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Literatur im Fremdsprachenunterricht in der

Erinnerungsort Literatur? 1

1 Literatur im Fremdsprachenunterricht in der

‚Pragmatik-Falle‘?

Welchen Stellenwert Literatur im Kontext Deutsch als Fremdsprache hat, ist auch abhängig von den Erwartungen, Bedingungen, Zielen und Erfahrungen, die Lehrende und Lernende in diesen Kontext einbringen – in Bezug auf Fremdsprachen im Allgemeinen, in Bezug auf die Fremdsprache Deutsch im Besonderen und in Bezug auf den Umgang mit Literatur im Speziellen.

Die ‚klassische‘ DaF-Situation (außerhalb der amtlich deutschsprachigen Länder) ist der Unterricht in der fremden Sprache Deutsch im staatlichen bzw. privaten Bildungssystem, in der Regel für heranwachsende Lernende.

Er verläuft weithin in der Konstellation Deutsch nach Englisch. Die kon-kreten Bedingungen unterscheiden sich von Land zu Land, in vielen Fällen aber ist mit durchschnittlich 2 Wochenstunden für Lernende zwischen dem 12./13. und 18./19. Lebensjahr zu rechnen, optimistisches Ziel ist das Niveau B1/B1+ (GER). Übergeordnete Bildungsziele, Fachcurricula, Lehrprogramme, Stundentafeln, zugelassene (und bezahlbare) Lehrwerke, verfügbare Lehrmaterialien sowie natürlich die Einstellung von Lernenden und Lehrenden determinieren, was im DaF-Unterrichtsraum konkret pas-siert. Die Lehrkräfte sind in ihrer Mehrheit ‚Produkte‘ konkreter germanis-tischer Ausbildungstraditionen: sowohl im Hinblick auf sprachenpolitische Gewichtungen, auf die Ziele des Fremdsprachenunterrichts, auf Lehr- und Lerntraditionen, auf das Verständnis und die Platzierung von kulturbezoge-nen Lerninhalten sowie – natürlich – in Bezug auf die Rezeptions-, Analyse- und ggf. Didaktisierungstraditionen von Literatur. Weder Lehrende noch Lernende sind in ihrem Umgang mit Literatur im Fremdsprachenunterricht

‚frei‘: Wie der Umgang mit Literatur emotional besetzt ist, welche literari-schen Texte wann und mit welchem Ziel in institutionalisierten Lernkontexten

1 Der vorliegende Text stellt Ansichten zum Thema dar, die die Autorin bereits in früheren Texten und ausschnittweise an anderer Stelle dargelegt hat, vgl. insbesondere Badstübner-Kizik 2014a, 2015a, 2015c, 2015d, 2019.

thematisiert werden, was Lehrende und Lernende vom Umgang mit ihnen (nicht) erwarten, wie mit literarischen Texten (in der Bildungssprache, in anderen Fremdsprachen) konkret gearbeitet wird, ob Literatur eher ‚ernst und erhaben‘ oder als Prozess und Produkt eines kreativen Umgangs mit Sprache/n wahrgenommen werden kann – all das wird zu erheblichen Teilen von einem ‚geheimen Lehrplan‘ determiniert. Hinzu kommt der Stellenwert, der Literatur außerhalb didaktischer Zusammenhänge in der Gesellschaft zu-gemessen wird, darunter dominierend Fragen der Lesesozialisation und des altersspezifischen Leseverhaltens. Inwieweit sind Lesen und Literatur über-haupt (noch) ‚cool‘? Was wird (nicht) freiwillig gelesen? Welche Themen, Zeiten und Gattungen spielen (k)eine Rolle? Wie ist es um Bibliotheken, Buchhandlungen und Buchpreise bestellt? Welche alternativen Quellen, Formen und Rezeptionswege für Literatur (digitale Texte, Filme, Serien, Graphic Novels usw.) sind verfügbar und wie werden sie genutzt? Solche Fragen ließen sich mehren und die Antworten darauf sind je nach Kontext verschieden. Für andere Zielgruppen im DaF-Kontext – Jugendliche und Erwachsene, die in (kommerziellen) Sprachschulen Deutsch als Fremdsprache lernen, Studierende im studienbegleitenden Fremdsprachenunterricht – muss mit einer deutlich pragmatischeren Haltung gerechnet werden. Deutsch als Fremdsprache ist hier stark utilitaristisch konditioniert, der Unterricht verläuft in der Regel entlang kommerzieller Materialien mit deutlich kommunikativen und auf schnellen messbaren Erfolg gerichteten Zielstellungen. Die kulturelle oder gar literarische Attraktivität der deutschsprachigen Länder, die Lust an Sprache/n und ihrem kreativen Potenzial insgesamt, der Wunsch, sich umfas-sende kulturelle Reflexions- und Deutungskompetenzen anzueignen – all das spielt nur selten eine erwähnenswerte Rolle. Um hier Freiräume für Literatur zu schaffen, braucht es auf der Seite der Lehrkräfte eine gehörige Portion Selbstbewusstsein, Argumentationskraft und Durchsetzungsvermögen – ge-genüber Kolleginnen und Kollegen, Vorgesetzten und nicht zuletzt gegen-über Lernenden. Eine vergleichsweise exklusive, wenn auch nicht automatisch günstigere Situation stellt der sprachpraktische Unterricht in der internationa-len Germanistik und verwandten Studienrichtungen dar. Dieses Setting impli-ziert in der Regel eine personelle, inhaltliche und methodische Abkoppelung von ‚seriöser‘, prüfungsrelevanter, chronologisch und systematisch orga-nisierter Literaturgeschichte und Literaturwissenschaft, Literaturdidaktik bleibt dabei häufig marginal. Damit schließt sich ein Kreis: Die Absolvent/

innen dieser Studiengänge arbeiten später vielfach als DaF-Lehrende, aber nicht alle werden bereit und in der Lage dazu sein, die eigenen Erfahrungen und Prägungen in Bezug auf die Rolle und das Potenzial von Literatur im fremdsprachendidaktischen Kontext kritisch zu reflektieren und ihnen ggf.

entgegenzusteuern. Eine stichprobenartige Umfrage (vgl. Badstübner-Kizik 2015a) hat deutlich gemacht, dass Literatur im DaF-Unterricht pragmatischen Zielen gern nach- bzw. untergeordnet, als (zu) schwer eingeschätzt und daher an höhere Sprachniveaus verwiesen wird, dass sie ggf. fast ausschließlich in Form schriftlicher gedruckter Texte erscheint und dass sie oft einseitig funkti-onalisiert wird, als Zulieferer von grammatischen, phonetischen oder lexikali-schen Impulsen, die in Anschlussaufgaben zur schriftlichen und mündlichen Kommunikation aufgehen. Zudem ist eine deutliche Abkoppelung von priva-ten (auch fremdsprachlichen) Leseerfahrungen und -gewohnheipriva-ten zu bemer-ken: Die Lesefreude von Fremdsprachenlehrkräften scheint wenig Einfluss auf ihre eigene Unterrichtspraxis zu haben, die eigenen Vorlieben, Erfahrungen und Bedürfnisse gelten als inkompatibel mit denen von Lernenden – in der Hauptsache wegen deren ‚defizitärer‘ Sprachkenntnisse. Eine besondere Diskrepanz zwischen angenommener didaktischer Eignung und deklarier-ter persönlicher Vorliebe ergibt sich z.B. im Umfeld von Kriminal-, Fantasy- und Spionageliteratur, die zwar als spannend und motivierend eingeschätzt wird, aber sich nicht für den Klassen- und Kursraum eignen würde. Auffällig ist ebenfalls das weitgehende Fehlen von Kinder- und Jugendliteratur, von trans- und intermedialen literarischen Textsorten (z.B. Verfilmung, Graphic Novel) oder von elektronisch zugänglicher Literatur (z.B. die Nutzung von Textdatenbanken). Die Aktualität oder Popularität eines literarischen Textes im zielsprachigen Raum werden ebenfalls kaum als sinnvolles Auswahlkriterium und als Grund für die Thematisierung literarischer Texte in Betracht gezogen.

Im Gegenteil: Deutschsprachige Literatur schneidet hinsichtlich ihrer ange-nommenen Lebensnähe, Relevanz und Anschlussfähigkeit an die Erfahrungen von (jungen) Lernenden ausgesprochen schlecht ab („das interessiert sie nicht / das brauchen sie nicht / das hat nichts mit ihnen zu tun“).

Was können wir angesichts eines solchen recht deprimierenden Befundes tun? Was muss geschehen, damit Lehrende wie Lernende bereit sind, li-terarische Texte im DaF-Unterricht weniger auf ihren vordergründigen ,Informationsgehalt‘ und ‚Nutzen‘, auf lexikalischen und grammatikali-schen Input zu befragen, sondern vielmehr auch oder sogar vor allem auf ihre Bedeutung und Wirkung in der zielsprachlichen Gesellschaft, auf ihre unterschiedlichen, z.T. sehr attraktiven medialen Erscheinungsformen, ihre formalen Gestaltungsmerkmale sowie schließlich auf ihre ,lebensweltliche Relevanz‘? Wie schaffen wir es, die literarischen Texten eingeschriebene Mehrdeutigkeit in Kauf zu nehmen, wenn diese kommunikativer Effektivität und Abrechenbarkeit entgegensetzt scheint? Und was wäre zu tun, wenn die Sprache zu ‚fehlen‘ scheint, um dies alles auszudrücken? Neben dem Beharren

auf der Schlüsselrolle von Literatur im Fremdsprachenunterricht,2 neben den zahlreichen innovativen Konzepten auf der Grundlage immer neuer literari-scher Gattungen und Texte (vgl. z.B. Dobstadt/Riedner 2011; Schweiger 2013;

Schweiger 2015), neben der bewussten und konsequenten Medialisierung über den gedruckten Text hinaus (vgl. Badstübner-Kizik 2015a), zeichnet sich aus meiner Sicht ein weiterer Weg ab, um Literatur aus der ‚Pragmatik-Falle‘ zu befreien und kommunikativen sprachlichen Fertigkeiten die so nötige inhalt-liche Relevanz zu verleihen: So wie um andere kulturbezogene Phänomene auch können sich um literarische Texte (ihre Autor/innen, ihre Protagonist/

innen, ihre Schauplätze usw.) ‚Erinnerungsorte‘ bilden.