydenreich vor allem die methodologischen Fragen zusammen, die im System der Ae-sthetik ausgeführt werden.

48 Heydenreich: Vorbereitung (wie Anm 47), 15.

49 Heydenreich: System (wie Anm. 4), 248.

erwirkt habe. In demselben Moment drücke er aber eben diesen gerührten Seelenzustand aus. Wie ist das zu verstehen? Heydenreichs etwas enigmatische Antwort war, dass der Dichter den Gegenstand seiner Begeisterung auf eben-solche Weise darstelle, dass durch diese Darstellung sein Gefühl gewisserma-ßen »hervorleuchtet«.50 Der Effekt des Hervorleuchtens gelingt allerdings nur unter einer psychologischen Bedingung. Der gerührte und begeisterte Dichter müsse sich nämlich auf seine eigenen Gefühle bewusst konzentrieren und den Gegenstand mit »Neigung und Liebe« behandeln, was ihn in der Folge »zur vollkommensten Ausbildung seines Stoffes« zwinge.51 Nur unter dieser Bedin-gung würde die poetische Darstellung mit der subjektiven Einstellung ihres Verfassers so eng verknüpft, dass, so Heydenreich, »man keinen Blick in diese Darstellung tun kann, ohne zugleich in das Herz des empfindenden Menschen zu sehen, welcher sie bildete.«52

Durch die Bedingung der optimalen psychischen Einstellung des Dich-ters glaubte Heydenreich, die Frage nach der allgemeinen Verständlichkeit der empfindsamen Sprache der Poesie beantwortet zu haben. Obwohl er diese Ar-gumentation nur im Bereich der Poesie einsetzte, ließe sich doch seine Idee des Hervorleuchtens von Empfindungen rekonstruktiv ebenso auf die bildenden Künste und die Gartenkunst anwenden. Schließlich behauptete Heydenreich selbst, der bildende Künstler sei im Moment seiner Begeisterung, d. h. im Aus-gangspunkt seines Schaffens »noch bloß Dichter«.53 Es gibt also guten Grund zu glauben, dass Heydenreich der Gedanke vorschwebte, dass ein Maler, Bild-hauer oder Gartenkünstler durch die Nachahmung von Menschen, Gegenstän-den oder Landschaften seine Gefühle ebenso hervorleuchten lassen kann wie ein Dichter durch seine poetische Sprache. Erst unter dieser Annahme wäre Heydenreichs Theorie des künstlerischen Ausdrucks zum vollständigen System geworden.

50 Ebd., 253.

51 Ebd., 257.

52 Ebd., 254.

53 Ebd., 290.