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Beispiele aus der Praxis – für die Praxis

Erinnerungsort Literatur? 1

4 Beispiele aus der Praxis – für die Praxis

Ein im deutschsprachigen Raum fest verwurzelter kinderliterarischer Erinnerungsort hat sich um den Autor und Illustrator Janosch (Horst Eckert, geb. 1931) und sein Werk gebildet (vgl. zum Folgenden Badstübner-Kizik 2015c). Von den oben aufgelisteten Auswahlkriterien erfüllt er min-destens die Merkmale 1 (hoher Wiedererkennungswert), 2 (Tradierung über einen längeren Zeitraum hinweg), 3 (anhaltende Rezeption), 4 (Ritualisierung der Erinnerung), 5 (symbolischer Bedeutungsüberschuss), 8 (Überschaubarkeit, gute didaktisch–methodische Handhabbarkeit) so-wie 10 (Arbeitsmöglichkeiten auf unterschiedlichen Sprachniveaus und Abstraktionsstufen). Der unverwechselbare verbal–visuelle Kosmos an Figuren, Namen und kurzen Geschichten des Autors und Illustrators Janosch ist Speicher-, Zirkulations- und Abrufmedium zugleich. Dies bedeutet, dass die Texte und Bilder zum einen von sehr vielen Personen im deutschspra-chigen Raum mit ihren vorhersehbaren Assoziationen und Konnotationen direkt ‚erinnert‘ werden, dass Janoschs Bücher (sowie die davon ausgehenden Folge-Produkte) zum anderen diese Assoziationen und Konnotationen wei-ter durch Raum und Zeit transportieren und dass sie schließlich (bei den an diesem Erinnerungshaushalt teilhabenden Personengruppen) vergleichbare Assoziationen und Konnotationen auslösen. Den Kern des Erinnerungsortes bildet eine überschaubare Anzahl illustrierter literarischer Texte. Sie haben mehrere Jahrgänge heutiger Erwachsener in ihrer Sozialisierung im deutsch-sprachigen Raum nachhaltig geprägt und sind auch für jüngere Generationen weiterhin verfügbar. Durch den Namen des Autors, die charakteristischen Figuren, den Zeichenstil und durch ausgewählte Buchtitel8 wird ein

bestimm-8 Dazu gehört in erster Linie die 1979 mit dem Deutschen Jugendbuchpreis ausgezeichnete Geschichte Oh wie schön ist Panama. Die Geschichte, wie der kleine Tiger und der kleine Bär nach Panama reisen (1978), die 2006 verfilmt wurde. Das Buch liegt in zahlreichen Übersetzungen vor, darunter Englisch, Italienisch, Türkisch, Polnisch, Bulgarisch. Janosch hat auch für Erwachsene geschrieben, seine Kinderbücher sind allerdings bekannter.

tes Konzept von ‚Kindheit‘ aktiviert, das durchaus spezifisch und nicht direkt auf andere ‚Kindheiten‘ übertragbar ist. In diesem Sinne handelt es sich um einen z.T. ‚ausschließlichen‘ Erinnerungsbestand, der nur partiell geteilt wird.

Gemeint ist die (westdeutsche) Kindheit eines vor allem in den in späten 1970er und den 1980er Jahren sozialisierten, eher antiautoritär eingestellten Personenkreises. Zeitgleich sozialisierte Personengruppen (z.B. in der DDR, in der Schweiz, in anderen Ländern) oder jüngere Generationen haben mit-telbaren Kontakt zu Janosch – über Eltern/Großeltern oder die inzwischen stark kommerzialisierten Folgeprodukte. Insbesondere „Tigerente“, „Kleiner Bär“ und „Kleiner Tiger“ haben sich als Zentren eines erfolgreich agieren-den Medienimperiums etabliert, der bis heute an Kinder und ihr erwach-senes Umfeld gerichtet ist. Bücher, Bilder und Gebrauchsgegenstände aller Art für den kindlichen Alltag sorgen für eine ständig neue, im Tages- und Jahresablauf ritualisierte Verankerung des ‚Prinzips Janosch‘.9 Die Sprache der Geschichten ist scheinbar einfach, in besonderer Weise prägnant, die Sätze meist kurz und dialogreich. Der Autor arbeitet mit einer Fülle stilistischer Mittel (u.a. Alliterationen, Phraseologismen, Rhythmisierungen und Reime, Etymologien, Wortschöpfungen), die zu Sprachspielen und -reflexionen einla-den und zur Sensibilisierung für sprachliche Formen und das Zusammenspiel zwischen Text und Bild beitragen (vgl. Badstübner-Kizik 2016). Rund um

‚Janosch‘ ergeben sich Aufgaben zur Schulung von erweiterter Textkompetenz (z.B. Text–Bild-Zuordnungen, Textvergleiche, Übersetzungen), mündli-cher und schriftlimündli-cher Ausdruckskompetenz (z.B. schriftliches und münd-liches Nacherzählen, Paraphrasieren, Fortsetzen, Umschreiben), Hör-/

Seh-Kompetenz (z.B. Vergleiche zwischen Textvorlage und Verfilmung), fremdsprachiger Recherche- und Präsentationskompetenz (z.B. im Bereich Produktmarketing, zu weiteren Werken des Autors), Interpretations- und Deutungskompetenz (z.B. Suche nach vergleichbaren Erinnerungsorten im deutschsprachigen Raum und/oder im eigenen Erfahrungsbereich). In diesem Sinne ist dieser literarische Erinnerungsort für unterschiedliche Altersgruppen und für die Arbeit auf verschiedenen sprachlichen und inhaltli-chen Niveaus geeignet. Am einen Ende des Spektrums wäre die Konzentration auf die Arbeit an den Texten und ihren Ergänzungen zu platzieren. Janoschs sprachlich–visuelle Kreativität ist hierbei besonders gut dafür geeignet, das Spielerische und Leichte von Literatur erlebbar zu machen. Am anderen Ende des Spektrums lassen sich sprachlich und inhaltlich anspruchsvolle Aufgaben

9 Vgl. z.B. Janoschs schönste Zahnputzlieder. Richtig Zähneputzen mit Ente und Bär (2012), wo Anweisungen zum Zähneputzen auf die Melodien bekannter Kinder- und Scherzlieder gelegt werden, siehe auch Geburtstagskalender, Bettwäsche usw. Weitere Beispiele für das extensive Produktmarketing auf https://www�janosch-shop�com (01.08.2018).

ansiedeln, die insbesondere Recherche-, Diskussions-, Interpretations- und Deutungskompetenzen erfordern: Was war (ist?) das Attraktive am Janosch-Kosmos? Ist diese Attraktivität immer die gleiche? Welche Sicht auf die Welt steckt hinter seiner Wort- und Bilderwelt? Was macht Janosch ggf. für an-dere Sprach- und Kulturregionen interessant? Worauf beruht das Janosch-Marketing? Welche Kinderbuchautoren mit vergleichbarer Reichweite und Wirkung sind im deutschsprachigen Raum (gegenwärtig? bei uns?) präsent?

Für die Suche nach Antworten auf Fragen dieser Art können unterschiedli-che Textsorten (Statistiken, Verlagskataloge, Webportale, Sekundärliteratur, schriftliche und mündliche Befragungen, Blogs usw.) ausgewertet oder an-gelegt werden. Die sich dafür anbietenden Aufgabentypen reichen bis zur Durchführung längerfristig angelegter Forschungsprojekte.

Anders liegt der Fall bei einem Erinnerungsort, der hier „Babylon Berlin“10 genannt werden soll. Dieser Erinnerungsort hat ‚längere‘ historische Wurzeln und führt zu einem sehr facettenreichen historischen Erinnerungsbestand, der in den 1920er und 1930er Jahren („Die Goldenen Zwanziger Jahre“,

„Zwischenkriegszeit“, „Weimarer Republik“) platziert ist. Ort und Zeit – die zu dieser Zeit äußerst dynamische und kulturell wie politisch–sozial schil-lernde deutsche Hauptstadt und die Zeit zwischen dem Ende der strukturell schwachen Weimarer Republik und dem Beginn des im sog. Dritten Reich legalisierten deutschen Faschismus – erfreuen sich inner- wie außerhalb des deutschsprachigen Raumes anhaltenden Interesses, ja, sie werden nicht sel-ten als ‚das Interessanteste‘ gehandelt, das Deutschland zu biesel-ten hätte. Die 1920er und 1930er Jahre in Deutschland gehören zu den Themen, die für die Unterhaltungsindustrie wie für die soziologische, historische, kunsthistorische und nicht zuletzt die literatur- und filmwissenschaftliche Forschung nach wie vor einen wichtigen Schwerpunkt bilden. Für viele DaF-Lernende weltweit enthält gerade diese Epoche eine noch bei weitem nicht näher ausgelotete

‚Faszination‘, mit Elementen von ‚Grusel‘ ebenso wie von ‚Bewunderung‘

und beachtlicher medialer Attraktivität. Diese liegt nicht zuletzt in der hohen multimedialen und multimodalen Überlieferungsdichte – Literatur, Graphik, Malerei, Fotografie, Film, Tanz, Kabarett, Musik, Technik, Architektur, Design usw. vor politisch und sozial schwierigem Hintergrund bilden ein dichtes Netz von Quellen in unterschiedlicher medialer Form. „Babylon Berlin“ bildet ei-nen wahren multimedialen Erinnerungsort, der auf vielfältige Art am Leben erhalten wird. Seine literarische Dimension kann an einer Fülle historischer

10 Der Titel leitet sich von der Verfilmung (2017ff.) des Romans Der nasse Fisch. Gereon Raths erster Fall (Volker Kutscher, 2008) ab und wurde hier v.a. wegen seiner übergreifenden meta-phorischen Aussagekraft gewählt.

und aktueller Texte festgemacht werden, anders als beim Erinnerungsort

„Janosch“ bildet Literatur aber nur eine unter vielen anderen (filmischen, musikalischen, architektonischen, bildkünstlerischen, personenbezogenen, begrifflich–konzeptionellen, ökonomisch–sozialen, politischen) möglichen Facetten. Anders auch als bei Janosch speichern hier die literarischen Texte selbst nur bedingt ‚Erinnerung‘ oder sind für große Gruppen erinnerungs-würdig. Sie und ihre vielfältigen Anschluss- und Nachfolgeprodukte sowie die darauf basierenden Rezeptionsmechanismen sorgen vielmehr unter anderen dafür, dass der damit angesprochene Erinnerungsbestand insgesamt weiter-gegeben wird (Zirkulationsmedium) und ‚lebendig‘ bleibt (Abrufmedium).

Von den oben aufgeführten Kriterien erfüllt dieser Erinnerungsort in gera-dezu exemplarischer Weise die Kriterien 2 (Tradierung über einen längeren Zeitraum hinweg), 3 (Rezeption in verschiedenen Formaten), 5 (symbolischer Bedeutungsüberschuss), 6 (Aussagen über die Entstehung und Formung von Erinnerung), 8 (Zugänglichkeit in unterschiedlichen Formaten), 9 (immer neue mediale Vernetzbarkeit) sowie 10 (Möglichkeit der Arbeit unterschiedli-chen Sprach- und Abstraktionsniveaus). Die hier nicht einmal ansatzweise aus-lotbare literarische Dimension11 von „Babylon Berlin“ soll an den Bausteinen Dreigroschenoper (Bertolt Brecht und Kurt Weill, 1928) und Gereon Rath (Volker Kutscher, seit 2008) angedeutet werden. Sie unterscheiden sich in vielfacher Hinsicht – nicht zuletzt aus dem Blickwinkel etablierter literatur-wissenschaftlicher Qualitätskriterien – voneinander, stellen auf Grund ihrer besonderen Affinität für zeitgleiche bzw. nachgeordnete Rezeptions- und Transformationsversuche jedoch vergleichbare mediale Phänomene dar, die sich inhaltlich gut miteinander verbinden lassen. Sie gestatten es darüber hinaus in exemplarischer Weise, die Sicht auf Literatur als Erinnerungsort zu illustrie-ren: Es geht eben nicht (nur) um einmal etablierte oder kanonisierte ‚Qualität‘, sondern es geht (auch) um die konkreten medialen Erscheinungsformen, in denen sich ein (literarischer) Erinnerungsort präsentiert sowie um die unter-schiedlichen Funktionen und Wirkungen, die diese im Einzelnen entfalten können.

Der historische Text der Dreigroschenoper steht im Zentrum eines mehr-sprachigen multimedialen primären Medienverbundes, der vielfältige

11 Beispielhaft sei auf die Person und das Werk Erich Kästners, Kurt Tucholskys, Hans Falladas oder Carl von Ossietzkys verwiesen. Im Hinblick auf die Fülle der von ihnen präsentierten literarischen Formen sowie die rund um sie greifbar werdenden Para- und Metatexte (pro-minent in jüngster Zeit z.B. Literaturverfilmungen und Biopics) bildet jeder dieser Autoren einen eigenen, medial sehr attraktiven ‚literarischen Baustein‘ innerhalb des Erinnerungsortes

„Babylon Berlin“.

Möglichkeiten für sekundäre Erweiterungen bietet.12 Er illustriert die soziale Diversität seiner Entstehungszeit in Adaption einer Vorlage von 1728 (The Beggar‘s Opera, John Gay und Johann Christoph Pepusch) und ist gleichzei-tig deren herausragendes literarisch–musikalisches Produkt mit ‚zeitloser‘

Botschaft. Auch wenn man trotz regelmäßiger Aufführungen nicht davon ausgehen kann, dass die Dreigroschenoper in allen ihren Erscheinungsformen heute von sehr großen Gruppen aktiv ‚erinnert‘ wird, so ist sie doch als (immer noch) wirkungsvolles Zirkulations- und Abrufmedium für den Erinnerungsbestand der „Zwanziger Jahre“ zu betrachten. Der Bühnentext liegt in zahlreichen Auflagen im Original und in Übersetzungen gedruckt vor, 1934 veröffentlichte Brecht einen (Kriminal-)Roman zum selben Stoff (Dreigroschenroman). Das Theaterstück enthält längere Gesangseinlagen (Songs) zur eigens komponierten Musik von Kurt Weill, viele davon haben sich verselbständigt. Weill gab 1929 zusätzlich eine Orchestersuite heraus (Kleine Dreigroschenmusik). Orchestersuite, Oper und Songs liegen in einer umfangreichen Diskographie aus verschiedenen Jahren und von verschie-denen Interpreten, ggf. in unterschiedlichen Sprachen, vor. Drei Jahre nach der Uraufführung wurde die Brechtsche Oper in prominenter Besetzung verfilmt (D 1931, Regie: Georg Wilhelm Pabst), 1962 (D, Regie: Wolfgang Staudte), 1989 (Mack the Knife, USA, Regie: Menahem Golan), 1995 (TV) und 2004 (TV) folgten weitere Verfilmungen. Die Verfilmung des Stoffes durch Brecht selbst wird in der jüngsten Produktion Mackie Messer. Brechts Dreigroschenfilm (D/B 2018, Regie: Joachim A. Lang) thematisiert. Bis heute wird das Theaterstück (bzw. Auszüge daraus) in verschiedenen Sprachen an professionellen Theatern, Kleinkunstbühnen sowie off-Theatern weltweit sze-nisch aufgeführt, es liegt als Hörbuch und Hörspiel vor. Einzelne Songs werden immer wieder prominent gecovert, eine Spitzenposition nimmt die Moritat von Mackie Messer ein (u.a. Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Russisch, Tschechisch, Polnisch), nicht selten unter weitgehender Bearbeitung des Textes (u.a. durch Rammstein). Neben der kreativen Song-Rezeption gibt es unzählige professionelle und private medienübergreifende Verarbeitungen (u.a. Tanz, Performance, Comic, Videoclip usw.). Dieser primäre – autorisierte, inten-

12 Ein primärer Medienverbund ist intendiert und entsteht durch Fruchtbarmachung unterschied-licher intertextueller, intermedialer und transmedialer Beziehungen (z.B. Verfilmung einer literarischen Vorlage, Illustrierung eines literarischen Textes, Umsetzung einer literarischen Textvorlage als Graphic Novel usw.). In einem sekundären Medienverbund werden Relationen zwischen unterschiedlichen medialen Formaten aufgebaut, die zunächst unverbunden neben-einander bestehen (z.B. Zuordnung von Fotos zu einem literarischen Text), vgl. Badstübner-Kizik 2014a, dort ebenfalls genauere und ausführlichere Angaben zum Medienverbund

„Dreigroschenoper“.

dierte – Medienverbund kann durch unterschiedliche sekundäre Ergänzungen erweitert werden. In besonderer Weise bieten sich hier sozialkritische Graphiken und Gemälde der 1920er und 1930er Jahre aus dem Umkreis der Künstler der Neuen Sachlichkeit oder auch zeitgenössische Fotografien an. Darüber hinaus ergeben sich zahlreiche literarische und musikalische Anschlussmöglichkeiten (z.B. Ballade, Song, Jazz usw.).

Auch „Gereon Rath“ steht für einen sehr dynamischen Medienverbund. Sein Verdienst ist es u.a., die 1920er und 1930er Jahre medial zu ‚aktualisieren‘ und für die Gegenwart ‚tauglich‘ zu machen. Gleichzeitig wird hier in besonde-rer Weise der interpretierende Blick fassbar, der diesen Erinnerungsbestand neu interpretiert und formt und so rückwirkend die ‚Erinnerung‘ an die-se Zeit maßgeblich prägen wird. Diedie-ser Mechanismus beruht nicht zuletzt auf der enormen Wirkkraft visueller und audiovisueller Medien, die „sich [als] ein riesiges Inventar von Bebilderungsmaterial“ vor die Deutung von Vergangenheit „schieben“ (Welzer/Moller/Tschuggnall 2010:108) und die damit zu „Deutungsvorgaben“ (ebd., S. 105) werden. Dies wird umso deutli-cher, je weiter eine ‚erinnerte‘ Epoche zurückliegt und je ‚realistischer‘ und

‚authentischer‘ ihre Darstellung wird. Unzählige mediale Formate, darunter Spielfilme, Docufiction, Dokumentarfilme, TV-Serien oder Einzelfotos, prägen die ‚Erinnerung‘ daran, wie es ‚wirklich‘ gewesen ist und ‚wirklich‘ ausgesehen hat – und sie entfalten dabei mitunter eine stärkere Wirkungskraft als der literarische Text. Literarischer Ausgangspunkt ist hier die bisher sechsteilige Romanserie13 um Kriminalkommissar Gereon Rath, die zwischen 1929 (Band 1) und 1934 (Band 6) in Berlin spielt und bereits in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Das gewählte mediale Format (Kriminalroman) ist im deutschspra-chigen Raum äußerst populär, die Verkaufszahlen belegen zudem das nicht erlahmende Interesse an der konkreten räumlichen und zeitlichen Anbindung der Krimi-Handlung an die späten 1920er und frühen 1930er Jahre in Berlin, die durch eine Flut von weiteren (literarischen, dokumentarischen, populärwis-senschaftlichen) Texten, Bildern und Filmen, überlieferten Gegenständen und sorgfältig rekonstruierten und musealisierten Orten abgedeckt ist. Kutschers historisierende Romanserie ist dabei fest in der Medienrealität von 2018 ver-ankert: Statistiken, Umschlagabbildungen, Textauszüge in digitaler Form, Bestseller-Listen, Verlags-Seiten, Rezensionsblogs, Buchtrailer usw. verwei-sen auf die ‚Lebendigkeit‘ und ‚Relevanz‘ für das gegenwärtige Publikum.

Die Romane werden von zahlreichen aktuellen Marketingformaten flankiert,

13 Bisher sind folgende Bände erschienen: Der nasse Fisch (2008), Der Stumme Tod (2009), Goldstein (2010), Die Akte Vaterland (2012), Märzgefallene (2014), Lunapark (2016).

erwähnenswert ist dabei v.a. das Webportal rund um die Hauptfigur Gereon Rath.14 Es führt mittels Fotos, Stadtplänen, Leseproben, Rezensionen, er-klärenden Texten sowie zahlreichen weiterführenden Verlinkungen in ei-nen multimedialen, hypermedialen Kosmos aus Texten, Klängen, festen und beweglichen Bildfolgen, die potenziell einen immer weiter ausbaufähigen sekundären Medienverbund bilden. Seit 2009 erscheinen die Gereon-Rath-Romane als Hörbücher, damit kommt eine akustische Dimension hinzu. Der nasse Fisch. Gereon Raths erster Fall, der erste Roman der Serie (2008), wird seit 2017 unter dem Titel Babylon Berlin extensiv als TV-Serie verfilmt, die beiden ersten Staffeln liegen derzeit mit 16 Folgen vor (Regie: Tom Tykwer, Achim von Borries und Hendrik Handloegten). Intertextuelle und interme-diale Ergänzungen besonderer Art bilden der illustrierte Band Moabit (Volker Kutscher und Kat Menschik, 2017), der eine Nebenhandlung erzählt, sowie die Umsetzung des ersten Romans der Folge als Graphic Novel (Der nasse Fisch, Arne Jysch, 2017). Weitere Bestandteile des Medienverbundes bilden die Filmmusik (Titelmusik), ausgewählte Liedtexte, beschreibende, erklärende und interpretierende Sekundär-Texte, die Präsenz einzelner Schauspieler/

innen in den sozialen Medien usw. Hier liegt ein themenspezifischer mul-timedialer, hypermedialer, primärer Medienverbund mit unzähligen sekun-dären Erweiterungsmöglichkeiten vor, der sich inhaltlich sehr gut an die

„Dreigroschenoper“ anschließen lässt und die Arbeit mit einzelnen Texten, Musikstücken, Fotografien und Filmausschnitten sowie weitere Recherchen

‚im Netz‘ und ggf. ‚vor Ort‘ (z.B. in Museen, an Handlungsorten usw.) möglich macht. Über vielfältige Abschlussaufgaben kann dabei auch an die Gegenwart des deutschsprachigen Raumes und/oder an das Lebensumfeld der Lernenden angeschlossen werden. Dies kann über ‚landeskundliche‘ Themen im Umkreis der konkreten historischen und politischen Konstellation geschehen (z.B.

Parteien, Staatsformen, Wahlen, konkrete Ereignisse), über Themen wie

„Alltag“ (z.B. Wohn-, Lebens- und Arbeitsverhältnisse), „Großstadt“ (z.B.

Infrastruktur, Verkehr, soziale Gegensätze), Freizeit- und Vergnügungsindustrie oder „Musik“ (Musik- und Tanzstile, konkrete Musikschaffende). Dabei besteht die Möglichkeit, einen konkreten Zeitraum weiter zu explorieren oder aber andere Zeiten, Städte und/oder Länder als Vergleich und Kontrast einzubeziehen (z.B. Literatur der 1920er/1930er Jahre, Berlin und Wien in den 1920er Jahren, die 1920er und 1930er Jahre ‚bei uns‘, Berlin heute usw.).

Darüber hinaus können übergreifende Entwicklungen thematisiert werden (z.B. globale Retrotrends). Schließlich sind es die medialen Koordinaten, die die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und die eine Fülle von Textsorten mit ihren

14 Vgl. https://www�gereonrath�de sowie zur Verfilmung https://www�babylon-berlin�com/de/.

formalen Merkmalen und sprachlichen sowie medialen Anforderungen entde-cken und erschließen helfen, darunter prominent Statistiken, Bestsellerlisten, Trailer und Rezensionen, informierende, kommentierende und analytische Texte, andere literarische Textformate (z.B. ‚Großstadtlyrik‘), analoge und digi-tale, visuelle, auditive und audiovisuelle Phänomene, transmediales Marketing usw. Ihre unterschiedlichen Ziele und Funktionen manifestieren sich auch in ihren jeweils unterschiedlichen formalen und sprachlichen Eigenschaften.

Für „Janosch“ wie für „Babylon Berlin“ stellt sich – wie für andere (litera-rische) Erinnerungsorte auch – immer die Frage danach, wer an den darin enthaltenen, dadurch transportierten und abgerufenen Erinnerungsbeständen teilhat, wer möglicherweise von ihnen ausgeschlossen ist und inwieweit es sich um sprach- und kulturübergreifende gemeinsame Erinnerungsorte handelt.

Ein Erinnerungsort „entsteht im plurimedialen Zusammenhang, durch seine Einbettung in ein komplexes sozialsystemisches Netzwerk, das ihn durch ver-schiedene Formen der medialen Vorformung und Bezugnahme zu einem sol-chen macht“ (Erll/Wodianka 2008:7; Hervorhebung der Autorinnen). Wichtig ist also immer, wann, wo, in welcher Form, unter welchen Umständen, mit wem, in welcher Stimmungslage usw. ein Erinnerungsbestand wahrgenom-men wird. „Das Attribut [‚literarischer Erinnerungsort‘, bei Erll/Wodianka:

‚Erinnerungsfilm’, CBK] verweist damit nicht (allein) auf eine Machart, son-dern auch und vor allem auf einen erinnerungskulturellen, prozessual und plurimedial ausgehandelten Status“ (ebd., S. 7).

5 Fazit

Die Arbeit mit (literarischen) Erinnerungsorten kann immer nur exempla-risch sein, sie kann die systematische Erarbeitung von Lexik und Grammatik nicht ersetzen. Sie kann sie allerdings in Richtung eines inhaltsorientierten und kulturbezogenen Lernens profilieren, ohne dass dabei auf intensive Spracharbeit und Fertigkeitentraining verzichtet werden muss. Literarische (und in literarischer Form greifbare) Erinnerungsorte sind dafür wichti-ge punktuelle Marker, mit deren Hilfe kulturelle Vielfalt und Komplexität sichtbar und (auch in ihrer historischen Dimension) ansatzweise erfahrbar gemacht werden kann. Sie bieten die besondere Chance, die Schlüsselrolle wahrzunehmen, die literarische Texte bei der Konstruktion des kulturellen Gedächtnisses haben, sie zeigen aber auch, inwieweit sich dieses wandelt und von unterschiedlichen medialen Phänomenen geformt ist. Die Dimension medienübergreifenden und intermedialen Arbeitens rund um den gedruck-ten Text scheint mir dabei besonders bedenkenswert, sie korrespondiert mit

einer längst diskutierten Erweiterung des Textbegriffs um visuelle, auditive, audiovisuelle und hypermediale Dimensionen.

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Badstübner-Kizik, Camilla / Hille, Almut (Hrsg.) (2015): Kulturelles Gedächtnis und

Badstübner-Kizik, Camilla / Hille, Almut (Hrsg.) (2015): Kulturelles Gedächtnis und